Die Black Box der KI-Debatte: Worüber Medienmacher lieber schweigen

Es gibt dieser Tage zwei Sorten von Medienmachern: diejenigen, die sich tagein, tagaus mit künstlicher Intelligenz beschäftigen und diejenigen, die das nicht tun. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass die erste Gruppe vor Begeisterung kaum noch wahrnimmt, dass es die zweite überhaupt gibt. Es ist ein bisschen wie in den frühen Tagen des Online-Journalismus: Die einen vernetzen sich mit Gleichgesinnten, kommentieren dieselben Studien, treffen sich auf den immer gleichen Konferenzen, vergleichen ihre Tools. Die anderen versuchen, einfach ihren Job zu machen. Wie damals scheint in der Branche eine Art Bekenntniszwang zu herrschen: Entweder man schwärmt von den Möglichkeiten der KI, oder man recherchiert, wann sie denn nun die Menschheit auslöschen wird. Viele andere halten aber lieber die Klappe. Sie sorgen sich, als Innovationsfeinde zu gelten.    

Dabei wäre gerade jetzt, wo die ersten KI-Tools ausgerollt werden, eine breite und vielschichtige Debatte wichtig. Denn es geht um praktisch alles: jeden einzelnen Job, den Wert der jeweiligen Marke, die Zukunft von Geschäftsmodellen, das Vertrauen in den Journalismus als Ganzen. Der Launch von ChatGPT im November 2022 hat ein Tor aufgemacht, hinter dem sich verschiedene Wege auftun. Jene first mover, die das Thema vorantreiben, sind gut beraten, jene außerhalb ihrer Bubble um kritische Fragen zu bitten – so, wie es der Herausgeber der New York Times, A.G. Sulzberger, in einem kürzlich veröffentlichten Interview empfiehlt: „Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass der Weg voran in jeglicher Phase gigantischer Transformation ist, Fragen zu stellen, die Antworten mit Skepsis zu betrachten und an keine Wunderwaffen zu glauben.“

Eine Kolumne kann das Für und Wider des Einsatzes generativer KI im Journalismus nicht erschöpfend behandeln. Aus der Fülle der Szenarien und Argumente sollen hier deshalb nur ein paar Themen angerissen werden, über die derzeit selten oder gar nicht gesprochen wird. Es geht sozusagen um die Black Box der Debatte.

Erstens: Alle reden über gefährdete Jobs, kaum jemand über Verantwortung und Haftung 

Der Einsatz generativer KI in Redaktionen ist deshalb so riskant, weil sie streng genommen im Widerspruch zum Kern des Journalismus steht. Journalismus bedeutet Faktentreue und Genauigkeit; so definierte es der Ausschuss zu Qualitätsjournalismus des Europarats. Wer es pathetischer mag, spricht von Wahrheit. Große Sprachmodelle, wie sie der GenKI zugrunde liegen, berechnen aber lediglich Wahrscheinlichkeiten. Ihr Ziel ist es, sich den Fakten möglichst weit anzunähern und damit im Zweifel Wahrheit zu simulieren. Bestehen Lücken, halluzinieren sie. Einem Großteil der Nutzer ist dies mittlerweile bewusst. Dies bedeutet aber auch, dass Journalisten sämtliche Fakten überprüfen müssen, bevor sie bei mit KI ergänzten Texten oder Illustrationen auf den Sendeknopf drücken. Eine Recherche des britischen Mediendienstes Press Gazette beschreibt entsprechende Prozesse rund um ein neues Tool namens Gutenbot, mit dem die Verlagsgruppe Reach ihre Reichweite steigert. Dem Bericht zufolge ist der Produktionsdruck immens. Wer aber haftet bei Fehlern? Sind es die Hersteller der Tools, die Verlage, oder die Redakteure am Ende der Kette? Während zum Beispiel beim Einsatz selbstfahrender Autos Haftungsfragen im Kern der Debatte stehen, werden sie im Journalismus kaum thematisiert. Dies ist jedoch zwingend, sobald KI-Experimente für den täglichen Gebrauch skaliert werden. Die Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut einer Medienmarke. Wer Gefahr läuft, sie zu ruinieren, sollte das Risiko kennen.

Zweitens: Es wird viel darüber gesprochen, was geht, aber wenig darüber, was das Publikum wirklich braucht 

Generative KI ermöglicht vieles, sekundenschnelle Übersetzungen in viele Sprachen gehören derzeit zu ihren stärksten funktionstüchtigen Features. Theoretisch könnte jedes Medienhaus seine Inhalte auf diese Weise im Rest der Welt verbreiten. Aber ist es wirklich das, worauf die Welt wartet? Tech-affine Journalisten und Manager sind schnell begeistert von neuen Tools und Formaten, doch manches davon lässt die Nutzer kalt. Man denke an komplizierte Multimedia-Produktionen, Nachrichten auf Abruf über smarte Lautsprecher, virtuelle Realität oder auch die simple Kommentarfunktion unter Onlinetexten. Der größte Teil der Journalismuskonsumenten zeigte kein Interesse daran (ebenso wie die sich ihrer Nutzer-Forschung gerne rühmenden Tech-Konzerne bislang weder smarte Brillen noch das Metaverse unter die Leute bringen konnten). Wie das Publikum reagiert, gehört bislang zu den großen Unbekannten in der KI-gestützten Medienwelt. Je bequemer zu nutzen, desto besser – das könnte eine Faustregel sein. Aber inmitten der Flut an (KI-fabrizierten) Inhalten und Deep Fakes könnte auch das Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit wachsen. Der Journalismus muss erforschen, was seinen Adressaten wirklich nutzt.   

Drittens: Es wird viel über Anwendungen gesprochen aber wenig darüber, was die dahinterliegende Technologie für Klima, Umwelt und Arbeitnehmer bedeutet

Generative KI verbraucht ein Vielfaches der Energie, die eine Google-Suche benötigt. Der CO2-Fußabdruck ist Fachleuten zufolge geschätzt fünfmal so hoch. Hinzu kommt der Wasserverbrauch in den Serverparks jener Tech Konzerne, über die die gängigsten Modelle laufen. Eine Studie des Data and Society Research Institutes beschäftigt sich nicht nur mit den Umweltkosten von generativer KI sondern auch damit, unter welchen Bedingungen Menschen die entsprechenden Modelle trainieren oder für Rohstoff-Nachschub sorgen. In den Medienhäusern herrscht dazu Schweigen. Chefredakteure, die noch vor Kurzem beim Klimajournalismus nachlegen wollten, schwärmen nun von den Möglichkeiten der KI. Nachhaltigkeit war gestern. Das ist einer Branche unwürdig, die verspricht, die Öffentlichkeit über Zukunftsfragen aufzuklären. Hier gilt die alte Regel, man muss nicht alles machen, was man machen kann. 

Viertens: Viele Redaktionen arbeiten an ethischen Regeln für den Gebrauch von KI, aber wenige thematisieren, was außerhalb ihres Einflusses liegt 

Mittlerweile gibt es in fast allen großen Medienhäusern ethische Regeln für den Einsatz von KI. Der Bayerische Rundfunk gehörte zu den ersten in Deutschland, die solche publik gemacht hatten. Im Detail unterscheiden sich die Dokumente, aber allen ist gemeinsam, dass sie sich um eine Balance zwischen Experimentierfreude und Risikobegrenzung bemühen. Das ist lobenswert. Aber wie wirksam werden solche ethischen Gerüste sein, wenn Mitarbeiter Software-Pakete nutzen, deren Vorgaben sie weder einsehen können noch verstehen würden? In den meisten Organisationen ist die Abhängigkeit von Microsoft Teams schon jetzt gewaltig. Die gegenwärtigen Co-Pilot-Funktionen dürften sich täglich verbessern. Auf manchem mit dem Smartphone aufgenommenen Foto ist der Himmel schon lange blauer als in Wirklichkeit. Da können Redaktionen noch so sehr beschwören, Bilder nicht zu verfälschen. Die Abhängigkeit von wenigen Tech-Konzernen ist auch im Kleinen immens, nicht nur im Großen, wenn es um Geschäftsmodelle geht. Felix Simon hat dieses Spannungsverhältnis in einem Report für das Tow-Center an der Columbia Universität gut beschrieben. Nicht jedes Haus wird es sich leisten können, eigene Sprachmodelle zu bauen. Da helfen nur branchenübergreifende Kooperationen. Die Zukunft der Medien wird auch davon abhängen, wie gut eine solche Zusammenarbeit klappt.   

Fünftens: Redaktionen betonen die Bedeutung von Menschen am Ende der KI-Produktionskette, aber was ist mit dem Anfang? 

Das Thema Vielfalt ist in den Medienhäusern in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden – und es fällt ihnen immer wieder vor die Füße. Bauern, die mit Traktoren die Auslieferungen von Zeitungen verhindern wollten, haben Chefredaktionen jüngst daran erinnert, dass Vielfalt nicht nur Gleichstellung der Geschlechter und ethnische Diversität bedeutet, sondern dass auch der Stadt-Land-Konflikt einiger Aufmerksamkeit bedarf. Wenn Redaktionen nicht gegensteuern, werden KI-getriebene Produkte Stereotype eher verstärken als brechen – oder sich beim Brechen vergreifen, so wie der kürzlich von Google zurückgezogene Bild-Generator, der zu viel Diversity abbildete. Auch Redaktionen, die den Grundsatz „Human in the loop“ beherzigen, werden es im Eifer des Gefechts schwer haben solche Fehlgriffe zu reparieren. Hinzu kommt, dass KI zunehmend ins Recruitment einziehen wird, zum Beispiel als Tool zum Sichten von Lebensläufen. Journalismus sollte die Gesellschaft abbilden, wie sie ist. Dieses Ziel muss stehen. Hoffentlich gibt es künftig ein paar KI-Tools, die dabei helfen. 

Ohnehin sollte KI im Journalismus Werkzeug bleiben und nicht zum Schöpfer werden. Um es mit A.G. Sulzbergers Worten aus dem zuvor zitierten Interview zu sagen: „Unser Vorteil ist, dass wir von Menschen geführte Unternehmen sind, in denen Journalisten von den besten Redakteuren unterstützt werden und die Redakteure von den höchsten Standards. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Werkzeuge immer für uns arbeiten, und dass wir mit unseren Namen dahinterstehen, statt ihnen ein Eigenleben zu gewähren, wie wir das andere haben tun sehen.“ 

Auch jeder Hype hat ein Eigenleben. Umso wichtiger ist es zu definieren, was Journalismus in der KI-Zukunft leisten soll.  

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 27. Februar 2024.

Lachen ist konstruktiv – auch in der Klimakrise

Darf man herzhaft lachen, auch wenn die Lage ernst ist? Ja, denn genau in diesen Situation kann Humor dem Journalismus helfen, Formate auch für Laien interessant zu machen. Ein Plädoyer für mehr Humor – im Alltag und Beruf.

Weltuntergang funktioniert selten. Forschung belegt, dass Journalismus zum Thema Klima Menschen eher beeinflusst, wenn er nicht nur die vielfältigen Themen dazu beleuchtet, sondern auch ein paar Lösungen parat hält . Ohnehin wünschen sich insbesondere diejenigen, die sich von Nachrichten eher fernhalten, mehr Angebote, die Hoffnung machen und erklären, als solche, die wieder und wieder das gleiche Drama beschwören. Dies belegt auch der Digital News Report 2023 des Reuters Institutes in Oxford. Aber wie ist das mit Humor? Darf man herzhaft lachen, auch wenn die Lage ernst ist?

Man könnte sich die Erlaubnis posthum bei großen Humoristen holen. In der 1942 erschienenen Komödie „Sein oder Nichtsein“ ließ der Regisseur Ernst Lubitsch seine Darsteller sogar über Konzentrationslager witzeln, während draußen der Weltkrieg tobte. Aber es geht nicht nur darum, dass man scherzen darf – unter Beachtung von ein paar Regeln natürlich. Es spricht vieles dafür, dass Humor Menschen besonders effektiv zum Handeln anregt. Witze bringen unangenehme Wahrheiten auf leichte Art ans Licht, sie halten Menschen einen Spiegel vor, ohne sie anzuklagen und laden gerade deshalb zum Nachdenken ein.

 

Über sich selbst lachen, statt Schuldgefühle hegen 

Das funktioniert auch beim Thema Klima. Matt Winning ist ein schottischer Umwelt-Ökonom. Nach Feierabend betritt er Londoner Bühnen häufig als Stand-up Comedian; seit ein paar Jahren verbindet er Hobby und Beruf. „Wir müssen Inhalte für Menschen machen, für die wir keine Inhalte machen“, sagte er in einem Interview für den Report „Climate Journalism That Works: Between Knowledge and Impact“.

 

Seine Shows seien weniger für Umwelt-Fachleute, -Aktivisten und -Politiker gedacht als vielmehr für jene Menschen, die sich mit Klimaschutz bislang eher am Rande beschäftigt haben. Es berühre ihn, wenn solche Gäste am Ende der Show noch ein wenig blieben, um ihm dann zu sagen, sie hätten jetzt ihr Auto abgeschafft, auf den Flug in die Sommerferien verzichtet oder sich über Wärmepumpen informiert. In seinem Buch „Hot Mess: What on earth can we do about climate change?” versucht Winning, Menschen das Thema auf spielerische Weise nahezubringen.  

 

Ähnliches probieren Maxwell Boykoff und seine Kollegin Beth Osnes an der University of Colorado in Boulder aus. Sie hatten das Projekt „ Inside the Greenhouse“ als Kooperation der Fakultäten Theater und Umweltpolitik initiiert. Erste Erkenntnisse daraus veröffentlichten sie 2019 in einem wissenschaftlichen Artikel: Ein komödiantischer Angang ans Thema Klima helfe Studierenden dabei, ihre eigenen Gefühle, insbesondere Ängste zu konfrontieren, damit kreativ umzugehen und bessere Klima-Kommunikatoren zu werden.

Warum Humor auch die Arbeitswelt entlasten kann

Die Professorinnen Jennifer Aaker und Naomi Bagdonas unterrichten das Fach Humor im Management an der Stanford Business School. In ihrem Buch „Humour, Seriously – Why Humour is a Secret Weapon in Work and in Life” beschreiben sie, welche Rolle Fröhlichkeit beim Erreichen von (geschäftlichen) Zielen spielen kann. Humor stifte Gemeinschaft, stärke die Fähigkeiten, Probleme zu lösen und die Resilienz. Führungskräfte, die über sich selbst lachen könnten, wirkten nahbar und authentisch.

Im Journalismus schätzen vor allem junge Leute humoristische Formate. Ihnen ist es wichtig, dass Inhalte nützlich sind, sie haben es aber gerne auch spaßig. Eine 2021 veröffentlichte Studie der Annenberg School for Communication an der University of Pennsylvania ergab, dass sich die jungen Konsumenten Nachrichten besser merken konnten, wenn sie humoristisch präsentiert wurden. Beim Lachen würden mehr Gehirnregionen aktiviert. Der Aufstieg von TikTok als Kanal für die Nachrichten-Vermittlung – auch dokumentiert im jüngsten Digital News Report – zeigt, wie schnell sich eine auf leichtere Kost spezialisierte Plattform durchsetzen kann.

Natürlich wird Humor immer nur eine ergänzende Kommunikationsform sein. Dies ist schon allein deshalb der Fall, weil nur wenige das Fach beherrschen. Eine Grundregel ist zum Beispiel: Humor funktioniert, wenn man nach oben oder unter Gleichgestellten austeilt. Wer sich über Schwächere lustig macht, langt höchstwahrscheinlich daneben – weshalb das Witzeln für Chefinnen und Chefs eine Gratwanderung ist. Worüber jemand lacht und welche Witze er oder sie macht, verrät in jedem Fall viel über den Charakter. Wie Aaker und Bagdonas schreiben: „Humor ist eine Art von Intelligenz, die man nicht vortäuschen kann.“

Dieser Text erschien zuerst am 23. Juni 2023 als Gastbeitrag zum Constructive World Award bei Focus online. 

So kann Klimajournalismus den Journalismus nachhaltiger machen

Ein sehr geschätzter ehemaliger Kollege reagierte kürzlich etwas verschnupft auf die Ankündigung, demnächst erscheine ein großer Report zum Thema Klimajournalismus. „Klimajournalismus – was ist das? Journalisten sind keine Aktivisten“, kommentierte er einen entsprechenden LinkedIn-Post. Dieser Kollege hat sich Zeit seines Berufslebens mit der Autoindustrie beschäftigt. Er tut das kritisch, kompetent, exzellent vernetzt und mit Begeisterung für das Fachgebiet. Kaum jemand würde ihm dafür Aktivismus vorwerfen. Reportern, die über Klimaschutz berichten, geht dies anders. Auch wenn sie dies nur am Rande tun, zum Beispiel im Kontext eines Wetterberichts, findet sich immer jemand, der ihnen eine politische Agenda unterstellt. 

Das macht eine ohnehin komplizierte Sache nicht einfacher, selbst wenn sich die Führungsetage gegen solche Anwürfe verwahrt. „Wir haben keine Agenda. Der Klimawandel ist so offensichtlich geworden. Selbst den größten Kritikern ist klar, dass da etwas passiert“, sagt zum Beispiel der ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke in einem Interview für den oben erwähnten Report „Climate Journalism That Works – Between Knowledge and Impact“, der von der European Broadcasting Union in Auftrag gegeben wurde und in der vergangenen Woche erschienen ist (Disclaimer: Ich bin Lead-Autorin dieses Reports). 

So wie Gniffke reagierten viele Interviewpartner. Man berichte die Fakten, auf jeden Fall. Das ist verständlich, denn wer würde schon zugeben, eventuell eine Schere im Kopf zu haben, weil der Ruf der Überparteilichkeit auf dem Spiel steht? Für die öffentlich-rechtlichen Medien, die dieser verpflichtet sind, ist das eine spezielle Herausforderung. 

Da hilft es womöglich, wenn Führungskräfte sich und anderen vor Augen führen, dass eine Investition in Klimajournalismus und eine entsprechende Strategie in jedem Fall nutzt – und sei es, um das gesamte journalistische Angebot und damit die Organisation nachhaltiger zu machen. Denn gerade, weil Klimajournalismus so komplex ist, lassen sich die Lektionen, die Redaktionen daraus lernen können, auch auf andere Felder anwenden. Dies ist das Fazit des Reports, der sieben solcher Vorteile herausgearbeitet hat:

Erstens: Beim Klimajournalismus geht es um die Zukunft. Der heutige Journalismus steckt allzu häufig in der Gegenwart fest. Er muss Strategien entwickeln, um seine Legitimität in der Aufmerksamkeitsökonomie zu steigern. Dies gilt besonders für öffentlich-rechtliche Medienhäuser, denen die Daseinsberechtigung von verschiedenen politischen Lagern abgesprochen wird. Wer, wenn nicht sie sollte den Auftrag haben, zum Schutz der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten durch besseren Journalismus beizutragen? Damit würden die Sender auch den besonderen Ansprüchen der jungen Generation gerecht. Es ist vor allem ihre Zukunft.

Zweitens: Klimaschutz braucht Hoffnung. Nur damit bringt er Menschen zum Handeln. Der heutige Journalismus konzentriert sich dagegen meist auf Konflikte, Versäumnisse und Fehlschläge. Konstruktiver und lösungsorientierter Journalismus bieten einen Weg in die Zukunft. Das Drive-Projekt der DPA und der Beratung Schickler, in dem 21 deutsche Regionalverlage ihre Daten zur Verfügung stellen, hat kürzlich belegt, dass inspirierende Stücke die wertvollsten Digital-Inhalte sind, wenn es um Abo-Abschlüsse geht. In der vergangenen Woche widmete sich der gesamte Journalismustag der Gewerkschaft Verdi dem konstruktiven Journalismus.  

Drittens: Im Klimaschutz zählt das, was getan wurde. Der heutige Journalismus konzentriert sich noch zu sehr auf das, was gesagt wurde. Dabei lässt der „Er hat gesagt, sie hat gesagt“ Journalismus, der vor allem die Politikberichterstattung dominiert, die meisten Nutzer eher kalt. Moderner Journalismus sollte stärker auf Daten als auf Zitaten aufbauen.

Viertens: Ein funktionierender Klimajournalismus nähert sich dem Publikum mit Respekt und in einer Sprache, die es versteht. Der heutige Journalismus erhebt sich oft besserwisserisch über sein Publikum. Viel zu häufig mahnt oder warnt er, statt zu erklären und aufzudecken. Viele Nutzer fühlen sich davon bevormundet oder dazu gedrängt, in Lagerkämpfen Partei zu ergreifen. Dabei muss Journalismus vielfältiger und inklusiver werden, wenn er Menschen erreichen, begeistern und zum Handeln bringen möchte. Das gilt für Formate und Protagonisten.

Fünftens: Klimajournalismus muss im Lokalen verankert sein. Der heutige Journalismus strebt dagegen zu oft nach Reichweite und vernachlässigt dabei die besonderen Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Um sich unverzichtbar zu machen, sollte Journalismus seine Bedeutung als gemeinschaftsbildende Institution zurückgewinnen. Wer ein Medienprodukt nutzt oder gar abonniert, tut dies oft, um dazuzugehören. 

Sechstens: Klimajournalismus muss Wirkung zeigen, sonst ist er sinnlos. Er sollte deshalb seine eigenen Praktiken reflektieren und Erkenntnisse aus der Forschung nutzen, insbesondere aus den Kommunikationswissenschaften und der Psychologie. Journalismus tut dies noch viel zu selten. Journalisten sind üblicherweise neugierige Menschen, aber oft erstaunlich veränderungsresistent. Medienhäuser könnten viel gewinnen, zeigten ihre Führungskräfte und Mitarbeitenden mehr Freude am Lernen und strategischen Denken.

Siebtens: Klimajournalismus profitiert von Zusammenarbeit. Dies gilt für die interne Vernetzung von Ressorts und Regionen sowie extern für die Kooperation mit anderen Medienhäusern oder Partnern, die zum Beispiel Daten liefern. Im heutigen Journalismus dominiert noch viel zu oft altes Konkurrenzdenken. Dabei ließen sich über Kooperationen so viele Potenziale heben. Der Journalismus der Zukunft ist kollaborativ.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 7. März 2023. Um aktuelle Kolumnen dort zu lesen, braucht man ein Medieninsider-Abo. 

Achtung, Chefredaktionen, jetzt geht es um Wirtschaft

Die Frage ist offen, ob der Wirtschaftsjournalismus die Welt je vor Schlimmem bewahrt hat. Schließlich konnte er weder die Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende verhindern noch die Immobilienblase vom Platzen abhalten, die 2008 zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren geführt hatte. Auch der deutschen Wirtschaftsjournalismus hat stets vor allem in der Rückschau brilliert. Man bekam im Nachhinein ausführlich erklärt, warum Subprime-Immobilienkredite Teufelszeug sind, warum das mit dem Investment in die T-Aktie nichts werden konnte und wie der Betrügerkonzern Wirecard systematisch alle hinters Licht geführt und unzählige Menschen um Jobs und Ersparnisse gebracht hat. In diesem Fall war das besonders peinlich, weil sich die hiesige Zunft vor dessen Pleite mit breiter Brust vor den im Dax gelisteten Konzern und gegen einen einsamen Rechercheur der britischen Financial Times gestellt hatte. Sollte es so etwas wie Sternstunden des Journalismus geben, war dies eine besonders wolkenverhangene Nacht. 

Aber all das ist Zeug von gestern und sollte Ansporn sein, es besser zu machen. Denn – Achtung Chefredaktionen – was während der Pandemie der Wissenschaftsjournalismus war, wird demnächst der Wirtschaftsjournalismus sein. Der bedrohte Weltfrieden mit seinen Energie- und Verteilungskonflikten, die Inflation, der Klimawandel – all dies verlangt wirtschaftspolitischen und betriebswirtschaftlichen Sachverstand in Redaktionen. Anders gesagt: Eine neue Talente- und Investitionslücke tut sich auf. Jedes Medienhaus sollte hier nachlegen, für Gründer ergeben sich neue Chancen.

Aber was wird jetzt wichtig? In Deutschland hat der Wirtschaftsjournalismus mehrere Phasen durchlaufen.

Servierten Wirtschaftsteile jahrzehntelang vor allem gepflegte Langeweile für Eingeweihte, läuteten Zeitschriften wie das Manager Magazin in den 90ern die Zeit der Heldenverehrung ein (von Heldinnen erfuhr man lange nichts). Konzernchefs waren deren Rockstars, ihre Aufstiege und Niederlagen wurden gefeiert beziehungsweise genüsslich zelebriert. Was sie sagten, bedeutete Wahrheit.

Mit der New Economy traten um die Jahrtausendwende die jungen, ebenso männlichen Wilden auf die Bühnen, denen man ihre Stories nur zu gerne abkaufte. Auch Deutschland kann gründen, war die Botschaft – und viele Journalisten wurden gebraucht, um sie zu vermitteln. Wer damals als Reporter keinen Job fand, war selbst schuld. Allerdings stellte man fest, dass der frische Wind zwar viele Redaktionsbüros, noch nicht aber die Leser erreicht hatte.

In der Folge machte sich der Nutzwert-Journalismus in den Wirtschaftsteilen und -sendungen breit. Mit dem Einzug der Millennials in Unternehmen, Organisationen und Redaktionen begann eine neue Phase, die sich mit „meine Karriere und ich“ umschreiben ließe. Der Wirtschaftsjournalismus verbreiterte sich noch einmal, es ging um „New Work“, mobbende Chefs und allgemeine Lebensberatung, zunehmend kamen auch Frauen vor. 

In den sozialen Netzwerken, in denen sich die Ressorts bekanntlich auflösen, lassen sich heute die Reste von all dem besichtigen (mit Ausnahme der Langeweile, da reagieren Algorithmen allergisch). Nutzwert schreibt Abos, gutes Storytelling erhöht die Lesezeit, die Alpha-Männer kommen immer noch zu Wort, aber jetzt dürfen auch Expertinnen reden. Ergänzt wird das Ganze durch investigativen Wirtschaftsjournalismus, der oft in der Parallelwelt der Investigativ-Ressorts entsteht, und den Erklär- und Einordnungsjournalismus a la Brand Eins, der interdisziplinär und konzeptionell denkt. In der digitalen Häppchen-Welt ist das eine Herausforderung. Aber wie kann der Wirtschaftsjournalismus sich zum unverzichtbaren Begleiter in Krisenzeiten mausern? Hier sind sieben Strategien:

Der Funktionärsjournalismus gehört aufs Altenteil 

Schlagzeilen à la „So eine Katastrophe hat Deutschland noch nie gesehen“, die einen Verbands- oder Konzernchef wiedergeben, sollten kritisch überprüft werden. In Zeiten knapper Ressourcen ist schließlich jeder, der Verantwortung trägt, ein Chef-Lobbyist, der das Beste für den eigenen Laden herausholen muss. Das weckt – womöglich berechtigte – Ängste beim Publikum, lässt es aber damit allein. Auch im Wirtschaftsjournalismus ist viel mehr konstruktiver Journalismus gefragt, der erklärt und in Szenarien denkt. 

Erklärung und historische Einordnung ist Pflicht 

Hier fehlt es Wirtschaftsredaktionen jedoch zunehmend an Fachkräften. In den Redaktionen sind die Volks- und Betriebswirtschaftler oder Wirtschaftshistoriker den Allroundern gewichen, die schnell ein ordentliches Nutzwert-Stück zusammenschreiben können, denen aber oft Hintergrundwissen und Erfahrung fehlen. In Krisenzeiten wird es kniffelig, da werden Spezialisten gebraucht, die Fachliches übersetzen können. Das können entsprechend ausgebildete junge Talente sein aber auch Kollegen, die sich längst in den Ruhestand verabschiedet haben. Es empfiehlt sich, für den Ernstfall ein paar Telefonnummern bereitzuhalten.

Service-Journalismus bleibt, Investigativ-Journalismus muss (wieder-)kommen

Journalisten beider Ausprägungen betrachten sich häufig mit einer gewissen Distanz. Während sich die auf Service spezialisierten Kollegen zuweilen verkannt fühlen, weil ihre Beiträge zwar erfolgreich sind, aber redaktionsintern wenig geliebt werden, fühlen sich die Investigativ-Kollegen missachtet, weil ihre Stücke zwar Journalistenpreise, aber kaum Abos abräumen. Richtig ist, dass beide Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger sind. Beide klären auf, in beide muss investiert werden. So manch eine Service-Geschichte ändert sich nach einer investigativen Recherche (siehe Geldanlage), so manch eine investigative Recherche wird aus einer Service-Geschichte geboren (wer profitiert von der Masken-Pflicht?). Kommunikation und gegenseitige Wertschätzung hilft. 

Helden-Erzählungen aller Art sind mit Vorsicht zu transportieren

Eine empathisch erzählte Story über einen coolen Typen mag inspirieren, aber der Held von heute kann die beleidigte Leberwurst von morgen sein – Fynn Kliemann lässt grüßen. Und selbstverständlich ist es Pflicht, jedes noch so gehypte Start-up kritisch abzuklopfen: Braucht man das, oder kann das wegbleiben? Ist das Mehrwert oder nur Marketing, ethisch oder nur egomanisch? Distanz bleibt Journalisten-Gebot, so sehr die Szene der Gründer auch jammern mag.  

Vielfalt der Formate wird zentral, vor allem Visualisierungen 

Zwar hat der jüngste Digital News Report ergeben, dass Text immer noch die beliebteste Vermittlungsform für Journalismus ist. Es gibt aber etliche Zielgruppen, die sich durch Videos, Grafiken, Datenjournalismus oder andere Visualisierungen stärker angesprochen fühlen und komplexe Zusammenhänge so leichter verstehen. Eine Generation, die mit YouTube-Tutorials lernt, quält sich nicht gerne durch Wortwüsten. Andere brauchen einen entspannten Podcast mit einer Expertin, der sie vertrauen oder womöglich ein Comedy-Format. Die Pandemie hat gezeigt, was im Wissenschaftsjournalismus möglich ist, das kann auch der Wirtschaftsjournalismus schaffen. Preisfrage: Wer wird der Christian Drosten der Inflation?

Wirtschaftsjournalismus braucht noch sehr viel mehr Vielfalt 

Früher haben die meisten Wirtschaftspublikationen nicht viel dabei gefunden, dass 90 Prozent ihrer Leser Männer waren. Das war, als die Einnahmeseite noch stimmte. Aus dem Blickwinkel von Demokratie und Aufklärung war diese Strategie schon immer zweifelhaft. Heute kann es sich kein Haus mehr leisten, auf potenzielle Nutzergruppen zu verzichten, schon gar nicht auf Nutzerinnen. Und angesichts der Bedrohung von Wohlstand, Ernährung und Frieden sollte es im Interesse aller Medien liegen, auch Menschen zu erreichen, die sich durch die gegenwärtige Informationslandschaft nicht repräsentiert fühlen oder Ehrfurcht vor komplexen Themen haben. Das wird sich nicht für alle Häuser lohnen, aber wer den Titel der vierten Gewalt für sich in Anspruch nimmt, darf sich schon mal etwas reinhängen. 

Jeder Journalismus muss Klimajournalismus werden – der Wirtschaftsjournalismus ganz besonders

Welche Prozesse und Produkte können wir uns in Zukunft noch leisten, wer macht mit Blick auf den Klimawandel seine Hausaufgaben, wer duckt sich weg, und was kostet das alles? Diese Fragen sollten alle Journalisten stellen, ganz gleich, um welches Ressort es geht. Jetzt, wo die wissenschaftlichen Grundlagen einigermaßen etabliert sind, kommt dem Wirtschaftsjournalismus eine besondere Rolle zu. Es geht um wirksame Strategien gegen den Klimawandel, um effektive und gerechte Politik, darum, wie sich Unternehmen und Verbraucher verhalten können. Es wächst eine Generation von Nutzern heran, die ahnt, dass sie morgen ausbaden muss, was heute versäumt wird. Diese Generation braucht Unterstützung. Guter Wirtschaftsjournalismus kann Klimapolitik auf ihre wirtschaftlichen Folgen und Wirtschaftspolitik auf ihre Folgen fürs Klima abklopfen. In der Pandemie galt und gilt: Ein krankes Volk schafft keine gesunde Wirtschaft. Beim Klimaschutz ist das ähnlich. Ohne funktionierende Lebensgrundlagen ist alles Wachstum nichts. Guter Wirtschaftsjournalismus muss deshalb nachhaltiger Wirtschaftsjournalismus werden. 

Diese Kolumne erschien am 18. Juli 2022 bei Medieninsider. Zum Lesen neuer Kolumnen ist ein Abo nötig.   


Klimajournalismus, der wirkt – Was Redaktionen tun können

In vielen Redaktionen gilt der Ausbau des Klimajournalismus als Pflicht, nicht aber als Chance. Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass so wenige Medienhäuser eine Klimastrategie haben. Auf dem Constructive Journalism Day 2022 von NDR Info und Hamburg Media School habe ich darüber gesprochen, warum der Klimajournalismus große Potenziale birgt, den Journalismus insgesamt in die Zukunft zu bringen.  

Viele Menschen haben gerade wieder eine große Dosis Klimajournalismus zu sich genommen. Für manch einen fühlte es sich womöglich wie eine Überdosis an. Der Klimagipfel in Sharm-El-Sheik beherrschte tagelang die Schlagzeilen. Und wir lernten aus den Medien: Es war eine Katastrophe. Es sei „weniger als nichts“ erreicht worden, so der Titel eines Kommentars in der Süddeutschen Zeitung. Hinzu kommen die Proteste junger Menschen, die sich in ihrer Wut an Straßen festkleben oder Kunstwerke zerstören. Auch darüber wurde in allen Facetten berichtet. Ist das gut?

Es ist wichtig, ja. Aber die Debatten über die Proteste oder auch der große Aufschlag bei Events wie COP27 verschleiern, dass es viele Gründe gibt, beim Thema Klima auch zuversichtlich zu sein.

  • Forscher sagen, die Energiewende ist kein technisches Problem mehr und auch kein Preis-Problem. Es ist ein politisches Problem – immerhin.

  • Es werden praktisch täglich neue Lösungen erfunden, eine lebendige Start-up-Szene ist rund um grüne Technologien, Produkte und Dienstleistungen entstanden.

  • Die meisten Branchen beschäftigen sich intensiv mit Klima-Innovationen, Fonds schichten ihre Portfolios um, Verschmutzer steigen auf klimaschonende Techniken um, selbst Flugzeugturbinen-Hersteller haben eine Klimastrategie.

Nur der Journalismus nicht. Für den EBU News Report der European Broadcasting Union – der weltweit größten Vereinigung öffentlich-rechtlicher Medienhäuser – recherchieren wir seit Monaten in Redaktionen, interviewen Chefredakteure, Forscher, anderen Experten. Unsere Erkenntnis ist: Gerade mal eine Handvoll Redaktionen hat sich strategisch mit dem Thema beschäftigt.

Wenn man so argumentiert, hört man hier und dort: Was andere Branchen machen, das sei doch oft nur Greenwashing. Das mag in einigen Fällenstimmen. Aber wer böse sein will, könnte sagen: Journalismus bekommt oft nicht einmal Greenwashing hin.

Der Journalismus hinkt beim Thema Klima anderen Branchen hinterher. Warum ist das so?

  • Im Journalismus hat man Angst, als parteiisch, aktivistisch wahrgenommen zu werden. Eine kleine, lautstarke Minderheit der Skeptiker gibt den Ton an. Man unterschätzt sein Publikum. Die Mehrheit ist nämlich längst weiter, wie Umfragen belegen. Die meisten Menschen kennen das Problem – zumindest intuitiv – und wollen, dass etwas passiert.

  • Der Druck ist gering. Viele Verlage sind mittelständisch, Sender sind öffentlich-rechtlich strukturiert. Redaktionen sind nicht an der Börse notiert, Pensionsfonds können keine Gelder abziehen, wenn beim Thema Nachhaltigkeit geschlafen wird. Anderes hat Priorität, der Kostendruck tut ein übriges.

  • Klimajournalismus wird als ein Thema unter vielen missverstanden. Dabei muss der Schutz der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten eine Haltung sein, der sich Journalismus verpflichtet – so wie auch der Demokratie oder den Menschenrechten. Das Klima darf nicht nur Objekt sein, dass man beobachtet und beschreibt. Es muss die Kulisse sein, vor der das Leben spielt. Es sollte jedes Storytelling definieren.

Das Thema Klima ist eine Chance für den Journalismus, denn es deckt seine großen Defizite auf:

 

  • Klima ist ein Zukunftsthema. Der Journalismus klebt am Jetzt. Der Fokus liegt auf der schnellen Nachricht, dem Tagesgeschäft. Umfragen zeigen: Es wird zu viel gemeldet, zu wenig erklärt.

  • Klimaschutz braucht Hoffnung. Der Journalismus von heute legt den Fokus auf Drama, Versäumnisse, Misserfolge. Das drückt sich auch in der Sprache aus. Journalismus warnt, droht, macht Angst.

  • Im Klimaschutz zählt, was getan wird. Der Journalismus von heute fokussiert auf das, was gesagt wird. Die Überproduktion beim „Er hat gesagt, sie hat gesagt“ Journalismus lässt die Menschen oft verwirrt, leer, gelangweilt zurück.

  • Journalismus, der wirkt, nähert sich den Menschen auf Augenhöhe an in einer Sprache, die sie verstehen. Der Journalismus von heute erhebt sich oft besserwisserisch über sie – vor allem, wenn er sich Qualitätsjournalismus nennt.

  • Journalismus, der wirken möchte, respektiert sein Gegenüber und setzt auf Vielfalt, auch in der Ansprache des Publikums. Der Journalismus von heute kommt oft aus dem Zeitalter der Massenmedien, wo ein Format alles erschlagen musste.

  • Journalismus, der wirken möchte, reflektiert eigene Praktiken und macht sich Forschung zunutze. Heute sind viele Redaktionen fast noch stolz darauf, akademisches Wissen zu ignorieren. Dabei gibt es viel Wissen darüber, wie Kommunikation auf Menschen wirkt.

Aber kann Journalismus, der nicht wirkt, starker Journalismus sein?

Um eine Wirkung zu erzielen, muss man sich mit seinem Publikum beschäftigen. Spannend ist: Die Formate, die Journalistenpreise gewinnen, kommen nicht unbedingt beim Publikum an – und umgekehrt. Die wirkungsvollen Formate gewinnen keine Preise.

Was nun ist wirkungsvoller Klimajournalismus, was wissen wir aus der Forschung?

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus konzentriert sich aufs Jetzt und Hier konzentriert statt auf die ferne Zukunft, wenn er das Problem beschreibt. Er verankert das Thema da, wo die Menschen leben.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus malt auch die Möglichkeiten einer guten Zukunft aus, zeigt: Was wird gewonnen, statt immer nur zu betonen, was verloren wird, was zu opfern ist. Es geht um die Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftssystems. Der Klimajournalismus-Experte Wolfgang Blau nennt es den größten Umbau seit dem Zweiten Weltkrieg.

  • Klimajournalismus wirkt, wenn er konstruktiv und lösungsorientiert ist, statt immer nur die Apokalypse an die Wand zu malen. Wenn man Menschen ins Gespräch bringen und nicht in die Flucht schlagen will, funktioniert sogar Humor besser als ständiger Alarm. Wissenschaftler beschäftigen sich bereits mit der Wirkung von Comedy in der Klimakommunikation.

  • Klimajournalismus kann wirken, wenn er Menschen Wirkmacht verleiht, statt sie zu Opfern oder zumindest Betroffenen zu machen, wie das fast durchweg in den Nachrichten geschieht. „Agency“ ist das englische Wort dafür.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus bedient verschiedene Zielgruppen so, dass sie zuhören. Er nimmt zur Kenntnis, dass der Botschafter oft wichtiger ist als die Botschaft selbst. Der Botschafter ist im besten Fall eine Person mit hohen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitswerten. Er berücksichtigt auch, dass Faktenfülle die Empathie nicht ersetzt.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus ist starker Journalismus. Redaktionen sollten sich dabei nicht zu sehr mit nebensächlichen Details beschäftigen. Ein Sprachkorsett wird nicht gebraucht. Was wichtig ist: Tiefe, Recherche, Faktentreue, starke Bilder – vor allem auch starke Bilder von Lösungen. Was nie wirkt: Bilder von „Männern in Anzügen“, wie eine norwegische Chefredakteurin sagte.

  • Wirkungsvoller Klimajournalismus braucht eine glaubwürdige Basis. Medienhäuser sollten ihre Hausaufgaben machen, an ihrer CO2 Neutralität arbeiten. Und das ist womöglich die größte Herausforderung. Aber wer flammende Kommentare verfasst aber Klimaschutz nicht erkennbar lebt, wird schnell als Heuchler enttarnt.

Mark Hertsgaard, Mit-Gründer der Plattform „Covering Climate Now“ an der New Yorker Columbia University, sagte: „Wenn wir die Medienbranche nicht transformieren, wird keine andere Branche transformiert werden.“ Man mag da eine gewisse Hybris heraushören. Aber wahr ist, dass nur stetiger öffentlicher Druck alle Beteiligten anspornt, das Thema endlich anzupacken.

Klimajournalismus hat das Zeug dazu, den Journalismus in die Zukunft zu bringen. Es ist allerhöchste Zeit dafür, diese Chance zu nutzen – für das Klima und den Journalismus.