(Alb-)Traumberuf Journalist – So könnten Verlage der Nachwuchskrise begegnen

Es ist eine Weile her, da galt der „Volontärsbeauftragte“ als eine Art Wächter vor dem Paradies. Die Journalistenausbildung war begehrt, und wer sich bewarb, musste dafür einiges tun – zum Beispiel zum „Probearbeiten“ antreten. Mittlerweile hat sich die Dynamik ins Gegenteil verkehrt.

Assessment Center möge er das gar nicht mehr nennen, sagte ein für die Ausbildung verantwortlicher Kollege einer deutschen Regionalmarke kürzlich auf dem Forum Lokaljournalismus. „Es ist mittlerweile so, dass wir uns bei denen bewerben.“ 

Die Branche steckt in der Talentekrise

Zunächst hatte man sich – typisch Journalistin – gewundert, im April 2024 wegen einer fünf (!) Jahre alten Studie zu der Veranstaltung der Bundeszentrale für Politische Bildung eingeladen worden zu sein. Im Workshop-Raum wurde allerdings schnell klar: Der Titel der Studie Are Journalists Today’s Coal Miners? hat keinerlei an Aktualität verloren und beschreibt die gegenwärtige Situation in den Regionalverlagen recht genau. Zusammengefasst: Immer weniger junge Menschen interessieren sich für Journalistenjobs, die Qualität der Bewerbungen sinkt – und etliche von denen, die dann doch anheuern, sind schnell wieder weg. Die Branche steckt mitten in der Talente-Krise.

Dabei habe man die Anforderungen doch schon gesenkt, lamentierten einige Diskutanten. Früher habe man Anschreiben mit Rechtschreibfehlern sofort weggelegt oder müde abgewunken, wollte jemand das Abenteuer Journalistenberuf ohne Führerschein wagen. Heute versuche man, jegliche Homeoffice-Wünsche mit den Anforderungen des aktuellen Geschäfts zu verbinden. Aber wo nicht Berlin, Hamburg, Leipzig, oder Köln in der Nähe seien, winkten heute die meisten jungen Leute ab. 

Die Gründe für das mangelnde Interesse am einstigen Traumberuf sind vielfältig. Einstiegsgehälter nach dem Volontariat „knapp unter Busfahrer in München“ (so ein Teilnehmer), hohe Arbeitsbelastung, die schwierige Situation der Branche und zunehmende Anfeindungen gehören dazu. Der wichtigste dürfte aber das sein, was ein Chefredaktionsmitglied so beschrieb: „Die jungen Leute haben keinen Produktkontakt mehr“.

Wer sich vorwiegend auf Instagram und TikTok über das Weltgeschehen auf dem Laufenden hält, dem fehlen nicht nur die Vorbilder, die mit dem Weißen Haus im Hintergrund die Lage erklären, in Schutzweste vor Trümmern in Charkiw stehen oder als sonor plaudernde Radiomoderatorin den morgendlichen Erstkontakt zur Außenwelt herstellen. Der potenzielle Nachwuchs fragt sich auch, warum er für etwas, das heute jeder selbst produzieren kann, eine Ausbildung und eine Marke als Ausspielkanal baucht, die jeder mit seinen Großeltern assoziiert. Wer dann noch auf Führungskulturen aus dem vergangenen Jahrhundert trifft, schaltet ab.

All dies wurde in der oben genannten, 2019 vom Reuters Institute in Oxford und der Universität Mainz herausgegebenen und von der Deutsche Telekom Stiftung finanzierten Studie thematisiert. Dort ging es auch um mangelnde Vielfalt in Redaktionen Deutschlands, Schwedens und Großbritanniens, was damals vielen als das drängende Thema erschien. Beim Stichwort Talentekrise hatten noch viele abgewunken. Ein Grund ist, dass die Debatte über Journalismus und Medien vorwiegend von den großen Marken dominiert wird, bei denen sich der Bewerbermangel in Grenzen hielt. Aber nun, da viele Baby-Boomer in Rente gehen, wissen Regionalverlage kaum noch, wo der Nachwuchs herkommen soll. Und viele derjenigen, die dann doch einsteigen, wollen arbeiten wie die Alten, statt dem Verlagshaus den Weg in die Zukunft zu zeigen. Sie wollen lange Geschichten recherchieren und schreiben, statt TikToks zu produzieren (oder der „human in the loop“ bei der KI-assistierten Produktion zu sein).

Viele in der Branche scheinen verzweifelt, doch die Lage ist nicht aussichtslos. Es gibt Mittel und Wege, die Attraktivität des Journalistenberufs und der Branche zu steigern.

Lösung eins: Diversität

Man kann gleich zwei Probleme lösen, in dem man sie miteinander kombiniert. Viele Häuser ringen ohnehin um mehr Vielfalt in den Redaktionen, um die Gesellschaft abzubilden und hoffentlich neue Zielgruppen zu erreichen. Das heißt: Theoretisch könnten sie aus einem deutlich größeren Kandidaten-Pool schöpfen als früher, wo überwiegend die sehr gute Deutschnote Voraussetzung für eine Journalistenkarriere war. Zweitens haben etliche Verlage das erkannt und tun eine ganze Menge, um sich attraktiver für junge Kollegen zu machen. Leider ist dies anstrengend. 

Mit dem Öffnen der Tore für junge Menschen, deren Herkunft, Bildung, Hautfarbe, Muttersprache oder Religionszugehörigkeit nicht der Mehrheit entsprechen, ist es nämlich nicht getan. Man muss zunächst aktiv um sie werben und sie dann auch entsprechend ermutigen, begleiten, zum Teil extra ausbilden. Gerade Kinder aus Einwandererfamilien werden oft von ihren Familien vom Weg in den Journalismus abgehalten. Großeltern oder Eltern hätten viel dafür riskiert und geopfert, heißt es dort, um den Kindern den Aufstieg zu ermöglichen. Im Gegensatz zur Medizin, zur Juristerei oder dem Ingenieurwesen gilt der Journalismus nicht als Aufstiegsberuf – zumal Pressefreiheit in einigen Herkunftsländern nicht vorgelebt werden konnte.

Lösung zwei: Anpassungsdruck abbauen 

Die nächste Hürde ist die Redaktionskultur. Wer zu einer Minderheit gehört und trotzdem brilliert, tut das oft unter erheblichem Anpassungsdruck. Diese Kandidaten haben ein exzellentes Gespür für die Mehrheitsnormen und werden sich diesen eher anpassen, als dagegenzuhalten. Das heißt dann für die Redaktionen, dass sie zwar optisch besser aussehen, aber inhaltlich nicht von der Vielfalt profitieren. Eine wertschätzende Kultur, in der man abweichende Stimmen ermutigt, ihnen zuhört und ihre Ideen auch mal umsetzt, ist die Grundvoraussetzung für ein inklusives Klima. 

Es geht darum, die Stärken der jungen Kollegen zu erkennen, zu nutzen und darin zu investieren, nicht darum, sie in das alte Schema zu pressen. Wer das hinbekommt, entwickelt nicht nur loyale Mitarbeiter, sondern hilft auch dem Produkt und damit letztlich dem Publikum. Beim Birminghamer Ableger der größten britischen Regionalzeitungsgruppe Reach war es zum Beispiel eine muslimische Volontärin, die den preisgekrönten Newsletter  Brummie Muslims entwickelt und zu einer Erfolgsgeschichte gemacht hatte. 

Lösung drei: Weg von den Muster-Ausbildungen

Verlage haben einige interessante, zum Teil sogar erfolgreiche Versuche in der Mache, um den Trend zu drehen. Die einen setzen Karriereseiten auf, die barrierefrei konzipiert sind, also Bewerber nicht mit übermäßigen Anforderungen abschrecken. Die anderen haben Quereinsteiger eingestellt: die ehemalige Versicherungskauffrau, die jetzt Service-Stücke schreibt, die ehemalige Kindergärtnerin, die es versteht, mit verschiedensten Menschen ins Gespräch zu kommen; den Instagramer mit den vielen Followern, der die Marke bei jungen Leuten bekannt macht – wenngleich er niemals als Blattmacher im Sonntagsdienst einsetzbar sein wird. Die WAZ brüstet sich damit, Deutschlands erstes Klimavolontariat anzubieten. Und dann gibt es tatsächlich solche Arbeitgeber, die mehr zahlen – ein Deutschland-Ticket gibt es obendrauf. Die Ausbildungsbeauftragte der Freien Presse Chemnitz, Jana Klameth, brachte es beim Forum Lokaljournalismus auf den Punkt: „Wir brauchen viele zugeschnittene Volontariate. Eines für alle, das geht nicht mehr.“

Diese Herausforderung bleibt

Mit etwas Mühe, der richtigen Verkaufe und ein paar Anreizen dürfte das Werben eigentlich gelingen. Ist „Purpose“ nicht angeblich eines der wichtigsten Themen für die jüngeren Generationen? Einige Verlage beobachten das; allerdings zieht dieses Argument wohl vor allem bei Frauen. Der Nachwuchs sei überwiegend weiblich, heißt es. Und das hat man ja schon in anderen Berufen beobachtet, in denen Status und Gehälter in gleichem Maße sanken wie die Arbeitsanforderungen stiegen.

Was aber noch überzeugender sein sollte als das Sinnstiftende am Beruf ist die Aussicht auf eine Top-Qualifikation. Journalisten müssen heute so viel mehr können als früher: Es geht nicht nur ums Geschichtenerzählen, sondern um Produktentwicklung, Datenanalyse, den Umgang mit KI, das Verständnis von Geschäftsmodellen und Distributionskanälen – alles Fähigkeiten, die Bewerber auch in anderen Branchen hoch attraktiv machen. Und hiermit tut sich für die Medienhäuser das nächste Problem auf.

Dieser Text erschien bei Medieninsider am 30. April 2024. Aktuelle Kolumnen lassen sich mit einem Abo lesen. 

Wenn der Jury-Liebling beim Publikum floppt: Wir müssen über Wertschätzung reden

Die Versuchung, diesen Text mit Claas Relotius zu beginnen, ist groß. Der als Reporter getarnte Geschichtenerfinder hatte etliche Journalistenpreise abgeräumt, bevor seine Lügen 2018 aufflogen. Dies hatte nicht nur seinen Arbeitgeber Der Spiegel einiges an Energie und Ansehen gekostet, sondern die Scheinwerfer direkt auf die Belohnungssysteme der Branche gelenkt. Ist schön auch immer gut, fragte man sich damals? Erfahrene Juror:innen hatten sich blenden lassen, weil sie auf starkes Erzählen schauten. Sie bewerteten Sprache und Dramaturgie höher als Plausibilität. Das war peinlich, aber offenbar nicht peinlich genug. Schnell ging man zur Tagesordnung über. Die Sache war ja aufgeklärt.   

Nun muss man wegen eines Skandals nicht alle Journalistenpreise in Frage stellen. Tausende Reporter:innen verdienen ihre Auszeichnungen, weil sie hartnäckig und unter großem Einsatz recherchieren, akribisch an Text, Ton- oder Bildschnitt arbeiten, begeisternde und bewegende Geschichten abliefern. Man darf annehmen, dass sich nur sehr wenige mit Lügen durchs Berufsleben schummeln. Viele Journalistenjobs sind mäßig bezahlt, man gönnt jedem und jeder Einzelnen ein paar Euro extra. Und doch kann man – ja, muss man – ab und an fragen, ob die in einer Branche herrschenden Anreizsysteme das bewirken, was sie erreichen sollten. 

Was guten Journalismus auszeichnet

Moderner Journalismus denkt vom Nutzer her, heißt es. Er hört Menschen zu, begegnet ihnen mit Respekt, spricht sie in ihrer Sprache an. So betrachtet, definiert sich erfolgreicher Journalismus also auch über seine Wirkung beim Publikum. Und da fängt die Schwierigkeit an. Denn viele Preise – wenn sie nicht ohnehin kommerziellen Logiken folgen – reflektieren eher das, was Journalist:innen unter starkem Journalismus verstehen.

Seitdem Datenanalysen Nutzungsgewohnheiten bis ins Detail offenlegen können, zweifeln einige Praktiker:innen jedoch zunehmend an dieser Definition von Qualität. Da ist zum Beispiel Ritu Kapur, Gründerin und Chefin des indischen Nachrichtenportals The Quint. In einem Gespräch zum Thema Klimajournalismus merkte sie kürzlich an, dass diejenigen Formate, auf die ihre Redaktion besonders stolz sei, oft auf wenig Resonanz stießen. Liebevoll gebaute, preiswürdige Multimedia-Geschichten aus fernen Landesteilen floppten beim Publikum. Dagegen würden weniger aufwändige, dafür aber alltagsnahe Stücke reichlich geteilt und kommentiert. 

Ähnlich erlebt das Adrian Monck. Der ehemalige Journalist und Journalismus-Professor leitet die Kommunikation beim World Economic Forum und damit auch eine Redaktion, die auf verschiedenen Social-Media-Kanälen einen bemerkenswert konstruktiven Ansatz betreibt. In kurzen Kacheln oder Videos werden Lösungen präsentiert, mit denen Menschen und Organisationen aus aller Welt drängende Umweltprobleme angehen. Mangels Etats würden die Beiträge hocheffizient produziert; nichts davon sei das, was Monck „Faberge Egg Journalism“ nennt, also kunstvoll erstellte Einzelstücke. Und doch seien die Zugriffe enorm. Vor allem junge, bildungsaffine Menschen aus aller Welt begeisterten sich für die simplen Beispiele dessen, was möglich sei. In einem normalen Medienhaus, wo Karrieren und Identitäten entlang von preiswürdigem Journalismus entstünden, hätte sich so ein Angebot nie etablieren können, sagt Monck. Läuft da also etwas Grundlegendes falsch? 

Was die Branche macht, ist eine Sache. Das können Preise sein, bei denen man sich selbst feiert oder Listen, in denen Fachmagazine die Kolleg:innen des Jahres krönen – was beiden Seiten Aufmerksamkeit verschafft und sich auf diese Weise in Euro auszahlen kann. Für die einen ist es ein Geschäftsmodell, für die anderen ein Marketingmittel. Wichtiger ist aber, wie Medienhäuser intern Lob und Wertschätzung verteilen. Denn daraus entsteht die Zukunft des Journalismus. Und die wird man wohl eher in dem vom BBC-Journalisten Ros Atkins entwickelten Explainer Format finden als bei Snowfall, dem einst in der Branche weithin bewunderten Multimedia-Projekt der New York Times, das nur einen Schönheitsfehler hatte: Die Nutzer ließ es einigermaßen kalt.

Eine Checkliste für Wertschätzung      

Deshalb ist es wichtig, dass Verlage und Redaktionen ihre internen Anreizsysteme regelmäßig auf ihre Wirkung hin überprüfen. Dabei geht es um Beförderungen und Prämien ebenso wie um simples Lob in offener Runde, das bekanntermaßen den Ton setzt und in die eine oder andere Richtung motivieren kann. 

Das wichtigste Signal ist: Wer macht Karriere? Die Kolleg:innen werden genau beobachten, ob der recherchestarke Politikreporter, die Wissenschaftsjournalistin mit Spezialgebiet Klima, der kreative Produktmanager oder die versierte Strategin in die Chefetage aufsteigen. All das gibt Hinweise darauf: Habe ich mit meinem Produkt, meinen Talenten, meinem Spezialgebiet Chancen, gesehen und gehört zu werden? 

Eine kleine Checkliste kann abklopfen, ob die Redaktion in Sachen Wertschätzung auf einem guten Weg ist: 

► Wird Nutzungsintensität ausgewertet und anerkannt? Immerhin kann Journalismus noch so beeindruckend sein – er wird wenig Wirkung erzielen, wenn ihn niemand bemerkt. 

►  Werden immer wieder dieselben Kolleg:innen oder Leistungen gelobt? Das sagt zuweilen mehr über Vorlieben von Chefredakteur:innen aus als über die Verteilung tatsächlicher Qualität. 

► Man kann auch überlegen: Wer oder welche Gruppe wird nie gelobt? Gibt es nie einen Anlass, ein Team oder eine Leistung zu würdigen, besteht Handlungsbedarf. Womöglich passen Mitarbeiter:innen und Aufgabe nicht zusammen oder die Aufgabe selbst hat sich überlebt. 

► Wichtig ist auch: Werden Experimente gelobt, auch wenn sie nicht das erhoffte Ergebnis gebracht haben? Wer Kolleg:innen dazu ermutigt, Dinge auszuprobieren, wird schneller Erfolge ernten als diejenigen, die sich an Vertrautes klammern. 

► Und schließlich: Ist Anerkennung inklusiv und schließt alle an Projekten Beteiligten ein, oder reicht das Lob nur für ein paar Stars? So manch eine Geschichte wird erst durch die Verkaufe stark oder dadurch, dass sie jemand im richtigen Moment aus den Archiven zieht. 

► Mitdenken und Kundenorientierung verdienen ebenso Belohnung wie intensive Recherche und sprachliche Meisterschaft. Jeder, der sich um redaktionelle Qualität bemüht, wird diesen Fragenkatalog mühelos ergänzen können. 

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Unternehmen müssen nicht zu Lob-Maschinen werden, auch Redaktionen nicht. Die meisten Journalist:innen arbeiten aus eigenem Antrieb, weil sie etwas bewirken möchten: informieren, erklären, aufklären, unterhalten. Die wenigsten erwarten dafür Preise. Aber Lob ist ein Stoff, aus dem Unternehmenskultur gemacht wird. Führungskräfte, die dies ignorieren, geben ein kraftvolles Werkzeug aus der Hand. Wer spürt, dass seine Arbeit gesehen wird, wird sich auch künftig ins Zeug legen. Wenn dann noch ein Preis dazukommt, ist das umso schöner.

Diese Kolumne erschien unter anderem Titel bei Medieninsider am 6. Dezember 2022.