Corona als Vertrauens-Booster – Was Redaktionen jetzt tun können

Man hört das immer wieder, die Frage kommt von Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und anderen, die sich um den Fortbestand der Medienlandschaft in der Demokratie sorgen: Was sich denn tun ließe, um das so dramatisch gesunkene Vertrauen in die Medien wieder aufzupäppeln? Das Anliegen ist ehrenwert, es hat nur einen Haken: Es baut auf einer falschen Diagnose. In den meisten Ländern ist das Medienvertrauen in den letzten Jahren gar nicht so stark eingebrochen, wie viele dies frei nach Bauchgefühl behaupten. Für Deutschland hat die Universität Mainz jetzt sogar das Gegenteil belegt: Laut der in dieser Woche veröffentlichten vierten Ausgabe der Langzeitstudie Medienvertrauen haben seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015 noch nie so viele Bürger*innen dem Journalismus so viel Glaubwürdigkeit zugebilligt wie im vergangenen Jahr. Die Erklärung liegt nahe. Während der Pandemie suchen viele Menschen verlässliche Informationen, und sie trauen den traditionellen Redaktionen dabei offensichtlich am meisten zu.

Der Mainzer Studie zufolge gaben 56 Prozent der Befragten an, den Medien in wichtigen Themen zu vertrauen, in den Vorjahren waren dies jeweils zwischen 41 und 44 Prozent. Der Anteil derjenigen, die dem Lügenpresse-Vorwurf folgen, ist dagegen auf einen Tiefstand gesunken. Zwei Drittel weisen ihn ausdrücklich zurück. Die Forscher*innen räumen zwar ein, dass sich diese Werte in den zurückliegenden Monaten geändert haben könnten – die Daten wurden im November und Dezember 2020 erhoben, als die Kritik am staatlichen Pandemie-Management noch deutlich verhaltener klang. Dennoch bestätigen die Ergebnisse eine in diversen Studien gewonnene Erkenntnis, die selbst zu vielen Medienschaffenden nicht durchdringt: Ein allgemeiner Vertrauensschwund in den Journalismus ist nicht oder meist nur in der Varianz weniger Prozentpunkte festzustellen. Aber was ist das Problem dann, und was bedeutet die immer wieder beschworene Dramatik? Mehrere Dinge spielen eine Rolle:

Erstens, das Vertrauen in Medien mag zwar allgemein einigermaßen stabil sein, aber die Lautstärke der kritischen Minderheit nimmt zu. Und es bleibt nicht immer bei verbalen Pöbeleien online und offline: Journalist*innen auch in Deutschland werden zunehmend tätlich angegriffen und bei der Arbeit behindert. In den Niederlanden rückte das öffentlich-rechtliche Fernsehen nach Angriffen schon in neutralen Fahrzeugen aus, um sich nicht zu offensichtlich zur Zielscheibe zu machen. Hinzu kommen Influencer wie Rezo, die öffentlichkeitswirksam mit etablierten Medien abrechnen. Wird das dann geteilt, gilt das schon als Zustimmung, auch wenn sich dahinter vor allem Voyeurismus verbirgt.

Zweitens, in vielen Ländern schlägt sich eine starke politische Polarisierung auch im Medienvertrauen nieder. Sehr deutlich zeigt sich dies in den USA, wo diejenigen, die sich politisch eher „links“ verorten, auch dem Journalismus gute Noten ausstellen, diejenigen aus dem republikanischen Lager dies aber eher nicht tun oder maximal für Rupert Murdochs Fox News ihre Hand ins Feuer legen würden. Ein Durchschnittswert über beide Lager genommen, sagt dann relativ wenig über die tatsächliche Lage aus. Der Digital News Report des Reuters Institutes hat dies in mehreren Jahren gut abgebildet.

Drittens, das Medienvertrauen geht Hand in Hand mit dem Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen – und auf diesem Wege bei Gelegenheit auch mal steil bergab. Diverse Umfragen belegen, dass in politisch besonders konfliktreichen Jahren auch das Vertrauen in die Medien schwindet und manchmal eine Weile braucht, um sich wieder zu erholen. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind ein Beispiel für einen besonders drastischen Vertrauenssturz. Hart umkämpfte Wahlen verschärfen die Polarisierung und resultieren oft in einer Vertrauensdelle, auch Einzelereignisse – siehe die Kölner Silvesternacht und ihre mediale Aufarbeitung – können dazu führen.

Viertens heißt dies aber auch, dass Redaktionen das Vertrauen der Menschen in ihre Erzeugnisse nicht so nachhaltig beeinflussen können, wie sie sich dies erhoffen. Manch politische und gesellschaftliche Entwicklung wiegt schwerer als die Qualität des Journalismus. Man könnte sogar von einem Paradox sprechen: Je stärker sich Journalismus mit politischen Zerwürfnissen und Verwerfungen beschäftigt, umso fragiler kann das Vertrauen werden. Wird die Leistungsfähigkeit von Institutionen insgesamt angezweifelt, schadet das der Institution Journalismus gleich mit. Reporter*innen, die sich nur auf Streit fixieren, sägen also an dem Ast, auf dem sie sitzen.

Fünftens, die Medien müssen natürlich trotzdem gegensteuern: Bessere Erklärungen, mehr Transparenz die eigene Arbeit betreffend, interaktive Formate, die Bürger*innen einbeziehen und nahbare Journalist*innen tragen dazu bei, dass sich die Bürger*innen von ihren Medien ernst genommen fühlen. Am besten gelingt dies in Deutschland laut der Mainzer Studie nach wie vor den öffentlich-rechtlichen Sendern, die für 70 Prozent der Nutzer*innen vertrauenswürdig sind, gleich danach folgen Lokal- und Regionalzeitungen. Überregionale Marken bekommen von etwa jedem zweiten einen Vertrauensbonus. Pandemie hin oder her, an der Gewichtung hat sich über die Jahre kaum etwas geändert.

Sechstens, das eigentliche Problem für den Journalismus ist nicht der Vertrauensverlust. Es ist der Verlust an Relevanz für das tägliche Leben – und den hat er sich auch selbst zuzuschreiben. Im globalen Durchschnitt gibt schon etwa jede*r Dritte an, auf Nachrichtenangebote häufig gut verzichten zu können. Als Grund wird selten mangelndes Vertrauen genannt. Die Berichterstattung sei zu negativ und biete zu viel des immer Gleichen, das sind die häufigsten Klagen der Medien-Vermeider*innen, besonders die junge Generation sieht das so. Auch in der Mainzer Studie gaben 40 Prozent der Befragten an, dass die Medien es mit der Corona-Berichterstattung übertreiben. Statt die Nutzer*innen also mit Masse zuzuschütten, käme es stärker darauf an, sie ab und an mal zu überraschen: mit besonderem Tiefgang, mit starken Daten, mit Vielfalt und Perspektive. Und es käme darauf an, auf die Plattformen zu gehen, auf denen sich die Nutzer*innen aufhalten. Bei den Formaten mehr in die Breite und bei den Inhalten mehr in die Tiefe gehen, das wäre ein gutes Rezept.

Siebtens gibt es natürlich Gründe dafür, dass sich die Erzählung vom Vertrauenskollaps so nachhaltig hält. Zunächst einmal hat das mit dem allgemeinen Unwillen zu tun, sich mit Daten zu beschäftigen, die den eigenen Annahmen widersprechen. Davon sind auch Medienschaffende und Politiker*innen nicht frei. Vor allem aber kommt das Bild so manch einem sehr gelegen. Denn wenn etwas kaputt ist, muss man es reparieren. Die Dringlichkeit, in starken Journalismus zu investieren, lässt sich mit Vertrauens-Schwund besser begründen als mit Überdruss. Aber letzterer ist die größere Gefahr.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 9. April 2021. 

Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.