Von KI zu EthI – Wie Künstliche Intelligenz mehr Ethische Intelligenz in Redaktionen bringen kann

Wie Künstliche Intelligenz funktioniert, das kennt man ja – zumindest glaubt man es. „Kunden, die xy gekauft haben, mochten auch yz.“ Zumindest ist das die Art von KI, auf die man als Nutzer*in von Amazon, Spotify und allerlei digital ausgespielter Werbung trainiert ist. Heraus kommt immer mehr vom Ähnlichen, so dass man sich irgendwann fragt, welche Art Welt an einem wohl vorbeiziehen mag, während man so vermeintlich gut versorgt durch seine Konsument*innen-Blase schwebt. In Erinnerung bleibt die Anekdote, die eine Medien-Forscherin erzählte. Wie die Managerin eines Plattform-Unternehmens aus dem Silicon Valley sie verständnislos angeschaut habe, als sie von einem Chefredakteur*innen-Workshop sprach. Wozu man diese Rolle denn künftig noch brauche, das übernehme doch alles die Software?

Vor einem Journalismus, der so verstanden werden würde, kann es einem nur grausen. Aber nach anfänglichen Berührungsängsten („nichts geht über uns und unser Bauchgefühl“) hat sich die Debatte unter Medienschaffenden und -Wissenschaftlern, die sich ernsthaft mit den Potentialen von KI für die Branche beschäftigen, in eine gänzlich andere Richtung entwickelt. Mittlerweile geht es darum, wie man den Journalismus mithilfe von Software nicht nur stärken, sondern insbesondere ethischer machen kann. So wie die Emotionale Intelligenz (EI) den Begriff der Intelligenz erweitert hat, sollte also eine Ethische Intelligenz die KI ergänzen, man könnte sie EthI nennen.

Der erste Schritt dahin ist, es zu wollen. Der Bayerische Rundfunk ist dabei kürzlich vorgeprescht: Er hat sich Richtlinien für eine ethische KI verordnet, zehn Prinzipien, auf deren Grundlage entsprechende Software im eigenen Haus entwickelt und angewandt werden soll. Es lohnt sich, die Grundsätze zu lesen, denn sie lassen sich auch auf den Journalismus insgesamt anwenden. Es geht um den verantwortungsvollen Einsatz von Ressourcen, bestmögliche Transparenz und Debatte, Kooperationen und begleitende Evaluation. Anders als bei den von Facebook und Co. verordneten Black Boxes, die nur sehr wenig preisgeben über die Algorithmen, nach denen sie funktionieren, möchte der BR wissen, mit welchen stereotypischen Annahmen Software möglicherweise gespickt ist. Und die Kolleg*innen wollen die Spielregeln selbst bestimmen, im Verbund mit anderen. Ziel ist ein Journalismus, der endlich die Standards erfüllt, die sich Redaktionen oft selbst gesetzt haben, an denen sie aber ebenso oft gescheitert sind. Es geht um Vielfalt und Repräsentation. Der Mehrwert für die Nutzer*innen muss im Mittelpunkt stehen.

Diese Grundprinzipien sind – ganz im Geist der Kollaboration – nicht in einem Chefbüro entstanden. Uli Köppen, Teamleiterin beim BR, arbeitet im Journalism and AI Project der London School of Economics mit, einer internationalen Kooperation von klugen Köpfen aus dem Journalismus, die sich medienübergreifend mit den Potenzialen und Risiken von KI für die Branche auseinandersetzen. Man lernt dort gemeinsam und voneinander, probiert aus, trägt zusammen, verwirft Nutzloses und feiert Erfolge. Das hat den Vorteil, dass nicht jede Organisation die gleichen Fehler machen und Erfolgsgeschichten entwickeln muss. Den bitteren Konkurrenzkampf, den sich Medienhäuser und einzelne Titel jahrzehntelang geliefert haben und noch liefern, haben die Weitblickenden unter den Journalist*innen und Medienmanager*innen hinter sich gelassen. Sie wissen: Die größte Konkurrenz sitzt überall dort, wo man sich bewusst und unbewusst längst angeschickt hat, Qualitätsjournalismus feindlich zu übernehmen.

Beim „Journalism and AI Festival“ mit seinen 15 Panels wurde kürzlich deutlich, welche vielfältigen Möglichkeiten in der KI für den Journalismus stecken, aber auch, dass die Entwicklung noch ziemlich am Anfang steht (alle Panels lassen sich hier
nachhören). Auch das ist gut. Noch lässt sich vieles gestalten. Redaktionen, die sich jetzt nicht mit dem Thema beschäftigen, sollten später nicht sagen, ein Trend habe sie überrollt.

Natürlich birgt die KI auch Gefahren. Verleger*innen unter Kostendruck könnten deren Potenziale nicht für den Journalismus sondern allein als Sparprogramm nutzen. Das Abschöpfen und Interpretieren von Daten könnte aus dem Ruder laufen, exzessive Personalisierung dazu führen, dass Journalismus trennt, statt Gemeinschaft zu stiften. Sehr real ist die Gefahr eines neuen Überangebots. Vor lauter Freude an dem, was technisch möglich ist, mag so manche Redaktion über das Ziel hinausschießen und Nutzer*innen mit allem bombardieren, was sie schon gestern nicht wollten. Dabei muss Journalismus vor allem das: Orientierung bieten. Wäre doch erstaunlich, wenn KI dabei nicht helfen könnte. Allerdings nach Regeln, die von Journalist*innen gestaltet werden.

Dieser Text erschien am 18. Dezember 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School. 

Gar nicht mal so uncool – Warum die öffentlich-rechtlichen Sender in ihrer Innovationskraft unterschätzt werden

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eins mitzugeben, gehört in manchen Kreisen zum guten Ton, selbst wenn sie nicht der AFD nahestehen. Das Publikum: überaltert. Das Programm: nur Krimis und Volksmusik. Die Strukturen: behäbig. Die Kultur: Anzugträger mit Direktorentitel. Die Politik: links-grün. Das Digitale: ach ja, die Tagesschau ist auf Tik Tok. Gleich sieben krankhafte Befunde diagnostizierte kürzlich Media-Pioneer Gabor Steingart in seinem Morning Briefing. Die Sender schmissen zu viel Geld für Fußball raus, kommentierten zu einseitig und böten kaum etwas für junge Leute. Sein Fazit: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk brauche nicht mehr Geld, sondern eine Reform.

Das Bundesverfassungsgericht wird den Teil mit dem Geld wohl anders sehen. Dorthin wendeten sich die Anstalten, nachdem Sachsen-Anhalt die für Januar geplante Erhöhung der Haushaltsabgabe um monatlich 86 Cent blockiert hatte (das klingt nach wenig, beläuft sich aber auf rund 400 Millionen Euro im Jahr). Und wer würde sich schon gegen Reformen aussprechen? Schließlich steckt in jedem der Vorwürfe ein wenig Wahrheit. Aber es ist eben nicht die ganze.

Vor lauter Musikantenstadl, Tatort und Fußball-Bundesliga lässt sich leicht übersehen, dass es in den großen Sendern durchaus Inseln der Innovationskraft gibt, von denen Mitarbeiter*innen anderer Medienhäuser nur träumen können. Man findet sie nur nicht im Hauptprogramm – also dort, wo auch die Kritiker*innen reflexhaft hinschauen, wenn sie sich mal wieder über den Stand der Dinge bei den ÖRs informieren wollen. Das mag übrigens daran liegen, dass sie selbst oft zur von ihnen geschmähten älteren Zielgruppe gehören, die gar nicht mitbekommt, was sich auf anderen Plattformen so tut.

Fragt man die angeblich wegbleibenden jungen Leute selbst, sind viele nämlich gar nicht so unzufrieden mit dem, was ARD und ZDF im Angebot haben, zum Beispiel auf Instagram, YouTube oder, ja, Tik Tok. Sie folgen der Tagesschau, die Nachrichten simpel erklärt, der „News WG“ des Bayerischen Rundfunks, wo politische Themen besprochen werden wie am Küchentisch. Sie schauen Videos auf Funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, oder hören Podcasts wie „Mal angenommen“ oder „180 Grad: Geschichten gegen den Hass“, die im konstruktiven Journalismus zuhause sind, mit dem sich die jüngere Generation tendenziell wohler fühlt, als mit ständiger Alarmstimmung. Und Christian Drosten punktet auch bei den Jungen, die sich gerne mal die Welt erklären lassen, wenn es sie nicht an Schule erinnert.

Hinzu kommen Abteilungen in den Sendern, die sich dem Datenjournalismus und der Anwendung von Künstlicher Intelligenz verschrieben haben. Der Bayerische Rundfunk macht zum Beispiel beim Journalism and AI Projekt der London School of Economics mit, wo Journalist*innen aus aller Welt Anwendungen von KI für den Journalismus entwickeln. Der Südwestfunk hat der Süddeutschen Zeitung Vanessa Wormer abgeworben, die Datenjournalistin, die aus den Panama Papers Sinn machte.

Außerdem stehen die Öffentlich-Rechtlichen auch in Sachen Vielfalt der Belegschaften gar nicht so schlecht da, wie das oft vermutet wird. Immerhin gibt es dort Frauenbeauftragte und eine Debatte über Repräsentation, die in der Privatwirtschaft gar nicht geführt wird. Da geht man einfach davon aus, dass die Netflix-Welt bunt und vielfältig ist – belegt ist das nicht. Und gemessen an der Zahl der verfügbaren Chefposten gibt es deutlich mehr Intendantinnen als Chefredakteurinnen bei deutschen Regionalzeitungen.

Eine gewisse Einseitigkeit bei den politischen Kommentaren mag man beklagen – obwohl die Grundlage derartigen Gejammers empirisch zu belegen wäre. Allerdings sollte man dann auch anerkennen, dass Meinungsstücke bei den Sendern letztlich Minimalprogramm sind. Der weitaus größere Teil besteht aus anderen journalistischen und Bildungs-Formaten und gar nicht zu vergessen: Kultur und Musik. Ohne die Rundfunkchöre und Symphonie-Orchester sähe die deutsche Konzertlandschaft um einiges ärmer aus. Wer ein feuriges Plädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hören will, sollte sich die Keynote anhören, die Björn Ulvaeus im April 2018 auf dem Mediengipfel der European Broadcasting Union gehalten hatte – ja, dem Björn von ABBA. Besser kann man den Zusammenhang zwischen den Sendern und der Demokratie in Europa kaum erklären, man schaut den European Song Contest danach mit anderen Augen.

Das heißt nicht, dass bei ARD und ZDF alles so bleiben sollte, wie es ist. Wie alle anderen Medienhäuser müssen die Sender heute nicht mehr Vollsortimenter sein. Auch das Kaufhaus von einst hat seine Bedeutung eingebüßt, mancherorts sogar seine Daseinsberechtigung verloren. Manch ein Angebot ans Publikum können andere womöglich besser und günstiger auflegen. Und journalistisch sollten die Öffentlichen dort hingehen, wo es sich für private Medien nicht mehr lohnt, zum Beispiel in die Fläche. Unabhängiger Journalismus ist die Grundlage der Demokratie. Anders, als zum Beispiel in den USA, dürfen keine Nachrichtenwüsten entstehen, in denen Bürger*innen sich dann zweifelhaften Portalen zuwenden (müssen). Unabhängigkeit heißt aber auch, dass sich die Anstalten nicht von politischen Querelen in Geiselhaft nehmen lassen dürfen, wie jüngst in Magdeburg geschehen. Die Sache ist zu groß für politisches Klein-Klein.

Dieser Text erschien am 11. Dezember 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.