Warum Vertrauen in Medien als Messgröße wenig nützt

Zwischen der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa und dem Reuters Institute in Oxford schwelt ein Konflikt, der für Medienschaffende Stoff zum Nachdenken enthält. Die weithin bewunderte philippinische Journalistin und Gründerin der Newssite Rappler wirft dem Institut vor, mit einem Teil seiner Forschung Journalistinnen und Journalisten in Ländern zu schaden, deren Regierungen aktiv daran arbeiten, das Vertrauen in Medien auszuhöhlen. Es geht um den Digital News Report, die weltweit größte fortlaufende Untersuchung zum Medienkonsum, dessen elfte Ausgabe im Juni erschienen ist. Die Umfrage listet Rappler wiederholt als eine derjenigen philippinischen Medienmarken, denen die Nutzer am wenigsten vertrauen. Ressa sagt, die Regierung verwende diese Daten gegen sie und ihre Kollegen. Aus Protest gegen die Methodik war Ressa bereits im vergangenen Jahr aus dem Beirat des Instituts zurückgetreten.

Vertrauen ist ein aufgeladener Begriff. Kaum eine große oder groß gemeinte Rede kommt ohne ihn aus. Das Vertrauen in Institutionen schwinde, heißt es dann mit leicht dramatisierender Intonierung, speziell jenes in Medien und in den Journalismus. Aber ist Vertrauen überhaupt eine nützliche Kategorie?

Im Fall Ressa gegen Reuters hatte Institutsleiter Rasmus Kleis Nielsen schon 2022 versucht, die Sache einzuordnen. Hier zeigten sich die Kosten von mutigem, aufklärerischem Journalismus, analysierte er in einem Artikel. Natürlich hätten Regierungen, die Stimmung gegen unabhängige Medien machten, stets bei einem Teil der Bevölkerung Erfolg. „Beim Medienvertrauen gehe es um mehr als Faktentreue und die Vertrauenswürdigkeit des journalistischen Outputs eines Unternehmens. Es geht auch darum, wie Menschen diese Arbeit im Licht der jeweiligen Politik und ihrer parteipolitischen Präferenzen interpretieren“, so Nielsen. Man könnte also sagen, viel Feind, wenig Ehr. Die Forschung des Instituts belegt schon lange, dass Medienvertrauen und das Vertrauen in die jeweilige Politik eines Landes eng verknüpft sind. Ärgern sich Menschen über Politiker und politische Institutionen, erstreckt sich ihre Wut auch häufig auf Journalisten. 

Um Vertrauen zu verstehen, muss man Misstrauen verstehen 

Weder Forschung noch Journalismus können also ohne Kontext verstanden werden. Das macht es kompliziert in einer Welt, in der Politiker, Chefredakteure, Wissenschaftler und auch die informierte Öffentlichkeit recht leichtfertig mit Kategorien wie Medienvertrauen, Qualitätsjournalismus, Filterblasen oder Fake News um sich werfen, oft aus dem – natürlich lobenswerten – Ansinnen heraus, sich für einen starken Journalismus zum Schutz der Demokratie einzusetzen. Tenor: alles geht bergab, nur heiße Luft und Lügen nehmen zu. Doch so einfach ist es nicht.

Um zum Beispiel Medienvertrauen zu verstehen, muss man Misstrauen verstehen. Tatsächlich gehört es zu den Kernmerkmalen der Demokratie, dass sie ihren Bürgern ein gewisses Maß an Skepsis nicht nur gestattet, sondern sogar abverlangt. Vertrauenswerte nahe der 100 Prozent sollten eher stutzig machen als begeistern. Tatsächlich predigen die Medien selbst es ihren Konsumenten immer wieder: Sei kritisch, skeptisch, hinterfrage. Dies prägt auch die vielfach geforderte digitale Bildung. Teenager und junge Erwachsene wurden und werden dazu erzogen, lieber einmal mehr zu googeln, als auf Spam, Phishing oder Lügengeschichten hereinzufallen. Wenn das Medienvertrauen in der Folge niedrig ist, hat der Journalismus so betrachtet eines seiner Ziele erreicht.

Dies wird sich mit dem Vordringen generativer KI noch verstärken. Schließlich weisen auch die Medien zurecht darauf hin, dass Bots wie Chat GPT manchmal halluzinieren und (noch) keinen Faktencheck können. Klar, die Medienmarken, die so etwas verbreiten, wollen damit auch sagen: Wenn ihr euch auf uns verlasst, seid ihr sicher. Aber sind die Nutzer es wirklich, wenn es gleichzeitig zunehmend heißen wird, dass dieses und jenes Produkt mit Hilfe von KI erstellt oder zumindest ergänzt und animiert wurde? Etwas Misstrauen ist da eine gute Strategie. 

Das heißt nicht, dass man Medienvertrauen nicht messen kann und sollte. Neben dem Digital News Report, dessen deutscher Teil vom Hans Bredow Institut erstellt wird, tun dies auch andere Untersuchungen wie zum Beispiel die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz. Interessant an solchen Erhebungen sind vor allem die Zeitreihen und Nuancen, nicht so sehr die plakativen Aussagen („dramatischer Vertrauensverlust“), die es in Vorträge schaffen. Ein hoher Vertrauenswert kann schließlich vieles bedeuten. Er kann ein Indikator für journalistische Qualität und Markenstärke sein, leider aber auch zeigen, dass Propaganda wirkt, es an Medienvielfalt mangelt, oder dass Menschen schlecht gebildet und oder einfach naiv sind. 

Der schwammige Qualitätsbegriff

Ähnlich schwammig ist der Begriff Qualitätsmedien. Den nutzen vor allem jene gerne, die in Häusern arbeiten, die sie für etwas besser als den Rest halten. Sie verstehen das als Abgrenzung zum Boulevard. Früher galt, je mehr Bleiwüste, desto höher die (vermutete) Qualität. Das hat allerdings noch nie etwas darüber ausgesagt, wie viele Menschen diese Medien mit welcher Wirkung tatsächlich erreichen. Zudem enthalten auch Qualitätszeitungen durchaus schlechten Journalismus. In manchen Regionen der Welt wird „quality media“ sogar als Kampfbegriff verstanden. Gerne beschränkten Regierungen mit zweifelhaftem demokratischem Verständnis den Zugang zu Informationen auf „Qualitätsmedien“, die Klassifizierung werde somit ein Einfallstor für Zensur, argumentieren Vertreter entsprechender Länder. Im Europarat wäre die Eröffnungssitzung des Experten-Ausschusses „Quality journalism in the digital age“ 2018 fast daran gescheitert, dass sich manche Mitglieder auf den Begriff nicht einlassen wollten.

Journalisten sollten sich generell darüber bewusst sein, dass ihre eigene Berichterstattung viel dazu beiträgt, wie Menschen Risiken der digitalen Kommunikationswelt wahrnehmen. Begegnet den Nachrichten-Konsumenten in großer Frequenz der Begriff „Fake News“, werden sie solche auch eher wahrnehmen, als Problem definieren und sich in Umfragen entsprechend äußern. Auch die Filterblase ist ein gängiger Begriff geworden, obwohl es Belege dafür gibt, dass Mediennutzer heute mit mehr verschiedenen Quellen in Berührung kommen als früher. Reporter und Kommentatoren beeinflussen also mit ihren Warnungen die Forschung, über deren Ergebnisse sie dann erschrecken. 

Was wir daraus lernen können

Praktiker können daraus ein paar Dinge ableiten. Zunächst einmal sollten sie auf andere Indikatoren schauen als auf Vertrauensabfragen, wenn sie sich der Qualität ihrer Erzeugnisse vergewissern möchten. 

► Werden journalistische Angebote tatsächlich genutzt? Wie lange bleiben die Kunden dran? Wie oft kommen sie wieder und zahlen sie dafür? Hat Berichterstattung (politische) Konsequenzen? All das zeigt deutlich verlässlicher an, ob man seinen Job anständig macht. Der Bild zum Beispiel begegnen viele Menschen aus gutem Grund mit Misstrauen. Trotzdem bietet sie ihren Nutzern etwas, das diese woanders offenbar so nicht finden: zugespitzte, manchmal exklusive Informationen und einen gewissen Unterhaltungswert. Der Qualitätsmarke hingegen mögen sie vertrauen, sie aber trotzdem ignorieren. Vertrauen allein reicht nicht, der Gebrauchswert muss stimmen.  

► Außerdem sollten sich Journalisten ihre eigene Rolle in gewissen Aufregungsspiralen bewusst machen. Wer pöbelnden Politikern Reichweite verschafft, trägt dazu bei, dass der Ton rauer wird. Wer wochenlang in allen Facetten diskutiert, ob Aktionen von Klimaklebern gerechtfertigt sind, muss sich nicht wundern, wenn das Thema Klimaschutz polarisiert. Mit solchen Debatten zwingt man das Publikum in gegensätzliche Haltungen hinein, meist ohne ihnen wieder herauszuhelfen. In einer komplexen Welt ist die Aufgabe von Journalismus aber auch, Menschen bei der Suche nach Lösungen zu begleiten. 

► Schließlich brauchen Medien ein neues Verständnis von Qualität. Das sollte sich einerseits mehr an Prozessen, andererseits an der Wirkung des eigenen Journalismus orientieren als an selbstdefinierter Brillanz. Ein Qualitätsausweis ist zum Beispiel, wenn Redaktion und Organisation journalistische und ethische Standards einhalten und transparent mit möglichen Interessenkonflikten umgehen. Qualität könnte man auch daran messen, ob die Produkte eines Hauses die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen erfüllen, ob die eigenen Recherchen Organisationen und Individuen zum Handeln bewegen, ob man Menschen auch mal Mut statt Angst macht. 

Natürlich dürfen sich Intendanten und Chefredakteure trotzdem über einen oberen Platz in Vertrauensrankings freuen – seit Jahren werden die Listen in Deutschland übrigens von öffentlich-rechtlichen Medien und Lokalzeitungen angeführt. Ob Redaktionen aber wirklich einen starken Journalismus produzieren, zeigt sich anderswo. 

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 26. Juni 2023.


 

Digitale Meisterprüfung: Was JournalistInnen von Maria Ressa lernen können

 

Maria Ressa als Rockstar des globalen Journalismus zu beschreiben, wäre untertrieben. Als das Reisen noch möglich war, schien die philippinisch-amerikanische Star-Journalistin alle Bühnen der Welt gleichzeitig zu bespielen. Ehemalige CNN-Büroleiterin und Investigativ-Reporterin mit Schwerpunkt Terrorismus, Gründerin von Rappler.com, im Clinch mit dem philippinischen Präsidenten Duterte und dessen diktatorischem Regime, ständig mit einem Bein im Gefängnis und Time Magazine Person of the Year 2018: Praktisch jede Medienorganisation wollte sich von Ressa ihre Konferenz eröffnen lassen. Jetzt, in Covid-19-Zeiten, zoomt sie von einem Webinar zum nächsten, als kämpfe sie um ihr Leben – und das trifft es ziemlich gut. Seitdem sie und ein Rappler-Mitarbeiter am 15. Juni in ihrer Heimat Manila wegen Cyber Verleumdung verurteilt wurden, ist internationale Sichtbarkeit ihre wichtigste Strategie. Das Urteil ist Teil einer Schikane gegen die freie Presse, zu den Tricks gehören auch Anklagen wegen Steuerhinterziehung. Derzeit ist Ressa nur auf Kaution frei. Sollte sie in Haft gehen müssen, wird ihre Anwältin Amal Clooney für sie weiterkämpfen.

Ressa ist für viele Journalistinnen und Journalisten heute, was Bob Woodward und Carl Bernstein zu ihrer Zeit waren, aber nicht nur das: Sie steht auch als Vorbild für den digitalen Journalismus. Das ist nicht ganz selbstverständlich für eine Frau von 56 Jahren in einer Branche, in der sich CEOs damit rühmen, fürs Digitale nur noch bei den „digital Natives“ zu rekrutieren, weshalb manch einer per Hoodie versucht, noch für maximal Ende 30 durchzugehen. Aber Ressa, die mit charismatischem Lächeln, Leidenschaft und Eloquenz regelmäßig stehende Ovationen auslöst, lässt gar keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie schon ganz andere Dinge bezwungen hat als das bisschen digitale Transformation.

Rappler, vor sechs Jahren gegründet, ist als reine Online-Plattform zu einer der wichtigsten Medienmarken auf den Philippinen geworden. Auf Konferenzen sieht man die Chefin häufig selbst mit dem Smartphone live streamen. Und die Mitarbeiter_innen – der Anteil der Frauen liegt bei über der Hälfte – sind auch sonst absolut technikaffin. „Du musst sie mit ihren eigenen Waffen schlagen“, betont Ressa oft. Und dann demonstriert sie gleich dazu, wie sie das meint. Denn Duterte und seine Unterstützer_innen hetzen pausenlos mit Cyber-Trollen gegen Ressa und ihr Team. Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die Reporter_innen und deren Familiengehören zum Standard-Repertoire. Aber Rappler schafft es, diese Netzwerke mit Hilfe von Datenjournalismus sichtbar zu machen, zum Beispiel in der „Weaponizing the internet“-Serie. Gäbe es einen digitalen Meisterbrief, die Rappler-Kolleg_innen könnten ihn vorlegen. Oder vielleicht sollte man gleich von einem digitalen Waffenschein sprechen.

Aber Rappler ist auch ein Beispiel dafür, wie dicht Böse und Gut im Netz zusammenliegen. Ressa gehört zu einer der schärfsten Kritiker_innen von Facebook. Nur durch das soziale Netzwerk gelänge es Diktatoren wie Duterte, ihre Propaganda zu verbreiten, die Presse und Opposition plattzumachen versucht. Die Plattform um Mark Zuckerberg habe es bislang versäumt, an den Mechanismen zu drehen, die Hass und Hetze wie Brandbeschleuniger im Netz verbreiten. Gleichzeitig weiß Ressa, dass das Netzwerk vor allem in Regionen wie Südostasien der wichtigste Kanal dafür ist, aufklärerische Ideen und Wissen unter die Menschen zu bringen. Als „Frenemy“ – eine Mischung aus den englischen Wörtern für Freund und Feind – bezeichne sie die Plattformen oft, schreibt die Wissenschaftlerin Julie Posetti, die Ressa seit Jahren eng begleitet, in einem Meinungsstück für CNN.

Genau in diesem Zwiespalt bewegen sich Journalist_innen unablässig dieser Tage. So sehr, wie die Plattformen den Medienhäusern Werbeeinnahmen streitig machen, eröffnen sie auch Möglichkeiten, Inhalte in unterschiedlichsten Formen und auf unterschiedlichsten Wegen zu verbreiten. Digitale Hass-Attacken auf Kommentator_innen und Reporter_innen erschweren den Beruf. Die Möglichkeit, unkompliziert mit dem Publikum ins Gespräch zu gehen und sich dessen Wissen für Recherchen nutzbar zu machen, erleichtern ihn und erweitern seine Möglichkeiten. In der Beziehung zwischen den Tech-Konzernen und Medienmarken ist diese Hass-Liebe Tagesgeschäft. Die „Frenemies“ scheitern kläglich im Kampf gegen Hass und Hetze, machen aber gleichzeitig Geschenke: Google und Facebook fördern Redaktionen und journalistische Projekte mit Hunderten Millionen Dollar – auch das von Facebook gesponserte Digital Journalism Fellowship profitiert davon.

Die Leiterin des Tow Center for Digital Journalism an der Columbia University, Emily Bell, beleuchtet den Gewissenskonflikt der Branche im jüngsten Newsletter des Centers. Anders als für große Konsumgütermarken, die aus Protest gegen Facebooks nachlässigen Umgang mit Hassrede vorerst keine Anzeigen mehr auf der Plattform schalten, könnten sich dies viele Medienmarken gar nicht leisten. Die Reichweite sei für sie eine Überlebensfrage. „Auf Facebook zu werben ist (für diese Marken) wie Lastwagen dafür zu bezahlen, Zeitungen zu Kiosken zu transportieren“, schreibt Bell, es gehe um den Marktzugang.

Von Maria Ressa lässt sich in diesem Zusammenhang lernen: Man kann wie Ressa bei Facebook vorstellig werden und seine Praktiken anprangern. Und man kann die Möglichkeiten digitaler Technologien trotzdem für sich und eine gute Sache nutzen. #HoldTheLine ist Ressas berühmter Hashtag-Schlachtruf. Das gelingt aber nur, wenn man versiert genug ist, mit den Möglichkeiten von Daten und Netz umzugehen. Spätestens mit Blick auf Ressa weiß nun jeder: Nicht einmal das Alter ist eine Entschuldigung dafür, es nicht zu versuchen.

Dieser Text erschien zuerst am 9. Juli 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.