Gemeinschaft stiften – Journalismus, Digitalisierung und die Bedeutung der lokalen Medien

Ein Blick über den Atlantik lohnt sich nicht immer, wenn man Entwicklungen in Deutschland verstehen und prognostizieren will, aber mit Blick auf den Lokaljournalismus kann er als Warnung dienen. So zeigt ein jüngst veröffentlichter Report, dass sich in den USA die Zahl der Regional- und Lokalzeitungen in den vergangenen 20 Jahren um etwa ein Drittel verringert hat. 80 Prozent der verbleibenden Angebote – gedruckt und digital – erscheinen nur einmal wöchentlich, in 206 Landkreisen haben die Bürger überhaupt keine Möglichkeit mehr, sich aus unabhängigen Quellen zu informieren. Nun ist es forsch, die Wiederwahl des US-Präsidenten Donald Trump, der wenig Respekt für demokratische Institutionen hat, auf die steigende Anzahl der so genannten Nachrichtenwüsten zurückzuführen. Aber der Zusammenhang zwischen Lokaljournalismus und Demokratie ist durchaus belegt.

Wo es unabhängigen Journalismus gibt, gehen mehr Menschen zur Wahl und kandidieren für politische Ämter. Gemeindefinanzen werden besser gemanagt, wenn den Entscheidungsträgern jemand auf die Finger schaut. Und natürlich dient der Journalismus den Bürgern nicht nur als Informationsquelle; er initiiert und vermittelt auch gesellschaftliche Debatten.[1]

Digitalisierungs-Skeptiker suchen die Gründe dafür, warum Medien im Digitalzeitalter unter Druck geraten sind, häufig allein bei den schier übermächtigen Plattformkonzernen wie Google, Meta, TikTok und OpenAI. Sie hätten den Medienhäusern den direkten Zugang zu ihren Kunden und damit auch Einnahmen streitig gemacht. Das ist nicht falsch, aber zusätzlich wirken subtilere Mechanismen. Die Plattform-Konzerne haben den Menschen vorgemacht, wie Nutzerfreundlichkeit aussieht und prägen damit deren Ansprüche an Geschwindigkeit, Bequemlichkeit, Personalisierung und Design – Netflix, Amazon, Apple und Spotify lassen grüßen. Gerade junge Menschen erwarten heute, dass Nachrichten über die von ihnen genutzten Plattformen zu ihnen finden, sie suchen kaum noch bewusst danach. Auch umfangreichere Angebote wie Podcasts und Dokus möchten sie überall und jederzeit konsumieren können. Und da Informationen im Überfluss vorhanden sind, ist Journalismus für viele von einem „must have“ zu einem „nice to have“ Produkt geworden. Zudem ist die nächste Ablenkung immer nur einen Klick entfernt. Medienhäuser müssen sich also deutlich mehr Mühe geben als früher, um ihre Produkte attraktiv zu machen.   

Das hat auch positive Seiten. Noch nie waren Neugründungen im Journalismus so einfach wie heute. Man braucht weder eine Druckerei noch eine Sendelizenz, um Inhalte unter die Leute zu bringen. Und etlicher der neu entstandenen Startups – vom Newsletter und Podcast bis hin zur kanalübergreifenden journalistischen Marke – bedienen gezielt Gruppen und Bedürfnisse, die von den traditionellen Medien vernachlässigt wurden und werden. Außerdem sind die Formate vielfältiger geworden. Journalismus gibt es heute nicht mehr nur als Text, Hörstück oder Film, sondern auch als interaktive Daten-Analyse, YouTube Video, Instagram Reel oder TikTok. Damit lassen sich auch Zielgruppen erreichen, die nie eine Tageszeitung in die Hand genommen hätten.

Für die Geschäftsmodelle des Journalismus ist dies aber eine Herausforderung. Das gilt gerade für den Lokaljournalismus, den man nicht skalieren kann. Während viele Print-Verantwortliche aus Angst um die schönen Gewinne aus dem Anzeigen- und Abo-Geschäft den Wandel blockierten, setzte der Online-Journalismus in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf Reichweite statt auf stabile Beziehungen zu loyalen Nutzern. Dafür eignen sich vor allem Inhalte, die auch überregional „funktionieren“. Diese Strategie orientierte sich an den zunehmend einflussreichen Plattformkonzernen, die schnell wichtige Distributionswege beherrschten. Junge Journalisten wurden deshalb Experten im schnellen „Copy and Paste“ am Bildschirm und in der Optimierung von Inhalten für Suchmaschinen, statt sich „draußen“ und am Telefon in Reportage und investigativer Recherche zu üben. Das rächt sich. Die Kontakte in die Gemeinden hinein rissen ab, die Institutionen dort behalfen sich und kommunizierten fortan direkt mit ihrem Publikum, wie eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung dokumentiert.

Währenddessen brach das Print-Geschäft ein, während das Online-Anzeigengeschäft nicht lieferte, was sich viele Medienmanager in den frühen Tagen davon versprochen hatten. Nun wurde zurückgerudert. Heute gelten loyale, stabile Beziehungen zu Nutzern – ausgedrückt in Abos oder Mitgliedschafts-Modellen – zu den verlässlichsten Einnahmequellen von Medienmarken. Aber kaum jemand erwartet, damit die goldenen Jahre der Print-Ära replizieren zu können.

Gleichzeitig passte sich auch die politische Landschaft den neuen Kommunikationswegen an. Politiker übten sich in der verkürzten Botschaft und der direkten Kommunikation mit den Bürgern, Journalisten wiederum griffen die knackigsten Botschaften nur zu gerne auf. Vor allem Amtsträger mit ausgeprägtem Machtinstinkt und verhaltenem Interesse an der demokratischen Auseinandersetzung begannen, Medien zu umgehen, zu diskreditieren, und Propaganda zu verbreiten – der weitaus größte Anteil der so genannten Des- und Misinformation wird willentlich von Politikern verbreitet, nicht von Trollfarmen und Bots.  

Während das Vertrauen der Bürger in die traditionellen Medienmarken nicht so stark gesunken ist, wie dies oft dargestellt wird, verändert sich dennoch deren Konsumverhalten. Die schiere Masse an Nachrichten gekoppelt mit einer von vielen angstvoll beobachteten Weltlage und dem oft aggressive Ton der Auseinandersetzung treibt Menschen weg vom Journalismus. Der Anteil derjenigen, die bewusst Nachrichten vermeiden, ist laut dem Digital News Report des Reuters Institutes in den zurückliegenden Jahren stetig auf im weltweiten Durchschnitt 39 Prozent gestiegen. In Deutschland gab 2024 nur noch etwa jeder Zweite an, sich für Nachrichten zu interessieren, ein Rückgang um 19 Prozentpunkten innerhalb von zehn Jahren.

Die gute Nachricht für den Lokaljournalismus ist: Nicht nur genießt er mit das höchste Vertrauen beim Publikum. In Deutschland schneiden zum Beispiel nur noch die „Tagesschau“ und „Heute“ besser ab als die Regional- oder Lokalzeitung, das Muster ist auch anderen Ländern erkennbar. Über alle Altersgruppen hinweg toppen Nachrichten aus der jeweiligen Region auch die Liste, wenn Nutzer gefragt werden, für welche Themen sie sich am meisten interessieren. Dies gilt selbst für die jungen Zielgruppen, um die sich alle Medien so bemühen.

Aber dass sich dieses potenzielle Interesse in tatsächlichen Nachrichtenkonsum und Umsätze umwandeln lässt, ist kein Selbstläufer. Medienhäuser müssen sich um ihr jeweiliges Publikum bemühen. Das fällt vor allem denjenigen schwer, die in der alten journalistischen Welt aufgewachsen sind, wo man sich vor allem als Welterklärer verstand. Jetzt gilt es jedoch, vom routinierten Besserwisser zum neugierigen Forschenden zu werden. Redaktionen müssen erkunden, welche Themen und Produkte ihre Nutzer wirklich brauchen, um die Herausforderungen des täglichen Lebens zu meistern. Dazu müssen sie mit ihnen (wieder) ins Gespräch kommen. Idealerweise experimentieren sie damit, welche Nutzergruppen sie zusätzlich für sich gewinnen könnten und letztlich, wofür welche Kunden zahlen.

Künstliche Intelligenz kann beim Erschließen des Publikums helfen. Medienmacher hoffen, dieses zum Beispiel über personalisierte und womöglich hyperlokale Angebote zu erreichen. Sie verweisen auf die immer besseren Möglichkeiten, auf Knopfdruck das Format zu wechseln – vom Text zum Hörstück, Video, Comic oder Chat. KI wird den Zugang zu Daten und damit die Recherche-Tiefe verbessern und die journalistische Produktion effizienter machen.

Demgegenüber stehen die Risiken, und da in erster Linie eine wirtschaftliche Gefahr: KI könnte den Journalismus unsichtbar machen. Stieß man bei einer traditionellen Google-Suche noch auf Links, die einen idealerweise zu Angeboten von Medienmarken führten, fördert die KI-gestützte Suche nur noch Fließtext zutage. Menschen kommen nicht mehr mit den Quellen der Information in Kontakt und verlernen, was Journalismus ist. Dies, verbunden mit einer Flut an automatisch generierten Inhalten, wird von vielen in der Branche als bedrohlicher empfunden als die Möglichkeiten, mit Hilfe von KI Desinformation zu produzieren. Abgesehen davon kann Künstliche Intelligenz Stereotype skalieren, hat einen besorgniserregenden ökologischen Fußabdruck und führt zu Auseinandersetzungen um Copyright und Persönlichkeitsverletzungen, wenn geklonte Stimmen oder Avatare Menschen ersetzen.

Noch ist nicht gesagt, wie die Nutzer auf Inhalte reagieren, deren Produktion mit KI unterstützt wurde oder die gänzlich auf KI-Anwendungen basieren. In Umfragen zeigen sie sich je nach Nachrichten-Sujet mehr oder weniger skeptisch – so lange keine gravierenden Patzer passieren, wie kürzlich bei einem Radiosender aus Krakau; dessen Macher hatten das Experiment stolz als reine KI-Produktion ohne menschliche Kontrolle konzipiert. Zum Entsetzen einiger Hörer hatte dort eine Avatar-Moderatorin ein fiktives Interview über aktuelle Themen mit der Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska geführt – nur war diese bereits 2012 verstorben. Sicher ist, dass sich zwei Spielarten des Journalismus nicht von KI werden ersetzen lassen: die investigative Recherche, denn Sprachmodelle recherchieren nicht, und lokaler Journalismus, den dieser skaliert nicht. Beide können jedoch erheblich von KI profitieren, wenn sie richtig und verantwortungsbewusst eingesetzt wird. 

Wie nun lässt sich der Journalismus fördern und weiterentwickeln in dieser Welt der Umbrüche, von denen viele analog und gar nicht digital sind? Zunächst einmal gilt es, die Pressefreiheit zu stärken. Journalismus ist ein unverzichtbares Gut; er stützt und belebt freie Gesellschaften und die Demokratie. Allen voran sind da Regierungen, Entscheidungsträger und andere „Influencer“ gefragt. Sie müssen gewährleisten, dass Widerspruch und Debatten möglich sind. Zudem braucht der Journalismus eine wirtschaftliche Basis. Neben privaten und öffentlichen Geldgebern, Stiftungen und finanzkräftigen Individuen kann hier jeder einzelne beitragen: jedes Abo, jede Mitgliedschaft bei einer Medienmarke zählt. Verlage sollten die Größe haben, öffentlich-rechtliche Angebote zu stützen, statt sie zu bekämpfen. Denn die Öffentlich-Rechtlichen bringen auch jene Menschen mit Journalismus in Berührung, die niemals für ein Abo zahlen würden. Nicht zuletzt müssen aber die Medienhäuser selbst an der Qualität ihres Journalismus arbeiten, ihn auf ihr jeweiliges Publikum ausrichten und damit in die digitale Zeit führen.

Starker Journalismus ist Journalismus, der seine Zielgruppen kennt und bedient, relevante Plattformen bespielen kann, KI bewusst und strategisch einsetzt, Vielfalt fördert und abgleicht, seine Wächterfunktion ausbaut, sich mit seiner Wirkung beschäftigt und den Ansprüchen, die er an andere stellt, selbst gerecht wird. Tut er dies nicht, bekommt er schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem. Journalismus muss nahe an den Menschen sein, vor allem der lokale.

Der amerikanische Medien-Berater Douglas K. Smith, der Hunderte Medienmanager und Verlags-Teams in den USA und Europa dabei betreut hat, ihre Häuser in die digitale Zukunft zu führen, hat das in einem Interview so formuliert: “Die Gesellschaft hat sich verändert von einer Welt der Freunde, Familien und Orte zu einer Welt der Märkte,

Netzwerke und Organisationen. Diese Veränderung hat im Lokalen ein Vakuum zurückgelassen. (…) Lokaljournalismus hat die Chance, Gemeinschaft zu stiften und damit Orten wieder einen Sinn zu geben.” Das ist eine große Aufgabe aber eine, mit der jede Redaktion gleich morgen beginnen kann.

Dieser Text erschien bei epd Medien am 26. November 2024. Er basiert auf einem Vortrag, den ich bei den Augsburger Mediengesprächen am 11. November 2024 gehalten habe.   

Warum Vertrauen in Medien als Messgröße wenig nützt

Zwischen der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa und dem Reuters Institute in Oxford schwelt ein Konflikt, der für Medienschaffende Stoff zum Nachdenken enthält. Die weithin bewunderte philippinische Journalistin und Gründerin der Newssite Rappler wirft dem Institut vor, mit einem Teil seiner Forschung Journalistinnen und Journalisten in Ländern zu schaden, deren Regierungen aktiv daran arbeiten, das Vertrauen in Medien auszuhöhlen. Es geht um den Digital News Report, die weltweit größte fortlaufende Untersuchung zum Medienkonsum, dessen elfte Ausgabe im Juni erschienen ist. Die Umfrage listet Rappler wiederholt als eine derjenigen philippinischen Medienmarken, denen die Nutzer am wenigsten vertrauen. Ressa sagt, die Regierung verwende diese Daten gegen sie und ihre Kollegen. Aus Protest gegen die Methodik war Ressa bereits im vergangenen Jahr aus dem Beirat des Instituts zurückgetreten.

Vertrauen ist ein aufgeladener Begriff. Kaum eine große oder groß gemeinte Rede kommt ohne ihn aus. Das Vertrauen in Institutionen schwinde, heißt es dann mit leicht dramatisierender Intonierung, speziell jenes in Medien und in den Journalismus. Aber ist Vertrauen überhaupt eine nützliche Kategorie?

Im Fall Ressa gegen Reuters hatte Institutsleiter Rasmus Kleis Nielsen schon 2022 versucht, die Sache einzuordnen. Hier zeigten sich die Kosten von mutigem, aufklärerischem Journalismus, analysierte er in einem Artikel. Natürlich hätten Regierungen, die Stimmung gegen unabhängige Medien machten, stets bei einem Teil der Bevölkerung Erfolg. „Beim Medienvertrauen gehe es um mehr als Faktentreue und die Vertrauenswürdigkeit des journalistischen Outputs eines Unternehmens. Es geht auch darum, wie Menschen diese Arbeit im Licht der jeweiligen Politik und ihrer parteipolitischen Präferenzen interpretieren“, so Nielsen. Man könnte also sagen, viel Feind, wenig Ehr. Die Forschung des Instituts belegt schon lange, dass Medienvertrauen und das Vertrauen in die jeweilige Politik eines Landes eng verknüpft sind. Ärgern sich Menschen über Politiker und politische Institutionen, erstreckt sich ihre Wut auch häufig auf Journalisten. 

Um Vertrauen zu verstehen, muss man Misstrauen verstehen 

Weder Forschung noch Journalismus können also ohne Kontext verstanden werden. Das macht es kompliziert in einer Welt, in der Politiker, Chefredakteure, Wissenschaftler und auch die informierte Öffentlichkeit recht leichtfertig mit Kategorien wie Medienvertrauen, Qualitätsjournalismus, Filterblasen oder Fake News um sich werfen, oft aus dem – natürlich lobenswerten – Ansinnen heraus, sich für einen starken Journalismus zum Schutz der Demokratie einzusetzen. Tenor: alles geht bergab, nur heiße Luft und Lügen nehmen zu. Doch so einfach ist es nicht.

Um zum Beispiel Medienvertrauen zu verstehen, muss man Misstrauen verstehen. Tatsächlich gehört es zu den Kernmerkmalen der Demokratie, dass sie ihren Bürgern ein gewisses Maß an Skepsis nicht nur gestattet, sondern sogar abverlangt. Vertrauenswerte nahe der 100 Prozent sollten eher stutzig machen als begeistern. Tatsächlich predigen die Medien selbst es ihren Konsumenten immer wieder: Sei kritisch, skeptisch, hinterfrage. Dies prägt auch die vielfach geforderte digitale Bildung. Teenager und junge Erwachsene wurden und werden dazu erzogen, lieber einmal mehr zu googeln, als auf Spam, Phishing oder Lügengeschichten hereinzufallen. Wenn das Medienvertrauen in der Folge niedrig ist, hat der Journalismus so betrachtet eines seiner Ziele erreicht.

Dies wird sich mit dem Vordringen generativer KI noch verstärken. Schließlich weisen auch die Medien zurecht darauf hin, dass Bots wie Chat GPT manchmal halluzinieren und (noch) keinen Faktencheck können. Klar, die Medienmarken, die so etwas verbreiten, wollen damit auch sagen: Wenn ihr euch auf uns verlasst, seid ihr sicher. Aber sind die Nutzer es wirklich, wenn es gleichzeitig zunehmend heißen wird, dass dieses und jenes Produkt mit Hilfe von KI erstellt oder zumindest ergänzt und animiert wurde? Etwas Misstrauen ist da eine gute Strategie. 

Das heißt nicht, dass man Medienvertrauen nicht messen kann und sollte. Neben dem Digital News Report, dessen deutscher Teil vom Hans Bredow Institut erstellt wird, tun dies auch andere Untersuchungen wie zum Beispiel die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz. Interessant an solchen Erhebungen sind vor allem die Zeitreihen und Nuancen, nicht so sehr die plakativen Aussagen („dramatischer Vertrauensverlust“), die es in Vorträge schaffen. Ein hoher Vertrauenswert kann schließlich vieles bedeuten. Er kann ein Indikator für journalistische Qualität und Markenstärke sein, leider aber auch zeigen, dass Propaganda wirkt, es an Medienvielfalt mangelt, oder dass Menschen schlecht gebildet und oder einfach naiv sind. 

Der schwammige Qualitätsbegriff

Ähnlich schwammig ist der Begriff Qualitätsmedien. Den nutzen vor allem jene gerne, die in Häusern arbeiten, die sie für etwas besser als den Rest halten. Sie verstehen das als Abgrenzung zum Boulevard. Früher galt, je mehr Bleiwüste, desto höher die (vermutete) Qualität. Das hat allerdings noch nie etwas darüber ausgesagt, wie viele Menschen diese Medien mit welcher Wirkung tatsächlich erreichen. Zudem enthalten auch Qualitätszeitungen durchaus schlechten Journalismus. In manchen Regionen der Welt wird „quality media“ sogar als Kampfbegriff verstanden. Gerne beschränkten Regierungen mit zweifelhaftem demokratischem Verständnis den Zugang zu Informationen auf „Qualitätsmedien“, die Klassifizierung werde somit ein Einfallstor für Zensur, argumentieren Vertreter entsprechender Länder. Im Europarat wäre die Eröffnungssitzung des Experten-Ausschusses „Quality journalism in the digital age“ 2018 fast daran gescheitert, dass sich manche Mitglieder auf den Begriff nicht einlassen wollten.

Journalisten sollten sich generell darüber bewusst sein, dass ihre eigene Berichterstattung viel dazu beiträgt, wie Menschen Risiken der digitalen Kommunikationswelt wahrnehmen. Begegnet den Nachrichten-Konsumenten in großer Frequenz der Begriff „Fake News“, werden sie solche auch eher wahrnehmen, als Problem definieren und sich in Umfragen entsprechend äußern. Auch die Filterblase ist ein gängiger Begriff geworden, obwohl es Belege dafür gibt, dass Mediennutzer heute mit mehr verschiedenen Quellen in Berührung kommen als früher. Reporter und Kommentatoren beeinflussen also mit ihren Warnungen die Forschung, über deren Ergebnisse sie dann erschrecken. 

Was wir daraus lernen können

Praktiker können daraus ein paar Dinge ableiten. Zunächst einmal sollten sie auf andere Indikatoren schauen als auf Vertrauensabfragen, wenn sie sich der Qualität ihrer Erzeugnisse vergewissern möchten. 

► Werden journalistische Angebote tatsächlich genutzt? Wie lange bleiben die Kunden dran? Wie oft kommen sie wieder und zahlen sie dafür? Hat Berichterstattung (politische) Konsequenzen? All das zeigt deutlich verlässlicher an, ob man seinen Job anständig macht. Der Bild zum Beispiel begegnen viele Menschen aus gutem Grund mit Misstrauen. Trotzdem bietet sie ihren Nutzern etwas, das diese woanders offenbar so nicht finden: zugespitzte, manchmal exklusive Informationen und einen gewissen Unterhaltungswert. Der Qualitätsmarke hingegen mögen sie vertrauen, sie aber trotzdem ignorieren. Vertrauen allein reicht nicht, der Gebrauchswert muss stimmen.  

► Außerdem sollten sich Journalisten ihre eigene Rolle in gewissen Aufregungsspiralen bewusst machen. Wer pöbelnden Politikern Reichweite verschafft, trägt dazu bei, dass der Ton rauer wird. Wer wochenlang in allen Facetten diskutiert, ob Aktionen von Klimaklebern gerechtfertigt sind, muss sich nicht wundern, wenn das Thema Klimaschutz polarisiert. Mit solchen Debatten zwingt man das Publikum in gegensätzliche Haltungen hinein, meist ohne ihnen wieder herauszuhelfen. In einer komplexen Welt ist die Aufgabe von Journalismus aber auch, Menschen bei der Suche nach Lösungen zu begleiten. 

► Schließlich brauchen Medien ein neues Verständnis von Qualität. Das sollte sich einerseits mehr an Prozessen, andererseits an der Wirkung des eigenen Journalismus orientieren als an selbstdefinierter Brillanz. Ein Qualitätsausweis ist zum Beispiel, wenn Redaktion und Organisation journalistische und ethische Standards einhalten und transparent mit möglichen Interessenkonflikten umgehen. Qualität könnte man auch daran messen, ob die Produkte eines Hauses die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen erfüllen, ob die eigenen Recherchen Organisationen und Individuen zum Handeln bewegen, ob man Menschen auch mal Mut statt Angst macht. 

Natürlich dürfen sich Intendanten und Chefredakteure trotzdem über einen oberen Platz in Vertrauensrankings freuen – seit Jahren werden die Listen in Deutschland übrigens von öffentlich-rechtlichen Medien und Lokalzeitungen angeführt. Ob Redaktionen aber wirklich einen starken Journalismus produzieren, zeigt sich anderswo. 

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 26. Juni 2023.


 

Die Pressefreiheit der anderen

Man würde sich gerne über das Alpha-Gehabe der Herren Döpfner, Reichelt, Friedrich und – in einer Nebenrolle – Stuckrad-Barre amüsieren und es als das letzte Zucken einer aussterbenden Spezies abtun. Sollen sie sich doch bekämpfen, der Journalismus ist längst weitergezogen. Dieser Gedanke drängt sich auf, wenn man die Dutzenden nachdenklichen, vielfältigen und zukunftsgewandten Beiträge Revue passieren lässt, die sich kürzlich vor und jenseits der Bühnen des International Journalism Festival in Perugia aufsaugen ließen. Aber Lachen wäre in diesem Fall verfehlt. Das, was derzeit rund um den weltweit einflussreichen Axel-Springer-Konzern abläuft, hat das Zeug, das öffentliche Vertrauen in den Journalismus massiv zu untergraben – noch stärker als die RBB-Affäre oder die Causa Relotius. 

Den Protagonisten des Schaukampfs möchte man jedenfalls raten, zum diesjährigen Tag der Pressefreiheit lieber zu schweigen. Denn wer sollte die hehren Mahnungen zur Bewahrung dieses geschützten Gutes noch ernst nehmen, wenn Spitzenpersonal bedeutender Medienhäuser signalisiert, dass entsprechende Regeln für sie selbst nicht gelten? Und das drückt sich nicht nur in ein paar nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Nachrichten aus, in denen politische Einflussnahme gefordert und der Quellenschutz ausgehebelt werden. Auch das abweisende Gehabe deutscher Verlage rund um den Media Freedom Act, mit dem Brüssel unter Führung der EU-Vizepräsidentin Vera Jourova geplagten Redaktionen und ihren Belegschaften zur Seite stehen will, zeugt nicht gerade von einem Bewusstsein für die Größe der Herausforderung. Wer in jenen Kreisen über den Schutz der Pressefreiheit redet, scheint damit erstaunlich oft die Pressefreiheit der anderen zu meinen. Selbst möchte manch einer wohl doch lieber nach Gutsherrenart durchregieren.

Man schützt die Pressefreiheit lieber woanders

Das wiederum scheint kein deutsches, sondern ein internationales Phänomen zu sein. Regierungen finanzierten sehr gerne Initiativen, die die Pressefreiheit nicht etwa daheim, sondern in anderen Ländern stärken sollten, sagte Meera Selva, Europa-CEO der Organisation Internews, auf einem Panel in Perugia. Die Runde widmete sich der delikaten Frage, ob und wie Regierungen Journalismus unterstützen könnten. Prominentestes Beispiel sind die USA.

Dort ist man, was Auslandsengagements für Medienfreiheit angeht, durchaus großzügig. Wen kümmert da schon das heimische Problem Julian Assange? Womöglich hoffen viele Regierende, dass „das Volk“ die Freiheit der Medien als unverdientes Privileg von Journalisten versteht statt als Stütze der Demokratie. Oder sie gehen davon aus, dass die meisten Menschen nur eine vage Ahnung davon haben, worauf diese in vielen Ländern von der Verfassung garantierte Freiheit baut: vor allem auf redaktionelle Unabhängigkeit, Auskunftsrechte und Informantenschutz. Mit dieser Einstellung aber unterschätzen sie ihr Publikum.

Eine kürzlich veröffentlichte, repräsentative Umfrage* zum Stand der Pressefreiheit in Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei hat ergeben, dass die Menschen sich in deutlicher Mehrheit um den Schutz der Medien in ihrem Land sorgen – die älteren mehr als die jüngeren mit Ausnahme der Slowakei, wo der Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten auch die junge Bevölkerung aufgerüttelt zu haben scheint. 

Interessanterweise trauen die Befragten – neben den Berufsverbänden – vor allem der EU zu, wirkungsvoll gegen Angriffe einzuschreiten. Das Vertrauen in die Journalisten selbst variiert. Zu viele Redakteure haben sich offenbar für die Bürger ersichtlich vereinnahmen lassen in den Ländern, wo die öffentlich-rechtlichen Sender zum Teil zu Staatsfunk mutiert sind und überwiegend Oligarchen private Medien kontrollieren. 

Man sollte sich nicht zu selbstzufrieden geben bei der Frage, wie eine solche Umfrage in Deutschland ausgefallen wäre. Vertrauensfördernd sind die jüngsten Verwerfungen jedenfalls nicht. Reporter ohne Grenzen, die am Tag der Pressefreiheit ihr neues Ranking veröffentlichen, haben – so viel ist sicher – auch europäische Länder erneut abgewertet, darunter Österreich, wo ein Konflikt um Regierungsinserate und eine staatlich geförderte Journalisten-Ausbildungeskaliert ist.

Auch in Deutschland sollten Medienunternehmen deshalb wachsam bleiben und sich konstruktiv auch auf europäischer Ebene für Pressefreiheit einsetzen. Der Media Freedom Act mag nicht in allen Facetten perfekt sein. Es stünde den Verlagen aber gut an, um Lösungen zu ringen, statt Einmischung zu verdammen. Vor allem die Anforderungen des Regelwerks an Transparenz stoßen auf Widerwillen. Regulierung setzt aber aus gutem Grund immer da an, wo es an Einsicht mangelt. Wer Vorgaben nicht mag, könnte sich zum Beispiel ganz freiwillig über die Journalism Trust Initiative als vertrauenswürdiges Medienunternehmen zertifizieren lassen. Reporter ohne Grenzen hat dieses Projekt gemeinsam mit der European Broadcasting Union genau deshalb entwickelt, weil sie es satt hatten, immer nur Fehlverhalten zu verdammen und nach Regulierung zu rufen, wenn sich guter Journalismus auch mit konstruktiven Lösungen stützen lässt.  

Propaganda und Desinformation kennen keine Grenzen, und in Kriegs- und Krisenzeiten sind die Menschen noch stärker darauf angewiesen, dass Journalisten ungehindert arbeiten können. Medienhäuser haben die Pflicht, dazu beizutragen. Plädoyers für mehr Freiheit bleiben nur Geschwafel, wenn es darin erkennbar nur um die eigene Freiheit geht.   


*Transparenz-Hinweis: Alexandra Borchardt gehört dem Committee for Editorial Independence des Medienkonzerns Economia an, das die Umfrage in Auftrag gegeben hat. 

Diese Kolumne erschien zuerst am Tag der Pressefreiheit, dem 3. Mai 2023 bei Medieninsider

Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

Der mediale Graben: Das Internet vergrößert die Kluft zwischen Informierten und weniger Gebildeten

Journalismus wird zunehmend eine Sache für Oldies, auch der digitale. Das wird in der Analyse des Digital News Report 2022 (DNR) deutlich. Das liegt nicht daran, dass jungen Leuten das Nachrichtengeschehen egal ist. Nur konsumieren die allermeisten von ihnen eher solche Formate, die sich perspektivisch nicht zu Geld machen lassen. Gleichzeitig sind die Verlage auch angesichts der Inflation darauf angewiesen, vor allem ein weniger preissensibles Publikum zu bedienen, das durchaus bereit ist, das eine oder andere zusätzliche Digital-Abo abzuschließen, wenn die Qualität stimmt. Medienmanager und Redaktionsleiter mögen sich wortreich zum Journalismus als vierte Gewalt bekennen; dennoch wird die Konzentration auf zahlungskräftige Zielgruppen zumindest bei den kommerziellen Anbietern Investitionen und Inhalte prägen. 

Die neuen Daten zeigen: Der digitale Graben wächst, und er ist auch ein medialer Graben. Dieser verläuft nicht mehr wie früher nur zwischen mehr und weniger Gebildeten, sondern auch zwischen alt und jung. Nur mit einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung wird es gelingen, alle Generationen weiterhin für die Demokratie fit zu machen.

Fünf Beobachtungen, die auf mediale Gräben hinweisen

Der Trend zur journalistischen Klassengesellschaft ist nicht neu, aber er lässt sich anhand des im Juni 2022 erschienenen Zahlenwerks belegen. (Der Report ist die weltweit größte fortlaufende Untersuchung des Medienkonsums, die in diesem Jahr auf einer Online-Befragung von 93 000 Menschen in 46 Ländern beziehungsweise Märkten basiert.) Folgende Erkenntnisse sprechen für die oben dargestellte Interpretation:

Erstens: Die Reichweite von digitalem Journalismus stagniert bestenfalls, der Konsum über Fernsehen, Radio und Zeitung sinkt

Allein in Deutschland ist der Anteil derjenigen, die angaben, in der zurückliegenden Woche eine Zeitung genutzt zu haben, in den vergangenen zehn Jahren von 63 auf 26 Prozent gefallen. Im Fernsehen schauten nur noch 65 Prozent die Nachrichten, 2013 waren es noch 82 Prozent (der deutsche Teil des Reports stammt vom Hans-Bredow-Institut). Gleichzeitig steigt fast überall der Anteil derjenigen, die zu Protokoll gaben, überhaupt keine Nachrichten gelesen oder gehört zu haben. Das bedeutet, dass durch das Internet nicht mehr, sondern eher weniger Menschen mit Journalismus in Berührung kommen. 

Zweitens: Junge Leute konsumieren Journalismus überwiegend in den sozialen Netzwerken

Das wirkt sich auf drei Weisen negativ aus: Erstens gehen Nachrichten und andere journalistische Leistungen im Überangebot an Information und Unterhaltung oft unter. „Der Überfluss an Wahlmöglichkeiten online mag dazu führen, dass sich einige sehr viel seltener mit Nachrichten beschäftigen als in der Vergangenheit“, schreibt Lead-Autor Nic Newman.

Zweitens verstehen die Nutzer die Nachrichten oft nicht, weil sie in der Online-Umgebung aus dem Zusammenhang gerissen sind. Dies ist besonders für diejenigen ein Problem, denen es an Medienbildung mangelt. Aber zusätzlich belegen die Daten eine deutliche Verständnislücke zwischen jüngeren und älteren Nutzern, die sich 2021 auch schon in der deutschen #usethenews Studie abgezeichnet hatte. Der Journalismus verliert also viele, die ihn besonders nötig brauchen.

Drittens, die Medienhäuser sind auf den Plattformen von Meta, Google oder TikTok auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, wieviel Journalismus diese ihren Nutzern in dem algorithmisch getriebenen Angebot überhaupt zumuten wollen. So begründete Joshua Benton vom Nieman Lab der Harvard University kürzlich, warum Facebook das Nachrichtenangebot im Newsfeed womöglich einstellen werde: Die Nutzer schätzen es nicht, und es schafft Probleme. 

Drittens, immer mehr Menschen vermeiden Journalismus bewusst, besonders junge Leute

Redaktionen reden zwar mittlerweile viel über Nutzerorientierung, sie ziehen daraus aber offenbar keine Konsequenzen. Fast jeder zweite Befragte gab als Grund für die Zurückhaltung an, dass die Medien zu viel über Politik und zu viel über die Pandemie berichteten. 36 Prozent bestätigten, Journalismus mache ihnen schlechte Laune, 29 Prozent beklagten das Überangebot oder fanden die Nachrichten voreingenommen. Die Generationen, die nicht mit regelmäßigem Medienkonsum aufgewachsen sind und viele Möglichkeiten zur Ablenkung haben, wenden sich besonders schnell ab.

Viertens: Zahlungsbereitschaft steigt – vor allem geben aber Ältere das Geld aus

Das Durchschnittsalter derjenigen, die ein digitales Abo oder eine Mitgliedschaft bei einer Medienmarke abgeschlossen haben, liegt bei 47 Jahren. Für Verlagshäuser oder öffentlich-rechtliche Fernsehsender mag dies eine gute Nachricht sein: Haben sie es doch im Durchschnitt mit Print-Abonnenten oder TV-Zuschauern zu tun, die das Renteneintrittsalter schon deutlich überschritten haben. Allerdings zerschlagen sich so auch Hoffnungen aus früheren Reports, dass die Spotify- und Netflix-Generation die Branche retten könnte. Eine gute Nachricht gerade für die hiesigen Regionen ist, dass viele Befragte vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Bereitschaft dokumentiert haben, zusätzliche Abos auch unabhängig der Inflationssorgen abzuschließen. Dies ging auch aus Gesprächen in Fokus-Gruppen hervor, die die Oxford-Forscher in ihre Analysen einfließen lassen. Gerade in diesen Zeiten von besonderen Krisen und Belastungen sei es notwendig, gut informiert zu sein, so einige Stimmen. 

Fünftens: Jene Formate, die Loyalität schaffen, wie zum Beispiel E-Mail-Newsletter, werden vor allem von älteren, finanzkräftigen und gebildeten Lesern genutzt, die ohnehin schon ein hohes Interesse an Journalismus haben

Während zum Beispiel in den USA 15  Prozent der über 55-Jährigen angeben, Newsletter seien ihre wichtigste Nachrichtenquelle – allein die New York Times produziert 50 verschiedene, die wöchentlich von 15 Millionen Menschen gelesen werden –, sind es nur drei Prozent der 18- bis 24-Jährigen. Newsletter sind so etwas wie das neue Print statt das erhoffte Wundermittel.   

Die Schlussfolgerung

Ob man das mag oder nicht: Aus all diesen Daten folgt, dass sich die Verlage auf ältere und finanziell besser gestellte Gruppen konzentrieren müssen, wenn sie ihr eigenes Überleben sichern wollen. Von diesen sind die höchste Zahlungsbereitschaft und Loyalität zu erwarten. Fragt man in Medienhäusern nach, wen sie genau meinen, wenn sie von jüngeren Nutzern sprechen, bestätigt sich dieses Bild. Verlage verstehen unter „jung“ eher die Altersgruppe ab 35 Jahren aufwärts. Von noch Jüngeren sei nicht viel zu erwarten, heißt es dann. 

Anders sieht das in den öffentlich-rechtlichen Häusern aus. Ihr Fortbestand ist davon abhängig, dass sie von allen wahlberechtigten Altersgruppen als wichtig und unterstützenswert empfunden werden. Deshalb ist ihre Sorge besonders groß, wenn sie bei den unter 25-Jährigen nicht punkten.

Die Sender haben zwar den Vorteil, dass sie unbeschwerter als die kommerziellen Anbieter digitale Formate für soziale Netzwerke entwickeln können, weil sich nicht jedes ihrer Angebot auf TikTok oder Instagram umgehend in Abos auszahlen muss. Allerdings spüren sie den Reichweiten-Verlust besonders drastisch. Es ist deutlich herausfordernder, auf den von Smartphone-Nutzung dominierten digitalen Plattformen Gewohnheitsonsumenten heranzuziehen, als dies in der alten Welt von Fernsehen und Radio der Fall war. „Die jüngsten Kohorten sind eher gelegentliche und weniger loyale Nachrichtenkonsumenten. Es fällt Medienhäusern sehr schwer, sie zu gewinnen, weil sich die Jungen auf soziale Netzwerke verlassen und nur schwach an Marken gebunden sind“, schreibt die Oxford-Forscherin Kirsten Eddy. 

Was heißt all das für die Demokratie, die aufgeklärte, informierte und engagierte Bürger braucht? Soll der mediale Graben zumindest teilweise überbrückt werden, haben die öffentlich-rechtlichen und alle anderen nicht-kommerziellen Anbieter eine herausragende Verantwortung vor allem jungen Generationen gegenüber. Aber auch diejenigen Redaktionen, die von Abo-Einnahmen abhängig sind, können etwas tun. Sie sollten sich mehr mit den Bedürfnissen potenzieller Nutzer beschäftigen, und zwar auch mit denen jener, die sie früher nur zu gerne ignoriert haben. Das sind zum Beispiel Frauen oder Menschen aus Einwanderer-Familien, die sich in der Standard-Nachrichtenwelt nicht repräsentiert gefühlt haben. Sie sollten die seit vielen Jahren vorliegenden Erkenntnisse zu den Journalismus-Vermeidern endlich ernst nehmen und die traditionelle, Zitate-getriebene Politik-Berichterstattung zugunsten anderer Inhalte produzieren – am besten konstruktiv und investigativ. Und sie sollten ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten und leicht verständliche Erklär-Formate entwickeln, die kostenfrei zugänglich und auf den Konsum in sozialen Netzwerken ausgerichtet sind.

Übrigens ahnen die Nutzer, dass dem Journalismus eine weitere Kommerzialisierung bevorsteht. Laut DNR traut nur etwa jeder Fünfte (19 Prozent) den Redaktionen zu, als allererstes im Interesse der Gesellschaft zu arbeiten. 42 Prozent beziehungsweise 40 Prozent gaben dagegen an, die Verlage stellten ihre finanziellen oder politischen Interessen in den Mittelpunkt ihrer Strategie. Es ist an den Medienhäusern, diese Skeptiker vom Gegenteil zu überzeugen.   

Diese Kolumne erschien am 21. Juni 2022 bei Medieninsider. Dort schreibt Alexandra regelmäßig zu aktuellen Branchen-Themen.  

Sieben Wege für konstruktiven Journalismus im Krieg

Am 24. Februar 2022 befahl Russlands Präsident Wladimir Putin seinen Truppen, die Ukraine anzugreifen. Zumindest für diejenigen, die freien Zugang zu Informationen haben, ist dieser Sachverhalt so klar wie ungeheuerlich. Quasi über Nacht hatte sich damit die sonst so verwobene Welt wieder aufgeteilt: in Aggressoren und Verteidiger, Täter und Opfer, Demokraten und ihre Feinde. Und allzu leicht – man ertappt sich selbst dabei – erliegt der Journalismus in so einem Krisenfall der Versuchung, dem zu folgen. Er feiert Helden, verdammt Verbrecher, hält den Scheinwerfer immer genau dorthin, wo es am lautesten knallt. Ähnlich wie die Kriegsführung fallen viele Redaktionen zuverlässig in trainierte Muster des 20. Jahrhunderts zurück. Noch entschiedener geht es in den sozialen Netzwerken zu. Strategen erklären mit breiter Brust die Welt des Krieges und jeder, der den Schnipsel eines Bildes von den Schlachtfeldern erhaschen kann, spielt einem das Grauen zuverlässig über das Smartphone in die Hände. 

Zwischen Ohnmacht und Traumata

Für den konstruktiven Journalismus, der für Nuancen und Perspektiven plädiert und stetig mahnt, die Welt nicht in Schwarz und Weiß abzubilden, scheinen harte Zeiten anzubrechen. Oder gibt es im Angesicht des Krieges noch Platz für eine Berichterstattung, die Menschen in der Fülle ihrer Bedürfnisse begreift, Raum für Zweifel lässt, womöglich sogar Hoffnung macht?

Viele Redaktionen stellen zunehmend fest: Es muss ihn geben. Denn wer nicht gerade einen großen überregionalen Titel herausgibt oder ein nationales Fernsehprogramm steuert, erlebt in diesen Tagen etwas anderes als in den Frühzeiten der Pandemie. Menschen wenden sich ab. Aus allen Ecken hört man: Neue digitale Abos tröpfelten nur noch herein, viele der Ukraine-Stoffe auf der Homepage blieben liegen. Waren die Wege, dem Virus zu begegnen, noch zutiefst lokale Themen, trauen viele Leser offenbar nur noch wenigen Medien zu, in Sachen Ukraine den Kopf über Wasser zu haben. Die anderen schalten komplett ab. Zu groß sind offenbar die Gefühle von Ohnmacht und vergangen geglaubte Traumata. Quer durch die Generationen gilt: Bilder des Krieges machen Angst.

Wie gehen Redaktionen konstruktiv damit um? 

Am besten, indem sie die Bedürfnisse ihres Publikums ergründen. 

► Zunächst einmal gibt es viele Menschen, die einfach helfen wollen, aus Empathie und um nicht in Ohnmacht zu verharren. Ihnen zu zeigen, was man wie tun kann, wie das anderen schon gelingt und was man besser lassen sollte – das machen viele Medienhäuser gut. Noch besser ist es, wenn sie selbst vorangehen, Geld für Opfer spenden oder für den unabhängigen Journalismus, der im Krieg leicht unter die Räder kommt. Wer oft schnell und lautstark fordert, sollte seine eigenen Standards auch mindestens erfüllen. Manch ein Außenstehender wird das als Marketing-Maßnahme kritisieren. Geschenkt.  

► Zweitens können Journalisten Menschen zum Sprechen bringen. Geteilte Ängste schweißen Gemeinschaften in Krisenzeiten zusammen. Man zeigt sich verwundbar und kommt sich dadurch nahe. So erzählen Menschen, die man lange zu kennen glaubte, plötzlich Familiengeschichten von Flucht und Vertreibung. Sonst so souverän wirkende Entscheider geben zu, dass ihnen die Antworten fehlen. Formate zu finden, die Menschen miteinander ins Gespräch bringen, ist eine Kernaufgabe von Journalismus. Was könnte konstruktiver sein? „Journalism is the conversation“, pflegt der Grandseigneur der Medienbeobachtung Jeff Jarvis zu sagen.

► Drittens ist es wichtig, auf Sprache zu achten. Wer „die Russen“ sagt und schreibt, nimmt all die tapferen Staatsbürger in Sippenhaft, die für die Wahrheit und Meinungsfreiheit ihre persönliche Freiheit, womöglich ihr Leben riskieren. Dabei sind insbesondere sie es, die Russland von Putin und seinen Gefolgsleuten befreien müssen. Ukrainern stehen in der EU Grenzen und Herzen offen, wenngleich auch das wohl kaum reichen wird. Geflüchtete Russen erfahren Ablehnung, sie scheitern bereits am Geldautomaten. Im Land selbst leiden Unschuldige unter den Sanktionen. Deshalb ist es wichtig, immer wieder präzise zu betonen: Der Aggressor ist Putin mit seinem Apparat.

► Viertens, und das gilt immer für den Journalismus: Vorsicht bei der Heldenverehrung. Natürlich lieben Nutzer Geschichten von Mut und Widerstand. Solche Storys wecken Emotionen, das schafft Reichweite. Sie machen Hoffnung. Und wer bewundert sie nicht in diesen Tagen, den überlebensgroßen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die Klitschko-Brüder, die Redaktion des Kyiv Independent und anderer ukrainischer Medien, die mitten aus den Kampfzonen zur Welt sprechen. Natürlich sind Journalisten in diesem Fall Partei, sie stehen auf der Seite der Demokratie. Aber dennoch dürfen sie nicht zu Fans werden. Sie brauchen Distanz, um genau hinzuschauen, zu dokumentieren, was passiert, zu analysieren, was gesagt wir. Auch von denen, die nicht so laute Stimmen haben. Krieg findet nicht nur dort statt, wo es knallt und brennt, auch wenn das die besten Bilder gibt. Er gräbt sich ein in die Menschen, die Gesellschaft, die Wirtschaft. Seine Spuren auch auf lange Sicht zu verfolgen, ist Journalistenpflicht.   

► Fünftens, Menschen leiden am Leid anderer, an ihrer Angst, an Bildern und Nachrichten im Überfluss. Nicht jeder, der informiert bleiben möchte, kann die volle Dröhnung ertragen. Redaktionen können entsprechende Produkte entwickeln. Das können Newsletter sein, die das Wichtigste zusammenfassen oder Angebote ganz ohne Bild und Ton. Ein Faktencheck, der populäre Bilder aus den sozialen Netzwerken einsortiert, ist ein Service, für den viele dankbar sind. Auch diejenigen, die am Live-Ticker hängen, brauchen immer wieder Auswege in andere Geschichten. Und manch einer hätte zum Abschalten womöglich gerne ein gänzlich kriegsfreies Produkt. Wer Journalismus vom Nutzer her denkt, muss über passende Formate reflektieren.

► Sechstens, Menschen brauchen Erklärung. Gerade die Generationen, die nach Ende des Kalten Krieges erwachsen geworden sind, haben sich wenig befasst mit Sicherheitsarchitektur, Atomwaffensperrvertrag und Zweitschlag-Szenarien – andere haben es allzu gerne vergessen. Manch einem mag es peinlich sein zu fragen, was eigentlich die Nato ist. Andere wollen wissen, wie sie für denkbare Notfälle vorsorgen, sich und ihre Familien schützen können. Nicht jede Redaktion kann zu all dem einen Grundkurs liefern, aber fast überall sitzt irgendein Experte, der Auskunft geben kann. Leser einladen, alles zu fragen, auch das ist konstruktiv. Zu all dem gehört, offen zu sagen oder zu schreiben, was man nicht weiß und transparent mit seinen Recherche-Methoden umzugehen, wie das in der Wissenschaft Standard ist. Das Publikum wird hoffentlich mit Vertrauen danken.  

► Siebtens, Krieg traumatisiert und das hat Folgen bis in die Redaktionen hinein. Diejenigen, die aus der Ukraine berichten, riskieren ihr Leben für ihre Mission. Das prägt, selbst wenn sie es körperlich unversehrt überleben. Aber auch andere können leiden, wenn sie tagein tagaus Live-Ticker befüllen, Bilder und Filme sichten, Schreckens-Szenarien lesen und bewerten müssen. Journalisten sind gut darin, unter Druck zu funktionieren. Aber auch sie brauchen Hilfe. Zum Glück haben einige Organisation das Thema psychische Belastung von Recherchen aus der Tabu-Ecke geholt, geben Tipps, wie man sich und seine Mitarbeitenden schützen kann. Wenn der Krieg beendet ist, fängt auf diesem Feld so manche Arbeit erst an.

Dem konstruktiven Journalismus wird oft vorgeworfen, die Welt in Pastellfarben tauchen zu wollen. Darum geht es nicht, und im Krieg ist das ohnehin keine Option. Konstruktiver Journalismus bemüht sich, die Welt so abzubilden, wie sie ist – mit all den Schattierungen und Dimensionen, die in Krisen häufig vergessen werden.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 14. März 2022. Aktuelle Kolumnen gibt es dort bei Abschluss eines Abos. #

Journalismus ist ohne Haltung undenkbar – Medien stecken dennoch in einem Dilemma

Neutralität, Haltung, Meinung: Auch wenn die eigentlich klar sind, sind die Übergänge im Journalismus oft fließend. Wie viel Haltung und Meinung braucht Journalismus, und wie neutral kann er sein? Die Fragen zu beantworten ist für keine Redaktion leicht – und die Nutzerschaft alles andere als eine Hilfe.

Man könnte der laufenden Debatte über Journalismus und Haltung einiges abgewinnen, würde sie sich nicht hinziehen wie ein Fußballspiel in der Verlängerung. Unter Medienschaffenden haben sich die Teams positioniert: Die einen klagen, der gute alte Journalismus à la Hanns Joachim Friedrichs (nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht einer guten) sei zum Haltungsjournalismus mutiert. Die anderen – überwiegend Jüngere – quälen ihre Vorgesetzten mit Thesen, die sie auch gerne als Master-Thesis einreichen: „Warum es Objektivität im Journalismus nicht gibt“. 

Die Adressaten der Mühen hingegen sind schwer zu durchschauen. In Umfragen wünscht sich das Publikum von Journalisten Neutralität, Ausgewogenheit und Fakten, als Leserinnen und Leser hingegen demonstrieren sie digital nachvollziehbar, dass sie Meinungsstücke durchaus schätzen. Wie lassen sich diese Widersprüche entwirren? Und wichtiger: Was bedeutet dies für Redaktionen?

Folgt man dem neuen Digital News Report, der vom Reuters Institute in Oxford erstellten weltweit größten fortlaufenden Befragung zum digitalen Nachrichtenkonsum, sieht die Sache zunächst eindeutig aus: 

► Ungefähr drei Viertel der 92.000 Befragten in 46 Ländern gaben zu Protokoll, die Medien sollten verschiedene Standpunkte abbilden und ihren Nutzern die Meinungsbildung selbst überlassen, in Deutschland waren es ähnlich wie im Vorjahr 77 Prozent. 

► Nur 15 Prozent (Deutschland: neun) sagten, Journalisten sollten klar Position beziehen. Auch jüngere Befragte wünschten sich in großer Mehrheit Neutralität. Dies sollte für alle Themen gelten, wenngleich einige Teilnehmende sich für rote Linien aussprachen:

► Wo Menschen- oder Grundrechte tangiert seien – zum Beispiel beim Klimawandel, häuslicher Gewalt oder Rassismus – mache Unparteilichkeit keinen Sinn. 

So argumentierten vor allem jüngere Befragte und jene, die sich politisch eher links verorteten. Allerdings riefen auch sie nicht nach dem flammenden Leitartikel: Journalisten sollten in solchen Fällen eher Experten Raum lassen und nicht selbst argumentieren. 

Die Idealvorstellung vom Journalismus als Schiedsrichter beißt sich mit den Nutzungsgewohnheiten des Publikums. In Fokusgruppen gaben die Teilnehmenden nämlich auch eine heimliche Vorliebe für parteiliche Beiträge zu. Sie fühlten sich davon besser unterhalten und emotional angesprochen. Dies erklärt auch die Begeisterung für Podcasts, die von der Subjektivität und Persönlichkeit ihrer Gastgeber leben und für sehr persönliche Essays, die manch ein gestandener Reporter als Befindlichkeits-Journalismus abtut. 

Die Krux ist: Nach Ansicht der Nutzerinnen und Nutzer sollten sich die klassischen Medien aus diesen Genres eher heraushalten. Persönlich gefärbte Inhalte und Meinungen finden sie schließlich ausreichend in den sozialen Netzwerken, Journalismus brauchen sie für die Fakten.

Das besondere Dilemma der privaten Medien

Vor allem privatwirtschaftlich operierende Medienhäuser befinden sich mitten in einem Dilemma: Sie leben zunehmend vom Verkauf von Digital-Abos. Und jeder mit etwas Verständnis für Marketing und Konsumgewohnheiten weiß: Menschen entscheiden sich eher emotional als rational für einen Kauf. Sie zahlen für ein Erlebnis, für ein Gefühl von Zugehörigkeit oder gutem Gewissen, für ein Produkt, das ihnen Mehrwert liefert. Die nackten, neutralen oft auch unbequemen Fakten verkaufen sich nicht. Laut Digital News Report liegt die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus weltweit bei etwa 15 Prozent, in Deutschland mag nicht einmal jeder Zehnte dafür Geld ausgeben.

Sehr oft abonnieren Menschen ein Medienprodukt, weil sie sich politisch damit identifizieren. Sie setzen eine gewissen Parteilichkeit voraus und nehmen „ihrem“ Medium Abweichungen nach der einen oder anderen Seite übel. Redaktionen wissen das. Die Schweizer NZZ zum Beispiel wirbt bei ihrer Deutschland-Expansion zwar mit „nüchtern, sachlich, unabhängig“. Aber man muss nicht lange lesen, um zu erkennen, dass sie den Nutzerinnen und Nutzern unter dem Mantel der Neutralität eine Alternative rechts der gefühlten journalistischen Mehrheitsmeinung bieten will. Ein ordentlicher Schuss Meinung gehört für viele Medienmarken zur Überlebens-, sogar zur Wachstums-Strategie.

Die öffentlich-rechtlichen Sender können dem hehren Ideal der Neutralität zwar eher folgen. So bietet Schwedens Sveriges Radio schlicht keine Kommentare an, Intendantin Cilla Benkö steht für diese harte Linie. Die BBC hat ihre ohnehin seitenfüllenden Grundsätze zur Neutralität noch einmal verschärft. Aber auch bei den Bastionen des überparteilichen Journalismus stößt das Konzept an Grenzen, wenn es um das Binden junger Menschen an die alten Marken geht. 

Für viele junge Leute sind bestimmte Themen nicht verhandelbar. „Both sides journalism“ funktioniere nur dort, wo die andere Seite Positionen vertrete, die mit Grund- und Menschenrechten vereinbar seien, argumentieren sie. Und genau an dieser empfindlichen Stelle fängt die Schwierigkeit an. Wo liegt die Grenze zwischen einer Meinung, die zur Debatte stehen kann, und einer Haltung, die per Definition eine stabile Ausrichtung erfordert? 

Konsens und kleinster gemeinsamer Nenner einer unverrückbaren Haltung sollte das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung inklusive Meinungs- und Pressefreiheit sein. Journalisten, die dies zur Verhandlungsmasse machen und zum Beispiel erklärten Demokratie-Gegnern eine Bühne bieten, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Journalismus braucht ein Mindestmaß an Haltung, wenn er sich so nennen möchte. 

Es braucht innerhalb von Redaktionen eine neue Haltungsdebatte

Aber selbst an diesem Punkt fängt das Gezerre an. Wie viel Meinung darf wer wo verbreiten, und hat jeder das Recht auf ein Megafon für jeden Blödsinn? Wie sieht es bei anderen großen Themen wie Klimaschutz oder Rassismus aus? Wo kollidieren Meinungsfreiheit und das unveräußerliche Recht auf Menschenwürde? Die Antworten variieren je nachdem, wen man fragt. Geht es um den Erhalt der Lebensgrundlagen auf dem Planeten, ist das Ob in den meisten Redaktionen erst kürzlich zur unverrückbaren Haltung geworden, das Wie hingegen bleibt verhandelbar. Es hilft nichts, über all das müssen Redaktionen diskutieren.

Jede Journalistin, jeder Journalist braucht eine Haltung: ein Bekenntnis zur Suche nach Fakten, zu Unabhängigkeit, zu Grundrechten, zur Demokratie. Das hat etwas mit Werten zu tun, nicht mit Aktivismus. Wie sollten sie auch sonst einen guten Job machen in einem Umfeld, in dem es vielen Meinungen und Interessen zu widerstehen gilt, sei es aus der Wirtschaft, der Politik oder der eigenen Chefetage. Kolleginnen und Kollegen in Osteuropa hätten derzeit besonders viel zu dieser Debatte beizutragen.

Ganz anders sieht es mit Meinungen aus. Natürlich darf jeder Medienschaffende eine haben. Aber wer sie äußert, sollte das deutlich kennzeichnen. So viel Dienstleistung muss sein. Diejenigen, die Subjektivität zum allgemeinen Credo erheben, sollten bedenken: Journalisten, die den Wunsch des Publikums nach Neutralität missachten, arbeiten kräftig daran, ihren Berufsstand überflüssig zu machen. Menschen brauchen geprüfte Fakten, unabhängige und verständlich aufbereitete Informationen, um gute Entscheidungen zu treffen. Sie suchen danach in den Medien, denn Gefühliges und Meinung finden sie in der großen digitalen Quatschbude überall. Den anderen, die den Untergang des Journalismus wie sie ihn kennen beobachten, sei gesagt, für Panik ist es zu früh. Das Vertrauen in Medien ist während der Pandemie in etlichen Ländern deutlich gestiegen. Der Journalismus hat in diesem langen Jahr gezeigt, was er kann.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Juli 2021. Aktuelle Kolumnen und spannende News aus der Branche gibt es für Abonnenten. 


Die Individualisierung des Journalismus und ihre Folgen

Die „Creator Economy“ lockt auch Journalisten an. Alte Arbeitsbedingungen und neue Tools bringen sie auf die Idee, auf eigene Faust loszuziehen. Kann das funktionieren? Über Chancen und Risiken sowie mit einer Forderung: Creators aller Länder – vereinigt euch!

Journalist – das klang mal nach Egon Erwin Kisch, Woodward und Bernstein, Hajo Friedrichs oder Antonia Rados. Unbestechlichkeit, Courage, literarische Rafinesse, alles schwang mit. Kurz: Es klang nach Traumberuf. Heute sind sich da viele nicht mehr so sicher. „Altbacken“, so hört man es von Hochschulen, die den Begriff weiten wollen, um mehr zahlende Studierende anzulocken. „Bastion alter weißer Männer“, klagen die Jüngeren, die sich in hierarchischen Redaktionen nicht repräsentiert und schon gar nicht angehört fühlen. „Zu eng gedacht“, befindet man im Silicon Valley, wo man zwar immer noch ein Taschengeld für den Journalismus übrig hat, aber zunehmend an Einheiten Gefallen findet, die kleiner und weniger anstrengend als Redaktionen sind. Wir treffen: den oder die „Creator“.  

„Creator“, das klingt unternehmungslustig und auf jeden Fall ehrbarer als Influencer. In dessen Rücken vermutet man ausgebuffte Konsumgüterkonzerne, denen es nur um drei Dinge geht: verkaufen, verkaufen, verkaufen. Ein Creator hingegen ist schon per Zuschreibung schöpferisch, bringt also gute Voraussetzungen mit, das alte Schlachtschiff Journalismus als wendiges Schnellboot neu zu erfinden. Und jeder, der schon mal in entsprechenden Schlachtschiff-Organisationen gearbeitet hat, bekommt dieses Leuchten in den Augen, wenn er oder sie sich selbst als Kapitän eines solchen Schnellboots visualisiert. Wäre das nicht großartig, modernen, ganz anderen Journalismus zu machen mit Leuten, die dafür brennen, statt den nächsten Outlook-Termin mit irgendeiner C-Person zu akzeptieren, nur um mal wieder eine tolle Idee zu Schnipseln filetiert zu bekommen?

Auf die Romantik folgt der Realismus

Nun sieht die Realität vieler Gründer im Journalismus weniger romantisch aus als die Vorstellung. Man kann zwar selbst entscheiden, welche Geschichten man bringt, dafür muss man sich mit einem Haufen Dingen beschäftigen, die früher andere für einen übernommen haben: Marketing, Technik, Bilanzen, solche Sachen – und das ohne Feierabend, Ausgleichstage und Wochenendzuschlag. Trotzdem: Der Kapitäns-Karriere wohnt ein Zauber inne, den der klassische Journalismus so nicht mehr zu entfachen scheint. „Are Journalists Today’s Coal Miners?“ betitelte unser Forschungsteam aus Oxford und Mainz 2019 eine Studie. Aus der Branche kommt mehr und mehr Bestätigung für diese damals als Frage formulierte These.

Nehmen wir also an, der Journalismus der Zukunft entstünde in zigtausenden Schnellbooten statt in Schlachtschiffen mit angeschlossenen Druckereien; wäre das schlimm? Ja, wäre es nicht sogar – großartig? So viel Innovation wie heute war tatsächlich selten im Journalismus. Vom Ein-Personen-Newsletter-Creator, der über Portale wie Substack zahlende Kunden gewinnt bis hin zum auf bestimmte Fachgebiete, Gruppen, Genres oder Geographien spezialisierten Team etablieren sich derzeit weltweit deutlich mehr Neugründungen als in die Jahre gekommene Medienbetriebe sterben. Zugriffe auf Technik, Daten, Netzwerke aber auch auf nicht unerhebliche persönliche Reserven (sprich: Selbstausbeutung) machen es möglich. Und eine frische Injektion an Kampfgeist und Ethik tut dem Journalismus ausgesprochen gut.  

Gründer sind die bequemeren Partner für GAFA-Konzerne

Auch Google und Facebook finden das prima. Sie richten ihre Journalismus-Förderung langsam aber spürbar in Richtung Creator Economy. Das ist gut für die Gründer und für die Plattform-Konzerne nur rational. Immerhin stabilisiert das Geld, das in Richtung Schlachtschiffe fließt, immer noch so manch – wenngleich arg geschrumpfte – Rendite von Verlagshäusern, die ihre Mitarbeiter lieber auspressen, statt ihnen Weiterbildung auf Kosten des Hauses zu finanzieren. Sollen das doch Google und Facebook übernehmen, denkt so manch ein CEO. Gleichzeitig wird in Brüssel kräftig Stimmung gemacht gegen die Geldgeber aus Kalifornien – mit für diese unangenehmen Folgen. Diese Art Doppelzüngigkeit haben die Tech-Monopolisten von den Schnellboot-Schöpfern nicht zu erwarten. Die haben weder Zeit für noch Interesse an politischem Lobbying, noch können sie es sich leisten, Hilfe abzulehnen. Gründer sind also die viel bequemeren Partner.

Und bei allem Hype und Bravo für die jungen Medien-Unternehmer liegt hier das Problem: Die Individualisierung macht den Journalismus nicht nur bunt, sondern auch schwach. Dabei geht es nicht nur um den Verlust an politischer Schlagkraft. Vieles, was moderner Journalismus leisten muss und soll, verlangt nach gebündelten Kräften und Ressourcen. Aufwändige Investigativ-Projekte brauchen nicht nur ausdauernde Teams, sondern auch eine starke Rechtsabteilung im Rücken. Große Daten-Recherchen sind nichts für Einzelkämpfer, professionelle Faktenchecks kosten Zeit und Ressourcen, ohne dass dafür jemand zahlt. Und Politiker und Institutionen gewähren Zugang zu Informationen oft nur denen, die sich mit einer starken Marke gerüstet haben, andere kann man schon mal gefahrlos ignorieren. 

Die Schwächen des Creator-Journalismus – und eine Lösung

Zwar mag der eine oder die andere, die nur in ihre persönliche „Brand“ investiert, auch mal einen Treffer a la Rezo landen und damit etwas bewegen. Aber den meisten wird das nicht gelingen. Sicher werden in der Creator-Economy ein paar inhaltliche Diamanten entstehen, die den Ton vieler Gruppen viel besser treffen, als dies der traditionelle Journalismus je geschafft hat und schaffen könnte. Aber Hammer-Recherchen wie die Panama Papers oder der Fall Weinstein, bei denen mächtige Individuen und Institutionen viel zu fürchten und zu verlieren haben, sind eher nicht zu erwarten. Anders gesagt: Es könnte also ziemlich vielen Leuten ziemlich recht sein, wenn Journalisten bei den Nachrichten-Maschinen von Bord gehen und ihr eigenes Dinglein drehen. Für die Demokratie wäre das gefährlich. 


Ideal wäre es natürlich, der Journalismus könnte vom Besten beider Welten profitieren, wie dies in einem Stück der Missouri School of Journalism kürzlich beschrieben wurde. Aber dazu bräuchte es neue Strukturen. Die Creator müssten sich Netzwerken anschließen können, um von technischer Infrastruktur, Beratung, Rechtsschutz und Fakten-Checks zu profitieren und dabei trotzdem unternehmerisch handeln können. Das klingt nach dem alten Journalistenbüro, könnte aber deutlich schlagkräftiger aufgestellt werden. Hier wären Fördermittel gut eingesetzt, die nicht immer nur von Google oder Facebook kommen müssen. Traditionelle Redaktionen könnten sich starke Einzelmarken zunutze machen und die Verantwortung für bestimmte Produkte an die Creator abtreten – vorausgesetzt, es passt für beide Seiten zum Markenkern. Und die Gewerkschaften sollten sich schleunigst auf die neuen Realitäten in der Branche einstellen. Sie müssen Entrepreneur-Organisationen werden. Noch arbeiten die meisten Einzelkämpfer im Journalismus unter prekären Bedingungen. Ein Qualitätsversprechen sieht anders aus. Mächtige Institutionen brauchen starke Gegenüber, die Druck aushalten und auch mal dagegenhalten können. Bleiben die neuen Schöpfer auf sich gestellt, dürften viele von ihnen nur allzu schnell erschöpft sein. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 19. April 2021. Aktuelle Kolumnen kann man dort für ein Abo lesen. 


Fördert die Ausbildung! Wie der Staat den unabhängigen Journalismus wirklich stützen könnte

Über so ein Geschenk kann sich nicht jede Branche freuen. 220 Millionen Euro hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr locker gemacht, um deutschen Medienunternehmen zu helfen, angeblich bei der „digitalen Transformation“. In Fach- und Verlagskreisen streitet man sich seitdem trefflich darüber, was mit dem Geld passieren soll. Lobbyisten-Werk, schimpfen die einen, das Ganze werde versickern wie Kohle-Subventionen, nichts als lebensverlängernde Maßnahmen für besonders bräsige Verlagshäuser. Innovative Gründer und andere, die sich für den Journalismus einsetzen, gingen dagegen leer aus. Experten wie der Medienwissenschaftler Christopher Buschow aus Weimar denken so oder ähnlich, zusammen mit Christian-Mathias Wellbrock hat er ein viel beachtetes Gutachten zur Innovationsförderung im deutschen Journalismus für die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen veröffentlicht und ist seitdem auf allen Kanälen zum Thema präsent. Die anderen sind natürlich die Verlage selbst. Nach deutlich zweistelligen Einbrüchen im Anzeigengeschäft ringen viele um ihre Existenz. Sie argumentieren staatstragend mit ihrer Rolle als Säule der Demokratie, damit untertreiben sie nicht. Kassenwart ist das Bundeswirtschaftsministerium, demnächst soll es ein Konzept geben.

Die Erwartungen daran sind niedrig, denn bislang regiert das Prinzip Gießkanne, und schon die Grundfrage ist ungeklärt: Wie fördert man das eigentlich, die „digitale Transformation“? Geht es um neue Technik, um Organisation, oder doch nur um die Abfederung von Härten in einer Verlagsbranche, die seit ungefähr 15 Jahren mit sinkenden Druckauflagen und Anzeigenerlösen kämpft und bei der Begeisterung des Publikums für digitalen Journalismus viel zu langsam in die Puschen gekommen ist? Eine Antwort wäre: Man beginnt bei den Menschen, die in der Branche arbeiten. Für die Zukunft der Medienbranche sind Investitionen in Aus- und Weiterbildung kritisch. Denn im Journalismus zeichnet sich ein gigantisches Personalproblem ab.

In der Welt draußen ist das noch wenig bekannt. Die politische Diskussion wird schließlich von den großen Medienmarken beherrscht, zu denen nach wie vor ausreichend qualifizierte Bewerber*innen drängen. Redet man mit Vertreter*innen von Regionalverlagen, sieht die Sache anders aus. „Das Geschäftsmodell Zeitungen wird nicht von der Auflage zuerst zusammenbrechen, sondern vom Personal“, sagte kürzlich ein im Digitalen recht umtriebiger Chefredakteur einer süddeutschen Lokalzeitung. Die Zahl der Bewerbungen nehme rasant ab, die Qualität der Bewerber*innen ebenso. Das gilt für Journalist*innen, die sich in der leidenden Branche wenige Perspektiven ausrechnen und jene jungen Leute, die mit dem Beruf gar nichts mehr anfangen können. Noch viel mehr gilt es aber für junge Leute mit IT-Kompetenz. Die gehen lieber gleich zu Originalen wie Facebook, Google oder Spotify, wo die Gehälter höher, die Work-Life-Balance besser und die Kultur cooler sind. In der Studie „Are Journalists Today’s Coal Miners?“ hat eine Forscher*innen-Gruppe aus Oxford und Mainz das Thema 2019 ausführlich beleuchtet (die Autorin dieser Kolumne war Teil des Teams).

Aber nicht nur mit der Rekrutierung von Berufseinsteigern haben die Verlage ein Problem. In den Redaktionen und Verlagsabteilungen gibt es eine große Unwucht zwischen dem, was die Mitarbeiter*innen können und dem, was sie können müssten. Das zieht sich hinauf bis in Chefredaktionen und Verlagsleitungen. Die Redaktionen sind gut gefüllt mit Reporter*innen und Redakteur*innen, die zwar brillant oder zumindest versiert im Recherchieren, Schreiben und Redigieren sind, sich aber mit digitalen Erzählformaten, Produktentwicklung und Kundennähe kaum auskennen, ganz zu schweigen von Veränderungsmanagement. Schlimmer, aus den Journalistenschulen kommen in großer Zahl junge Leute nach, die sich dafür ebenso wenig interessieren und am liebsten nur große Reportagen schreiben wollen.

Jetzt rächt sich außerdem, dass man in der Branche jahrzehntelang Menschen wegen ihrer journalistischen Kompetenz in Leitungspositionen befördert hat, nicht jedoch wegen ihrer Management-Qualitäten – und dass sie damit oft heillos überfordert sind. Gerade die talentierteren unter ihnen spüren das. Gerne würden sie sich entsprechend weiterbilden, aber dafür ist das Geld nicht da. Viele landen im Burnout oder verlassen die Branche für Jobs, in denen es auch mal Wachstum zu feiern, statt Krise zu verwalten gibt. Die anderen ducken sich weg und hoffen, dass das bis zur Rente oder zumindest dem nächsten Abfindungsprogramm niemandem auffällt. Energie und Kompetenzen verkümmern, weil sie niemand abholt zur Reise in die digitale journalistische Zukunft.

Hinzu kommt ein erbitterter Konkurrenzkampf in der Branche, der zwar am Kiosk seine Berechtigung hatte aber längst nach hinten losgeht, weil die wahren Wettbewerber im Silicon Valley sitzen oder dort, wo man dessen Rezepte kopiert. Die Verlage haben es versäumt voneinander zu lernen, Kompetenzen zu bündeln und Innovationen selbst zu entwickeln, von denen die Branche und damit auch der Journalismus profitieren könnte. Kooperationen entwickeln sich nur langsam, ein Beispiel ist Drive, das gemeinsame Daten-Projekt verschiedener Regionalzeitungen und der dpa.

Was könnte man alles erreichen, würde man nur einen Teil der 220 Millionen Euro in die Ausbildung junger Journalist*innen stecken, die verschiedenste Perspektiven und Fähigkeiten in die Verlage tragen könnten? Welches Potenzial ließe sich erschließen, würde man gestandene Redaktions- und Verlagskolleg*innen für die digitale Transformation fit machen? Flächendeckende Trainings in Veränderungsmanagement, Kundenorientierung und Leadership sind Investitionen, die der Branche langfristig mehr nutzen als das nächste neue Redaktionssystem. Bevor man sich für Technik entscheidet, muss man schließlich wissen, was man damit machen will. Strategien aber können nur Menschen entwickeln.

Tragisch besonders in Deutschland ist, dass man all diese Aufgaben weitgehend Google und Facebook überlässt, die großzügig Bildungsprogramme für Verlage finanzieren (Transparenz: Das Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School, in dessen Rahmen diese Kolumne entsteht, wird von Facebook unterstützt, die Autorin ist zudem in Programmen engagiert, die von der Google News Initiative gefördert werden). Damit machen sich die Medienhäuser noch abhängiger von den Plattform-Konzernen, die ohnehin schon viel zu häufig definieren, was bitte Innovation zu sein hat. Die Ironie dabei: Geißeln Kommentator*innen im Leitartikel gerne die Übermacht der Tech-Monopole, wird deren Geld intern nur zu gerne angenommen – weil es keine Alternative gibt.

Dabei wäre staatliches Geld für Journalismus in der Bildung am besten investiert. Hier bliebe die journalistische Unabhängigkeit gewahrt, gleichzeitig würde man nachhaltig in die Zukunft investieren. Als Vorbild könnte man die Diskussion in der Entwicklungshilfe nehmen, die heute aus gutem Grund Entwicklungszusammenarbeit heißt. Geld ausschütten per Gießkanne ist das Rezept von gestern. Strukturen aufbauen und Hilfe zur Selbsthilfe anstoßen, darauf kommt es an.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 26. Februar 2021.

Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.