Bye-bye, blue Link: Medienmarken brauchen Fans

Der jährliche World News Media Congress der Wan-Ifra ist ein Ort für zwei Gruppen. Da gibt es diejenigen, die sich bei ihren Buddys aus anderen Verlagen vergewissern wollen, dass sie ruhig noch ein paar Gewinne aus dem Printgeschäft mitnehmen und Social Media ihren „jungen Digitalen“ überlassen können. Und dann sind da die anderen, die von – überwiegend angelsächsischen – Top-Marken der Branche lernen wollen, damit sie im Innovationsrennen irgendwo im guten Mittelfeld mithalten können. Jeder hört vor allem das, was er hören will. Aber selbst Experten der kognitiven Dissonanz muss es schwergefallen sein, von der diesjährigen Veranstaltung in Krakau ohne diese eine Botschaft abzureisen: „Holt die Nutzer direkt auf eure Plattformen, und zwar schnell.“

Spätestens in drei Jahren sei es so weit, prognostizierten selbst Fachleute, die sich auf Suchmaschinen-Optimierung spezialisiert haben: Der ganze Traffic, den Google und Co. Medienmarken in den vergangenen Jahrzehnten im Digitalen zugespült haben, werde versiegen. „Bye-bye, blue Link“, formulierte es Lisa MacLeod von FT Strategies in einer viel beachteten Keynote. „Bereiten Sie sich auf den großen Plattform-Reset vor.“ Zwar hat das Wachstum von KI-Suchen über ChatGPT derzeit den Effekt, dass die Zahl der Google-Suchanfragen steigt – womöglich, weil Nutzer Ergebnisse verifizieren wollten, vermuten Fachleute. Aber es werde immer weniger zur Original-Quelle durchgeklickt. Schon jetzt sei „Stagnation das neue Wachstum“, sagte Carly Steven, SEO-Leiterin bei der britischen Daily Mail. Das ist vor allem für kleinere Verlage ein Problem, denn ein Großteil der Besucher ihrer Webseiten werden über Google dorthin gelotst. Aber auch für sie ist es höchste Zeit, direkte Verbindungen zu ihren Nutzern aufzubauen.

Spätestens jetzt kommt der Moment, in dem die „jungen Digitalen“ und die Veteranen des Verlags- und Journalismus-Geschäfts voneinander lernen können

Nur, wie geht das? Wie begeistert man Menschen für seine Marke und etabliert damit jene loyalen Beziehungen, die im Print-Zeitalter selbstverständlich gewesen sind? Spätestens jetzt kommt der Moment, in dem die „jungen Digitalen“ (von denen einige mittlerweile in die Jahre gekommen sind) und die Veteranen des Verlags- und Journalismus-Geschäfts voneinander lernen können. Die einen können sich ein paar Tipps zur Beziehungspflege abholen, die anderen können sich anschauen, wie man diese digital unterstützt – auch mit Hilfe von KI-Werkzeugen. Hier folgen ein paar Erkenntnisse vom World News Congress, die in einer von KI geprägten Informations- und Medienwelt zentral für Erfolg sein werden:

Erstens, es geht um Strategie. Ganz gleich welche Technologie oder Plattform Medienhäuser verwenden, ob sie KI-getrieben sind oder nicht, sie werden nur den Unternehmen etwas nützen, die ihre Mission definiert haben, ihr Publikum und dessen Bedürfnisse kennen und Erfolge messbar machen. Und wer eine Strategie hat, sollte sie verfolgen und sich den Alltag nicht mit all den Dingen zuschütten, die man schon immer gemacht hat. Gezieltes „Stop doing“ ist ebenso wichtig wie etwas Neues anzuschieben. Das gilt auch für den Journalismus. FT Strategies hat ermittelt, dass im Schnitt nur 20 Prozent aller Artikel auf Nachfrage stoßen, „der Rest ist Geräuschkulisse“, so MacLeod. Die New York Times misst deshalb „engaged clicks“, also diejenigen Stücke, auf denen die Nutzer 30 Sekunden oder länger verharren.

Zweitens, es geht um direkte, loyale und langlebige Beziehungen. Medienhäuser müssen alles daransetzen, ihren Konsumenten mehr Gründe zu geben, direkt auf ihre Website zu gehen, die App herunterzuladen, ihre Produkte zu abonnieren oder Ihre Veranstaltungen zu besuchen – und dort zu verweilen. Nutzer zu haben, reicht nicht mehr, Medienmarken brauchen Fans. Wie einst beim Zeitungskonsum oder heute beim Bingen auf Netflix muss das Vorbeischauen zur Gewohnheit werden. Schon Zeitungen wurden dabei aus einer Reihe von Gründen gekauft, nicht nur für die Nachrichten. Es hat erstaunlich lange gedauert, bis digitale Marken vom Kreuzworträtsel gelernt haben und nun auch Spiele anbieten – selbst Der Spiegel macht das heute mit recht großem Erfolg.

Drittens, es geht um die Marke – denn da liegt das Vertrauen. In der Branche wird oft angenommen, Transparenz schaffe Vertrauen. Das gilt allerdings nur bedingt. Leser wollen sich im Alltag nicht stundenlang über die Glaubwürdigkeit einer Institution und deren Praktiken informieren. Sie wollen davon ausgehen können, dass eine Redaktion kompetente Mitarbeiter einstellt, Informationen überprüft und ethische Maßstäbe an die Nutzung von KI anlegt, sie wollen es nicht in jedem einzelnen Schritt nachvollziehen müssen. Vertrauen ist eine Abkürzung, mit der Menschen Zeit und Mühe sparen. Medienhäuser sollten sich deshalb klar herausstellen, welchen Wert ihre Marke verspricht. Das gilt übrigens auch für Personenmarken. Creator, die ihren Job gut machen, vermitteln ihrem Publikum genau, was es bekommt und was nicht. Vom Ton der Ansprache bis hin zur Fachkompetenz und Persönlichkeit enthält eine Marke ein Paket. Junge Menschen zu begeistern, ist dabei besonders anspruchsvoll, denn sie sind Marken gegenüber weniger loyal. Wer die nachwachsenden Generationen binden möchte, muss sich deshalb besonders genau mit deren Bedürfnissen beschäftigen.

Ein Großteil der politischen Polarisierung wird durch die Kluft zwischen Stadt und Land angeheizt

Viertens, es geht um Emotionen. Die Herausforderungen der digitalen Welt liegen eher in einem Zuviel als einem Zuwenig. Es gibt zu viele Angebote, Ablenkungen und zu viel Personalisierung und damit Vereinzelung, zu wenig Gelegenheiten für Fokus, Orientierung und Zusammenhalt. Liesbeth Nizet, Head of Future Audiences Monetisation des belgischen Konzerns Mediahus formulierte es mit Blick auf junge Leute so: “Wie bleiben wir relevant im Leben einer Generation, die von Wahlmöglichkeiten überfordert ist?” In einem solchen Meer der Möglichkeiten sind Signale wichtig, die emotionale Reaktionen auslösen. Sich verbunden zu fühlen ist ein menschliches Bedürfnis, deshalb steht Authentizität so hoch im Kurs (auch wenn sie zuweilen vorgetäuscht sein mag). Auch deshalb seien Video-Formate so nachgefragt, sagte Upasna Gautam, bis vor kurzem bei CNN. Das Erfolgsrezept für Videos sei „Emotion plus Klarheit plus Vertrauen“.  

Viertens, es geht um Orte. In einer globalisierten, manchmal verwirrenden Welt suchen viele Menschen nach Sinn und menschlichen Verbindungen dort, wo sie leben. Ein Großteil der politischen Polarisierung wird durch die Kluft zwischen Stadt und Land angeheizt: Menschen, die außerhalb der politischen Zentren wohnen, fühlen sich in öffentlichen Debatten und politischen Entscheidungen oft nicht vertreten. Es gibt deshalb ein Potenzial für exzellente Geschichten abseits der Schaltstellen der Macht. Der klassische Lokaljournalismus lässt sich dabei weiterentwickeln. Fabrice Bakhouche, CEO von Sipa-Ouest-France, sieht zum Beispiel Potenzial in lokalen oder hyperlokalen Geschichten im regionalen Fernseh-Markt – zumal der digitale Streaming-Markt weniger abhängig von Google sei als kürzere Formate. “Viele Menschen in unserer Region haben das Gefühl: Fernsehen wird in Paris gemacht von Menschen, die in Paris wohnen.” Paris lässt sich in diesem Fall beliebig ersetzen.  

Fünftens, es geht um Journalismus. Das große Thema der Zukunft wird nicht KI sein. Es wird der Journalismus sein. Was liefert die Medienbranche, das KI allein nicht anbieten kann? Wie lässt sich KI nutzen, um Journalismus zu produzieren, der mehr ist als Content, der Grundbedürfnisse der Menschen erfüllt? Im KI-Zeitalter gilt es umso mehr, eine Journalismus-Strategie zu entwickeln und in diese zu investieren. Das ist eine Kernbotschaft aus dem neuen EBU News Report „Leading Newsrooms in the Age of Generative AI“ (ich bin dessen Autorin). Die Intendantin des Schwedischen Fernsehens, Anne Lagercrantz, brachte es in einem Interview dafür auf den Punkt: „Wir müssen den Journalismus in der Wertschöpfungskette nach oben bringen hin zu mehr investigativer Recherche, Verifizierung und Premium-Inhalten.“ Absehbar ist, dass die KI-gestützte Suche einige Angebote ablösen wird, die den Medien in der Vergangenheit loyale Nutzer gebracht haben – das gilt zum Beispiel für Service-Themen. Was KI hingegen noch nicht (gut) könne, seien Live-Berichterstattung, Lokales, Meinung und Kolumnen – so die Einschätzung verschiedener Experten auf dem World News Congress. Für eine Kolumnistin ist das erst einmal eine gute Nachricht. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 15. Mai 2025. Um dort neue und ältere Kolumnen zu lesen, braucht man ein Abo. 

 

Chefs, redet über eure Ängste!

Angeblich sind die Zeiten vorbei, in denen Redaktionen Macho-Buden waren, Kriegsreporter coole Typen mit Seelen-Panzern und Journalisten den Burnout eines Kollegen nur an der Länge einer Krankschreibung erahnen konnten. Zumindest sieht das Phil Chetwynd so, Global News Director bei der Nachrichtenagentur AFP. Während vor zehn, 15 Jahren noch eine Kultur des „frage nicht nach und rede nicht darüber“ herrschte, habe seitdem nicht nur die Diskussion um arbeitsbedingte psychische Belastungen ein anderes Niveau erreicht; es seien auch entsprechende Strukturen eingezogen worden, so Chetwynd im April 2025 auf einem Podium beim International Journalism Festival in Perugia. Das sei auch nötig, denn Journalisten stünden dieser Tage unter nie gekanntem Druck – und zwar weltweit.

Tatsächlich liefert allein das Scrollen durch das Festivalprogramm einen guten Überblick über all die Schmerzpunkte: Angezählte Geschäftsmodelle drücken auf die Etats und KI beschleunigt das Innovationstempo, während autoritäre Politiker und ihre Vasallen Journalismus diskreditieren, Journalisten bedrohen und in der Bevölkerung Misstrauen oder gar Feindseligkeit gegenüber dem Berufsstand säen, die sich on- und offline ausdrückt. Trotzdem ist es keine allzu verwegene Annahme, dass dies einige Medien-Führungskräfte noch nicht mit allen Konsequenzen verstanden haben.

Auch in Startups schadet es nichts, sich schon früh Gedanken über das Thema mentale Gesundheit zu machen

Dabei lassen sich Geschäftsmodelle nur resilient machen, wenn man sich um diejenigen sorgt, die das tun sollen. Denn die Medienbranche hat aus all den genannten Gründen Anziehungskraft verloren. Viele Journalisten und Medienmanager stellen ihre Berufswahl infrage oder verabschieden sich in ruhigere Fahrwasser, wenn sie das können. Und die nachfolgenden Generationen winken gleich ab. In Redaktionen, die nach dem alten Prinzip operieren, „wer die Hitze nicht abkann, sollte die Küche meiden“, könnte es deshalb bald luftig zugehen. Selbst gründen ist zwar eine Alternative. Sie eignet sich allerdings eher für Workaholics und Selbstausbeuter, wie auf dem einen oder anderen Panel deutlich wurde. Auch in Startups schadet es also nichts, sich schon früh ein paar Gedanken über das Thema mentale Gesundheit zu machen.

Die Journalistin und Beraterin Hannah Storm – mit Chetwynd auf der Bühne – hat dazu 2024 ein Buch veröffentlicht. „Mental Health and Wellbeing for Journalists“ basiert auf Interviews mit 45 Gesprächspartnern aus aller Welt, darunter nicht nur Medienleute sondern auch Trauma-Experten. Es gehe darum, zunächst einmal Räume für Gespräche über das Thema zu schaffen, sagte Storm. Und wer bei posttraumatischer Belastungsstörung vor allem an Kriegs-Korrespondenten denkt, unterschätzt das Ausmaß des Themas. Diejenigen zum Beispiel, die tagein tagaus verstörendes Bildmaterial sichten, seien unter Umständen stärker betroffen als diejenigen, die mitten im Geschehen arbeiten, so Storm. Vicarious trauma, ist der englische Fachbegriff dafür, die Psychologin Sian Williams hat dazu Handlungs-Empfehlungen für Redaktionenerarbeitet.

Solche Leitlinien dürften auch für Lokalredaktionen interessant sein, denn Kollegen, die häufig von Unfallorten berichten oder bei Gerichtsverhandlungen mit grausigen Details von Verbrechen konfrontiert werden, bekommen in der Regel weniger Aufmerksamkeit als solche, die in Krisengebiete geschickt werden. Und Fakten-Checker werden online besonders heftig bedroht – so stark, wie Chetwynd berichtet, dass sie bei AFP ihre Texte nicht mehr mit Namen zeichnen. Das gemeinnützige Unternehmen The Self Investigation hat speziell für diese Gruppe ein Toolkit zum Thema Mental Health zusammengestellt.

Manchmal verursacht zudem nicht das Nachrichtengeschehen einen Burnout sondern die beschleunigte Taktzahl in Redaktionen gepaart mit wirtschaftlichem Druck und der Sorge, KI könnte den Job überflüssig machen – all das neben dem normalen Wahnsinn des Familien-Managements, der viele Kollegen in wichtigen Berufsjahren beschäftigt. Und das gilt nicht nur in Kulturen, in denen Selbstverwirklichung und Freizeit eine große Rolle spielen. Bei einem Change-Management Workshop für ein Medienunternehmen in Malaysia – ich war Seminarleiterin – nannten Teilnehmende Work-Life Balance und mentale Gesundheit als Top-Herausforderungen für die Branche.  

Emma Thomasson, heute Beraterin und zuvor Büroleiterin und Senior Korrespondent bei Reuters, hat das Thema in der Nachrichtenagentur offensiv angesprochen und war damit auf so viel Resonanz gestoßen, dass sie ein entsprechendes internes Angebot aufbaute. Heute arbeitet sie unter anderem bei der Journalisten-Helpline des Netzwerks Recherche mit, bei der sich all diejenigen Hilfe holen können, denen die Belastungen des Jobs über den Kopf zu wachsen drohen.

„Die einzige Barrieren zu einer potenziell unbegrenzten Menge an Arbeit sind die Manager.“

Aber Führungskräfte machen ihren Job nicht, wenn sie solche Angebote allein externen Stellen und der Eigeninitiative von potenziell Betroffenen überlassen. Es sei wichtig, eine Kultur zu schaffen, in der die Mitarbeitenden ohne Angst über solche Erfahrungen reden können, sagte Chetwynd. Dazu gehöre, dass die Chefs auch sich selbst als verletzlich zeigten. Diese Herausforderung müssten alle annehmen, die in Führungsverantwortung stehen. Bei AFP mit ihren 150 Büros in aller Welt seien das eine ganze Menge Leute, aber nur so funktioniere es. Chetwynd: „Die einzigen Barrieren zu einer potenziell unbegrenzten Menge an Arbeit sind die Manager.“

Fachleute halten vor allem zwei Dinge für wichtig, um Belastungen abzumildern: gute Vorbereitung und regelmäßige Pausen. Nicht jeder Journalist eignet sich zum Beispiel allein von seinem Charakter und der persönlichen Geschichte her für jeden Einsatz, und Führungskräfte sollten die potenziellen Risiken ansprechen, bevor jemand eine Aufgabe übernimmt – sei es ein Katastrophen-Einsatz oder das Moderieren von Online-Kommentaren. Auch wenn das nach Kita klingt: Eingewöhnungsphasen helfen. AFP lässt Reporter zum Beispiel in Krisengebieten erst an die Front, wenn sie das Umfeld und die Kultur in weniger exponierten Funktionen kennengelernt haben. Und nach ein paar Wochen müssen sie sich Zeit zum Durchatmen nehmen. Das klingt simpel, doch sowohl in vielen traditionellen Redaktionen als auch in Startups gehört es zur Kultur, Workaholics stillschweigend machen zu lassen, wenn sie ungeliebte Arbeit aus dem Weg schaffen oder den Ruhm der Marke mehren. Kurzfristig mag das funktionieren, langfristig kann solch eine Nachlässigkeit teuer werden – von den menschlichen Kosten ganz abgesehen.  

Überhaupt sind Medienhäuser gut beraten, sich offensiv Gedanken über die gegenwärtige und erwünschte Unternehmens- oder Redaktionskultur zu machen, sie in Worte zu fassen und Mitarbeitenden präzise zu vermitteln. Lea Korsgaard, Chefredakteurin der dänischen Erfolgsmarke Zetland, zeigte auf einem anderen Podium klare Grundsätze, mit denen sie jedem Neueinsteiger die Unternehmenskultur erklärt. Wenn man ein an den Bedürfnissen von Menschen orientiertes Produkt erstelle, brauche man eine an Menschen orientierte Unternehmenskultur, so Korsgaard. Wer im Ringen um Talente künftig noch eine Rolle spielen will, mag sich diesen Rat zu Herzen nehmen.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 15. April 2025. Um dort neue und ältere Kolumnen zu lesen, braucht man ein Abo. 

Zwischen Energieschub und Datensalat: So klappt das mit den Redaktionsmetriken

Was nicht gemessen wird, wird nicht erledigt. In den Künstlerflügeln von Redaktionen mag diese alte Weisheit aus der Wirtschaftswelt noch immer nach kleinkarierter Controller-Denke klingen. Aber mit dem Generationswechsel in den Verlagshäusern hat sich selbst unter Journalisten die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich mit Hilfe von Kennzahlen nicht nur jenes Wachstum treiben lässt, das die eigenen Arbeitsplätze sichert. Daten übermitteln auch Signale, ob die Verbindung zu den Menschen noch stimmt. Metriken sind selbstverständliche Begleiter des Redaktionsalltags geworden. Allerdings gehen Meinungen und Erfahrungen dazu weit auseinander, was denn nun gemessen werden kann und vor allem, was davon an wen kommuniziert werden sollte.

Martin Baron, ehemaliger Chefredakteur der Washington Post, beschreibt in seinem neuen Buch Collision of Power einerseits, wie er immer ungehaltener wurde angesichts der von ihm bei Kollegen beobachteten „absichtlichen Ignoranz dessen, was nötig ist, um ein gesundes Geschäft zu führen, des selbstgerechten Moralisierens und der reflexhaften Opposition gegen das Durchsetzen von Verhaltensstandards, selbst solcher, denen die Mitarbeiter bei ihrer Einstellung zugestimmt hatten“. 

Andererseits erzählt er auch vom Widerstand gegen Metriken, mit denen WaPo-Eigentümer Jeff Bezos die Redaktion antreiben wollte – zum Beispiel die Vorgabe, dass bestimmte Texte innerhalb von 15 Minuten umgeschlagen werden sollten als wären sie Amazon-Päckchen. Baron schreibt, er habe in seiner Karriere meist gedacht, „dass Verleger und ihre Business-Teams nicht begriffen hatten, welche Mühe und welche Ressourcen notwendig sind, um Qualitätsjournalismus zu produzieren – und dass ihre Metriken mit gelegentlichen Ausnahmen Bullshit waren“.

Unter dem Strich aber, so klingt es durch, hatten die neuen Strategien und Standards, die Bezos einforderte, die Redaktion eher beflügelt. Das wird zum Großteil daran gelegen haben, dass der Multimilliardär kräftig in Personal und Technik investierte. Das wird derzeit zwar teilweise wieder rückabgewickelt, allerdings arbeiten viele wohl jeder lieber in einer Organisation, in der Leistung intern und extern gesehen und in der an Zukunft gebastelt wird, statt die Gegenwart zu verwalten. Wie ein Fitnessarmband können Metriken die Motivation ordentlich treiben, wenn sie richtig gesetzt werden. Damit das klappt, sind einige Grundsätze hilfreich. Hier sind fünf Punkte, wie es mit den Metriken funktioniert.

Erstens: Den eigenen Weg finden 

Verlage suchen gerne anderswo nach Erfolgsgeschichten und hoffen, sie kopieren zu können. Das gelingt allerdings nur bedingt. Kaum ein Haus ist vergleichbar mit der New York Times, deren Führungskräfte auf Branchenkonferenzen umlagert werden. Auch kleinere skandinavische Marken eignen sich nur eingeschränkt als Vorbilder – wenngleich deutsche Verlage allzu gerne in die Nordländer schauen, wo die Zahlungsbereitschaft für Digitalabos am höchsten ist. Jeder Verlag muss zunächst eine Strategie für seinen Journalismus und Geschäftsmodelle entwickeln, die zum eigenen Markt und zur Marke passen. Erst dann folgen die Metriken, die diesen Wachstumspfad flankieren. Ansonsten liefen Redaktionen Gefahr, ihren Journalismus den gesetzten Metriken anzupassen, anstatt sie so zu setzen, dass sie dem Journalismus dienten, schrieb Elisabeth Gamperl in einem 2021 erschienenen Report für das Reuters Institute. Das Papier, für das die SZ-Journalistin datenaffine Redaktionsmanager von Medienhäusern wie The Guardian, The Times, Globe and Mail, and Dagens Nyheter interviewt hatte, enthält einige wertvolle Ratschläge dazu, wie das gehen kann.  

Zweitens: Die Redaktionskultur beachten und entsprechend kommunizieren

Redaktionen sind unterschiedlich. Das betrifft nicht nur den Grad der Digitalisierung und das allgemeine Datenverständnis, sondern auch die Kommunikations- und Fehlerkultur. Während zum Beispiel beim schwedischen Dagens Nyheter jeder Journalist jederzeit am eigenen Bildschirm die Erfolge und Misserfolge aller Kollegen abrufen kann, sind hierzulande viele Verlage sehr darum bemüht, solche Auswertungen nur individuell oder sehr dosiert zu verteilen – vor allem um Redakteure und Betriebsräte nicht gegen sich aufzubringen. Eine leitende Redakteurin einer Regionalzeitung erklärte es in einem Workshop jüngst so:  „In den Konferenzen kommunizieren wir nur die Erfolge, die Fehler werden individuell besprochen.“. Oft gehen die gesammelten Datensätze nur an Führungskräfte. Eine Redaktion, die stolz auf ihren investigativen Journalismus ist, fühlt sich womöglich demotiviert von Hitlisten, in denen stets Service-Texte dominieren. Ebenso verwirrend kann es sein, wenn das leitende Personal ständig über Klickraten jubelt, obwohl Aboabschlüsse das Ziel sind. Solche „Eitelkeitsmetriken“, wie Medienforscher Nic Newman sie nennt, mögen legitime Kosmetik für Präsentationen vor der Geschäftsführung sein, lenken aber vom Ziel ab. Natürlich können sich Redaktionskulturen auch wandeln. Aber solche Veränderungsfreude entfachen nur Führungskräfte, die konstruktiv kommunizieren können und nicht solche, die Metriken als Mittel des Prinzips „teile und herrsche“ einsetzen. Schließlich sollten Daten vor allem dazu eingesetzt werden, aus den verfügbaren Ressourcen mehr zu machen. Kaum ein Journalist produziert gerne allein für das Redaktionsarchiv.      

Drittens: Simpel bleiben 

Die wirkungsvollsten Metriken sind jene, die jeder versteht. Noch besser sind sie, wenn Kollegen daraus ableiten können, was jetzt zu tun ist. Das klingt simpel, wird aber nicht überall so gesehen. Sehr oft werden die Redaktionskennzahlen von Datenanalysten entwickelt, die sich nicht vorstellen können, dass sich vielen Redakteuren die Schönheit einer Excel-Tabelle nicht erschließt. Die Folge sind komplizierte Formeln, die nur Eingeweihte deuten können. Einige Redaktionen beweisen Mut zur Lücke und trimmen ihre Kollegen darauf, zum Beispiel nur auf die täglich eingeloggten Abonnenten zu schauen – ein Zeichen dafür, ob die Nutzerloyalität und damit die Abohaltbarkeit stimmt. Andere wiederum entwickeln aus einer Kombination von Metriken einen Wert, den es im Auge zu behalten gilt. Die  Financial Times zum Beispiel hatte es mit ihrer „R x F x V“-Formel (Recency, Frequency, Volume) geschafft, die Zahl ihrer Digitalabonnenten binnen zehn Jahren auf über eine Million zu verzehnfachen. Aber selbst das mag manch einem zu kompliziert sein. Da hilft nur einfach starten und langsam steigern – und aufpassen, dass man nicht doch irgendwann mit Datensalat endet.  

Viertens: Veränderungen nicht scheuen

Da hat man die Redaktion nun endlich für Daten erwärmt, sind alle gespannt auf die „Conversions“ wie auf das tägliche Päckchen im Adventskalender – und plötzlich soll man verkünden, dass man von nun an auf die zehn Texte vor dem Aboabschluss schauen wird? Kein Redaktionsmanager gibt gerne zu, dass eine Metrik ihr Ziel verfehlt. Doch der Weg zu funktionierenden Kennzahlen ist anstrengend und führt in manche Sackgasse. Die klarsten Metriken nutzen nichts, wenn sie ein Klima erbitterter Konkurrenz oder gar Angst forcieren oder sich als letztlich sinnlos erweisen. Danny Gawlowski von der Seattle Times kann wunderbar vom Ringen der Redaktion um die richtigen Werte erzählen. Dort hat man ein Verfahren etabliert, bei dem Redakteure sich nicht untereinander vergleichen, sondern nur gegen sich selbst antreten: Wer die gleiche Aufgabe hat, muss idealerweise 15 Prozent besser abschneiden als im Jahr zuvor. Jemand, der über Opern schreibt, könne sich unmöglich mit jemandem messen, der das örtliche Football-Team begleitet, so Gawlowski. Aber ein bisschen sportlichen Ehrgeiz sollten auch die Kulturkollegen mitbringen.

Fünftens: Von Ausreißern lernen

Wo Daten ausgewertet werden, geht es oft ums Große. Man schaut auf Häufungen, Volumen, die Top-Performer. Manchmal sind aber gerade die Ausreißer wichtige Signale dafür, was gegen jeden Instinkt funktioniert oder an welchen Schrauben man drehen könnte. Schneidet ein Stück zu einem Thema herausragend ab, das sonst als eher schwer verkäuflich gilt, mag das ein Zufall sein. Wahrscheinlicher aber ist, dass es eine Ursache gibt. Vielleicht war die Sendezeit richtig gewählt, vielleicht hat der politische Kontext gestimmt, möglicherweise klang auch die Überschrift ungewöhnlich emotional oder eine Protagonistin ist ein Star in den sozialen Netzwerken. Es sei gut investierte Zeit, nach positiven Überraschungen zu fahnden, habe Jeff Bezos der Redaktion mitgegeben, so Baron. Sei etwas erfolgreich, ohne dass man es bewusst forciere, liege da womöglich eine Chance.

Ohnehin müssen laut dem Amazon-Gründer auch gute Regeln manchmal gebrochen werden. Bei einer Mitarbeiterversammlung der Washington Post sagte er laut Baron: „Manche Dinge sind so schwer zu messen, dass du […] sie nicht wirklich messen kannst und Bauchgefühl und Intuition nutzen musst. Und dann gibt es andere Dinge, die über den Metriken stehen. Das sind Prinzipien, die dir so wichtig sind, dass du ihnen folgen musst, selbst wenn die Metriken dir das Gegenteil nahelegen.“ Was diese Prinzipien oder – besser – Werte sind, muss jede Redaktion für sich festlegen.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 30. Oktober 2023.

Management mangelhaft: Wo Führungskräfte in den Medien nacharbeiten müssen

Journalisten klagen über Qualitätsverlust im Journalismus – ach, bitte nicht. Noch nie waren die Formate und Ausspielwege so vielfältig, die Erkenntnisse über Kundenbedürfnisse so detailliert, die Technik so simpel zu nutzen. Und Reportern, Redakteuren und deren Chefs fällt nichts weiter ein, als zu jammern. Auch so könnte man eine neue Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung interpretieren. Tenor: „Die Digitalisierung macht alles schlimmer“. Für den knapp 100 Seiten umfassenden Report „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg: Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben“ haben die Autoren Burkhard Schmidt, Rainer Nübel, Simon Mack und Daniel Rölle 20 Journalisten verschiedener Medien ausführlich zu Themen wie Arbeitsbelastung, Qualität und Wertschätzung interviewt und zusätzlich eine nicht repräsentative Online-Befragung mit 161 Teilnehmern ausgewertet. 

Überfliegt man den Report nur, kann einem um den deutschen Journalismus angst und bange werden: Die Arbeitsbelastung wachse, die Zeit für Recherchen schrumpfe und die öffentlichen Anfeindungen nähmen zu. Wer sich nicht demnächst in die Rente retten könne, erwäge regelmäßig den Ausstieg aus dem Beruf, heißt es dort. Die detaillierte Lektüre lohnt sich trotzdem. Denn viele der Befragten zeichnen ein sehr reflektiertes und realistisches Bild der Situation in deutschen Medienhäusern und des Verhältnisses zwischen Journalisten und ihrem Publikum. Eigentlich berge der digitale Journalismus Chancen, man komme nur nicht dazu, sie zu nutzen, klingt dabei durch. Der Jammerlappen-Vorwurf greift also zu kurz. 

Deshalb ist die Studie vor allem das: ein desaströses Zeugnis für das Management in deutschen Medienhäusern. Strapaziert man das Bild, könnte man sagen, das Aufrücken in das Zeitalter des digitalen Journalismus ist gefährdet.

Die Note mangelhaft gibt es gleich in mehreren Fächern.

Fachgebiet Storytelling

Führungskräfte versäumen es vielerorts, eine Erfolgsstory zu entwickeln und zu vermitteln. Der moderne Journalismus bietet unendlich viele Möglichkeiten, die Erzähl- und Informationsqualität zu steigern und damit in der Theorie weitaus mehr Menschen zu erreichen als früher. Visualisierung, direkte Ansprache auf verschiedenen Plattformen, einfache Möglichkeiten zur Kooperation und Interaktion – die Liste der Chancen ist lang. Dennoch schaffen es viele Führungskräfte offensichtlich nicht, ihre Mitarbeitenden dafür ausreichend zu begeistern. Stattdessen wird reflexhaft gespart.

Fachgebiet Ressourcen schaffen

Führungskräfte helfen ihren Mitarbeitenden zu wenig dabei, sich freizuschwimmen. Jeder, der sich ernsthaft mit Nutzungsdaten beschäftigt, kennt das massive Missverhältnis zwischen redaktionellem Angebot und Nachfrage. Redakteure und Reporter produzieren ein Übermaß an schlichter Nachrichtenkost, während die Kunden auf ganz andere, verschiedene Formen Appetit haben: Erklärstücke, Inspiration, Beratung, Unterhaltung und Trends – um nur einige zu nennen. Dies führt dazu, dass etliche Texte und Inhalte so gut wie gar keine Aufmerksamkeit bekommen, während es an den Stoffen mangelt, die Leser zu regelmäßigen, im Idealfall begeisterten Nutzern machen. Der unabhängige Berater und frühere BBC Journalist Dmitry Shishkin hat für den BBC World Service das „User Needs Modell“ mitentwickelt, mit dem sich jeder auseinandersetzen sollte, der sein Publikum ernst nimmt. 

Der Job der Chefetage ist es, den Arbeitseinsatz der Redaktion entsprechend zu kanalisieren. Die Leitenden müssen Daten zur Verfügung stellen, die jeder verstehen kann, und jeder muss wissen, was daraus folgt. Dazu gehört auch radikales Weglassen. Dies gefällt nicht jedem. So manch einer zieht seine Befriedigung aus Arbeiten, die bei ehrlicher Betrachtung niemandem nutzen. Führungskräfte neigen dazu, das stillschweigend zu dulden und die neuen Aufgaben oben drauf zu packen. Sie müssen aber sicherstellen, dass Arbeitsenergie effektiv eingesetzt und nicht verplempert wird. Nur so lassen sich Belastungen begrenzen.

Fachgebiet Fürsorge

Führungskräfte stehen ihren Mitarbeitenden zu wenig bei, wenn sie angegriffen werden. In der Otto-Brenner-Studie gaben etliche der Interviewten an, unter dem wachsenden Misstrauen eines Teils des Publikums zu leiden. In diesem Fall dürfte die Realität noch trauriger sein als in der Stichprobe erfasst. Anfeindungen online und zunehmend auch physische Angriffe gehören in wachsendem Maße zum Alltag von Reportern und Kommentatoren, vor allem den weiblichen und jenen, die ethnischen Minderheiten angehören. Zu viele Chefredaktionen haben ihre Redaktionen bislang mit dieser Belastung allein gelassen, den Kollegen weder psychische noch juristische Unterstützung angeboten. Das trägt in hohem Maße zur Burnout-Gefahr bei. 

Fachgebiet Konfliktmanagement

Die meisten Führungskräfte in den Medien versäumen es, den Generationenkonflikt zu managen. Während die Älteren in den Redaktionen häufig klagen, die Jungen hätten von Qualitätsjournalismus im Allgemeinen und von Recherche im Besonderen keine Ahnung, bemängeln viele der Jungen das fehlende Verständnis der Vorgängergenerationen für digitale Formate und eine gewisse Bequemlichkeit nach dem Motto, „bis ich in Rente gehe, komme ich auch so durch“. Dabei existiert auf beiden Seiten Knowhow, von dem die jeweils anderen stark profitieren könnten – würden die Führenden denn eine Kultur der Offenheit und des Lernens etablieren. Abfindungsprogramme, die teure Platzhirsche zum Gehen animieren sollen, damit junge (billigere), „digitale“ Fachkräfte nachrücken können, sind eher kontraproduktiv – als erstes gehen zudem häufig diejenigen, die man eigentlich gerne gehalten hätte. 

Fachgebiet Werkzeugkunde

Viele Führungskräfte verstehen zu wenig von Change Management. Deshalb vermitteln sie auch keine entsprechenden Strategien. Vor allem auf Redaktions- aber auch auf Verlagsseite sind viele Chefs in ihre Rolle hineingestolpert, ohne das Führen jemals gelernt zu haben. Wie man Veränderungsprozesse systematisch aufsetzt und vorantreibt haben sie bestenfalls gelesen, meistens agieren sie nach Bauchgefühl. Das verunsichert die Mitarbeitenden. Man schwört sie zwar auf Konzepte wie „digital first“ oder „audiences first“ ein, man enthält ihnen aber das Knowhow vor, wie sie beides in stark von Routinen und Hierarchien beherrschten Redaktionen umsetzen können. Das ist, als würde man jemandem einen Ikea-Karton ohne Aufbauanleitung hinstellen. Dabei ist Veränderungsmanagement Handwerk, und je öfter alle die Werkzeuge benutzen, umso sicherer werden sie in deren Gebrauch. Allgemein gilt: mit den Willigen beginnen, die Aufgeschlossenen mitnehmen und die Gegner so lange wie möglich ignorieren. Viele von denen folgen nämlich dann ganz gerne, wenn sich erste Erfolge abzeichnen. Den anderen hilft tatsächlich nur noch das Abfindungsprogramm.    

Führungskräfte, die in all diesen Disziplinen nicht an sich arbeiten, schaden der gesamten Branche. Denn in einem Beruf, in dem es an Perspektive, Wertschätzung und Entlohnung mangelt, möchte irgendwann niemand mehr arbeiten – schon gar nicht die Top-Talente, auf die alle so scharf sind. Es liegt an den Leitenden, eine Story des Wandels zu erzählen und möglich zu machen. Viele in Redaktionen und Verlagen sehnen sich danach. Denn, wie die Brenner-Studie einen der Befragten zitiert: Journalismus sei immer noch „der geilste Job, den es gibt“.  

Diese Kolumne erschien am 16. August 2022 bei Medieninsider. Alexandra schreibt dort jeden Monat zu aktuellen Themen, Medieninsider ist ein Paid Content Angebot. 

 

Fördert die Ausbildung! Wie der Staat den unabhängigen Journalismus wirklich stützen könnte

Über so ein Geschenk kann sich nicht jede Branche freuen. 220 Millionen Euro hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr locker gemacht, um deutschen Medienunternehmen zu helfen, angeblich bei der „digitalen Transformation“. In Fach- und Verlagskreisen streitet man sich seitdem trefflich darüber, was mit dem Geld passieren soll. Lobbyisten-Werk, schimpfen die einen, das Ganze werde versickern wie Kohle-Subventionen, nichts als lebensverlängernde Maßnahmen für besonders bräsige Verlagshäuser. Innovative Gründer und andere, die sich für den Journalismus einsetzen, gingen dagegen leer aus. Experten wie der Medienwissenschaftler Christopher Buschow aus Weimar denken so oder ähnlich, zusammen mit Christian-Mathias Wellbrock hat er ein viel beachtetes Gutachten zur Innovationsförderung im deutschen Journalismus für die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen veröffentlicht und ist seitdem auf allen Kanälen zum Thema präsent. Die anderen sind natürlich die Verlage selbst. Nach deutlich zweistelligen Einbrüchen im Anzeigengeschäft ringen viele um ihre Existenz. Sie argumentieren staatstragend mit ihrer Rolle als Säule der Demokratie, damit untertreiben sie nicht. Kassenwart ist das Bundeswirtschaftsministerium, demnächst soll es ein Konzept geben.

Die Erwartungen daran sind niedrig, denn bislang regiert das Prinzip Gießkanne, und schon die Grundfrage ist ungeklärt: Wie fördert man das eigentlich, die „digitale Transformation“? Geht es um neue Technik, um Organisation, oder doch nur um die Abfederung von Härten in einer Verlagsbranche, die seit ungefähr 15 Jahren mit sinkenden Druckauflagen und Anzeigenerlösen kämpft und bei der Begeisterung des Publikums für digitalen Journalismus viel zu langsam in die Puschen gekommen ist? Eine Antwort wäre: Man beginnt bei den Menschen, die in der Branche arbeiten. Für die Zukunft der Medienbranche sind Investitionen in Aus- und Weiterbildung kritisch. Denn im Journalismus zeichnet sich ein gigantisches Personalproblem ab.

In der Welt draußen ist das noch wenig bekannt. Die politische Diskussion wird schließlich von den großen Medienmarken beherrscht, zu denen nach wie vor ausreichend qualifizierte Bewerber*innen drängen. Redet man mit Vertreter*innen von Regionalverlagen, sieht die Sache anders aus. „Das Geschäftsmodell Zeitungen wird nicht von der Auflage zuerst zusammenbrechen, sondern vom Personal“, sagte kürzlich ein im Digitalen recht umtriebiger Chefredakteur einer süddeutschen Lokalzeitung. Die Zahl der Bewerbungen nehme rasant ab, die Qualität der Bewerber*innen ebenso. Das gilt für Journalist*innen, die sich in der leidenden Branche wenige Perspektiven ausrechnen und jene jungen Leute, die mit dem Beruf gar nichts mehr anfangen können. Noch viel mehr gilt es aber für junge Leute mit IT-Kompetenz. Die gehen lieber gleich zu Originalen wie Facebook, Google oder Spotify, wo die Gehälter höher, die Work-Life-Balance besser und die Kultur cooler sind. In der Studie „Are Journalists Today’s Coal Miners?“ hat eine Forscher*innen-Gruppe aus Oxford und Mainz das Thema 2019 ausführlich beleuchtet (die Autorin dieser Kolumne war Teil des Teams).

Aber nicht nur mit der Rekrutierung von Berufseinsteigern haben die Verlage ein Problem. In den Redaktionen und Verlagsabteilungen gibt es eine große Unwucht zwischen dem, was die Mitarbeiter*innen können und dem, was sie können müssten. Das zieht sich hinauf bis in Chefredaktionen und Verlagsleitungen. Die Redaktionen sind gut gefüllt mit Reporter*innen und Redakteur*innen, die zwar brillant oder zumindest versiert im Recherchieren, Schreiben und Redigieren sind, sich aber mit digitalen Erzählformaten, Produktentwicklung und Kundennähe kaum auskennen, ganz zu schweigen von Veränderungsmanagement. Schlimmer, aus den Journalistenschulen kommen in großer Zahl junge Leute nach, die sich dafür ebenso wenig interessieren und am liebsten nur große Reportagen schreiben wollen.

Jetzt rächt sich außerdem, dass man in der Branche jahrzehntelang Menschen wegen ihrer journalistischen Kompetenz in Leitungspositionen befördert hat, nicht jedoch wegen ihrer Management-Qualitäten – und dass sie damit oft heillos überfordert sind. Gerade die talentierteren unter ihnen spüren das. Gerne würden sie sich entsprechend weiterbilden, aber dafür ist das Geld nicht da. Viele landen im Burnout oder verlassen die Branche für Jobs, in denen es auch mal Wachstum zu feiern, statt Krise zu verwalten gibt. Die anderen ducken sich weg und hoffen, dass das bis zur Rente oder zumindest dem nächsten Abfindungsprogramm niemandem auffällt. Energie und Kompetenzen verkümmern, weil sie niemand abholt zur Reise in die digitale journalistische Zukunft.

Hinzu kommt ein erbitterter Konkurrenzkampf in der Branche, der zwar am Kiosk seine Berechtigung hatte aber längst nach hinten losgeht, weil die wahren Wettbewerber im Silicon Valley sitzen oder dort, wo man dessen Rezepte kopiert. Die Verlage haben es versäumt voneinander zu lernen, Kompetenzen zu bündeln und Innovationen selbst zu entwickeln, von denen die Branche und damit auch der Journalismus profitieren könnte. Kooperationen entwickeln sich nur langsam, ein Beispiel ist Drive, das gemeinsame Daten-Projekt verschiedener Regionalzeitungen und der dpa.

Was könnte man alles erreichen, würde man nur einen Teil der 220 Millionen Euro in die Ausbildung junger Journalist*innen stecken, die verschiedenste Perspektiven und Fähigkeiten in die Verlage tragen könnten? Welches Potenzial ließe sich erschließen, würde man gestandene Redaktions- und Verlagskolleg*innen für die digitale Transformation fit machen? Flächendeckende Trainings in Veränderungsmanagement, Kundenorientierung und Leadership sind Investitionen, die der Branche langfristig mehr nutzen als das nächste neue Redaktionssystem. Bevor man sich für Technik entscheidet, muss man schließlich wissen, was man damit machen will. Strategien aber können nur Menschen entwickeln.

Tragisch besonders in Deutschland ist, dass man all diese Aufgaben weitgehend Google und Facebook überlässt, die großzügig Bildungsprogramme für Verlage finanzieren (Transparenz: Das Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School, in dessen Rahmen diese Kolumne entsteht, wird von Facebook unterstützt, die Autorin ist zudem in Programmen engagiert, die von der Google News Initiative gefördert werden). Damit machen sich die Medienhäuser noch abhängiger von den Plattform-Konzernen, die ohnehin schon viel zu häufig definieren, was bitte Innovation zu sein hat. Die Ironie dabei: Geißeln Kommentator*innen im Leitartikel gerne die Übermacht der Tech-Monopole, wird deren Geld intern nur zu gerne angenommen – weil es keine Alternative gibt.

Dabei wäre staatliches Geld für Journalismus in der Bildung am besten investiert. Hier bliebe die journalistische Unabhängigkeit gewahrt, gleichzeitig würde man nachhaltig in die Zukunft investieren. Als Vorbild könnte man die Diskussion in der Entwicklungshilfe nehmen, die heute aus gutem Grund Entwicklungszusammenarbeit heißt. Geld ausschütten per Gießkanne ist das Rezept von gestern. Strukturen aufbauen und Hilfe zur Selbsthilfe anstoßen, darauf kommt es an.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 26. Februar 2021.

Mehr Macht für den Mittelbau – Nicht einmal die Medien-Leader selbst finden, dass sie die besten Ideen für die Zukunft haben

Was hat man nicht schon alles gehört über das mittlere Management in Unternehmen. Dort säßen Erfüllungsgehilfen, Kontrollettis, an Prozessen ebenso klebend wie am eigenen Stuhl. Manager*innen eben, definitiv keine Leader. Wären sie das, regierten sie schließlich in der Top-Etage – so wird es in mancher Business School unterrichtet. Der ehemalige Siemens-Chef Peter Löscher hatte mal von „Lehmschicht“ gesprochen, der Begriff überlebte sogar seine eigene Karriere im Konzern. Ein Wort wie eine Watschn, würde man auf Bayrisch sagen, ein Schlag ins Gesicht all jener emsiger Erlediger*innen und Macher*innen, die nicht nur täglich den Betrieb am Laufen halten, sondern sich auch um ständige Verbesserungen bemühen, ob gerade Krise ist oder nicht.

In der Medienbranche sind sich die Chef*innen in Sachen Lehmschicht offenbar nicht mehr so sicher. Im neuen „Journalism, media and technology trends and predictions“ Report von Nic Newman, den das Reuters Institute in Oxford regelmäßig zu Jahresbeginn veröffentlicht, äußerten sich Top-Manager*innen zumindest erfrischend selbstkritisch über ihre eigenen Kapazitäten, auch Top-Ideen zu generieren. Nur etwa einer von vieren (26 Prozent) der 234 befragten Führungskräfte aus 43 Ländern gab an, dass nach ihrer Überzeugung das Spitzenmanagement die besten Ideen generiere. Das Problem ist klar: „Die besten Ideen kommen nicht unbedingt von oben, aber die Unternehmen werden noch so geführt“, sagt Nic Newman. Der Report ist nicht repräsentativ aber in der Branche gerade deshalb Pflichtlektüre, weil die Antwortenden in der Regel besonders um Fortschritt bemühte Köpfe sind. 

Aber wo werden die Innovationen geboren? Fast drei Viertel verrieten in der Umfrage, dass Daten und Publikumsforschung ihnen am ehesten auf die Sprünge helfen würden, 68 Prozent wetteten auf gemischte Teams aus verschiedenen Bereichen, und immerhin knapp jeder Zweite gestand ein, sich die besten Strategien von anderen Medienunternehmen abzugucken. Okay, dem mittleren Management als solchem trauten die Chefredakteur*innen und Medienmanager*innen laut der Umfrage noch weniger zu (17 Prozent) als sich selbst. Aber wer trifft sich in den gemischten Teams, wer wertet die Publikumsdaten aus und leitet daraus Strategien ab, wer besucht die einschlägigen Branchentreffs, liest sich in fremde Materien ein und berichtet dann an die C-Ebene? Richtig, im allerhäufigsten Fall ist es ist der Mittelbau.

Es sind oft diejenigen, die in keinem Branchendienst als Held*innen gefeiert werden und auf die weder Management-Literatur noch Forschung ein Auge haben, die am nächsten dran an den Schwierigkeiten und deshalb auch an den Lösungen sind. Sie sind es, bei denen sich Sorgen von Mitarbeiter*innen und Kund*innen gleichermaßen zu einem Sandwich an Erwartungen türmen. Von ihnen verlangt man, dass sie sowohl operativ zuverlässig sind als auch strategisch mitdenken und Veränderungen managen. Und wenn etwas schiefgeht, bleibt es ihnen überlassen, die Scherben aufzulesen und daraus noch etwas zu basteln – auf Selbstbewusst nennt man das dann „celebrate failure“.

Diese Schicht aus nimmermüden Arbeits- und Innovationsbienen, von denen viele in einem Alter und Situationen sind, in denen ihnen die Familienarbeit Zusätzliches abverlangt, ist – wen wundert’s – am stärksten gefährdet, ein Burn-out zu erleiden. Lucy Küng, die wie kaum jemand zum Kulturwandel in sich digitalisierenden Medienunternehmen forscht, hat dies in zahllosen Interviews belegt, nachzulesen unter anderem in ihrem neuesten Buch: „Hearts and Minds: Harnessing Leadership, Culture and Talent to Really Go Digital“. Viele Talente gingen der Branche deshalb verloren, betont sie wieder und wieder.

Dennoch halten viele Manager*innen den Mittelbau nur so lange für unterstützenswert, wie sie selbst ein Teil davon sind. Kaum haben sie Karriere gemacht, reklamieren sie die Visionen für sich. Gianpiero Petriglieri, Professor an der INSEAD Business School, nennt das „Leaderism“. Statt zuverlässiges und konstruktives Management zu schätzen, das gerade in der Krise so nötig sei, feiere man Visionäre, deren Ideen nur allzu oft mit ihnen untergingen. Die Verherrlichung von Leadership einerseits und die Abwertung von Management-Qualitäten andererseits sei ein gefährliches Gegensatzpaar, das immer noch gelehrt werde, aber vor allem in Krisen mehr schade als nutze, beschreibt er wortgewaltig in dem Essay: „Why leadership isn’t a miracle cure for the Covid-19 crisis (and what can really help).“ Es sei an der Zeit, weniger Hoffnung in Leadership zu setzen und mehr Menschlichkeit in das Management zu bringen, so Petriglieri. Dem „Trends and Predictions“-Report nach zu urteilen, haben das viele Medien-Manager*innen schon verstanden. Demut ist der erste Schritt zur Innovation.

Dieser Text erschien am 15. Januar 2021 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School.

Kultur sticht Kommentar – Warum manch ein Leitartikel zur Frauenquote unglaubwürdig wirkt

Am 6. Juni 1971 erregte das Hamburger Magazin Stern mit einem Cover weltweites Aufsehen. „Wir haben abgetrieben“, ließ es 374 bekannte und unbekannte Frauen im Heft bekennen, 28 davon auf dem Titelbild. Das war damals mehr als ein Tabu-Bruch, es verstieß gegen das Gesetz. Im November 2020 schmückte wieder eine Promi-Galerie das Blatt: „Ich bin eine Quotenfrau“, liest man da, 40 erfolgreiche Frauen bekennen sich dazu. Die Assoziation wird gewollt gewesen sein, gesellschaftliche Befindlichkeiten erklären sich oft über die geltenden Tabus. Man kann die Aktion als Fortschritt verstehen oder mit leichtem Befremden zur Kenntnis nehmen, was heute als radikal gilt.  

Seitdem sich die Bundesregierung zur Frauenquote bekannt hat, werden jedenfalls auch die Leitartikel zum Thema wieder entstaubt. Nun, so mahnen deren Autor*innen an, müssten sich neben den Zahlen endlich Unternehmenskulturen ändern. Schließlich soll Vielfalt nicht nur von der Fototapete strahlen, sondern auch im vielfach belegten Sinne positiv wirken. So weit, so richtig. Allerdings lassen die Kommentator*innen dabei so gut wie nie durchblicken, wie es mit der Gleichstellung in ihren eigenen Redaktionen aussieht.

Eine solche Offenbarung wäre zwar unüblich aber interessant. Denn in den meisten Medienhäusern ist (wenn überhaupt vorhanden) schon das Zahlenwerk peinlich, die Kultur, nun ja. Dass gut gemeint nicht gut gemacht ist, lässt sich in diesen Fällen wörtlich verstehen.

Nun ist das Ganze eine komplexe Sache. Früher konnten CEOs das Thema „Frauenförderung“ noch mit Verweis auf den Betriebskindergarten abmoderieren. Bei der Kultur aber geht es ans Eingemachte: Es handelt sich um diejenigen Werte, Normen und Einstellungen, die den Unternehmensalltag bestimmen, ohne dass es dazu eine Ansage bräuchte. Dummerweise sind es genau jene ungeschriebenen Gesetze, die die Organisation bislang erfolgreich gemacht haben, zumindest nach Lesart ihres Führungspersonals. Deshalb gleicht der Aufruf zum Kulturwandel in den Augen mancher der Ansage, nun mal ordentlich an genau dem Ast zu sägen, auf man so gemütlich sitzt. Und das gerade in Zeiten, wo der Sturm ohnehin schon kräftig am Baum rüttelt. Das gilt in Medienhäusern genau wie anderswo auch.

Die Medienbranche leidet zudem noch unter einer Besonderheit. Vor allem in Redaktionen ist man oft stolz darauf, dass hier Journalist*innen führen und keine Manager*innen, die womöglich noch das Vokabular aus der Business School importieren. Professionelles Management ist in diesen Biotopen oft sehr kluger, schlagfertiger und beobachtungsstarker Individualist*innen nahezu verpönt. Das macht die Sache nicht leichter, aber die Unternehmenskultur eben auch nicht besser. Stöhnen die Mitarbeiter*innen in großen Häusern unter hierarchischen Strukturen, überkommenen Belohnungssystemen und Diskussions-Ritualen, in denen sich alles in Richtung Alpha-Mensch ausrichtet wie an einem Nordstern, beklagen sich jene in Neugründungen oft über nicht minder anstrengende und schwer zu durchblickende Buddy-Systeme. Kein Wunder, dass sich Neuzugänge, die eigentlich mehr Vielfalt bringen sollten, entweder mit Verve an die herrschende Kultur anpassen oder den Laden nach einer Weile genervt wieder verlassen, ohne viel bewirkt zu haben.

Wer in Sachen Vielfalt wirklich etwas verändern will, kommt nicht umhin, ein paar Instrumente in die Hand zu nehmen. Da geht es um professionelles Recruitment, Onboarding und Coaching. Wichtig ist ein anständiges Zahlenwerk dazu, wie sich die Belegschaft zusammensetzt und wie hoch die Verweildauer einzelner Gruppen ist. Außerdem sollte nicht nur der Input angeschaut werden (wer trägt hier bei?), sondern auch der Output (produzieren die Beitragenden tatsächlich mehr Vielfalt?). Und das in der Mitte darf keine Black Box bleiben. Wer und wie wird im Unternehmen belohnt, wie werden Diskussionen gefördert und gelenkt und wie holt man die ins Boot, die in der alten Kultur großgeworden sind und ihre Privilegien nun verteidigen? Da gibt es viel zu tun.

Für die Studie „Changing Newsrooms 2020“ hat das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford kürzlich leitende Medienschaffende aus aller Welt zum Thema Vielfalt und Talent-Management befragt. Immerhin mehr als jede*r Zweite gab an, dass in ihrer*seiner Organisation Daten über die Diversität der Belegschaft und des Managements gesammelt würden, 46 Prozent sagten, bei ihnen sei jemand speziell für das Thema abgestellt, und immerhin ein Drittel gab zu Protokoll, es sei auch ein Budget dafür eingeplant. Allerdings war die Studie nicht repräsentativ, gibt also nur das Bild derjenigen wieder, die auch gerne geantwortet haben. Die wiederum waren erstaunlich selbstzufrieden. 40 beziehungsweise 43 Prozent stimmten der Aussage zu, sie seien gut darin, Mitarbeitende unterschiedlicher sozialer Herkunft und Ethnien in der Organisation zusammenzubringen. Erstaunliche vier von fünf Befragten gaben an, in Sachen Geschlechtergerechtigkeit einen guten Job zu machen.

Die Realität sieht anders aus, wie eine andere in diesem Jahr veröffentlichte Studie des Instituts zeigt. Demnach steht der Anteil an Chefredakteurinnen weltweit in einem starken Missverhältnis zum Anteil der Journalistinnen in Redaktionen. Die regelmäßig von Pro Quote veröffentlichten Zahlen für Deutschland zeigen, dass es auch hierzulande noch viel Luft nach oben gibt. Zudem kann Statistik über wahre Macht- und Einflussverhältnisse hinwegtäuschen. Zweifelsohne gibt es einen – allerdings nicht statistisch gestützten – Trend zur (jüngeren) Digitalchefin, die sich häufig auch Chefredakteurin nennen darf. Die Fäden ziehen trotzdem fast überall Chefredakteure und CEOs traditioneller Prägung. Man müsse es ja nicht gleich übertreiben mit dem Wandel, das mag die Denke der Gesellschafter sein. Oft allerdings fängt er deshalb gar nicht erst an. Die alte Kultur lebt weiter, der flammende Leitartikel zur Frauenquote verhallt.

Der Stern übrigens ist laut der Statistik von Pro Quote ein Vorbild in Sachen Gleichstellung, zumindest den Zahlen nach. Das mag auch daran liegen, dass das Mutterhaus Gruner+Jahr von CEO Julia Jäkel geführt wird. Für das Cover hat sie sich allerdings nicht fotografieren lassen.

Dieser Text erschien zuerst am 27. November 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.