Quote, sportlich genommen – Was Redaktionen vom 50:50 Projekt der BBC lernen können

Dürfte man sich noch so unbeschwert ins Gesicht fassen wie früher, hätte man sich womöglich die Augen gerieben. Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, eröffnete kürzlich einen Gastbeitrag in Die Zeit mit den Worten, dass seit Tagen etwas in ihr arbeite: „Ich möchte etwas dazu schreiben, aber ich traue mich nicht.“ Bitte? Die Chefin eines der größten Verlagshäuser Europas traut sich nicht, etwas zu schreiben?

Nun, viele Journalistinnen dürften sich nicht so arg gewundert haben. Über dem Stück stand schließlich: „Zurück in der Männerwelt“. Und Reporterinnen und Redakteurinnen hierzulande wissen, dass man über so ein Thema nur so offen schreibt, wenn man Hass-Kommentare im Netz und Kollegen (und Kolleginnen) mit genervten Blicken gut aushalten kann. Wollen sie im eigenen Laden, der üblicherweise von Männern geführt wird, noch etwas werden, verkneifen es sich die meisten übrigens auch. Jäkel allerdings ist schon etwas, und deshalb kann sie sich solch ein öffentliches Nachdenken eher leisten als andere. Aber selbst ihr fällt es offenbar schwer.

Jäkel wundert sich in dem Stück lautstark und mit einem Anflug von Resignation, wo denn in der Coronakrise all die Führungsfrauen geblieben seien, auch im eigenen Haus. In Video-Konferenzen begegne sie ihnen jedenfalls nicht. „Homeoffice bedeutet für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. Und das ist besonders bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden“, schreibt sie. Und endet mit: „Frauen sind so viel weniger weit, als wir es dachten.“

Kurz zur Erinnerung: Deutschland, das ist das Land, in dem jüngst die erste weibliche Vorstandsvorsitzende eine Dax-Konzerns nach einem halben Jahr abtreten musste, weil man ihr den Job ohnehin nur in einer Doppelspitze zugetraut hatte und in der Krise nun entschlossenes Handeln nötig sei – so die offizielle Begründung des Software-Konzerns SAP bei der Trennung von Jennifer Morgan. Es ist auch das Land, in dem 2019 nur acht von 110 Regionalzeitungen Chefredakteurinnen hatten und die Redaktion keines großen Titels alleine von einer Frau geführt wird, wie zum Beispiel die der Financial Times, des Guardian, des Economist oder der Sunday Times, nur um mal über den Kanal zu schauen.

In einer Studie zu Vielfalt in Redaktionen, die Deutschland, Großbritannien und Schweden verglichen hat, kamen das Reuters Instituts aus Oxford und das Publizistische Seminar der Universität Mainz zu dem Ergebnis: Im Vereinigten Königreich zeigt sich ein Mangel an Vielfalt vor allem beim Thema soziale Herkunft, in Schweden bei der ethnischen Diversität und dem Stadt-Land-Gefüge, in Deutschland geht es – immer noch, muss man sagen – um die Geschlechterfrage. Wobei man nach Führungspersonal aus Einwanderer-Familien noch vergeblicher sucht, wie eine jüngst veröffentlichte Studie der Neuen Deutschen Medienmacher ergeben hat. 

Im Journalismus ist das besonders verstörend, denn gemessen an den Zahlen und der Qualifikation der Absolventinnen ist der Beruf ausgesprochen weiblich. In den Redaktionen schaffen es im Verhältnis dazu wenige Frauen nach oben, und selbst wenn schlägt sich das noch nicht zwangsläufig in den Inhalten nieder. Während Medienmarken wie die Financial Times oder die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter seit längerem Gender Bots einsetzen und damit kontrollieren, wie sich das Verhältnis von männlichen und weiblichen Protagonisten in Bild und Wort darstellt, ist das Thema Geschlechter-Repräsentation in Deutschland offenbar immer noch so heikel, dass man Vorstandschefin oder karrieremüde sein muss, um darüber zu schreiben. Das geschieht in einer Branche, die sich von Berufswegen dazu verpflichtet, die Gesellschaft zu repräsentieren, wie sie ist.

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Lage etwas besser. Und richtig lernen können alle, wirklich alle von der BBC und ihrem 50:50 Projekt. Der Erfolg von 50:50 ist ein Knaller, es handelt sich um „das größte kollektive Vorhaben für gleiche Repräsentation im BBC Programm“, wie es auf der Projektseite heißt. Vor drei Jahren hatte der charismatische Moderator Ros Atkins in seiner Redaktion die Idee entwickelt, in einer Art internem Wettbewerb zu zeigen, dass eine 50:50 Präsenz von Frauen und Männern im Programm leicht zu schaffen ist.

Es gab keine Vorgabe von oben, nur Mund-zu-Mund-Propaganda und ansteckende Begeisterung. Immer mehr Redaktionen wollten zeigen, dass auch sie es hinkriegen. Irgendwann fing Intendant Tony Hall Feuer und feierte die Idee. Schon bei der ersten großen Bestandsaufnahme im Mai 2019 hatte der größte Teil der Beteiligten die Vorgabe erreicht, selbst in „schwierigen“ Ressorts wie Sport oder im arabischen Raum. Mittlerweile machen innerhalb der BBC etwa 600 Teams mit – und nicht nur das. Das Vorhaben hat Nachahmer in 20 Ländern gefunden, weltweit haben 60 Organisationen das Konzept übernommen. Man könnte jetzt erwähnen, dass man auf der Landkarte vergeblich nach deutschen Unternehmen schaut.

Ah, halt, die sind ja derzeit mit der Digitalisierung beschäftigt – und dazu mit dem von Jäkel beobachteten ziemlich männlichen Krisenmanagement. Aber das Ringen um Diversität auf später zu vertagen ist auch mit Blick darauf ein schwerer Fehler. Digitalisierung bedeutet im Journalismus „Audience first“, also von den Bedürfnissen und Nutzergewohnheiten des Publikums her nicht nur denken, sondern auch handeln. Auf diese Weise begeistert man loyale Kunden, sichert sich also die Zukunft. Und das potenzielle Publikum ist jung, alt, audio-, video- oder print-affin, einheimisch und zugewandert und, ja, männlich, weiblich – vielfältig eben. Nur gut gemischte Teams werden es schaffen, in dieser Vielfalt zu denken und entsprechende Produkte zu entwickeln. Die BBC nimmt übrigens für ihre 50:50 Challenge weiterhin Bewerbungen entgegen. 

Dieser Beitrag entstand für den Newsletter zum Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School, dort veröffentlicht am 8. Mai 2020.              

Eine Frage der Macht – Was die Digitalisierung Frauen bringt

Es ist einfach, die Digitalisierung als Erfolgsgeschichte zu erzählen. Hält sie doch all dies bereit: unendliche Möglichkeiten, sich mit Menschen zu verbinden, sich die Welt zu erschließen, Probleme per Datenauswertung zu lösen, sich vielfältiger Mühen des Alltags zu entledigen und sich damit eine nie da gewesene Bequemlichkeit leisten zu können. Es ist ebenso einfach, die Digitalisierung als Geschichte der Bedrohung zu erzählen. Ermöglicht sie doch all das: allumfassende Überwachung, Fremdbestimmung durch Algorithmen, Ökonomisierung aller Lebensbereiche und damit einen nie da gewesenen Druck.

Ob die Digitalisierung einer Gruppe nutzt oder schadet, zum Beispiel Frauen, lässt sich deshalb kaum beantworten. Entscheidend ist, wie wir sie gestalten. Allerdings prägen ein paar Mechanismen die digitale Welt, die sich auf Männer und Frauen tatsächlich unterschiedlich auswirken. Zunächst ist da die komplette Ökonomisierung des Lebens. Was in der westlichen Digital-Debatte als Hyper-Kapitalismus kritisiert wird, kann für Menschen, die bislang nichts haben, ein Segen sein. Denn theoretisch kann sich jeder Bürger, der ein Smartphone besitzt, in den weltweiten Wirtschaftskreislauf einklinken, dort lernen, Waren und Dienstleistungen anbieten, verhandeln, Teams koordinieren, Geschäfte abwickeln.

 

In den Mittelschichten der entwickelten Länder fallen die Vorteile für Frauen geringer aus. Der sichere Arbeitsplatz verschwindet zunehmend zugunsten einer On-Demand-Wirtschaft, in der Leistung auf Abruf bestellt und pro Einheit bezahlt wird. Die Digitalisierung führt dazu, dass die Einkommen aus Arbeit sinken und die aus Kapital steigen. Frauen haben oft das Nachsehen, weil sie davon weniger besitzen und deutlich seltener Firmen gründen. Während viele stolz darauf sind, wie effizient sie als Arbeitsbienen der digitalen Welt Job und Familie vereinbaren, machen diejenigen das Geschäft, die als Unternehmer erfolgreich sind – überwiegend Männer.

Allerdings setzt der ebenfalls bestehende Zwang zur Individualisierung gerade Frauen unter Druck. Die Leistungs- und Vergleichskultur, die vor allem in den sozialen Medien gepflegt wird, macht speziell Mädchen zu schaffen. Einer neuen Studie zufolge leiden sie deshalb besonders häufig unter Depressionen.

Auch die Transparenz, die in den digitalen Netzwerken herrscht, nützt Frauen nicht nur. Klar, sie können sich gegenseitig stärken, Gleichgesinnte finden und ihr Netzwerk ausbauen. Manchmal kann eine Kampagne, die digital angestoßen wird, die Welt verändern. Aber in den digitalen Räumen herrscht eine Ellbogenkultur, die den Lautesten belohnt. Algorithmen setzen jene Beiträge in der Rangfolge an die Spitze, die besonders viele Klicks versprechen. Die also besonders kontrovers, witzig, gewalttätig oder auf andere Weise marktschreierisch sind – die Hingucker eben. Digitale Geschäftsmodelle belohnen Reichweite.

Auf Frauen prasseln in den sozialen Netzwerken außerdem deutlich häufiger Hasstiraden nieder als auf Männer. Die Öffentlichkeit macht sie verletzlich, und sie geraten leicht in die klassische Opferrolle.

Viele haben gehofft, dass Algorithmen zu mehr Gerechtigkeit in zahlreichen Sphären führen. Diese Rechenoperationen, so die Theorie, könnten zum Beispiel wichtige Prozesse wie Bewerbungsverfahren objektiver machen. Wenn eine Software Lebensläufe vorsortiert und nicht ein vorurteilsbeladener Manager, hätten es Bewerber, die nicht seinem Ideal entsprechen, erheblich leichter, in die Endrunde zu gelangen. Was dabei häufig vergessen wird: Algorithmen sind kondensierte Vergangenheit. Sie errechnen aus den verfügbaren Daten das ideale Ergebnis – wenn man sie nicht anders programmiert. Haben sich also bislang vor allem Männer auf einer bestimmten Position bewährt, wird die Software keine Frau vorschlagen. Es kommt darauf an, wie man den Algorithmus füttert.

Und hier liegt der Kern des Problems: Die digitale Welt wird weitgehend von Männern gestaltet. Sie bauen die Geschäftsmodelle der „Winner takes all“-Wirtschaft, die deshalb so genannt wird, weil sie wenige massiv belohnt. Sie programmieren Algorithmen, die von der Job- über die Immobilien- bis hin zur Partnersuche immer stärker die Lebenswege vieler Menschen bestimmen. Frauen hingegen kämpfen um Positionen in der Tech-Branche. Sie fühlen sich oft nicht gewollt, nicht ernst genommen. Die Zahl der Informatikerinnen war in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil sogar rückläufig, weil es für Frauen schwierig ist, sich zwischen Nerds und Hipstern zu etablieren. Risikokapitalgeber bevorzugen männliche Firmengründer. Der Kreislauf setzt sich fort.

Die digitale Welt suggeriert nur allzu oft, dass es für alles einen bequemen Weg gibt. Ein paar Klicks, und schon ist man dabei. Ein paar Herzchen, Sternchen, Smileys, und alle sind wunschlos glücklich. Tatsächlich aber stellen sich knallharte Machtfragen. Und Macht wird bekanntlich selten frei Haus geliefert. Man muss sie sich erstreiten und dann auch nutzen, um damit zu gestalten.

Dieser Text ist erschienen in brand eins, Ausgabe 03/2019