Management mangelhaft: Wo Führungskräfte in den Medien nacharbeiten müssen

Journalisten klagen über Qualitätsverlust im Journalismus – ach, bitte nicht. Noch nie waren die Formate und Ausspielwege so vielfältig, die Erkenntnisse über Kundenbedürfnisse so detailliert, die Technik so simpel zu nutzen. Und Reportern, Redakteuren und deren Chefs fällt nichts weiter ein, als zu jammern. Auch so könnte man eine neue Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung interpretieren. Tenor: „Die Digitalisierung macht alles schlimmer“. Für den knapp 100 Seiten umfassenden Report „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg: Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben“ haben die Autoren Burkhard Schmidt, Rainer Nübel, Simon Mack und Daniel Rölle 20 Journalisten verschiedener Medien ausführlich zu Themen wie Arbeitsbelastung, Qualität und Wertschätzung interviewt und zusätzlich eine nicht repräsentative Online-Befragung mit 161 Teilnehmern ausgewertet. 

Überfliegt man den Report nur, kann einem um den deutschen Journalismus angst und bange werden: Die Arbeitsbelastung wachse, die Zeit für Recherchen schrumpfe und die öffentlichen Anfeindungen nähmen zu. Wer sich nicht demnächst in die Rente retten könne, erwäge regelmäßig den Ausstieg aus dem Beruf, heißt es dort. Die detaillierte Lektüre lohnt sich trotzdem. Denn viele der Befragten zeichnen ein sehr reflektiertes und realistisches Bild der Situation in deutschen Medienhäusern und des Verhältnisses zwischen Journalisten und ihrem Publikum. Eigentlich berge der digitale Journalismus Chancen, man komme nur nicht dazu, sie zu nutzen, klingt dabei durch. Der Jammerlappen-Vorwurf greift also zu kurz. 

Deshalb ist die Studie vor allem das: ein desaströses Zeugnis für das Management in deutschen Medienhäusern. Strapaziert man das Bild, könnte man sagen, das Aufrücken in das Zeitalter des digitalen Journalismus ist gefährdet.

Die Note mangelhaft gibt es gleich in mehreren Fächern.

Fachgebiet Storytelling

Führungskräfte versäumen es vielerorts, eine Erfolgsstory zu entwickeln und zu vermitteln. Der moderne Journalismus bietet unendlich viele Möglichkeiten, die Erzähl- und Informationsqualität zu steigern und damit in der Theorie weitaus mehr Menschen zu erreichen als früher. Visualisierung, direkte Ansprache auf verschiedenen Plattformen, einfache Möglichkeiten zur Kooperation und Interaktion – die Liste der Chancen ist lang. Dennoch schaffen es viele Führungskräfte offensichtlich nicht, ihre Mitarbeitenden dafür ausreichend zu begeistern. Stattdessen wird reflexhaft gespart.

Fachgebiet Ressourcen schaffen

Führungskräfte helfen ihren Mitarbeitenden zu wenig dabei, sich freizuschwimmen. Jeder, der sich ernsthaft mit Nutzungsdaten beschäftigt, kennt das massive Missverhältnis zwischen redaktionellem Angebot und Nachfrage. Redakteure und Reporter produzieren ein Übermaß an schlichter Nachrichtenkost, während die Kunden auf ganz andere, verschiedene Formen Appetit haben: Erklärstücke, Inspiration, Beratung, Unterhaltung und Trends – um nur einige zu nennen. Dies führt dazu, dass etliche Texte und Inhalte so gut wie gar keine Aufmerksamkeit bekommen, während es an den Stoffen mangelt, die Leser zu regelmäßigen, im Idealfall begeisterten Nutzern machen. Der unabhängige Berater und frühere BBC Journalist Dmitry Shishkin hat für den BBC World Service das „User Needs Modell“ mitentwickelt, mit dem sich jeder auseinandersetzen sollte, der sein Publikum ernst nimmt. 

Der Job der Chefetage ist es, den Arbeitseinsatz der Redaktion entsprechend zu kanalisieren. Die Leitenden müssen Daten zur Verfügung stellen, die jeder verstehen kann, und jeder muss wissen, was daraus folgt. Dazu gehört auch radikales Weglassen. Dies gefällt nicht jedem. So manch einer zieht seine Befriedigung aus Arbeiten, die bei ehrlicher Betrachtung niemandem nutzen. Führungskräfte neigen dazu, das stillschweigend zu dulden und die neuen Aufgaben oben drauf zu packen. Sie müssen aber sicherstellen, dass Arbeitsenergie effektiv eingesetzt und nicht verplempert wird. Nur so lassen sich Belastungen begrenzen.

Fachgebiet Fürsorge

Führungskräfte stehen ihren Mitarbeitenden zu wenig bei, wenn sie angegriffen werden. In der Otto-Brenner-Studie gaben etliche der Interviewten an, unter dem wachsenden Misstrauen eines Teils des Publikums zu leiden. In diesem Fall dürfte die Realität noch trauriger sein als in der Stichprobe erfasst. Anfeindungen online und zunehmend auch physische Angriffe gehören in wachsendem Maße zum Alltag von Reportern und Kommentatoren, vor allem den weiblichen und jenen, die ethnischen Minderheiten angehören. Zu viele Chefredaktionen haben ihre Redaktionen bislang mit dieser Belastung allein gelassen, den Kollegen weder psychische noch juristische Unterstützung angeboten. Das trägt in hohem Maße zur Burnout-Gefahr bei. 

Fachgebiet Konfliktmanagement

Die meisten Führungskräfte in den Medien versäumen es, den Generationenkonflikt zu managen. Während die Älteren in den Redaktionen häufig klagen, die Jungen hätten von Qualitätsjournalismus im Allgemeinen und von Recherche im Besonderen keine Ahnung, bemängeln viele der Jungen das fehlende Verständnis der Vorgängergenerationen für digitale Formate und eine gewisse Bequemlichkeit nach dem Motto, „bis ich in Rente gehe, komme ich auch so durch“. Dabei existiert auf beiden Seiten Knowhow, von dem die jeweils anderen stark profitieren könnten – würden die Führenden denn eine Kultur der Offenheit und des Lernens etablieren. Abfindungsprogramme, die teure Platzhirsche zum Gehen animieren sollen, damit junge (billigere), „digitale“ Fachkräfte nachrücken können, sind eher kontraproduktiv – als erstes gehen zudem häufig diejenigen, die man eigentlich gerne gehalten hätte. 

Fachgebiet Werkzeugkunde

Viele Führungskräfte verstehen zu wenig von Change Management. Deshalb vermitteln sie auch keine entsprechenden Strategien. Vor allem auf Redaktions- aber auch auf Verlagsseite sind viele Chefs in ihre Rolle hineingestolpert, ohne das Führen jemals gelernt zu haben. Wie man Veränderungsprozesse systematisch aufsetzt und vorantreibt haben sie bestenfalls gelesen, meistens agieren sie nach Bauchgefühl. Das verunsichert die Mitarbeitenden. Man schwört sie zwar auf Konzepte wie „digital first“ oder „audiences first“ ein, man enthält ihnen aber das Knowhow vor, wie sie beides in stark von Routinen und Hierarchien beherrschten Redaktionen umsetzen können. Das ist, als würde man jemandem einen Ikea-Karton ohne Aufbauanleitung hinstellen. Dabei ist Veränderungsmanagement Handwerk, und je öfter alle die Werkzeuge benutzen, umso sicherer werden sie in deren Gebrauch. Allgemein gilt: mit den Willigen beginnen, die Aufgeschlossenen mitnehmen und die Gegner so lange wie möglich ignorieren. Viele von denen folgen nämlich dann ganz gerne, wenn sich erste Erfolge abzeichnen. Den anderen hilft tatsächlich nur noch das Abfindungsprogramm.    

Führungskräfte, die in all diesen Disziplinen nicht an sich arbeiten, schaden der gesamten Branche. Denn in einem Beruf, in dem es an Perspektive, Wertschätzung und Entlohnung mangelt, möchte irgendwann niemand mehr arbeiten – schon gar nicht die Top-Talente, auf die alle so scharf sind. Es liegt an den Leitenden, eine Story des Wandels zu erzählen und möglich zu machen. Viele in Redaktionen und Verlagen sehnen sich danach. Denn, wie die Brenner-Studie einen der Befragten zitiert: Journalismus sei immer noch „der geilste Job, den es gibt“.  

Diese Kolumne erschien am 16. August 2022 bei Medieninsider. Alexandra schreibt dort jeden Monat zu aktuellen Themen, Medieninsider ist ein Paid Content Angebot. 

 

Beruf mit Risiken und Nebenwirkungen – Journalisten im Burnout

Man kann diese Bilder schwer ertragen, vor allem, wenn man die USA kennt und den großartigen Journalismus amerikanischer Medienhäuser schätzt: Polizisten, die Reporter*innen und Fernsehteams gezielt mit Tränengas und Gummigeschossen attackieren, sogar festnehmen, weil sie von den landesweiten Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus berichten. Etwa 120 solcher Angriffe hatte es allein in der ersten Woche nach dem Tod von George Floyd gegeben, der unter dem Knie eines Polizisten erstickte. Der Journalistenberuf ist selbst im Kernland der Meinungs- und Pressefreiheit gefährlich geworden. Das wird Folgen haben. Noch schweißen die Attacken von außen die Redaktionen zusammen, verleihen ihrer Arbeit Sinn und eine extra Portion Legitimation. Aber irgendwann wird die große Erschöpfung eintreten. Im Journalismus ist Burnout ein erhebliches Berufsrisiko.

Doch während Journalisten gerne emphatisch über psychische Belastungen, Verletzungen und Traumata anderer berichten, werden sie beim Blick in die eigene Branche schmallippig. Natürlich kennt man den einen oder die andere Kollegin, die es „nicht mehr gepackt“ hat, längere Auszeiten nehmen musste oder plötzlich vom riskanten Auslandsposten in die Zentrale zurückversetzt wurde. Aber die längste Zeit über wurden solche Fälle eher unter der Decke chefredaktioneller Fürsorge gehalten. Und das hatte nicht nur mit dem Schutz der Privatsphäre zu tun. Es war – und ist – ein Tabu-Thema in einer Branche, in der Stressresistenz und Zähigkeit zum Berufsbild gehören.

Der Psychiater Anthony Feinstein von der Universität Toronto beschäftigt sich seit 20 Jahren mit psychisch belasteten und traumatisierten Journalist*innen. Begonnen hatte er damit 1999, als sich eine Reporterin an ihn wandte. Zur Vorbereitung des Gesprächs hatte er eine Literatur-Recherche gestartet – und zu seiner Überraschung keine einzige Studie zu dem Thema gefunden. Die Journalistin klärte ihn auf: „Sie verstehen meinen Beruf nicht.“ So erzählte es Feinstein kürzlich in einem Webinar. In einer ersten Untersuchung zum Thema schrieb er 180 Journalist*innen großer Medienhäuser an, 80 Prozent antworteten. Das ist für eine sozialwissenschaftliche Studie eine überwältigende Resonanz. Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen. Post-traumatische Belastungsstörungen seien gut behandelbar, sagt er, wenn man sie denn identifiziere. Aber viele Journalist*innen fühlten sich damit allein gelassen. 

Kein Wunder, denn gerade in kleineren Redaktionen gilt noch immer, was ein gestandener Ressortleiter in einem Seminar am Reuters Institute in Oxford einmal etwas verlegen mit einer englischen Redensart beschrieb: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“ Anders gesagt: Wenn du Journalist wirst, musst du das abkönnen. In der Session ging es um Burnout. Das Thema war ins Programm genommen worden, weil es leitende und Chef-Redakteur*innen in den vertraulichen Runden immer wieder als eine der größten Herausforderungen für ihre Redaktionen genannt hatten – und zwar nicht in erster Linie mit Blick auf riskante Einsätze im In- und Ausland.

Die Belastungen durch die digitale Transformation seien extrem hoch, argumentierten sie. „Wie können wir 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche digitalen Journalismus und Veränderungsprozesse managen, ohne das Team dem Burnout auszuliefern?“ So hatte es die Geschäftsführende Redakteurin einer renommierten britischen Tageszeitung einmal formuliert. In einer 2019 veröffentlichten Umfrage des Reuters-Institutes gaben 62 Prozent der Medien-Führungskräfte an, dass Burnout in ihren Teams für sie ein wichtiges Thema sei.

Einerseits ist das eine gute Nachricht, denn sie zeigt, dass Chefinnen und Chefs das Problem zunehmend sehen und ernst nehmen. Andererseits ist es das: ein ernstes Problem. Im Journalismus musste man schon immer schnell und gleichzeitig akkurat sein, war dem Wettbewerb ausgesetzt, brachte sich zuweilen in Gefahr, musste schlimme Bilder verarbeiten und konnte sich die Arbeit nicht besonders frei einteilen. Wenn es brannte, brannte es halt. Aber heute ist das, was einst guten Journalismus ausmachte, oft nicht mehr gut genug. Gute Schreiber*innen müssen nun auch Videos oder Tonspuren liefern, sich ständig neuen Workflows anpassen und für verschiedene Plattformen produzieren. Außerdem sind etliche dem Dauerfeuer von Hasskommentaren ausgesetzt. Neuerdings erschwert die Bedrohung durch das Corona-Virus die Arbeit und erhöht das Risiko.

Gleichzeitig überfordert das Veränderungsmanagement Führungskräfte, die nie fürs Führen ausgebildet wurden. Lucy Küng, Journalismusforscherin und Beraterin, erlebt bei ihren Recherchen vor allem im mittleren Management eine große Verunsicherung. Führungskräfte, die im Tagesgeschäft agieren, müssen den Wandel vorantreiben, ihre Teams motivieren und gleichzeitig vor Überlastung schützen. Gerade die Leistungsträger, die alles besonders gut machen wollten, seien vom Burnout bedroht, sagt Küng. Viele Talente verließen deshalb die Branche.

Es ist deshalb wichtig, auch in der Medienbranche Führungskräfte entsprechend auszubilden. Sie müssen lernen, die Zeichen von Überlastung zu lesen – bei ihren Mitarbeiter*innen und sich selbst. Professionelle Hilfe muss systematischer angeboten werden. Dazu verdient das Thema mehr Öffentlichkeit. Im Zuge der Me-Too-Debatte hatten sich viele Journalistinnen gewagt, erstmals über sexuelle Belästigung und Gewalt zu sprechen, die sie im Job erlebt hatten. Das war ein wichtiger Schritt. Auch für Kolleg*innen, denen andere Aspekte ihrer Arbeit Albträume machen, muss es akzeptabel werden, dies zu offenbaren. Journalist*innen ziehen viel Energie aus ihrer Mission, sie halten sich für etwas Besonderes. Aber im Angesicht des Hasses sind sie auch nur Menschen.

#Dieser Text erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 5. Juni 2020.