Vielfalt fordern, Einfalt meinen: Wenn Journalismus-Kritiker aneinander vorbeireden

Eines lässt sich mit ziemlicher Sicherheit behaupten: Das Angebot an Journalismus war noch nie so vielfältig wie heute. Man kann sich einerseits wie früher bei den großen oder lokalen Medienmarken informieren. Deren Inhalte gibt es aber nicht länger nur als lineare Sendung oder auf Papier, sondern auch auf Websites, manchmal bei YouTube, Instagram, TikTok, bei Spotify oder in der Mediathek. Zudem handeln die etablierten Nachrichtenmarken heute in einer Breite Themen ab, die es noch vor zehn Jahren an keinem Chefredakteur vorbei geschafft hätten. Vermutlich kommen heute selbst in der FAZ mehr Paartherapeuten als Parteiforscher zu Wort. Andererseits existieren unzählige Spezial-Angebote für diejenigen, die sich als Teil einer Gruppe oder mit einem Interessengebiet identifizieren – ob das junge Frauen sind, People of Colour, die queere Community, Politik-Junkies oder Menschen, die sich im Detail über Klima-Themen oder Geldanlage auf dem Laufenden halten wollen. Das Gründen im Journalismus ist einfach geworden (was nicht für das wirtschaftliche Überleben gilt). Und dennoch beklagen sich mindestens zwei Lager darüber, dass es den Medien an Vielfalt mangelt. 

Der Streit um die Vielfalt und seine beiden Lager 

Das ist einerseits die Fraktion, die Harald Welzer und Richard David Precht (Die Vierte Gewalt) applaudiert. Sie unterstellt insbesondere dem politischen Journalismus eine ideologische Einfalt, die sie irgendwo links von der Mitte und auf jeden Fall im grünen Milieu verortet. Sie beklagen: Die angebliche „Mehrheits-Meinung“ (nämlich ihre eigene) komme in den Medien nicht vor. Sie greifen vor allem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, was man befremdlich finden kann, denn anders als bei kommerziellen Anbietern wird gerade dort penibel auf angemessene Redezeiten aller in den Parlamenten vertretenen Parteien geachtet. 

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die etwas Ähnliches behaupten, aber etwas anderes meinen. Sie sagen: Redaktionelle Inhalte und Entscheidungen seien nach wie vor von einer Mehrheit weißer, gut ausgebildeter Männer, vielleicht auch ein paar Frauen geprägt. Menschen wie sie – schwarz, muslimisch, transsexuell, Arbeiterkinder, man ergänze – seien weder optisch noch inhaltlich so repräsentiert, dass es die Gesellschaft abbilde. Sie kämen höchstens als Objekte vor, die es zu sezieren gelte. Praktisch ist, dass auf diese Weise so gut wie jeder in den Chor der nach Vielfalt Rufenden einstimmen kann, was dem Anliegen eine gewisse Lautstärke verleiht. Allerdings ist es schon jetzt absehbar, dass kein Ergebnis alle zufriedenstellen wird. 

Was sind also die Fakten?

Eine Tagung des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund um Michael Steinbrecher und Tobias Gostomzyk hatte im Sommer 2023 den Spagat versucht, die Debatte in ihrer gesamten Breite abzubilden und dazu einige Fachleute samt Forschung aufgefahren. Es ging sowohl um inhaltliche Vielfalt als auch um Vielfalt in Redaktionen und Gremien. 

Eine wichtige Erkenntnis in Sachen politische Vielfalt lieferte die Uni selbst in einer Studie aus ihrem Projekt Journalismus und Demokratie: Anhänger verschiedener Parteien finden, dass jeweils das andere politische Lager in den Medien überrepräsentiert ist. Im Kontrast dazu sehen sie sich und ihre Positionen zu wenig gespiegelt. Man könnte das als Hinweis auf eine gewisse Vielfalt deuten, denn schon als Journalist ahnt man, wenn sich gegensätzliche Seiten beklagen, hat man wohl etwas richtig gemacht. Trotzdem attestierten die Anhänger fast aller Parteien dem Journalismus eine verhältnismäßig hohe Glaubwürdigkeit. Allein diejenigen, die sich in der forsa-Umfrage als AFD-Sympathisanten bekannten, vertrauen den traditionellen Medien kaum, weshalb sie ihre Informationen eher aus anderen Quellen beziehen. 

38 Prozent der befragten Journalisten stehen den Grünen nahe 

Die Dortmund-Studie legt allerdings die Interpretation nahe, dass der politische Journalismus eine gewisse Schlagseite Richtung grüne Positionen haben könnte. Laut Michael Steinbrecher gaben 38 Prozent von 750 befragten Journalisten an, den Grünen nahezustehen. Es ist jedoch nicht belegt, ob und wie sich Parteipräferenzen in der Berichterstattung niederschlagen. Jeder vierte Befragte hatte zu Protokoll gegeben, sich mit keiner politischen Partei zu identifizieren.           

Die Journalismusforscherin Birgit Stark von der Johannes Gutenberg Universität Mainz präsentierte zudem eine Studie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, in der sich die befragten Nutzer recht zufrieden mit der Vielfalt in den Medien äußerten. Die Forscher:innen hatten Themenvielfalt, Meinungsvielfalt und Akteursvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Medien der drei Länder untersucht. Vor allem bei Themen und Meinungen sahen die Angesprochenen kaum Defizite in der Vielfalt. Wo also liegen die Probleme wirklich?

Die erdrückende Dominanz des politischen Journalismus 

Ein Grund, warum Menschen Journalismus oft als einseitig wahrnehmen, dürfte in der erdrückenden Dominanz des traditionellen politischen Journalismus liegen, der insbesondere die wichtigen Nachrichtensendungen prägt. Hier geht es häufiger um Zitate und Konflikte als um Fakten und Nutzwert, zu Wort kommen in erster Linie Funktionäre. Harald Welzer sprach bei der Tagung von „Politik-Politik-Journalismus“, also einer selbstreferentiellen Spielart des Fachs. Auch der Digital News Report von 2023 sieht Anzeichen dafür, dass diese Art von Journalismus Menschen in den Nachrichten-Überdruss treibt. „Das Nachrichten-Interesse rutscht ab“, bestätigte Juliane Leopold, Chefredakteurin Digital von ARD Aktuell auf der Tagung. Wer sich aber generell vom Journalismus abwendet, nimmt die gesamte Breite und Vielfalt des journalistischen Angebots nicht mehr wahr und verpasst wichtige Informationen und Debatten. 

Der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der FU Berlin warnte auf der Konferenz davor, nur auf die Angebotsvielfalt zu schauen. Es komme auf die Nutzungsvielfalt an, also darauf, dass der Journalismus auch die Breite der Gesellschaft erreicht. Hier haben viele Redaktionen Nachholbedarf, denn traditionell beschäftigen sich Journalisten viel mit ihren Inhalten, aber wenig oder gar nicht mit deren Wirkung auf diejenigen, für die sie gedacht sind. Es reicht nicht, Vielfalt zu produzieren, wenn sie die potenziellen Adressaten nicht erreicht. 

„News Outsider“ – wem der Journalismus nichts bedeutet 

Die Gründerin des Schibsted-Innovation Labs, Agnes Stenbom, hat den Begriff „News Outsider“ geprägt. Er beschreibt diejenigen, denen Journalismus nichts bedeutet. Sie finden, er sei für ihr Leben nicht relevant. Insbesondere junge Menschen aus sozialen Brennpunkten zählen dazu. Für sie sind Angebote auf den (Social Media-)Plattformen wichtig, auf denen sie sich bewegen. Und darin müssen natürlich Menschen vorkommen, mit denen sich diese Zielgruppen identifizieren können. Der Haken ist: Genau solche Formate, wie sie zum Beispiel bei Funk von ARD und ZDF zu finden sind, ärgern wiederum diejenigen, die in Talkshows gerne von mangelnder Medienvielfalt sprechen. Man könnte unterstellen, dass sich so manch einer dieser Kritiker eher eine Rückkehr zur Medienwelt von früher wünscht – als es so ein breiteres Angebot eben nicht gab.

Man sollte nicht vergessen, dass einige derjenigen, die den Medien einen Mangel an Meinungsvielfalt attestieren, politische Interessen damit verfolgen. Nicht erst seit den „Fake News Media“-Tiraden von Donald Trump ist klar, dass sich Politiker gerne Kritiker vom Hals schaffen, indem sie die gesamte Branche als unglaubwürdig diskreditieren. Wie Craig Robertson im Digital News Report belegt, setzen Politiker Medienkritik weltweit als Instrument ein, um Widerspruch zu ersticken und Rechercheure einzuschüchtern. Genau aus diesem Grund wird Forschung gebraucht, die Fakten zur Medienvielfalt liefert. Wer nur Gefühlslagen abbildet, dient damit gewollt oder ungewollt Interessen, die den unabhängigen Journalismus gezielt schwächen wollen.      

Durch tägliches Erleben wie auch durch Forschung nachgewiesen ist hingegen der Mangel an Vielfalt innerhalb der Redaktionen. Zahlreiche Publikationen zum Beispiel von den Neuen deutschen Medienmacher*innen oder dem Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford belegen, dass hier noch viel getan werden muss. Das reicht von der Einstellung und Förderung entsprechender Kandidat:innen über die Sensibilisierung von Führungskräften bis hin zum Kulturwandel. Nur in einer Umgebung, in der sich vielfältige Mitarbeiter:innen sicher fühlen, in der sie ihre Ideen als willkommen wahrnehmen, werden entsprechende Projekte gedeihen. 

Dabei geht es auch um Bedürfnisse von Menschen, die sich in keiner Statistik potenziell benachteiligter Gruppen finden. Schließlich stecken die urban und bildungsbürgerlich geprägten Redaktionen großer Medienmarken die Themenfelder entsprechend ab. Sven Gösmann, Chefredakteur der DPA,  gab auf der Konferenz zu bedenken, dass zum Beispiel die Berufsschule in der Berichterstattung deutscher Medien kaum stattfinde. Dafür habe man sich zeitweise überproportional mit Elektro-Rollern beschäftigt. Redaktionen, die die Gesellschaft nicht abbilden, werden dies auch in ihren Inhalten kaum schaffen. Damit riskieren sie aber nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sie verschenken auch wirtschaftliches Potenzial. Letztlich gefährden sie die Rolle des Journalismus in der Demokratie.

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 27. Juli 2023. Aktuelle Kolumnen lesen Sie dort mit einem Abo.

Klimajournalismus, der wirkt – Was Redaktionen tun können

In vielen Redaktionen gilt der Ausbau des Klimajournalismus als Pflicht, nicht aber als Chance. Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass so wenige Medienhäuser eine Klimastrategie haben. Auf dem Constructive Journalism Day 2022 von NDR Info und Hamburg Media School habe ich darüber gesprochen, warum der Klimajournalismus große Potenziale birgt, den Journalismus insgesamt in die Zukunft zu bringen.  

Viele Menschen haben gerade wieder eine große Dosis Klimajournalismus zu sich genommen. Für manch einen fühlte es sich womöglich wie eine Überdosis an. Der Klimagipfel in Sharm-El-Sheik beherrschte tagelang die Schlagzeilen. Und wir lernten aus den Medien: Es war eine Katastrophe. Es sei „weniger als nichts“ erreicht worden, so der Titel eines Kommentars in der Süddeutschen Zeitung. Hinzu kommen die Proteste junger Menschen, die sich in ihrer Wut an Straßen festkleben oder Kunstwerke zerstören. Auch darüber wurde in allen Facetten berichtet. Ist das gut?

Es ist wichtig, ja. Aber die Debatten über die Proteste oder auch der große Aufschlag bei Events wie COP27 verschleiern, dass es viele Gründe gibt, beim Thema Klima auch zuversichtlich zu sein.

  • Forscher sagen, die Energiewende ist kein technisches Problem mehr und auch kein Preis-Problem. Es ist ein politisches Problem – immerhin.

  • Es werden praktisch täglich neue Lösungen erfunden, eine lebendige Start-up-Szene ist rund um grüne Technologien, Produkte und Dienstleistungen entstanden.

  • Die meisten Branchen beschäftigen sich intensiv mit Klima-Innovationen, Fonds schichten ihre Portfolios um, Verschmutzer steigen auf klimaschonende Techniken um, selbst Flugzeugturbinen-Hersteller haben eine Klimastrategie.

Nur der Journalismus nicht. Für den EBU News Report der European Broadcasting Union – der weltweit größten Vereinigung öffentlich-rechtlicher Medienhäuser – recherchieren wir seit Monaten in Redaktionen, interviewen Chefredakteure, Forscher, anderen Experten. Unsere Erkenntnis ist: Gerade mal eine Handvoll Redaktionen hat sich strategisch mit dem Thema beschäftigt.

Wenn man so argumentiert, hört man hier und dort: Was andere Branchen machen, das sei doch oft nur Greenwashing. Das mag in einigen Fällenstimmen. Aber wer böse sein will, könnte sagen: Journalismus bekommt oft nicht einmal Greenwashing hin.

Der Journalismus hinkt beim Thema Klima anderen Branchen hinterher. Warum ist das so?

  • Im Journalismus hat man Angst, als parteiisch, aktivistisch wahrgenommen zu werden. Eine kleine, lautstarke Minderheit der Skeptiker gibt den Ton an. Man unterschätzt sein Publikum. Die Mehrheit ist nämlich längst weiter, wie Umfragen belegen. Die meisten Menschen kennen das Problem – zumindest intuitiv – und wollen, dass etwas passiert.

  • Der Druck ist gering. Viele Verlage sind mittelständisch, Sender sind öffentlich-rechtlich strukturiert. Redaktionen sind nicht an der Börse notiert, Pensionsfonds können keine Gelder abziehen, wenn beim Thema Nachhaltigkeit geschlafen wird. Anderes hat Priorität, der Kostendruck tut ein übriges.

  • Klimajournalismus wird als ein Thema unter vielen missverstanden. Dabei muss der Schutz der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten eine Haltung sein, der sich Journalismus verpflichtet – so wie auch der Demokratie oder den Menschenrechten. Das Klima darf nicht nur Objekt sein, dass man beobachtet und beschreibt. Es muss die Kulisse sein, vor der das Leben spielt. Es sollte jedes Storytelling definieren.

Das Thema Klima ist eine Chance für den Journalismus, denn es deckt seine großen Defizite auf:

 

  • Klima ist ein Zukunftsthema. Der Journalismus klebt am Jetzt. Der Fokus liegt auf der schnellen Nachricht, dem Tagesgeschäft. Umfragen zeigen: Es wird zu viel gemeldet, zu wenig erklärt.

  • Klimaschutz braucht Hoffnung. Der Journalismus von heute legt den Fokus auf Drama, Versäumnisse, Misserfolge. Das drückt sich auch in der Sprache aus. Journalismus warnt, droht, macht Angst.

  • Im Klimaschutz zählt, was getan wird. Der Journalismus von heute fokussiert auf das, was gesagt wird. Die Überproduktion beim „Er hat gesagt, sie hat gesagt“ Journalismus lässt die Menschen oft verwirrt, leer, gelangweilt zurück.

  • Journalismus, der wirkt, nähert sich den Menschen auf Augenhöhe an in einer Sprache, die sie verstehen. Der Journalismus von heute erhebt sich oft besserwisserisch über sie – vor allem, wenn er sich Qualitätsjournalismus nennt.

  • Journalismus, der wirken möchte, respektiert sein Gegenüber und setzt auf Vielfalt, auch in der Ansprache des Publikums. Der Journalismus von heute kommt oft aus dem Zeitalter der Massenmedien, wo ein Format alles erschlagen musste.

  • Journalismus, der wirken möchte, reflektiert eigene Praktiken und macht sich Forschung zunutze. Heute sind viele Redaktionen fast noch stolz darauf, akademisches Wissen zu ignorieren. Dabei gibt es viel Wissen darüber, wie Kommunikation auf Menschen wirkt.

Aber kann Journalismus, der nicht wirkt, starker Journalismus sein?

Um eine Wirkung zu erzielen, muss man sich mit seinem Publikum beschäftigen. Spannend ist: Die Formate, die Journalistenpreise gewinnen, kommen nicht unbedingt beim Publikum an – und umgekehrt. Die wirkungsvollen Formate gewinnen keine Preise.

Was nun ist wirkungsvoller Klimajournalismus, was wissen wir aus der Forschung?

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus konzentriert sich aufs Jetzt und Hier konzentriert statt auf die ferne Zukunft, wenn er das Problem beschreibt. Er verankert das Thema da, wo die Menschen leben.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus malt auch die Möglichkeiten einer guten Zukunft aus, zeigt: Was wird gewonnen, statt immer nur zu betonen, was verloren wird, was zu opfern ist. Es geht um die Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftssystems. Der Klimajournalismus-Experte Wolfgang Blau nennt es den größten Umbau seit dem Zweiten Weltkrieg.

  • Klimajournalismus wirkt, wenn er konstruktiv und lösungsorientiert ist, statt immer nur die Apokalypse an die Wand zu malen. Wenn man Menschen ins Gespräch bringen und nicht in die Flucht schlagen will, funktioniert sogar Humor besser als ständiger Alarm. Wissenschaftler beschäftigen sich bereits mit der Wirkung von Comedy in der Klimakommunikation.

  • Klimajournalismus kann wirken, wenn er Menschen Wirkmacht verleiht, statt sie zu Opfern oder zumindest Betroffenen zu machen, wie das fast durchweg in den Nachrichten geschieht. „Agency“ ist das englische Wort dafür.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus bedient verschiedene Zielgruppen so, dass sie zuhören. Er nimmt zur Kenntnis, dass der Botschafter oft wichtiger ist als die Botschaft selbst. Der Botschafter ist im besten Fall eine Person mit hohen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitswerten. Er berücksichtigt auch, dass Faktenfülle die Empathie nicht ersetzt.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus ist starker Journalismus. Redaktionen sollten sich dabei nicht zu sehr mit nebensächlichen Details beschäftigen. Ein Sprachkorsett wird nicht gebraucht. Was wichtig ist: Tiefe, Recherche, Faktentreue, starke Bilder – vor allem auch starke Bilder von Lösungen. Was nie wirkt: Bilder von „Männern in Anzügen“, wie eine norwegische Chefredakteurin sagte.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus braucht eine glaubwürdige Basis. Medienhäuser sollten ihre Hausaufgaben machen, an ihrer CO2 Neutralität arbeiten. Und das ist womöglich die größte Herausforderung. Aber wer flammende Kommentare verfasst aber Klimaschutz nicht erkennbar lebt, wird schnell als Heuchler enttarnt.

Mark Hertsgaard, Mit-Gründer der Plattform „Covering Climate Now“ an der New Yorker Columbia University, sagte: „Wenn wir die Medienbranche nicht transformieren, wird keine andere Branche transformiert werden.“ Man mag da eine gewisse Hybris heraushören. Aber wahr ist, dass nur stetiger öffentlicher Druck alle Beteiligten anspornt, das Thema endlich anzupacken.

Klimajournalismus hat das Zeug dazu, den Journalismus in die Zukunft zu bringen. Es ist allerhöchste Zeit dafür, diese Chance zu nutzen – für das Klima und den Journalismus.

Politik-Journalismus: Runter vom Schlachtfeld, rein ins Labor

Der politische Journalismus in Deutschland hat seine Sache im Bundestagswahlkampf gut gemacht. Das heißt auch: Er hätte einiges noch besser machen können. Es ist an der Zeit, rhetorisch ab- und inhaltlich umzurüsten. Denn es geht auch konstruktiv.

Die jüngste Bundestagswahl ist schon eine Weile her, die Medien sind lange weitergezogen. Was die Qualität der Berichterstattung darüber angeht, daran kann sich vermutlich kaum noch jemand erinnern, nur das Wort „Triell“ mag sich nachhaltig im deutschen Sprachgebrauch behaupten. Festhalten sollte man nur, dass der Journalismus insgesamt gut funktioniert hat. Denn trotz einer nach allgemeinem Bekunden wenig überzeugenden Auswahl an Kanzlerkandidaten war die Wahlbeteiligung leicht auf knapp 77 Prozent gestiegen. Man darf vermuten, dass dies ohne eine vielfältige und umfangreiche Medienberichterstattung nicht geschehen wäre.

Wettkampf ist das Salz des politischen Journalismus

Trotzdem kann sich auch der politische Journalismus weiterentwickeln, auch wenn das die Routiniers in den Parlamentsbüros ungerne hören. Denn wieder und wieder werden die alten Rezepte aus dem journalistischen Standard-Kochbuch nachgekocht. Dessen populärstes besagt: Wettkampf ist das Salz des politischen Journalismus. 

Wer liegt in den Umfragen vorn? Vor lauter Begeisterung für diese Frage, die nicht besser wird, je öfter man sie stellt, vergessen Journalistinnen und Journalisten gerne, dass die Antwort morgen schon wieder überholt sein dürfte. Sie unterschätzen auch, dass sie genau damit Ergebnisse beeinflussen. Es ist ein psychologischer Effekt, dass sich viele Menschen gerne auf die Seite der Sieger stellen oder als Unentschlossene eher der gefühlten Mehrheit folgen. Sprich: Ein bisschen weniger Triell hätte es auch getan. 

Der Personen-Themen-Kreisel

Das heißt nicht, jetzt einem anderen Ritual zu folgen: dem Personen-Themen-Kreisel, der sich vor allem in den sozialen Netzwerken oft schwindelerregend dreht. Geht es auf Twitter hart gegen eine Person zur Sache, muss man nur kurz warten, bis die erste fordert: Im Wahlkampf sollte es mal wieder um Themen gehen. Geht es um Themen, werden die natürlich mit Personen verknüpft, was andere wieder nach Themen rufen lässt. Fakt ist, dass Politik in den meisten Demokratien von Koalitionen verabschiedet wird, weshalb viele politische Programme nach der Regierungsbildung nur noch in Umrissen erkennbar sind. Das Wahlvolk hat also recht, wenn es sich im Vorhinein vor allem mit der Glaubwürdigkeit, Integrität und Kompetenz der Personen beschäftigt, denen es die Verantwortung für die Themen in die Hände legt.

Der beste Ausweis für Glaubwürdigkeit sind Taten, weshalb es Kandidatinnen und Kandidaten ohne Regierungserfahrung schwerer haben. Aber selbst dort, wo jemand schon länger gestalten kann oder könnte, schauen Reporterinnen und Reporter viel zu selten hin. Natürlich ist Journalismus der Sorte „der hat gesagt, die hat gesagt“ bequemer und deutlich billiger als Recherche. Großmäuler haben einen Vorteil, und womöglich färbt es sogar auf den Glanz des Korrespondenten ab, wenn er eine Regierungschefin oder einen prominenten Herausforderer vors Mikrofon bekommt.

Großmäuler gibt es schon bei YouTube und Instagram

Hingegen kann es sehr mühselig sein, in Team- und Kleinarbeit Fakten zusammenzutragen, und es fällt schlimmstenfalls noch nicht einmal auf: Trotz starker Recherche-Leistung der beteiligten Kollegen war es vielen Wählenden offenbar zu kompliziert, Olaf Scholz’ Rolle im Cum-Ex-Skandal zu durchdringen. Die durch die Pegasus-Recherche zutage geförderten verdeckten Immobilien-Geschäfte von Tschechiens Premier Andrej Babis waren da wohl leichter zu verstehen. Ihn hat die Arbeit von Journalisten seine Wiederwahl gekostet. Dabei sollte man das politische Personal an seinen Taten messen, was oft leichter ist, als es die Medien in schönster Herdenbewegung glauben machen. Gerade junge Menschen wünschen sich vom Journalismus mehr Perspektiven, Lösungen und Substanz. Großmäuler finden sie bei YouTube und Instagram schon zuhauf. 

Das Constructive Institute in Aarhus* hat kürzlich demonstriert, wie Wahldebatten auch konstruktiv ablaufen könnten. In dem Projekt „guter Kampf“ wurden zunächst 120 Journalisten aus ganz Dänemark darin geschult, wie man Wahlen konstruktiv begleiten könnte. Kandidaten lernten in Bootcamps konstruktive Debatten-Techniken. Der Test kam mit einer Wahlveranstaltung, zu der mit folgendem Text eingeladen wurde: 

„Mögen Sie Politik, aber haben sie das auch so satt, wenn sich Politiker anschreien und die Medien versuchen, immer die Konflikte zu betonen? Sie sind nicht allein. Vielleicht können wir gemeinsam testen, ob das anders gehen kann.“ 

Ulrik Haagerup, Gründer des Instituts und früher Chefredakteur im dänischen Fernsehen, war spürbar überrascht von der Reaktion. Nach nur wenigen Stunden sei die Veranstaltung ausverkauft gewesen. 530 Dänen seien zu einem Abend erschienen, der angefüllt mit Argumenten, Ideen und Heiterkeit gewesen sei. „92 Prozent der Besucher fanden es großartig. Die Kandiaten waren überrascht, dass sie über potenzielle Lösungen reden und Gedanken ihrer Gegner anerkennen konnten, ohne als Verlierer gebrandmarkt zu werden“, sagt Haagerup. Nicht verwunderlich, dass er in solchen Formaten die Zukunft des Journalismus sieht.

Menschen sind mehr als kühle Rechner

Nahe an den Menschen zu sein, das heißt übrigens vor allem, sie ernst zu nehmen und nicht zu unterschätzen. Journalisten versuchen dies oft recht unbeholfen. Die im Wahlkampf ewig wiederholte Frage „Was kostet das den Bürger?“ reduziert die Wählenden auf Gewinn-Maximierer, das wird ihnen nicht gerecht. Menschen sind mehr als kühle Rechner, im Guten wie im Schlechten. Spätestens das Brexit-Referendum hat gezeigt, dass Emotionen auf dem Soll und Haben ebenso viel wiegen können wie Geld auf dem Bankkonto.

Medien könnten nicht nur im sprachlichen Umgang mit Politikern, ähm, abrüsten und dann und wann kontrollieren, wie oft sie in Wahlkämpfen (sic!) Vokabular von Schlachtfeld und Sportplatz borgen statt zum Beispiel welches aus Werkstatt oder Labor. Auch die Kritik an der Konkurrenz fällt oft eine Spur schriller aus als angebracht. Die jeweils anderen hätten Annalena Baerbock ins Amt schreiben wollen, lautete ein häufiger Vorwurf im Bundestagswahlkampf, mit dem sich manch einer als gegen den Strom schwimmend gerieren wollte. 

Nun, spätestens die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 dürfte gezeigt haben, dass man Politiker nur sehr begrenzt hoch- oder runterschreiben kann. Wenn Menschen beginnen, Journalistinnen und Journalisten als Teil einer Elite zu betrachten, die den Kontakt zum Wahlvolk verloren hat, geht Parteinahme ziemlich sicher nach hinten los. Für jeglichen Journalismus gilt deshalb: Vorher zuhören ist besser als nachher wundern.

*Transparenz-Notiz: Alexandra Borchardt ist Board Mitglied der Constructive Foundation

Diese Kolumne erschien am 12. Oktober bei Medieninsider und wurde hier leicht angepasst. Mit einem Abo lassen sich dort auch aktuelle Kolumnen lesen. 

Corona als Vertrauens-Booster – Was Redaktionen jetzt tun können

Man hört das immer wieder, die Frage kommt von Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und anderen, die sich um den Fortbestand der Medienlandschaft in der Demokratie sorgen: Was sich denn tun ließe, um das so dramatisch gesunkene Vertrauen in die Medien wieder aufzupäppeln? Das Anliegen ist ehrenwert, es hat nur einen Haken: Es baut auf einer falschen Diagnose. In den meisten Ländern ist das Medienvertrauen in den letzten Jahren gar nicht so stark eingebrochen, wie viele dies frei nach Bauchgefühl behaupten. Für Deutschland hat die Universität Mainz jetzt sogar das Gegenteil belegt: Laut der in dieser Woche veröffentlichten vierten Ausgabe der Langzeitstudie Medienvertrauen haben seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015 noch nie so viele Bürger*innen dem Journalismus so viel Glaubwürdigkeit zugebilligt wie im vergangenen Jahr. Die Erklärung liegt nahe. Während der Pandemie suchen viele Menschen verlässliche Informationen, und sie trauen den traditionellen Redaktionen dabei offensichtlich am meisten zu.

Der Mainzer Studie zufolge gaben 56 Prozent der Befragten an, den Medien in wichtigen Themen zu vertrauen, in den Vorjahren waren dies jeweils zwischen 41 und 44 Prozent. Der Anteil derjenigen, die dem Lügenpresse-Vorwurf folgen, ist dagegen auf einen Tiefstand gesunken. Zwei Drittel weisen ihn ausdrücklich zurück. Die Forscher*innen räumen zwar ein, dass sich diese Werte in den zurückliegenden Monaten geändert haben könnten – die Daten wurden im November und Dezember 2020 erhoben, als die Kritik am staatlichen Pandemie-Management noch deutlich verhaltener klang. Dennoch bestätigen die Ergebnisse eine in diversen Studien gewonnene Erkenntnis, die selbst zu vielen Medienschaffenden nicht durchdringt: Ein allgemeiner Vertrauensschwund in den Journalismus ist nicht oder meist nur in der Varianz weniger Prozentpunkte festzustellen. Aber was ist das Problem dann, und was bedeutet die immer wieder beschworene Dramatik? Mehrere Dinge spielen eine Rolle:

Erstens, das Vertrauen in Medien mag zwar allgemein einigermaßen stabil sein, aber die Lautstärke der kritischen Minderheit nimmt zu. Und es bleibt nicht immer bei verbalen Pöbeleien online und offline: Journalist*innen auch in Deutschland werden zunehmend tätlich angegriffen und bei der Arbeit behindert. In den Niederlanden rückte das öffentlich-rechtliche Fernsehen nach Angriffen schon in neutralen Fahrzeugen aus, um sich nicht zu offensichtlich zur Zielscheibe zu machen. Hinzu kommen Influencer wie Rezo, die öffentlichkeitswirksam mit etablierten Medien abrechnen. Wird das dann geteilt, gilt das schon als Zustimmung, auch wenn sich dahinter vor allem Voyeurismus verbirgt.

Zweitens, in vielen Ländern schlägt sich eine starke politische Polarisierung auch im Medienvertrauen nieder. Sehr deutlich zeigt sich dies in den USA, wo diejenigen, die sich politisch eher „links“ verorten, auch dem Journalismus gute Noten ausstellen, diejenigen aus dem republikanischen Lager dies aber eher nicht tun oder maximal für Rupert Murdochs Fox News ihre Hand ins Feuer legen würden. Ein Durchschnittswert über beide Lager genommen, sagt dann relativ wenig über die tatsächliche Lage aus. Der Digital News Report des Reuters Institutes hat dies in mehreren Jahren gut abgebildet.

Drittens, das Medienvertrauen geht Hand in Hand mit dem Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen – und auf diesem Wege bei Gelegenheit auch mal steil bergab. Diverse Umfragen belegen, dass in politisch besonders konfliktreichen Jahren auch das Vertrauen in die Medien schwindet und manchmal eine Weile braucht, um sich wieder zu erholen. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind ein Beispiel für einen besonders drastischen Vertrauenssturz. Hart umkämpfte Wahlen verschärfen die Polarisierung und resultieren oft in einer Vertrauensdelle, auch Einzelereignisse – siehe die Kölner Silvesternacht und ihre mediale Aufarbeitung – können dazu führen.

Viertens heißt dies aber auch, dass Redaktionen das Vertrauen der Menschen in ihre Erzeugnisse nicht so nachhaltig beeinflussen können, wie sie sich dies erhoffen. Manch politische und gesellschaftliche Entwicklung wiegt schwerer als die Qualität des Journalismus. Man könnte sogar von einem Paradox sprechen: Je stärker sich Journalismus mit politischen Zerwürfnissen und Verwerfungen beschäftigt, umso fragiler kann das Vertrauen werden. Wird die Leistungsfähigkeit von Institutionen insgesamt angezweifelt, schadet das der Institution Journalismus gleich mit. Reporter*innen, die sich nur auf Streit fixieren, sägen also an dem Ast, auf dem sie sitzen.

Fünftens, die Medien müssen natürlich trotzdem gegensteuern: Bessere Erklärungen, mehr Transparenz die eigene Arbeit betreffend, interaktive Formate, die Bürger*innen einbeziehen und nahbare Journalist*innen tragen dazu bei, dass sich die Bürger*innen von ihren Medien ernst genommen fühlen. Am besten gelingt dies in Deutschland laut der Mainzer Studie nach wie vor den öffentlich-rechtlichen Sendern, die für 70 Prozent der Nutzer*innen vertrauenswürdig sind, gleich danach folgen Lokal- und Regionalzeitungen. Überregionale Marken bekommen von etwa jedem zweiten einen Vertrauensbonus. Pandemie hin oder her, an der Gewichtung hat sich über die Jahre kaum etwas geändert.

Sechstens, das eigentliche Problem für den Journalismus ist nicht der Vertrauensverlust. Es ist der Verlust an Relevanz für das tägliche Leben – und den hat er sich auch selbst zuzuschreiben. Im globalen Durchschnitt gibt schon etwa jede*r Dritte an, auf Nachrichtenangebote häufig gut verzichten zu können. Als Grund wird selten mangelndes Vertrauen genannt. Die Berichterstattung sei zu negativ und biete zu viel des immer Gleichen, das sind die häufigsten Klagen der Medien-Vermeider*innen, besonders die junge Generation sieht das so. Auch in der Mainzer Studie gaben 40 Prozent der Befragten an, dass die Medien es mit der Corona-Berichterstattung übertreiben. Statt die Nutzer*innen also mit Masse zuzuschütten, käme es stärker darauf an, sie ab und an mal zu überraschen: mit besonderem Tiefgang, mit starken Daten, mit Vielfalt und Perspektive. Und es käme darauf an, auf die Plattformen zu gehen, auf denen sich die Nutzer*innen aufhalten. Bei den Formaten mehr in die Breite und bei den Inhalten mehr in die Tiefe gehen, das wäre ein gutes Rezept.

Siebtens gibt es natürlich Gründe dafür, dass sich die Erzählung vom Vertrauenskollaps so nachhaltig hält. Zunächst einmal hat das mit dem allgemeinen Unwillen zu tun, sich mit Daten zu beschäftigen, die den eigenen Annahmen widersprechen. Davon sind auch Medienschaffende und Politiker*innen nicht frei. Vor allem aber kommt das Bild so manch einem sehr gelegen. Denn wenn etwas kaputt ist, muss man es reparieren. Die Dringlichkeit, in starken Journalismus zu investieren, lässt sich mit Vertrauens-Schwund besser begründen als mit Überdruss. Aber letzterer ist die größere Gefahr.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 9. April 2021.