Die KI-Revolution: Darauf müssen Redaktionen aufpassen

Man muss nicht von Technik besoffen sein, um sich all die Potenziale auszumalen, die in der Entwicklung von Bots wie ChatGPT stecken – auch für den Journalismus. Der in dieser Woche erschienene Trend-Report des Reuters Institutes for the Study of Journalism erwartet gar ein „Jahr des Durchbruchs“ für den Einsatz Künstlicher Intelligenz in Redaktionen. Schon länger setzen viele von ihnen KI ein, vor allem für Leseempfehlungen, aber auch für automatisierte Textproduktion. Nun könnte der „Roboterjournalismus“ aber ein neues Level erreichen. 

Der im November gelaunchte Bot von Open AI beantwortet in Windeseile Fragen und hilft sogar bei der Erstellung von Interviewfragen. Er fasst Texte zusammen oder redigiert sie, er spuckt Literaturlisten aus und komponiert sogar Cartoons. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Der Bot von Open AI ist das, was man auf Englisch einen Game Changer nennt. Nimmt man dazu noch die Möglichkeiten, auf Basis von Recherchen animierte Filme zu produzieren, wie das zum Beispiel die Redaktion von Semafor ausprobiert, drängt sich der Eindruck auf: Bald ist alles möglich. 

Und genau hier liegt eine riesige Herausforderung für den Journalismus. Denn schon heute fehlt es in den meisten Medienhäusern vor allem an Fokus und an Klasse, keinesfalls an Masse. Je mehr möglich ist, umso wichtiger wird es zu entscheiden, was man tut, und was man lieber lässt. Einer Branche, die ohnehin lieber mit Bauchgefühl arbeitet als mit Strategie, wird genau das besonders schwerfallen. 

Die Chancen

Unter dem Strich dürfte KI dem Journalismus deutlich mehr nützen, als dass sie ihm schadet. Das JournalismAI Project an der London School of Economics ist ein Fundus entsprechender Innovationen, inklusive Trainingsprogramm. Gerade kleine Redaktionen profitieren von KI, weil sie kleineren Teams mehr leisten können. Software wird Routinearbeiten erledigen, während Reporter tiefer recherchieren – und auch das mit Hilfe von KI. Der Faktencheck wird einfacher, hyperlokale Berichterstattung möglich, Personalisierung von Inhalten und Kundenbindung leichter zu automatisieren.

Vielfalt und Inklusivität lassen sich besser erreichen, wenn Algorithmen dies kontrollieren oder gar steuern. Bei der kanadischen Globe and Mail zum Beispiel bestückt die Software Sophi die Homepage und stellt unter anderem sicher, dass ethnische Minderheiten inhaltlich repräsentiert sind. Anderswo machen automatisierte Übersetzungen auch in seltene Sprachen Beiträge neuen Zielgruppen zugänglich. Für diejenigen, die schlecht lesen können, gibt es Text-to-speech- Software, für solche mit Gehörproblemen maschinelle Transkription. Avatare können dieselbe Nachricht je nach Zielgruppe im entsprechenden Look, Stil, und Komplexitätsgrad vermitteln. Software wie Dall-E hilft dabei, komplexe Inhalte in Bilder zu pressen. Das bedeutet auch, dass verschiedene Audiences präziser bedient werden können. Die Hoffnung besteht, mit neuen Mitteln einen größeren Teil derjenigen zu erreichen, die das Nachrichtengeschehen bislang ignoriert haben – womöglich, weil sie sich nicht angesprochen fühlten.

Die Risiken

Natürlich bestehen auch Risiken. Die Gefahr wächst, auf manipulierte Inhalte hereinzufallen, denn davon wird es reichlich geben. Journalisten werden ihre Rolle als Gatekeeper neu ausfüllen müssen. Bislang sind die Bots darauf trainiert, plausible Inhalte abzuliefern, nicht 100 Prozent Faktentreue. Fachleute sagen, die Lernkurve der KI sei steil, die Fehlerquote sinke rasant. Aber derzeit kann vermutlich niemand mit Sicherheit sagen, ob die maschinellen Möglichkeiten zu mehr Lügengeschichten oder akkuraterer Qualitätskontrolle führen werden. Und natürlich fragen sich Journalisten, wie ihre Aufgaben und Arbeitsperspektiven sich entwickeln werden in einer Welt, in der Maschinen schneller und womöglich verständlicher schreiben und produzieren, als sie das je könnten.

Die Sorgen sind berechtigt. Vor allem jene Kolleg:innen, denen es an Lust, Zeit, Ressourcen und Energie zum Lernen fehlt, könnten am Ende leer ausgehen. Viele Jobs werden sich verändern. Viele Fähigkeiten, die früher nachgefragt waren, stellt die Technik über Nacht in den Schatten. Aber der Einzug von KI in Redaktionen birgt auch Gutes für den Arbeitsmarkt. Gelten Verlagshäuser zum Beispiel heute für Tech-Talente noch als angestaubt, könnten sie zu verlockenden Arbeitgebern werden, wenn KI-Versiertheit künftig zum Job-Profil gehört. Entsprechendes Know-how macht Journalisten auch für andere Branchen attraktiv und damit leichter vermittelbar. Redaktionsarbeit dürfte interessanter werden, wenn Roboter die Routine-Jobs erledigen. 

KI werde Medienunternehmen dabei helfen, „mehr mit weniger zu erreichen und Möglichkeiten in der Produktion und Verteilung besserer Inhalte zu eröffnen“, schreibt Nic Newman im Trend-Report des Reuters Institutes, der auf einer nicht-repräsentativen Umfrage unter Top-Führungskräften in Medienhäusern weltweit beruht. „Aber sie wird auch zu neuen Dilemmata führen, wie diese machtvollen Technologien ethisch und transparent genutzt werden können“, so Newman weiter. 

Eine Frage der Ethik

Wenn sich Journalisten künftig mehr mit Ethik beschäftigen müssen, um nicht von KI überrumpelt zu werden, ist das zunächst einmal eine gute Sache. Tatsächlich ist es zwingend überall dort, wo lernende Software Menschen ersetzt, denn werden Fehler und Vorurteile maschinell skaliert, sind die Schäden potenziell immens. Genauso wichtig wird es aber sein, dass Medienhäuser und Redaktionen ihre Ziele und die dazu passende Strategie penibel entwickeln. Schon bei der digitalen Transformation haben das viele versäumt. Etliches, was nach Innovation klang, wurde gemacht, ohne vorher zu überlegen, auf welche Weise es zum Erfolg von Produkten, Marken oder Missionen beitragen könnte. Man pilgerte lieber zur New York Times, als sich mit den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer in der Nachbarschaft zu beschäftigen. So wurde viel Geld und Energie verbrannt. Diese Fehler gilt es zu vermeiden.

Die Versuchung, immer noch mehr zu produzieren, schlicht, weil es möglich ist, könnte eines der größten Probleme des Journalismus noch verschärfen. Laut dem Trend-Report macht die wachsende Nachrichtenmüdigkeit ihres Publikums schon jetzt 71 Prozent der befragten Führungskräfte Sorgen. Dieser kann man nicht mit mehr Masse begegnen, sondern mit Angeboten, die relevant und bedürfnisgerecht sind. Ob sie mit oder ohne KI erstellt werden sollten, das müssen Menschen entscheiden. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 11. Januar 2023

Management mangelhaft: Wo Führungskräfte in den Medien nacharbeiten müssen

Journalisten klagen über Qualitätsverlust im Journalismus – ach, bitte nicht. Noch nie waren die Formate und Ausspielwege so vielfältig, die Erkenntnisse über Kundenbedürfnisse so detailliert, die Technik so simpel zu nutzen. Und Reportern, Redakteuren und deren Chefs fällt nichts weiter ein, als zu jammern. Auch so könnte man eine neue Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung interpretieren. Tenor: „Die Digitalisierung macht alles schlimmer“. Für den knapp 100 Seiten umfassenden Report „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg: Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben“ haben die Autoren Burkhard Schmidt, Rainer Nübel, Simon Mack und Daniel Rölle 20 Journalisten verschiedener Medien ausführlich zu Themen wie Arbeitsbelastung, Qualität und Wertschätzung interviewt und zusätzlich eine nicht repräsentative Online-Befragung mit 161 Teilnehmern ausgewertet. 

Überfliegt man den Report nur, kann einem um den deutschen Journalismus angst und bange werden: Die Arbeitsbelastung wachse, die Zeit für Recherchen schrumpfe und die öffentlichen Anfeindungen nähmen zu. Wer sich nicht demnächst in die Rente retten könne, erwäge regelmäßig den Ausstieg aus dem Beruf, heißt es dort. Die detaillierte Lektüre lohnt sich trotzdem. Denn viele der Befragten zeichnen ein sehr reflektiertes und realistisches Bild der Situation in deutschen Medienhäusern und des Verhältnisses zwischen Journalisten und ihrem Publikum. Eigentlich berge der digitale Journalismus Chancen, man komme nur nicht dazu, sie zu nutzen, klingt dabei durch. Der Jammerlappen-Vorwurf greift also zu kurz. 

Deshalb ist die Studie vor allem das: ein desaströses Zeugnis für das Management in deutschen Medienhäusern. Strapaziert man das Bild, könnte man sagen, das Aufrücken in das Zeitalter des digitalen Journalismus ist gefährdet.

Die Note mangelhaft gibt es gleich in mehreren Fächern.

Fachgebiet Storytelling

Führungskräfte versäumen es vielerorts, eine Erfolgsstory zu entwickeln und zu vermitteln. Der moderne Journalismus bietet unendlich viele Möglichkeiten, die Erzähl- und Informationsqualität zu steigern und damit in der Theorie weitaus mehr Menschen zu erreichen als früher. Visualisierung, direkte Ansprache auf verschiedenen Plattformen, einfache Möglichkeiten zur Kooperation und Interaktion – die Liste der Chancen ist lang. Dennoch schaffen es viele Führungskräfte offensichtlich nicht, ihre Mitarbeitenden dafür ausreichend zu begeistern. Stattdessen wird reflexhaft gespart.

Fachgebiet Ressourcen schaffen

Führungskräfte helfen ihren Mitarbeitenden zu wenig dabei, sich freizuschwimmen. Jeder, der sich ernsthaft mit Nutzungsdaten beschäftigt, kennt das massive Missverhältnis zwischen redaktionellem Angebot und Nachfrage. Redakteure und Reporter produzieren ein Übermaß an schlichter Nachrichtenkost, während die Kunden auf ganz andere, verschiedene Formen Appetit haben: Erklärstücke, Inspiration, Beratung, Unterhaltung und Trends – um nur einige zu nennen. Dies führt dazu, dass etliche Texte und Inhalte so gut wie gar keine Aufmerksamkeit bekommen, während es an den Stoffen mangelt, die Leser zu regelmäßigen, im Idealfall begeisterten Nutzern machen. Der unabhängige Berater und frühere BBC Journalist Dmitry Shishkin hat für den BBC World Service das „User Needs Modell“ mitentwickelt, mit dem sich jeder auseinandersetzen sollte, der sein Publikum ernst nimmt. 

Der Job der Chefetage ist es, den Arbeitseinsatz der Redaktion entsprechend zu kanalisieren. Die Leitenden müssen Daten zur Verfügung stellen, die jeder verstehen kann, und jeder muss wissen, was daraus folgt. Dazu gehört auch radikales Weglassen. Dies gefällt nicht jedem. So manch einer zieht seine Befriedigung aus Arbeiten, die bei ehrlicher Betrachtung niemandem nutzen. Führungskräfte neigen dazu, das stillschweigend zu dulden und die neuen Aufgaben oben drauf zu packen. Sie müssen aber sicherstellen, dass Arbeitsenergie effektiv eingesetzt und nicht verplempert wird. Nur so lassen sich Belastungen begrenzen.

Fachgebiet Fürsorge

Führungskräfte stehen ihren Mitarbeitenden zu wenig bei, wenn sie angegriffen werden. In der Otto-Brenner-Studie gaben etliche der Interviewten an, unter dem wachsenden Misstrauen eines Teils des Publikums zu leiden. In diesem Fall dürfte die Realität noch trauriger sein als in der Stichprobe erfasst. Anfeindungen online und zunehmend auch physische Angriffe gehören in wachsendem Maße zum Alltag von Reportern und Kommentatoren, vor allem den weiblichen und jenen, die ethnischen Minderheiten angehören. Zu viele Chefredaktionen haben ihre Redaktionen bislang mit dieser Belastung allein gelassen, den Kollegen weder psychische noch juristische Unterstützung angeboten. Das trägt in hohem Maße zur Burnout-Gefahr bei. 

Fachgebiet Konfliktmanagement

Die meisten Führungskräfte in den Medien versäumen es, den Generationenkonflikt zu managen. Während die Älteren in den Redaktionen häufig klagen, die Jungen hätten von Qualitätsjournalismus im Allgemeinen und von Recherche im Besonderen keine Ahnung, bemängeln viele der Jungen das fehlende Verständnis der Vorgängergenerationen für digitale Formate und eine gewisse Bequemlichkeit nach dem Motto, „bis ich in Rente gehe, komme ich auch so durch“. Dabei existiert auf beiden Seiten Knowhow, von dem die jeweils anderen stark profitieren könnten – würden die Führenden denn eine Kultur der Offenheit und des Lernens etablieren. Abfindungsprogramme, die teure Platzhirsche zum Gehen animieren sollen, damit junge (billigere), „digitale“ Fachkräfte nachrücken können, sind eher kontraproduktiv – als erstes gehen zudem häufig diejenigen, die man eigentlich gerne gehalten hätte. 

Fachgebiet Werkzeugkunde

Viele Führungskräfte verstehen zu wenig von Change Management. Deshalb vermitteln sie auch keine entsprechenden Strategien. Vor allem auf Redaktions- aber auch auf Verlagsseite sind viele Chefs in ihre Rolle hineingestolpert, ohne das Führen jemals gelernt zu haben. Wie man Veränderungsprozesse systematisch aufsetzt und vorantreibt haben sie bestenfalls gelesen, meistens agieren sie nach Bauchgefühl. Das verunsichert die Mitarbeitenden. Man schwört sie zwar auf Konzepte wie „digital first“ oder „audiences first“ ein, man enthält ihnen aber das Knowhow vor, wie sie beides in stark von Routinen und Hierarchien beherrschten Redaktionen umsetzen können. Das ist, als würde man jemandem einen Ikea-Karton ohne Aufbauanleitung hinstellen. Dabei ist Veränderungsmanagement Handwerk, und je öfter alle die Werkzeuge benutzen, umso sicherer werden sie in deren Gebrauch. Allgemein gilt: mit den Willigen beginnen, die Aufgeschlossenen mitnehmen und die Gegner so lange wie möglich ignorieren. Viele von denen folgen nämlich dann ganz gerne, wenn sich erste Erfolge abzeichnen. Den anderen hilft tatsächlich nur noch das Abfindungsprogramm.    

Führungskräfte, die in all diesen Disziplinen nicht an sich arbeiten, schaden der gesamten Branche. Denn in einem Beruf, in dem es an Perspektive, Wertschätzung und Entlohnung mangelt, möchte irgendwann niemand mehr arbeiten – schon gar nicht die Top-Talente, auf die alle so scharf sind. Es liegt an den Leitenden, eine Story des Wandels zu erzählen und möglich zu machen. Viele in Redaktionen und Verlagen sehnen sich danach. Denn, wie die Brenner-Studie einen der Befragten zitiert: Journalismus sei immer noch „der geilste Job, den es gibt“.  

Diese Kolumne erschien am 16. August 2022 bei Medieninsider. Alexandra schreibt dort jeden Monat zu aktuellen Themen, Medieninsider ist ein Paid Content Angebot.