Rettet den Journalismus für alle! Warum es öffentlich-rechtliche Medien geben muss

Es wird viel bemän­gelt am öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: zu kri­tisch, zu unkri­tisch, zu links, zu behäbig, als Konzept überholt. Aber ohne Sender, die durch öffent­li­che Finan­zie­rung den unmittelbaren Zwängen des Marktes enthoben sind, wäre die Demo­kra­tie in Gefahr.

Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Strei­fen­hemd wirft und dort heute lei­den­schaft­lich für den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk plä­diert, muss die Lage ernst sein. Der Auf­tritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Euro­päi­schen Broad­cas­ting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber ange­sichts dessen, dass die großen Sender welt­weit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womög­lich zu einer Revival-Tour über­re­den. Immer­hin geht es um eine Säule der Demo­kra­tie.

Ulvaeus erzählte sehr per­sön­lich, wie er Schwe­dens öffent­li­ches Radio als Teen­ager zunächst ver­ach­tet hatte, weil dort zu wenig Pop-Musik gespielt wurde, wie er sich später jedoch zuneh­mend gebor­gen fühlte in den Werten, die es ver­mit­telte. Er hatte Fotos von Ausch­witz gesehen und den Schat­ten der Sowjet­union gespürt. Ihm war bewusst gewor­den, dass Frei­heit und Teil­habe nicht selbst­ver­ständ­lich sind. „Der Bil­dungs­auf­trag durch die öffent­lich-recht­li­chen Sender war immer Kern des euro­päi­schen demo­kra­ti­schen Pro­jekts“, sagte Ulvaeus.

Dieser Tage gras­siert viel Ver­ach­tung für die staat­lich finan­zier­ten Sender. Nicht unter Teen­agern, die strafen sie eher mit Nicht­be­ach­tung. Die Atta­cken gegen den „Staats­funk“ kommen viel­mehr aus dem poli­ti­schen Raum, vor allem von rechts. Poli­tisch zu links, zu lang­wei­lig, zu irrele­vant, zu teuer und auf­ge­bläht, zu kri­tisch oder zu unkri­tisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Über­in­for­ma­tion sei das Konzept eines gemein­sa­men öffent­li­chen Infor­ma­ti­ons­raums über­holt.

Und die Debatte wird zuneh­mend schril­ler. Zum Jah­res­wech­sel beschäf­tigte ein etwas unglück­lich umge­tex­te­tes Lied, vor­ge­tra­gen vom Kin­der­chor des WDR, den poli­tisch-media­len Komplex ein­schließ­lich Inten­dan­ten für Wochen. Sogar die stolze BBC, welt­weit Inbe­griff erst­klas­si­ger und unbe­stech­li­cher Infor­ma­tion, ist Angriffs­ziel. Im Wahl­kampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Inter­view in einen Kühl­raum flüch­tete. An einer dem Kli­ma­schutz gewid­me­ten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teil­neh­men, die Redak­tion ersetzte ihn durch einen schmel­zen­den Eis­klotz. Der Premier ließ durch­bli­cken, Bürger könnten künftig straf­frei aus­ge­hen, wenn sie ihre Rund­funk­ge­bühr nicht zahlten.

Zur Unter­ma­lung kürzen aller­or­ten Regie­run­gen den öffent­li­chen Sendern die Etats, in Däne­mark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Mil­lio­nen Pfund ein­spa­ren, einer der Gründe, warum BBC-Inten­dant Tony Hall Rich­tung Natio­nal Gallery ent­schwin­det, deren Chair­man er wird.

Ner­ven­kit­zel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rund­funk- und Fern­seh­an­stalt SRG SSR ihre Daseins­be­rech­ti­gung per Refe­ren­dum bestä­ti­gen lassen musste. Im Land der Volks­be­fra­gun­gen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstim­men­den lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Genera­ti­ons­wech­sel wird dazu führen, dass sich ein immer grö­ße­rer Teil der Bevöl­ke­rung nicht mehr daran erin­nern kann, wozu man die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten braucht. Und die wie­derum geben dem jungen Publi­kum nicht unbe­dingt einen Grund dazu. Das Reuters Insti­tute for the Study of Jour­na­lism beti­telte eine Studie zu den großen Sendern acht euro­päi­scher Länder deshalb mit „Old, edu­ca­ted and poli­ti­cally diverse“, also alt gebil­det und – immer­hin – poli­tisch viel­fäl­tig.

Die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten sind aber kei­nes­wegs ver­zicht­bare Über­bleib­sel aus dem prä­di­gi­ta­len Zeit­al­ter, sondern zentral für die Demo­kra­tie. Dafür gibt es min­des­tens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Ver­trau­ens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publi­kum ihnen immer noch am ehesten zu, die Fak­ten­lage zu über­bli­cken und eine Viel­falt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegen­tei­li­gen Anwür­fen zum Trotz. Dies ergeben Umfra­gen wie der Digital News Report, die Lang­zeit­stu­die Medi­en­ver­trauen der Uni­ver­si­tät Mainz oder Ver­öf­fent­li­chun­gen der EBU.

Zwei­tens, die Sender gehen in die Fläche. Öffent­lich-recht­li­che Anbie­ter sind auch dort präsent, wo sich kom­mer­zi­el­ler Jour­na­lis­mus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischen­da­sein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokal­zei­tun­gen der Begriff Nach­rich­ten­wüste geprägt. In Europa sind solche von Jour­na­lis­mus unver­sorg­ten Gebiete deut­lich sel­te­ner. Man könnte behaup­ten, dies ver­hin­dert eine ähn­li­che poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung. Zumin­dest trägt es aber zu Bildung und Auf­klä­rung bei.

Drit­tens bemühen sich öffent­lich-recht­li­che Medien wie niemand sonst um Viel­falt und Inklu­sion. Dies betrifft die Zusam­men­set­zung der Beleg­schaf­ten und die Inhalte. Die öffent­li­chen Sender müssen die Gesell­schaft abbil­den. Sie sind deshalb in der Regel deut­lich weiter als privat finan­zierte Häuser, was die Gleich­stel­lung von Frauen oder die Beschäf­ti­gung von Min­der­hei­ten angeht. Dies wirkt sich auf den Facet­ten­reich­tum der Pro­gramme aus, die sich an alle sozia­len Schich­ten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine ver­läss­li­che jour­na­lis­ti­sche Grund­ver­sor­gung in einer Zeit, in der kom­mer­zi­elle Anbie­ter zuneh­mend auf Bezahl­mo­delle setzen.

Natür­lich müssen sich die öffent­li­chen Medi­en­häu­ser wandeln, und das ist inmit­ten gewach­se­ner büro­kra­ti­scher Appa­rate eine Her­aus­for­de­rung. Aber die ent­spre­chende Erkennt­nis ist überall da – und dazu viele Jour­na­lis­ten, die dies mit Verve und Über­zeu­gung vor­an­trei­ben.

Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Euro­vi­sion Song Contest der EBU gewon­nen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Men­schen ver­bin­det: „Er ist unter­halt­sam, breit, inklu­siv“. Wer das so poli­tisch sieht, mag dem Spek­ta­kel künftig womög­lich etwas abge­win­nen. Und den dahin­ter­ste­hen­den Bas­tio­nen des Jour­na­lis­mus noch dazu.

Kolumne erschienen bei Zentrum Liberale Moderne am 3. Februar 2020