Zeitenwende: Wie Journalismus nun reagieren muss

Glaubte man an Verschwörungserzählungen, käme einem das vor, wie von langer Hand geplant: Von der einen Seite her diskreditieren Politiker im Dauerfeuer etablierte Medien und damit den unabhängigen Journalismus; von der anderen pushen Tech-Konzerne über entsprechende Plattformen und großzügige Förderung die „Creator Economy“. Das Prinzip „Teile und herrsche!“ lässt grüßen. Und plötzlich stehen beide Seiten einträchtig auf dem Balkon und grinsen hinab zu denjenigen, die den einen gewählt und den anderen ihre Daten überlassen haben. Mehr Symbolik als das Foto von den Tech-Jungs mit Trump bei dessen Amtseinführung im Januar 2025 geht kaum.

Ach, wenn es doch nur Symbolik wäre! Aber die neue amerikanische Regierung zeigt an allen Ecken und Enden, dass sie von Pressefreiheit (und demokratischer Gewaltenteilung generell) nichts hält. Journalisten der weltweit größten Nachrichtenagentur AP wird der Zugang zum Präsidenten verwehrt, weil sie den Golf von Mexiko nicht wie von ihm vorgeschrieben Golf von Amerika nennen. Sender und Regionalzeitungen werden für faktentreue Berichterstattung verklagt. Und gleichzeitig regeln die Plattform-Konzerne Facebook und X den Anteil der seriösen Nachrichten in den Newsfeeds ihrer Kunden herunter, Job erledigt.

Wer jetzt sagt, wir werden auch nach der Bundestagswahl nicht von Trump regiert, hat zwar faktisch Recht. Dennoch ist es allerhöchste Zeit, sich in den etablierten Redaktionen ein paar Gedanken mehr darüber zu machen, wie man die Loyalität seiner Nutzer in Zeiten des politischen Gegenwindes erhält und pflegt – und womöglich neue gewinnt. Denn die Anti-Medien-Erzählung und die Mechanismen der Plattform-Ökonomie mit ihren Aufmerksamkeits-Spiralen wirken auch hierzulande. Spätestens seit klar ist, dass kritisch-aufklärende Berichterstattung allein Menschen nicht davon abhält, Zersetzer der Demokratie zu unterstützen, muss sich vor allem der Politikjournalismus hier und dort ein paar unangenehme Fragen stellen, darunter jene: Hat man womöglich manch einen Kandidaten durch permanentes Scheinwerferlicht erst wählbar gemacht?

Auch der Journalismus in der Demokratie erlebt eine Zeitenwende. Und lange erprobte Praktiken eignen sich womöglich nicht mehr zur Bewältigung der Zukunft. Was also ließe sich tun? Zunächst könnten drei Strategien helfen:

Erstens, von Journalisten aus unfreien Regimen lernen. Was bringt es zum Beispiel, das präsidentielle Pressebriefing zu besuchen, wenn es den Veranstaltern nur um das Verbreiten ihrer Propaganda geht und kritische Journalisten-Fragen umgehend zu Waffen gemacht werden, die sich gegen die Fragesteller richten? Womöglich würde es wirken, blieben alle Kolleginnen und Kollegen, die etwas von Pressefreiheit halten, solchen Briefings und auch der Präsidentenmaschine fern, bis beispielsweise die AP-Kollegen wieder zugelassen werden. So wie es journalistische Arbeit manchmal verlangt, sich Menschen mit Einfluss von außen anzunähern und lediglich ihr Umfeld zu befragen, wenn sie partout nicht mit einem sprechen wollen, gibt es für Reporter auch und gerade jenseits offizieller Termine und Verlautbarungen ausreichend viel zu recherchieren.

Vor allem in Politikredaktionen herrscht eine bemerkenswerte Resistenz gegen den Wandel

Zu Beginn der ersten Amtszeit Donald Trumps vor exakt acht Jahren hatte das Reuters Institute dazu eine Umfrage unter Journalisten mit dem Titel „How to cover powerful people who lie“ gestartet. Mehr als 100 Kollegen aus aller Welt hatten mit Tipps beigetragen, die in einer immer noch brandaktuellen Liste der Do’s and Don’ts zusammengefasst sind. Dazu gehören, sich nicht vom endlosen Strom der Social-Media-Zitate ablenken lassen, den Geldströmen hinterherrecherchieren („Follow the money“)  – und zusammenhalten. Und für alle außerhalb der Medien gilt: Jeder kann sich für Pressefreiheit stark machen, vor allem Menschen mit Macht, Einfluss und öffentlicher Präsenz sind hier gefragt. 

Zweitens, das journalistische Angebot auf die Bedürfnisse der Nutzer ausrichten. In den etablierten Medien, vor allem deren Politikredaktionen, herrscht eine bemerkenswerte Resistenz gegen den Wandel. Obwohl man Nutzer langfristig binden will, feilt man am Clickbait-Journalismus, für den niemand ein Abo abschließt. Obwohl man um Nachrichtenmüdigkeit und -verweigerung weiß, springt man über jedes Stöckchen und setzt auf immer mehr News und diese möglichst schneller. Obwohl man vom tiefgründigen Journalismus, exzellentem Storytelling und investigativen Recherchen schwärmt, verlangt man seinen Leuten die schnelle Geschichte ab und bringt sie dazu, die Erstversion ChatGPT zu überlassen – wird schon keiner merken. Obwohl man Social Media in Sonntagsreden verachtet, zwingt man Politiker in TV-Duelle, die genau die gleichen Mechanismen bedienen wie knackige Posts. Und obwohl Lokaljournalismus fast überall und bei allen Altersgruppen zu den Top-Interessen gehört – ein Blick in den Digital News Report 2024 bietet sich an –, dünnt man Lokalredaktionen aus und setzt auf überregionale Inhalte, die schon heute jede KI-Suche zutage fördern kann. Ein Angebot, das den durchaus verschiedenen Bedürfnissen der Kunden entspricht, sieht sehr häufig sehr anders aus: es ist selektiver, konstruktiver und begegnet den Menschen, statt sie zu belehren. Medienhäuser täten gut daran, sich mehr mit Psychologie,  Verhaltensforschung und den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen zu beschäftigen und ihre Produkte entsprechend zu gestalten. Der politische Journalismus muss sich als Dienstleistung für sein Publikum neu erfinden.                    

Manchmal fällt es einem schwer, die eigene Branche zu lieben

Drittens, unabhängige Medienmarken stärken – auch wenn es manchmal schwerfällt. Wer im Journalismus einen großen Namen und Unternehmergeist hat, für den mag es verlockend sein, vom Influencer-Trend zu profitieren. Das Vertrauen vor allem junger Menschen wandert eindeutig weg von Institutionen hin zu Individuen, die nahbarer, authentischer und irgendwie ehrlicher rüberkommen, als dies der traditionelle Journalismus tut. Dieser wiederum hat einiges dazu beigetragen. Erwartbare Inhalte, formelhafte Sprache, Clickbait, „Copy and Paste“-Nachrichten, „der hat gesagt, die hat gesagt“-Verlautbarungen – manchmal fällt es einem schwer, die eigene Branche zu lieben.

Viele Nutzer, die die Welt da draußen nur durch TikTok und YouTube erleben, wissen zudem nicht einmal mehr, was journalistische Prinzipien sind und was Pressefreiheit bedeutet. KI-Portale werden die Präsenz von zur Unabhängigkeit verpflichteten Quellen weiter zurückdrängen. Und diverse digitale Plattformen ermöglichen es Einzelkämpfern, sich dort ein loyales Publikum heranzuziehen. Einerseits erfrischt und beeindruckt das. Anderseits haben und hatten die Tech-Konzerne offenbar genau das im Sinn: Individuen lassen sich leichter korrumpieren oder einschüchtern als große Medienmarken mit der Macht vieler Reporter und ihren Rechtsabteilungen, die den Mächtigen recht lästig werden können. Die Konsequenz: Etablierte Marken können sich von Influencern abschauen, was sie so attraktiv macht und ihre eigenen Personenmarken aufbauen und binden, ohne journalistische Prinzipien aufzuweichen. Und reichweitenstarke Solo-Unternehmer mögen sich überlegen, ob sie nicht doch mit Marken kooperieren wollen, die für Pressefreiheit stehen. Die Demokratie wird es ihnen danken.  

Diese Kolumne erschien am 18. Februar bei Medieninsider. Um neue und frühere Kolumnen zu lesen, empfiehlt sich ein Abo dort.