Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

Politik-Journalismus: Runter vom Schlachtfeld, rein ins Labor

Der politische Journalismus in Deutschland hat seine Sache im Bundestagswahlkampf gut gemacht. Das heißt auch: Er hätte einiges noch besser machen können. Es ist an der Zeit, rhetorisch ab- und inhaltlich umzurüsten. Denn es geht auch konstruktiv.

Die jüngste Bundestagswahl ist schon eine Weile her, die Medien sind lange weitergezogen. Was die Qualität der Berichterstattung darüber angeht, daran kann sich vermutlich kaum noch jemand erinnern, nur das Wort „Triell“ mag sich nachhaltig im deutschen Sprachgebrauch behaupten. Festhalten sollte man nur, dass der Journalismus insgesamt gut funktioniert hat. Denn trotz einer nach allgemeinem Bekunden wenig überzeugenden Auswahl an Kanzlerkandidaten war die Wahlbeteiligung leicht auf knapp 77 Prozent gestiegen. Man darf vermuten, dass dies ohne eine vielfältige und umfangreiche Medienberichterstattung nicht geschehen wäre.

Wettkampf ist das Salz des politischen Journalismus

Trotzdem kann sich auch der politische Journalismus weiterentwickeln, auch wenn das die Routiniers in den Parlamentsbüros ungerne hören. Denn wieder und wieder werden die alten Rezepte aus dem journalistischen Standard-Kochbuch nachgekocht. Dessen populärstes besagt: Wettkampf ist das Salz des politischen Journalismus. 

Wer liegt in den Umfragen vorn? Vor lauter Begeisterung für diese Frage, die nicht besser wird, je öfter man sie stellt, vergessen Journalistinnen und Journalisten gerne, dass die Antwort morgen schon wieder überholt sein dürfte. Sie unterschätzen auch, dass sie genau damit Ergebnisse beeinflussen. Es ist ein psychologischer Effekt, dass sich viele Menschen gerne auf die Seite der Sieger stellen oder als Unentschlossene eher der gefühlten Mehrheit folgen. Sprich: Ein bisschen weniger Triell hätte es auch getan. 

Der Personen-Themen-Kreisel

Das heißt nicht, jetzt einem anderen Ritual zu folgen: dem Personen-Themen-Kreisel, der sich vor allem in den sozialen Netzwerken oft schwindelerregend dreht. Geht es auf Twitter hart gegen eine Person zur Sache, muss man nur kurz warten, bis die erste fordert: Im Wahlkampf sollte es mal wieder um Themen gehen. Geht es um Themen, werden die natürlich mit Personen verknüpft, was andere wieder nach Themen rufen lässt. Fakt ist, dass Politik in den meisten Demokratien von Koalitionen verabschiedet wird, weshalb viele politische Programme nach der Regierungsbildung nur noch in Umrissen erkennbar sind. Das Wahlvolk hat also recht, wenn es sich im Vorhinein vor allem mit der Glaubwürdigkeit, Integrität und Kompetenz der Personen beschäftigt, denen es die Verantwortung für die Themen in die Hände legt.

Der beste Ausweis für Glaubwürdigkeit sind Taten, weshalb es Kandidatinnen und Kandidaten ohne Regierungserfahrung schwerer haben. Aber selbst dort, wo jemand schon länger gestalten kann oder könnte, schauen Reporterinnen und Reporter viel zu selten hin. Natürlich ist Journalismus der Sorte „der hat gesagt, die hat gesagt“ bequemer und deutlich billiger als Recherche. Großmäuler haben einen Vorteil, und womöglich färbt es sogar auf den Glanz des Korrespondenten ab, wenn er eine Regierungschefin oder einen prominenten Herausforderer vors Mikrofon bekommt.

Großmäuler gibt es schon bei YouTube und Instagram

Hingegen kann es sehr mühselig sein, in Team- und Kleinarbeit Fakten zusammenzutragen, und es fällt schlimmstenfalls noch nicht einmal auf: Trotz starker Recherche-Leistung der beteiligten Kollegen war es vielen Wählenden offenbar zu kompliziert, Olaf Scholz’ Rolle im Cum-Ex-Skandal zu durchdringen. Die durch die Pegasus-Recherche zutage geförderten verdeckten Immobilien-Geschäfte von Tschechiens Premier Andrej Babis waren da wohl leichter zu verstehen. Ihn hat die Arbeit von Journalisten seine Wiederwahl gekostet. Dabei sollte man das politische Personal an seinen Taten messen, was oft leichter ist, als es die Medien in schönster Herdenbewegung glauben machen. Gerade junge Menschen wünschen sich vom Journalismus mehr Perspektiven, Lösungen und Substanz. Großmäuler finden sie bei YouTube und Instagram schon zuhauf. 

Das Constructive Institute in Aarhus* hat kürzlich demonstriert, wie Wahldebatten auch konstruktiv ablaufen könnten. In dem Projekt „guter Kampf“ wurden zunächst 120 Journalisten aus ganz Dänemark darin geschult, wie man Wahlen konstruktiv begleiten könnte. Kandidaten lernten in Bootcamps konstruktive Debatten-Techniken. Der Test kam mit einer Wahlveranstaltung, zu der mit folgendem Text eingeladen wurde: 

„Mögen Sie Politik, aber haben sie das auch so satt, wenn sich Politiker anschreien und die Medien versuchen, immer die Konflikte zu betonen? Sie sind nicht allein. Vielleicht können wir gemeinsam testen, ob das anders gehen kann.“ 

Ulrik Haagerup, Gründer des Instituts und früher Chefredakteur im dänischen Fernsehen, war spürbar überrascht von der Reaktion. Nach nur wenigen Stunden sei die Veranstaltung ausverkauft gewesen. 530 Dänen seien zu einem Abend erschienen, der angefüllt mit Argumenten, Ideen und Heiterkeit gewesen sei. „92 Prozent der Besucher fanden es großartig. Die Kandiaten waren überrascht, dass sie über potenzielle Lösungen reden und Gedanken ihrer Gegner anerkennen konnten, ohne als Verlierer gebrandmarkt zu werden“, sagt Haagerup. Nicht verwunderlich, dass er in solchen Formaten die Zukunft des Journalismus sieht.

Menschen sind mehr als kühle Rechner

Nahe an den Menschen zu sein, das heißt übrigens vor allem, sie ernst zu nehmen und nicht zu unterschätzen. Journalisten versuchen dies oft recht unbeholfen. Die im Wahlkampf ewig wiederholte Frage „Was kostet das den Bürger?“ reduziert die Wählenden auf Gewinn-Maximierer, das wird ihnen nicht gerecht. Menschen sind mehr als kühle Rechner, im Guten wie im Schlechten. Spätestens das Brexit-Referendum hat gezeigt, dass Emotionen auf dem Soll und Haben ebenso viel wiegen können wie Geld auf dem Bankkonto.

Medien könnten nicht nur im sprachlichen Umgang mit Politikern, ähm, abrüsten und dann und wann kontrollieren, wie oft sie in Wahlkämpfen (sic!) Vokabular von Schlachtfeld und Sportplatz borgen statt zum Beispiel welches aus Werkstatt oder Labor. Auch die Kritik an der Konkurrenz fällt oft eine Spur schriller aus als angebracht. Die jeweils anderen hätten Annalena Baerbock ins Amt schreiben wollen, lautete ein häufiger Vorwurf im Bundestagswahlkampf, mit dem sich manch einer als gegen den Strom schwimmend gerieren wollte. 

Nun, spätestens die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 dürfte gezeigt haben, dass man Politiker nur sehr begrenzt hoch- oder runterschreiben kann. Wenn Menschen beginnen, Journalistinnen und Journalisten als Teil einer Elite zu betrachten, die den Kontakt zum Wahlvolk verloren hat, geht Parteinahme ziemlich sicher nach hinten los. Für jeglichen Journalismus gilt deshalb: Vorher zuhören ist besser als nachher wundern.

*Transparenz-Notiz: Alexandra Borchardt ist Board Mitglied der Constructive Foundation

Diese Kolumne erschien am 12. Oktober bei Medieninsider und wurde hier leicht angepasst. Mit einem Abo lassen sich dort auch aktuelle Kolumnen lesen. 

Corona als Vertrauens-Booster – Was Redaktionen jetzt tun können

Man hört das immer wieder, die Frage kommt von Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und anderen, die sich um den Fortbestand der Medienlandschaft in der Demokratie sorgen: Was sich denn tun ließe, um das so dramatisch gesunkene Vertrauen in die Medien wieder aufzupäppeln? Das Anliegen ist ehrenwert, es hat nur einen Haken: Es baut auf einer falschen Diagnose. In den meisten Ländern ist das Medienvertrauen in den letzten Jahren gar nicht so stark eingebrochen, wie viele dies frei nach Bauchgefühl behaupten. Für Deutschland hat die Universität Mainz jetzt sogar das Gegenteil belegt: Laut der in dieser Woche veröffentlichten vierten Ausgabe der Langzeitstudie Medienvertrauen haben seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015 noch nie so viele Bürger*innen dem Journalismus so viel Glaubwürdigkeit zugebilligt wie im vergangenen Jahr. Die Erklärung liegt nahe. Während der Pandemie suchen viele Menschen verlässliche Informationen, und sie trauen den traditionellen Redaktionen dabei offensichtlich am meisten zu.

Der Mainzer Studie zufolge gaben 56 Prozent der Befragten an, den Medien in wichtigen Themen zu vertrauen, in den Vorjahren waren dies jeweils zwischen 41 und 44 Prozent. Der Anteil derjenigen, die dem Lügenpresse-Vorwurf folgen, ist dagegen auf einen Tiefstand gesunken. Zwei Drittel weisen ihn ausdrücklich zurück. Die Forscher*innen räumen zwar ein, dass sich diese Werte in den zurückliegenden Monaten geändert haben könnten – die Daten wurden im November und Dezember 2020 erhoben, als die Kritik am staatlichen Pandemie-Management noch deutlich verhaltener klang. Dennoch bestätigen die Ergebnisse eine in diversen Studien gewonnene Erkenntnis, die selbst zu vielen Medienschaffenden nicht durchdringt: Ein allgemeiner Vertrauensschwund in den Journalismus ist nicht oder meist nur in der Varianz weniger Prozentpunkte festzustellen. Aber was ist das Problem dann, und was bedeutet die immer wieder beschworene Dramatik? Mehrere Dinge spielen eine Rolle:

Erstens, das Vertrauen in Medien mag zwar allgemein einigermaßen stabil sein, aber die Lautstärke der kritischen Minderheit nimmt zu. Und es bleibt nicht immer bei verbalen Pöbeleien online und offline: Journalist*innen auch in Deutschland werden zunehmend tätlich angegriffen und bei der Arbeit behindert. In den Niederlanden rückte das öffentlich-rechtliche Fernsehen nach Angriffen schon in neutralen Fahrzeugen aus, um sich nicht zu offensichtlich zur Zielscheibe zu machen. Hinzu kommen Influencer wie Rezo, die öffentlichkeitswirksam mit etablierten Medien abrechnen. Wird das dann geteilt, gilt das schon als Zustimmung, auch wenn sich dahinter vor allem Voyeurismus verbirgt.

Zweitens, in vielen Ländern schlägt sich eine starke politische Polarisierung auch im Medienvertrauen nieder. Sehr deutlich zeigt sich dies in den USA, wo diejenigen, die sich politisch eher „links“ verorten, auch dem Journalismus gute Noten ausstellen, diejenigen aus dem republikanischen Lager dies aber eher nicht tun oder maximal für Rupert Murdochs Fox News ihre Hand ins Feuer legen würden. Ein Durchschnittswert über beide Lager genommen, sagt dann relativ wenig über die tatsächliche Lage aus. Der Digital News Report des Reuters Institutes hat dies in mehreren Jahren gut abgebildet.

Drittens, das Medienvertrauen geht Hand in Hand mit dem Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen – und auf diesem Wege bei Gelegenheit auch mal steil bergab. Diverse Umfragen belegen, dass in politisch besonders konfliktreichen Jahren auch das Vertrauen in die Medien schwindet und manchmal eine Weile braucht, um sich wieder zu erholen. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind ein Beispiel für einen besonders drastischen Vertrauenssturz. Hart umkämpfte Wahlen verschärfen die Polarisierung und resultieren oft in einer Vertrauensdelle, auch Einzelereignisse – siehe die Kölner Silvesternacht und ihre mediale Aufarbeitung – können dazu führen.

Viertens heißt dies aber auch, dass Redaktionen das Vertrauen der Menschen in ihre Erzeugnisse nicht so nachhaltig beeinflussen können, wie sie sich dies erhoffen. Manch politische und gesellschaftliche Entwicklung wiegt schwerer als die Qualität des Journalismus. Man könnte sogar von einem Paradox sprechen: Je stärker sich Journalismus mit politischen Zerwürfnissen und Verwerfungen beschäftigt, umso fragiler kann das Vertrauen werden. Wird die Leistungsfähigkeit von Institutionen insgesamt angezweifelt, schadet das der Institution Journalismus gleich mit. Reporter*innen, die sich nur auf Streit fixieren, sägen also an dem Ast, auf dem sie sitzen.

Fünftens, die Medien müssen natürlich trotzdem gegensteuern: Bessere Erklärungen, mehr Transparenz die eigene Arbeit betreffend, interaktive Formate, die Bürger*innen einbeziehen und nahbare Journalist*innen tragen dazu bei, dass sich die Bürger*innen von ihren Medien ernst genommen fühlen. Am besten gelingt dies in Deutschland laut der Mainzer Studie nach wie vor den öffentlich-rechtlichen Sendern, die für 70 Prozent der Nutzer*innen vertrauenswürdig sind, gleich danach folgen Lokal- und Regionalzeitungen. Überregionale Marken bekommen von etwa jedem zweiten einen Vertrauensbonus. Pandemie hin oder her, an der Gewichtung hat sich über die Jahre kaum etwas geändert.

Sechstens, das eigentliche Problem für den Journalismus ist nicht der Vertrauensverlust. Es ist der Verlust an Relevanz für das tägliche Leben – und den hat er sich auch selbst zuzuschreiben. Im globalen Durchschnitt gibt schon etwa jede*r Dritte an, auf Nachrichtenangebote häufig gut verzichten zu können. Als Grund wird selten mangelndes Vertrauen genannt. Die Berichterstattung sei zu negativ und biete zu viel des immer Gleichen, das sind die häufigsten Klagen der Medien-Vermeider*innen, besonders die junge Generation sieht das so. Auch in der Mainzer Studie gaben 40 Prozent der Befragten an, dass die Medien es mit der Corona-Berichterstattung übertreiben. Statt die Nutzer*innen also mit Masse zuzuschütten, käme es stärker darauf an, sie ab und an mal zu überraschen: mit besonderem Tiefgang, mit starken Daten, mit Vielfalt und Perspektive. Und es käme darauf an, auf die Plattformen zu gehen, auf denen sich die Nutzer*innen aufhalten. Bei den Formaten mehr in die Breite und bei den Inhalten mehr in die Tiefe gehen, das wäre ein gutes Rezept.

Siebtens gibt es natürlich Gründe dafür, dass sich die Erzählung vom Vertrauenskollaps so nachhaltig hält. Zunächst einmal hat das mit dem allgemeinen Unwillen zu tun, sich mit Daten zu beschäftigen, die den eigenen Annahmen widersprechen. Davon sind auch Medienschaffende und Politiker*innen nicht frei. Vor allem aber kommt das Bild so manch einem sehr gelegen. Denn wenn etwas kaputt ist, muss man es reparieren. Die Dringlichkeit, in starken Journalismus zu investieren, lässt sich mit Vertrauens-Schwund besser begründen als mit Überdruss. Aber letzterer ist die größere Gefahr.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 9. April 2021. 

Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.