Die KI-Revolution: Darauf müssen Redaktionen aufpassen

Man muss nicht von Technik besoffen sein, um sich all die Potenziale auszumalen, die in der Entwicklung von Bots wie ChatGPT stecken – auch für den Journalismus. Der in dieser Woche erschienene Trend-Report des Reuters Institutes for the Study of Journalism erwartet gar ein „Jahr des Durchbruchs“ für den Einsatz Künstlicher Intelligenz in Redaktionen. Schon länger setzen viele von ihnen KI ein, vor allem für Leseempfehlungen, aber auch für automatisierte Textproduktion. Nun könnte der „Roboterjournalismus“ aber ein neues Level erreichen. 

Der im November gelaunchte Bot von Open AI beantwortet in Windeseile Fragen und hilft sogar bei der Erstellung von Interviewfragen. Er fasst Texte zusammen oder redigiert sie, er spuckt Literaturlisten aus und komponiert sogar Cartoons. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Der Bot von Open AI ist das, was man auf Englisch einen Game Changer nennt. Nimmt man dazu noch die Möglichkeiten, auf Basis von Recherchen animierte Filme zu produzieren, wie das zum Beispiel die Redaktion von Semafor ausprobiert, drängt sich der Eindruck auf: Bald ist alles möglich. 

Und genau hier liegt eine riesige Herausforderung für den Journalismus. Denn schon heute fehlt es in den meisten Medienhäusern vor allem an Fokus und an Klasse, keinesfalls an Masse. Je mehr möglich ist, umso wichtiger wird es zu entscheiden, was man tut, und was man lieber lässt. Einer Branche, die ohnehin lieber mit Bauchgefühl arbeitet als mit Strategie, wird genau das besonders schwerfallen. 

Die Chancen

Unter dem Strich dürfte KI dem Journalismus deutlich mehr nützen, als dass sie ihm schadet. Das JournalismAI Project an der London School of Economics ist ein Fundus entsprechender Innovationen, inklusive Trainingsprogramm. Gerade kleine Redaktionen profitieren von KI, weil sie kleineren Teams mehr leisten können. Software wird Routinearbeiten erledigen, während Reporter tiefer recherchieren – und auch das mit Hilfe von KI. Der Faktencheck wird einfacher, hyperlokale Berichterstattung möglich, Personalisierung von Inhalten und Kundenbindung leichter zu automatisieren.

Vielfalt und Inklusivität lassen sich besser erreichen, wenn Algorithmen dies kontrollieren oder gar steuern. Bei der kanadischen Globe and Mail zum Beispiel bestückt die Software Sophi die Homepage und stellt unter anderem sicher, dass ethnische Minderheiten inhaltlich repräsentiert sind. Anderswo machen automatisierte Übersetzungen auch in seltene Sprachen Beiträge neuen Zielgruppen zugänglich. Für diejenigen, die schlecht lesen können, gibt es Text-to-speech- Software, für solche mit Gehörproblemen maschinelle Transkription. Avatare können dieselbe Nachricht je nach Zielgruppe im entsprechenden Look, Stil, und Komplexitätsgrad vermitteln. Software wie Dall-E hilft dabei, komplexe Inhalte in Bilder zu pressen. Das bedeutet auch, dass verschiedene Audiences präziser bedient werden können. Die Hoffnung besteht, mit neuen Mitteln einen größeren Teil derjenigen zu erreichen, die das Nachrichtengeschehen bislang ignoriert haben – womöglich, weil sie sich nicht angesprochen fühlten.

Die Risiken

Natürlich bestehen auch Risiken. Die Gefahr wächst, auf manipulierte Inhalte hereinzufallen, denn davon wird es reichlich geben. Journalisten werden ihre Rolle als Gatekeeper neu ausfüllen müssen. Bislang sind die Bots darauf trainiert, plausible Inhalte abzuliefern, nicht 100 Prozent Faktentreue. Fachleute sagen, die Lernkurve der KI sei steil, die Fehlerquote sinke rasant. Aber derzeit kann vermutlich niemand mit Sicherheit sagen, ob die maschinellen Möglichkeiten zu mehr Lügengeschichten oder akkuraterer Qualitätskontrolle führen werden. Und natürlich fragen sich Journalisten, wie ihre Aufgaben und Arbeitsperspektiven sich entwickeln werden in einer Welt, in der Maschinen schneller und womöglich verständlicher schreiben und produzieren, als sie das je könnten.

Die Sorgen sind berechtigt. Vor allem jene Kolleg:innen, denen es an Lust, Zeit, Ressourcen und Energie zum Lernen fehlt, könnten am Ende leer ausgehen. Viele Jobs werden sich verändern. Viele Fähigkeiten, die früher nachgefragt waren, stellt die Technik über Nacht in den Schatten. Aber der Einzug von KI in Redaktionen birgt auch Gutes für den Arbeitsmarkt. Gelten Verlagshäuser zum Beispiel heute für Tech-Talente noch als angestaubt, könnten sie zu verlockenden Arbeitgebern werden, wenn KI-Versiertheit künftig zum Job-Profil gehört. Entsprechendes Know-how macht Journalisten auch für andere Branchen attraktiv und damit leichter vermittelbar. Redaktionsarbeit dürfte interessanter werden, wenn Roboter die Routine-Jobs erledigen. 

KI werde Medienunternehmen dabei helfen, „mehr mit weniger zu erreichen und Möglichkeiten in der Produktion und Verteilung besserer Inhalte zu eröffnen“, schreibt Nic Newman im Trend-Report des Reuters Institutes, der auf einer nicht-repräsentativen Umfrage unter Top-Führungskräften in Medienhäusern weltweit beruht. „Aber sie wird auch zu neuen Dilemmata führen, wie diese machtvollen Technologien ethisch und transparent genutzt werden können“, so Newman weiter. 

Eine Frage der Ethik

Wenn sich Journalisten künftig mehr mit Ethik beschäftigen müssen, um nicht von KI überrumpelt zu werden, ist das zunächst einmal eine gute Sache. Tatsächlich ist es zwingend überall dort, wo lernende Software Menschen ersetzt, denn werden Fehler und Vorurteile maschinell skaliert, sind die Schäden potenziell immens. Genauso wichtig wird es aber sein, dass Medienhäuser und Redaktionen ihre Ziele und die dazu passende Strategie penibel entwickeln. Schon bei der digitalen Transformation haben das viele versäumt. Etliches, was nach Innovation klang, wurde gemacht, ohne vorher zu überlegen, auf welche Weise es zum Erfolg von Produkten, Marken oder Missionen beitragen könnte. Man pilgerte lieber zur New York Times, als sich mit den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer in der Nachbarschaft zu beschäftigen. So wurde viel Geld und Energie verbrannt. Diese Fehler gilt es zu vermeiden.

Die Versuchung, immer noch mehr zu produzieren, schlicht, weil es möglich ist, könnte eines der größten Probleme des Journalismus noch verschärfen. Laut dem Trend-Report macht die wachsende Nachrichtenmüdigkeit ihres Publikums schon jetzt 71 Prozent der befragten Führungskräfte Sorgen. Dieser kann man nicht mit mehr Masse begegnen, sondern mit Angeboten, die relevant und bedürfnisgerecht sind. Ob sie mit oder ohne KI erstellt werden sollten, das müssen Menschen entscheiden. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 11. Januar 2023

Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

Der mediale Graben: Das Internet vergrößert die Kluft zwischen Informierten und weniger Gebildeten

Journalismus wird zunehmend eine Sache für Oldies, auch der digitale. Das wird in der Analyse des Digital News Report 2022 (DNR) deutlich. Das liegt nicht daran, dass jungen Leuten das Nachrichtengeschehen egal ist. Nur konsumieren die allermeisten von ihnen eher solche Formate, die sich perspektivisch nicht zu Geld machen lassen. Gleichzeitig sind die Verlage auch angesichts der Inflation darauf angewiesen, vor allem ein weniger preissensibles Publikum zu bedienen, das durchaus bereit ist, das eine oder andere zusätzliche Digital-Abo abzuschließen, wenn die Qualität stimmt. Medienmanager und Redaktionsleiter mögen sich wortreich zum Journalismus als vierte Gewalt bekennen; dennoch wird die Konzentration auf zahlungskräftige Zielgruppen zumindest bei den kommerziellen Anbietern Investitionen und Inhalte prägen. 

Die neuen Daten zeigen: Der digitale Graben wächst, und er ist auch ein medialer Graben. Dieser verläuft nicht mehr wie früher nur zwischen mehr und weniger Gebildeten, sondern auch zwischen alt und jung. Nur mit einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung wird es gelingen, alle Generationen weiterhin für die Demokratie fit zu machen.

Fünf Beobachtungen, die auf mediale Gräben hinweisen

Der Trend zur journalistischen Klassengesellschaft ist nicht neu, aber er lässt sich anhand des im Juni 2022 erschienenen Zahlenwerks belegen. (Der Report ist die weltweit größte fortlaufende Untersuchung des Medienkonsums, die in diesem Jahr auf einer Online-Befragung von 93 000 Menschen in 46 Ländern beziehungsweise Märkten basiert.) Folgende Erkenntnisse sprechen für die oben dargestellte Interpretation:

Erstens: Die Reichweite von digitalem Journalismus stagniert bestenfalls, der Konsum über Fernsehen, Radio und Zeitung sinkt

Allein in Deutschland ist der Anteil derjenigen, die angaben, in der zurückliegenden Woche eine Zeitung genutzt zu haben, in den vergangenen zehn Jahren von 63 auf 26 Prozent gefallen. Im Fernsehen schauten nur noch 65 Prozent die Nachrichten, 2013 waren es noch 82 Prozent (der deutsche Teil des Reports stammt vom Hans-Bredow-Institut). Gleichzeitig steigt fast überall der Anteil derjenigen, die zu Protokoll gaben, überhaupt keine Nachrichten gelesen oder gehört zu haben. Das bedeutet, dass durch das Internet nicht mehr, sondern eher weniger Menschen mit Journalismus in Berührung kommen. 

Zweitens: Junge Leute konsumieren Journalismus überwiegend in den sozialen Netzwerken

Das wirkt sich auf drei Weisen negativ aus: Erstens gehen Nachrichten und andere journalistische Leistungen im Überangebot an Information und Unterhaltung oft unter. „Der Überfluss an Wahlmöglichkeiten online mag dazu führen, dass sich einige sehr viel seltener mit Nachrichten beschäftigen als in der Vergangenheit“, schreibt Lead-Autor Nic Newman.

Zweitens verstehen die Nutzer die Nachrichten oft nicht, weil sie in der Online-Umgebung aus dem Zusammenhang gerissen sind. Dies ist besonders für diejenigen ein Problem, denen es an Medienbildung mangelt. Aber zusätzlich belegen die Daten eine deutliche Verständnislücke zwischen jüngeren und älteren Nutzern, die sich 2021 auch schon in der deutschen #usethenews Studie abgezeichnet hatte. Der Journalismus verliert also viele, die ihn besonders nötig brauchen.

Drittens, die Medienhäuser sind auf den Plattformen von Meta, Google oder TikTok auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, wieviel Journalismus diese ihren Nutzern in dem algorithmisch getriebenen Angebot überhaupt zumuten wollen. So begründete Joshua Benton vom Nieman Lab der Harvard University kürzlich, warum Facebook das Nachrichtenangebot im Newsfeed womöglich einstellen werde: Die Nutzer schätzen es nicht, und es schafft Probleme. 

Drittens, immer mehr Menschen vermeiden Journalismus bewusst, besonders junge Leute

Redaktionen reden zwar mittlerweile viel über Nutzerorientierung, sie ziehen daraus aber offenbar keine Konsequenzen. Fast jeder zweite Befragte gab als Grund für die Zurückhaltung an, dass die Medien zu viel über Politik und zu viel über die Pandemie berichteten. 36 Prozent bestätigten, Journalismus mache ihnen schlechte Laune, 29 Prozent beklagten das Überangebot oder fanden die Nachrichten voreingenommen. Die Generationen, die nicht mit regelmäßigem Medienkonsum aufgewachsen sind und viele Möglichkeiten zur Ablenkung haben, wenden sich besonders schnell ab.

Viertens: Zahlungsbereitschaft steigt – vor allem geben aber Ältere das Geld aus

Das Durchschnittsalter derjenigen, die ein digitales Abo oder eine Mitgliedschaft bei einer Medienmarke abgeschlossen haben, liegt bei 47 Jahren. Für Verlagshäuser oder öffentlich-rechtliche Fernsehsender mag dies eine gute Nachricht sein: Haben sie es doch im Durchschnitt mit Print-Abonnenten oder TV-Zuschauern zu tun, die das Renteneintrittsalter schon deutlich überschritten haben. Allerdings zerschlagen sich so auch Hoffnungen aus früheren Reports, dass die Spotify- und Netflix-Generation die Branche retten könnte. Eine gute Nachricht gerade für die hiesigen Regionen ist, dass viele Befragte vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Bereitschaft dokumentiert haben, zusätzliche Abos auch unabhängig der Inflationssorgen abzuschließen. Dies ging auch aus Gesprächen in Fokus-Gruppen hervor, die die Oxford-Forscher in ihre Analysen einfließen lassen. Gerade in diesen Zeiten von besonderen Krisen und Belastungen sei es notwendig, gut informiert zu sein, so einige Stimmen. 

Fünftens: Jene Formate, die Loyalität schaffen, wie zum Beispiel E-Mail-Newsletter, werden vor allem von älteren, finanzkräftigen und gebildeten Lesern genutzt, die ohnehin schon ein hohes Interesse an Journalismus haben

Während zum Beispiel in den USA 15  Prozent der über 55-Jährigen angeben, Newsletter seien ihre wichtigste Nachrichtenquelle – allein die New York Times produziert 50 verschiedene, die wöchentlich von 15 Millionen Menschen gelesen werden –, sind es nur drei Prozent der 18- bis 24-Jährigen. Newsletter sind so etwas wie das neue Print statt das erhoffte Wundermittel.   

Die Schlussfolgerung

Ob man das mag oder nicht: Aus all diesen Daten folgt, dass sich die Verlage auf ältere und finanziell besser gestellte Gruppen konzentrieren müssen, wenn sie ihr eigenes Überleben sichern wollen. Von diesen sind die höchste Zahlungsbereitschaft und Loyalität zu erwarten. Fragt man in Medienhäusern nach, wen sie genau meinen, wenn sie von jüngeren Nutzern sprechen, bestätigt sich dieses Bild. Verlage verstehen unter „jung“ eher die Altersgruppe ab 35 Jahren aufwärts. Von noch Jüngeren sei nicht viel zu erwarten, heißt es dann. 

Anders sieht das in den öffentlich-rechtlichen Häusern aus. Ihr Fortbestand ist davon abhängig, dass sie von allen wahlberechtigten Altersgruppen als wichtig und unterstützenswert empfunden werden. Deshalb ist ihre Sorge besonders groß, wenn sie bei den unter 25-Jährigen nicht punkten.

Die Sender haben zwar den Vorteil, dass sie unbeschwerter als die kommerziellen Anbieter digitale Formate für soziale Netzwerke entwickeln können, weil sich nicht jedes ihrer Angebot auf TikTok oder Instagram umgehend in Abos auszahlen muss. Allerdings spüren sie den Reichweiten-Verlust besonders drastisch. Es ist deutlich herausfordernder, auf den von Smartphone-Nutzung dominierten digitalen Plattformen Gewohnheitsonsumenten heranzuziehen, als dies in der alten Welt von Fernsehen und Radio der Fall war. „Die jüngsten Kohorten sind eher gelegentliche und weniger loyale Nachrichtenkonsumenten. Es fällt Medienhäusern sehr schwer, sie zu gewinnen, weil sich die Jungen auf soziale Netzwerke verlassen und nur schwach an Marken gebunden sind“, schreibt die Oxford-Forscherin Kirsten Eddy. 

Was heißt all das für die Demokratie, die aufgeklärte, informierte und engagierte Bürger braucht? Soll der mediale Graben zumindest teilweise überbrückt werden, haben die öffentlich-rechtlichen und alle anderen nicht-kommerziellen Anbieter eine herausragende Verantwortung vor allem jungen Generationen gegenüber. Aber auch diejenigen Redaktionen, die von Abo-Einnahmen abhängig sind, können etwas tun. Sie sollten sich mehr mit den Bedürfnissen potenzieller Nutzer beschäftigen, und zwar auch mit denen jener, die sie früher nur zu gerne ignoriert haben. Das sind zum Beispiel Frauen oder Menschen aus Einwanderer-Familien, die sich in der Standard-Nachrichtenwelt nicht repräsentiert gefühlt haben. Sie sollten die seit vielen Jahren vorliegenden Erkenntnisse zu den Journalismus-Vermeidern endlich ernst nehmen und die traditionelle, Zitate-getriebene Politik-Berichterstattung zugunsten anderer Inhalte produzieren – am besten konstruktiv und investigativ. Und sie sollten ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten und leicht verständliche Erklär-Formate entwickeln, die kostenfrei zugänglich und auf den Konsum in sozialen Netzwerken ausgerichtet sind.

Übrigens ahnen die Nutzer, dass dem Journalismus eine weitere Kommerzialisierung bevorsteht. Laut DNR traut nur etwa jeder Fünfte (19 Prozent) den Redaktionen zu, als allererstes im Interesse der Gesellschaft zu arbeiten. 42 Prozent beziehungsweise 40 Prozent gaben dagegen an, die Verlage stellten ihre finanziellen oder politischen Interessen in den Mittelpunkt ihrer Strategie. Es ist an den Medienhäusern, diese Skeptiker vom Gegenteil zu überzeugen.   

Diese Kolumne erschien am 21. Juni 2022 bei Medieninsider. Dort schreibt Alexandra regelmäßig zu aktuellen Branchen-Themen.  

Journalismus ist ohne Haltung undenkbar – Medien stecken dennoch in einem Dilemma

Neutralität, Haltung, Meinung: Auch wenn die eigentlich klar sind, sind die Übergänge im Journalismus oft fließend. Wie viel Haltung und Meinung braucht Journalismus, und wie neutral kann er sein? Die Fragen zu beantworten ist für keine Redaktion leicht – und die Nutzerschaft alles andere als eine Hilfe.

Man könnte der laufenden Debatte über Journalismus und Haltung einiges abgewinnen, würde sie sich nicht hinziehen wie ein Fußballspiel in der Verlängerung. Unter Medienschaffenden haben sich die Teams positioniert: Die einen klagen, der gute alte Journalismus à la Hanns Joachim Friedrichs (nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht einer guten) sei zum Haltungsjournalismus mutiert. Die anderen – überwiegend Jüngere – quälen ihre Vorgesetzten mit Thesen, die sie auch gerne als Master-Thesis einreichen: „Warum es Objektivität im Journalismus nicht gibt“. 

Die Adressaten der Mühen hingegen sind schwer zu durchschauen. In Umfragen wünscht sich das Publikum von Journalisten Neutralität, Ausgewogenheit und Fakten, als Leserinnen und Leser hingegen demonstrieren sie digital nachvollziehbar, dass sie Meinungsstücke durchaus schätzen. Wie lassen sich diese Widersprüche entwirren? Und wichtiger: Was bedeutet dies für Redaktionen?

Folgt man dem neuen Digital News Report, der vom Reuters Institute in Oxford erstellten weltweit größten fortlaufenden Befragung zum digitalen Nachrichtenkonsum, sieht die Sache zunächst eindeutig aus: 

► Ungefähr drei Viertel der 92.000 Befragten in 46 Ländern gaben zu Protokoll, die Medien sollten verschiedene Standpunkte abbilden und ihren Nutzern die Meinungsbildung selbst überlassen, in Deutschland waren es ähnlich wie im Vorjahr 77 Prozent. 

► Nur 15 Prozent (Deutschland: neun) sagten, Journalisten sollten klar Position beziehen. Auch jüngere Befragte wünschten sich in großer Mehrheit Neutralität. Dies sollte für alle Themen gelten, wenngleich einige Teilnehmende sich für rote Linien aussprachen:

► Wo Menschen- oder Grundrechte tangiert seien – zum Beispiel beim Klimawandel, häuslicher Gewalt oder Rassismus – mache Unparteilichkeit keinen Sinn. 

So argumentierten vor allem jüngere Befragte und jene, die sich politisch eher links verorteten. Allerdings riefen auch sie nicht nach dem flammenden Leitartikel: Journalisten sollten in solchen Fällen eher Experten Raum lassen und nicht selbst argumentieren. 

Die Idealvorstellung vom Journalismus als Schiedsrichter beißt sich mit den Nutzungsgewohnheiten des Publikums. In Fokusgruppen gaben die Teilnehmenden nämlich auch eine heimliche Vorliebe für parteiliche Beiträge zu. Sie fühlten sich davon besser unterhalten und emotional angesprochen. Dies erklärt auch die Begeisterung für Podcasts, die von der Subjektivität und Persönlichkeit ihrer Gastgeber leben und für sehr persönliche Essays, die manch ein gestandener Reporter als Befindlichkeits-Journalismus abtut. 

Die Krux ist: Nach Ansicht der Nutzerinnen und Nutzer sollten sich die klassischen Medien aus diesen Genres eher heraushalten. Persönlich gefärbte Inhalte und Meinungen finden sie schließlich ausreichend in den sozialen Netzwerken, Journalismus brauchen sie für die Fakten.

Das besondere Dilemma der privaten Medien

Vor allem privatwirtschaftlich operierende Medienhäuser befinden sich mitten in einem Dilemma: Sie leben zunehmend vom Verkauf von Digital-Abos. Und jeder mit etwas Verständnis für Marketing und Konsumgewohnheiten weiß: Menschen entscheiden sich eher emotional als rational für einen Kauf. Sie zahlen für ein Erlebnis, für ein Gefühl von Zugehörigkeit oder gutem Gewissen, für ein Produkt, das ihnen Mehrwert liefert. Die nackten, neutralen oft auch unbequemen Fakten verkaufen sich nicht. Laut Digital News Report liegt die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus weltweit bei etwa 15 Prozent, in Deutschland mag nicht einmal jeder Zehnte dafür Geld ausgeben.

Sehr oft abonnieren Menschen ein Medienprodukt, weil sie sich politisch damit identifizieren. Sie setzen eine gewissen Parteilichkeit voraus und nehmen „ihrem“ Medium Abweichungen nach der einen oder anderen Seite übel. Redaktionen wissen das. Die Schweizer NZZ zum Beispiel wirbt bei ihrer Deutschland-Expansion zwar mit „nüchtern, sachlich, unabhängig“. Aber man muss nicht lange lesen, um zu erkennen, dass sie den Nutzerinnen und Nutzern unter dem Mantel der Neutralität eine Alternative rechts der gefühlten journalistischen Mehrheitsmeinung bieten will. Ein ordentlicher Schuss Meinung gehört für viele Medienmarken zur Überlebens-, sogar zur Wachstums-Strategie.

Die öffentlich-rechtlichen Sender können dem hehren Ideal der Neutralität zwar eher folgen. So bietet Schwedens Sveriges Radio schlicht keine Kommentare an, Intendantin Cilla Benkö steht für diese harte Linie. Die BBC hat ihre ohnehin seitenfüllenden Grundsätze zur Neutralität noch einmal verschärft. Aber auch bei den Bastionen des überparteilichen Journalismus stößt das Konzept an Grenzen, wenn es um das Binden junger Menschen an die alten Marken geht. 

Für viele junge Leute sind bestimmte Themen nicht verhandelbar. „Both sides journalism“ funktioniere nur dort, wo die andere Seite Positionen vertrete, die mit Grund- und Menschenrechten vereinbar seien, argumentieren sie. Und genau an dieser empfindlichen Stelle fängt die Schwierigkeit an. Wo liegt die Grenze zwischen einer Meinung, die zur Debatte stehen kann, und einer Haltung, die per Definition eine stabile Ausrichtung erfordert? 

Konsens und kleinster gemeinsamer Nenner einer unverrückbaren Haltung sollte das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung inklusive Meinungs- und Pressefreiheit sein. Journalisten, die dies zur Verhandlungsmasse machen und zum Beispiel erklärten Demokratie-Gegnern eine Bühne bieten, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Journalismus braucht ein Mindestmaß an Haltung, wenn er sich so nennen möchte. 

Es braucht innerhalb von Redaktionen eine neue Haltungsdebatte

Aber selbst an diesem Punkt fängt das Gezerre an. Wie viel Meinung darf wer wo verbreiten, und hat jeder das Recht auf ein Megafon für jeden Blödsinn? Wie sieht es bei anderen großen Themen wie Klimaschutz oder Rassismus aus? Wo kollidieren Meinungsfreiheit und das unveräußerliche Recht auf Menschenwürde? Die Antworten variieren je nachdem, wen man fragt. Geht es um den Erhalt der Lebensgrundlagen auf dem Planeten, ist das Ob in den meisten Redaktionen erst kürzlich zur unverrückbaren Haltung geworden, das Wie hingegen bleibt verhandelbar. Es hilft nichts, über all das müssen Redaktionen diskutieren.

Jede Journalistin, jeder Journalist braucht eine Haltung: ein Bekenntnis zur Suche nach Fakten, zu Unabhängigkeit, zu Grundrechten, zur Demokratie. Das hat etwas mit Werten zu tun, nicht mit Aktivismus. Wie sollten sie auch sonst einen guten Job machen in einem Umfeld, in dem es vielen Meinungen und Interessen zu widerstehen gilt, sei es aus der Wirtschaft, der Politik oder der eigenen Chefetage. Kolleginnen und Kollegen in Osteuropa hätten derzeit besonders viel zu dieser Debatte beizutragen.

Ganz anders sieht es mit Meinungen aus. Natürlich darf jeder Medienschaffende eine haben. Aber wer sie äußert, sollte das deutlich kennzeichnen. So viel Dienstleistung muss sein. Diejenigen, die Subjektivität zum allgemeinen Credo erheben, sollten bedenken: Journalisten, die den Wunsch des Publikums nach Neutralität missachten, arbeiten kräftig daran, ihren Berufsstand überflüssig zu machen. Menschen brauchen geprüfte Fakten, unabhängige und verständlich aufbereitete Informationen, um gute Entscheidungen zu treffen. Sie suchen danach in den Medien, denn Gefühliges und Meinung finden sie in der großen digitalen Quatschbude überall. Den anderen, die den Untergang des Journalismus wie sie ihn kennen beobachten, sei gesagt, für Panik ist es zu früh. Das Vertrauen in Medien ist während der Pandemie in etlichen Ländern deutlich gestiegen. Der Journalismus hat in diesem langen Jahr gezeigt, was er kann.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Juli 2021. Aktuelle Kolumnen und spannende News aus der Branche gibt es für Abonnenten. 


Junge Nutzer verzweifelt gesucht – sieben Erkenntnisse über eine anspruchsvolle Zielgruppe

Man kennt diesen Satz aus der Redaktionskonferenz. Themenplanung ist dran, und irgendein Chef wirft ihn in die Runde: „Wir müssen mal wieder was für die Jungen machen.“ Ratlosigkeit entweicht den Blicken der Älteren. Vielleicht was über Tik Tok? Über angesagte Musik oder das nahende Abitur? Alle unter 30 gehen vorsichtshalber in Deckung. Besteht doch ihr wichtigster Job darin, ihre Ü40-Vorgesetzten mit klugen Vorschlägen zu beeindrucken, die dann vor allem bei der Ü60-Kundschaft gut ankommen. Sie wollen ja ernst genommen werden.  

Etablierte Medienhäuser und das junge Publikum haben es schwer miteinander. Während die einen nicht ohne die anderen können, weil dies ihren wirtschaftlichen Hungertod zur Folge haben würde, können die anderen sehr wohl ohne vieles, was den Verlagen und Sendern ihr Auskommen sichert: Abos, Apps und Abendprogramm im Fernsehen zum Beispiel. Selbst mit dem Digitalen ist das so eine Sache. Laut Digital News Report 2020 gehen 84 Prozent der unter 25-Jährigen nicht direkt auf die Website einer Medienmarke, sondern informieren sich über das, was Soziale Netzwerke, Suchmaschinen oder Nachrichten-Aggregatoren in ihre Timelines oder per Push-Nachricht auf ihre Bildschirme spülen. In den Strategie-Sitzungen etablierter Medienmarken steht deshalb auf Wiedervorlage: Junge Nutzer verzweifelt gesucht.

Aber wie steht es um den Medienkonsum junger Menschen, was mögen sie, was ignorieren sie, wann schalten sie ein und wann wieder ab? Gemessen daran, wie stark und wie lange das Thema Redaktionen schon beschäftigt, ist die Forschung dazu einigermaßen dünn. Für den deutschen Markt gibt es wichtige neue Erkenntnisse. 

Nachzulesen sind sie in der im April 2021 veröffentlichten Studie „#usethenews“ des Leibniz-Instituts für Medienforschung Hans-Bredow Institut und der Studie zur Medienkompetenz in Deutschland, die im März bei der Stiftung Neue Verantwortung erschienen ist. Daraus und aus zahllosen Gesprächen mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen leiten sich ein paar Dinge ab, die Redaktionsstrategen wissen sollten.

Erstens: Tatsächlich brennt bei diesem Thema die Hütte, nicht nur, was die Zukunft der Verlage angeht, sondern auch mit Blick auf bürgerliches Engagement in der Demokratie. Etwa jeder zweite Jugendliche hält es nicht für wichtig, sich über aktuelle Ereignisse zu informieren, so das Forscherteam des Hans-Bredow-Instituts. Die Erklärung liefern es gleich mit: „Bei journalistischen Nachrichten fehlt ihnen oft der Bezug zu ihrem Alltag.“ Es reicht also nicht, schulterzuckend auf den allgemein steigenden Anteil der Nachrichten-Vermeider zu verweisen, der laut Digital News Report international bei etwa einem Drittel liegt. In der jungen Generation ist die News-Abstinenz deutlich ausgeprägter. Wer es ernst meint mit dem Journalismus als Säule der Demokratie, sollte also dringend tätig werden. 

Zweitens: Die Schere zwischen denjenigen, die top informiert und kompetent sind und denjenigen, die sich kaum in der neuen Informationslandschaft zurechtfinden, geht weit auseinander. Waren diejenigen mit niedrigem Schulabschluss früher noch einigermaßen informiert, weil vielleicht hier und da mal eine Zeitung herumlag, man aus Langeweile die Fernseh-Nachrichten schaute oder beim Autofahren stündlich mit Radio-News zwangsgefüttert wurde, lässt sich all das im Zeitalter der maximalen Ablenkungsmöglichkeiten komplett vermeiden. Die Informationslücke, die das Internet eigentlich schließen sollte, tut sich als digitaler Graben zwischen den Gesellschaftsschichten immer weiter auf – wenn nichts geschieht. Die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihrem Auftrag, Journalismus für alle anzubieten, haben hier eine besondere Verpflichtung. 

Drittens: Zum Glück interessieren sich viele junge Leute doch für die Welt um sie herum – nur nicht immer für das, was gereifte Politik- und Feuilleton-Redakteure und -Redakteurinnen spannend finden. Diejenigen, die Journalismus mögen, schauen gerne mal bei den Lokalnachrichten rein. Alles, was mit Umweltschutz und Wissenschaft zu tun hat, ist zumindest für die Gebildeteren ein Hingucker. In einer neuen amerikanischen Studie zum Thema Journalismus-Vermeider („The head and heart of news avoidance“) waren es übrigens auch die Themen Gesundheit, Wissenschaft, Umwelt und Lokales, die Nachrichtenmuffel aller Generationen am ehesten interessierten. Redaktionen, in deren informeller Hackordnung nach Innen- und Außenpolitik erst einmal lange gar nichts kommt, werden sich umstellen müssen.  

Viertens: Was alle Nutzer der jüngeren Generationen vereint, ist die Vorliebe fürs leichte Fach. „Lustiges und Sonderbares“ kommt laut der Leibniz-Studie durchweg gut an. Ohnehin ist Humor ein ziemlich sicherer Weg, um bei den Generationen Y und Z Gehör zu finden, das belegen nicht nur Böhmermann und Co.. Aber Achtung, es ist nicht unbedingt die Art von Humor, den eben jene gereiften Führungskräfte mögen. Witzeln auf Kosten von Schwächeren geht gar nicht. Wer austeilt, muss sich zumindest selbst auch mal einen mitgeben. In der Abteilung Humor im Journalismus gilt deshalb das Gleiche wie bei unsicherer Quellenlage: Im Zweifel lieber lassen.

Fünftens: An Influencern führt kein Weg vorbei, aber es müssen keine Instagram-Vertriebshelden sein. Als die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter im vergangenen Jahr Greta Thunberg für einen Tag das Blatt machen ließ, rauschten die Digital-Abos nur so rein, mehrere Tausend waren es an einem Tag. Prominenz erhöht die Reichweite und hilft dabei, Botschaften zu vermitteln. Faustregel: Promis sollten als Menschen rüberkommen, nicht als Funktionäre. Den Filmstar über Politik reden lassen und die Politikerin über Filme kann beide glaubwürdiger machen, wenn sie es denn ehrlich meinen. Junge Leute sind geübt darin, zwischen echter Authentizität und inszenierter Nahbarkeit zu unterscheiden.  

Sechstens: Vielfalt zählt – und zwar nicht nur als Ankreuz-Übung. Junge Leute erwarten, dass ein Programm oder eine Marke die Welt so abbildet, wie sie sie erleben. Sie mögen sich mit Protagonisten identifizieren können und vielleicht sogar selbst etwas beitragen. Dazu gehören eine Sprache, die ebenso locker wie respektvoll ist und Inhalte, die – siehe oben – etwas mit ihrem Alltag zu tun haben. Nachrichten sollten nützlich sein und Spaß machen, lautete das Fazit einer Studie über junge Journalismus-Nutzer, die der Marktforscher Flamingo gemeinsam mit dem Reuters Institute 2019 veröffentlicht hatte. Konstruktiver Journalismus, der die Welt mit Perspektiven weit öffnet, kommt bei der jungen Generation deshalb besonders gut an. Faustregel: Man darf dem Publikum ruhig etwas zutrauen. Der Erfolg von wissenschaftsgetriebenen Formaten wie Brainstorm des irischen öffentlich-rechtlichen Senders RTE oder des Magazins Katapult sind Belege dafür. Dumm für Kostenkiller, dass hintergründiges Berichten meist aufwändiger ist als das fixe Wegmelden nach Methode Copy and Paste. Aber die schnelle Nachricht gibt’s eben heute überall. Man könnte sagen: Junge Leute sind Journalismus-Gourmets.  

Siebtens: Journalismus muss leicht zugänglich und gut aufbereitet sein. Die Digitalisierung trainiert alle Generationen auf Bequemlichkeit, Amazon, PayPal, Spotify und Co. haben den Gold-Standard für Nutzerfreundlichkeit gesetzt. Die alte Welt, in der man noch Gebrauchsanleitungen las, sich Telefonnummern notierte und zum Kiosk an der Ecke ging, verschwindet. Für den Journalismus heißt das: Er muss dahin, wo die Nutzer sind und es ihnen leicht machen. Die oben erwähnte amerikanische Studie sagt: Verständnishürden und mangelndes Selbstbewusstsein im Umgang mit Medien seien die Hauptgründe, warum Menschen um Nachrichten einen Bogen machen. Im Zweifel schlägt die interaktive Infografik mit drei Bullet-Points den 200-Zeilen-Leitartikel. Das ist bitter für manche Autorinnen und Autoren. War Komplexität früher ein Ausweis von Qualität, muss sie heute gut begründet sein. Leider kaschiert sie allzu oft nur Dünkel oder schiere Bequemlichkeit.

Diese Kolumne erschien am 17. Mai 2021 bei Medieninsider, wo ich monatlich zu Medienthemen schreibe.  


Keine Angst vor Fake News! – Warum Desinformation real ist aber Information trotzdem gewinnen wird

Zum Glück ist das Publikum nicht so dumm, wie manch ein Politiker denkt. Mehr als 50 Regierungschefs und Staatspräsidenten hätten innerhalb von fünf Jahren den Begriff „Fake News“ genutzt, um Pressefreiheit einzuschränken, hatte der Herausgeber der New York Times, A.G. Sulzberger, 2019 in einer Rede vor Studierenden gewettert. Die Medien lügen, behaupten jene Regierenden, nur: Die Bürgerinnen und Bürger glauben ihnen nicht. 40 Prozent der Befragten im Digital News Report von 2020, der weltweit größten fortlaufenden Studie zum Medienkonsum, gaben stattdessen ihre Einschätzung zu Protokoll, dass Politiker den meisten Unsinn erzählen. Nur etwa jeder zehnte denkt das über Journalisten. Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie der Misinformation Review der Harvard Kennedy School. In Europa befragte Teilnehmer nennen darin Politiker und Wirtschaftsgrößen als wichtigste Urheber von falschen Behauptungen, nicht etwa Troll-Farmen, Privatleute oder eben Medien. In Deutschland bescheinigte die Universität Mainz den Medien für das erste Corona-Jahr sogar den höchsten Vertrauenswert seit langem.

All dies offenbart: Seitdem Ex-US-Präsident Donald Trump und Konsorten „Fake News“ zum Kampfbegriff gemacht haben, enthält die Debatte darüber zuweilen mehr Sprengkraft als das Phänomen an sich. Einige Forscher warnen sogar vor „moralischer Panikmache“. Die Verbreitung falscher Behauptungen sei kein Massenphänomen. Wenige Akteure streuten viel davon, die Lügen hätten begrenzte Reichweite. Misinformation sei real, aber nicht so gefährlich für Demokratien, wie dies oft suggeriert werde, so Andreas Jungherr und Ralph Schroeder in einem Artikel für die Fachzeitschrift „Social Media + Society“.

Ein Grund zur Entwarnung ist dies nicht. Immerhin bieten die sozialen Netzwerke gewaltige Möglichkeiten, Lügen, verzerrte oder aus dem Zusammenhang gerissene Inhalte, falsche Behauptungen oder gefälschte Bild- und Ton-Dokumente zu skalieren. Außerdem reicht es, wenn sich eine kleine Minderheit um falsche Behauptungen herum radikalisiert oder ihnen folgt, wie beim Sturm auf das US-Parlament im Januar 2021 oder allerlei Anweisungen zum Umgang mit Covid 19. „Fake News“ können sehr reale und gefährliche Folgen haben. Die Angriffe auf Journalisten nehmen trotz guter Vertrauenswerte auch in Deutschland zu.

Traditionelle Medien sind allerdings nicht nur Opfer dieser Entwicklung, sie beteiligen sich auch daran. Gerne greifen sie besonders skurrile Inhalte auf und geben ihnen so Auftrieb, selbst wenn sie sie kritisieren oder richtigstellen. Eine Studie des Berkman Klein Centers für Internet und Gesellschaft in Harvard hat diesen Effekt eindrucksvoll belegt. Dabei haben Qualitätsmedien besondere Macht, denn die Algorithmen der Plattform-Konzerne priorisieren ihre Beiträge. Die richtige Balance zwischen Berichten und Weglassen zu finden, verlangt Redaktionen einiges ab.

Journalistinnen und Journalisten waren schon immer Fact Checker. Zu recherchieren, ob das, was Menschen und Institutionen mit Macht und Einfluss von sich geben, auch den Realitätstest besteht, gehört zu ihrem Handwerk wie die Suche nach der zweiten Quelle oder der Anruf bei beiden Parteien in einem Konflikt. Wittern Reporter PR oder Propaganda, machten sie sich vor Ort ein Bild, oft sprichwörtlich an der Front. Die Kamera kann ein gnadenloser Fakten-Kontrolleur sein.

Dank neuer Technik und Künstlicher Intelligenz haben viele Redaktionen beim Überprüfen ordentlich zugelegt. Nicht nur die Manipulatoren rüsten auf, auch die Kontrolleure. Medien tun das nicht nur für die eigenen Kunden. Selbst Konzerne wie Facebook oder Google sind angewiesen auf ihre Arbeit. Es gilt, Lügen so schnell wie möglich zu entlarven, um sie per Algorithmus zu dimmen, zu kennzeichnen oder bei Gefahr für Leib und Leben ganz zu sperren.       

Wissenschaftler debattiere allerdings darüber, ob Menschen ihre Annahmen ändern, wenn Lügen als solche ausgewiesen werden. Studien beobachten sogar einen „backfire effect“, bei dem Teilnehmer sich erst recht hinter ihren Positionen verschanzen, konfrontiert man sie mit gegenteiligen Aussagen. Forscher wie Brendan Nyhan widersprechen dem. Faktenchecks beeinflussten Menschen durchaus, aber der Effekt halte nicht lange, argumentiert er in einem Artikel für die US Akademie der Wissenschaften. Eine wirkungsvolle Strategie müsse deshalb bei den Eliten ansetzen, die Falschinformationen verbreiten.

Fakten zu checken war und ist eine zentrale Aufgabe des Journalismus, und die Vielzahl der Quellen und Verbreitungswege macht die Arbeit anspruchsvoller denn je. Aber es wäre ein Fehler, würden Redaktionen, ihre gesamte Energie in das Überprüfen von Inhalten anderer stecken. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, mit guten Recherchen zu relevanten Themen selbst die Agenda zu setzen, statt sich von Lügnern in abseitige Debatten treiben zu lassen. Sie machen diese damit nur größer, als es ihnen gebührt.

Dieser Text erschien in leicht verkürzter Form als Editorial eines Whitepapers der Deutschen Presse-Agentur dpa am 6. Juli 2021. 

„Kein Job für Weicheier“ – Medienmacher sorgen sich viel um andere und wenig um die eigenen Leute

Nicht überall leiden Journalist*innen so wie in Indien. Um die 500 Reporter*innen waren dort Stand Juni 2021 während der Pandemie an einer Covid-19 Erkrankung gestorben, die sie sich bei der Recherche zugezogen hatten. Ihre Familien bekämen weder Unterstützung von den Redaktionen noch von der Regierung, schreibt die indische Journalistin Rachel Chitra in einem Artikel für das Reuters Institute in Oxford. Die Pandemie ist eine vielschichtige Herausforderung für Journalist*innen, nicht nur wegen der Ansteckungsgefahr für sie und ihre Angehörigen, sondern auch wegen erschwerter Arbeitsbedingungen, dauerhaft hoher Belastung bei gleichzeitiger Furcht, in der angespannten wirtschaftlichen Lage den Job zu verlieren. Aber sie ist beileibe nicht die einzige Bürde, die diejenigen tragen, die dort nah herangehen müssen, wo es unangenehm wird. Weltweit riskieren Reporter*innen ihre physische und psychische Gesundheit, manche sogar ihr Leben, weil sie ihren Job machen.

Dabei geht es nicht nur um aufsehenerregende Angriffe auf einzelne Reporter*innen, die einflussreichen Wirtschaftsgrößen oder autoritären Regierenden zu nahe auf die Pelle rücken, wie bei der spektakulären Entführung des belarussischen Bloggers Roman Protasewitsch aus einem Flugzeug auf innereuropäischer Route. Solche Fälle lösen zurecht international Empörung aus. Aber auch die alltäglichen, subtilen oder weniger subtilen Angriffe auf Redakteur*innen, Kommentator*innen und Reporter*innen zehren an den Kräften. Da geht es um Trolle und Hass in den sozialen Netzwerken, den einzelne oder politisch motivierte Gruppen durchaus systematisch und überproportional gegen Frauen einsetzen. Es geht um eine toxische Redaktionskultur, die das Medium-Magazin kürzlich in einer großen Recherche dokumentierte. Es geht aber auch um das Tagesgeschäft: dem Berichten vom Unfallort mit grauenhaft zugerichteten Opfern oder aus dem Gerichtssaal, wenn verstörende Tatbestände detailgenau vorgetragen werden und sich als Bilder im Kopf festsetzen.

Und all das nehmen viele Redaktionen einfach so hin. Rufen sie in Kommentaren nach Unterstützung für Betroffene jeglichen Unglücks und Unrechts, sieht es mit der Fürsorge für die eigenen Leute in der Regel eher mau aus. Die Auslandskorrespondentin schickt man vor dem Einsatz im Krisengebiet noch in ein spezielles Training. Der Lokalreporter allerdings kann sich nicht darauf vorbereiten, wie es ihm bei der Recherche über das Zugunglück mit Toten oder dem Eifersuchts-Mord in der Nachbarschaft gehen wird. Und für ein Debriefing nach anspruchsvollen Recherchen, gefährlichen Einsätzen oder Attacken in den sozialen Netzwerken fehlt meist die Zeit, man ist schon beim nächsten Thema. Auch um ihr Recht müssen viele ohne Hilfe kämpfen, selbst wenn sie online massiv bedroht werden. Das Berufsethos sorgt dann dafür, dass die meisten Kolleg*innen das Leid alleine zu verarbeiten versuchen.

Viele Führungskräfte finden das immer noch in Ordnung so. Ein gewisses Maß an Kaltschnäuzigkeit und innerer Distanz gehöre eben zur Berufsbeschreibung, heißt es dann lapidar. Journalist, das sei eben „kein Job für Weicheier“ – so sagte es einmal ein BBC-Kollege in einem Leadership-Seminar. Wer die Hitze nicht möge, solle eben die Küche meiden. Die Tatsache, dass Redaktionen eher von Journalist*innen geführt werden, von denen die meisten nicht in Management-Techniken geschult sind, macht es nicht leichter.

Noch gibt es wenig Forschung zu Belastung und Trauma in Redaktionen, vor allem mit Blick auf das vermeintlich so routinierte Tagesgeschäft. Aber eine zunehmende Zahl von Redaktionsleiter*innen nimmt sich des Themas an, ebenso Wissenschaftler*innen und Verbände. Organisationen wie die Unesco beschäftigen sichmit der Sicherheit von Medienschaffenden. Die Bild-Zeitung hat ihre Mitarbeiter jüngst in einer großen Umfrage nach ihrem Befinden gefragt. Gerade die Pandemie hat viele Führungskräfte erkennen lassen, wie fragil das Gerüst ist, auf dem das tägliche Geschäft ruht. Persönliche Gespräche mit Kolleg*innen, denen man nicht mehr wie sonst im Flur begegnet, hätten ihn während des Lockdowns viel beschäftigt, erzählt der CEO eines regionalen Medienhauses.

Neben menschlichen Motiven treiben auch wirtschaftliche die Leitenden an. Es wird immer schwerer, junge Menschen für den Journalistenberuf zu begeistern. Die Aussicht, dass sie bei vergleichsweise mäßigem Einkommen, hohem zeitlichen und emotionalen Einsatz und unsicheren Perspektiven in Kauf nehmen müssen, angegriffen oder mit Belastungen alleingelassen zu werden, macht ihnen die Entscheidung für den Job nicht leichter. Psychologische und juristische Hilfe ist das Mindeste, was Redaktionen ihren Mitarbeiter*innen bieten müssen.

Manchmal allerdings sind gerade die das Problem, die an der Spitze stehen, Stichwort toxische Redaktionskultur. Da allerdings kann man rangehen. So erzählte die Kollegin einer großen Zeitung an der amerikanischen Westküste im Frühjahr in einem Webinar vom Rücktritt eines Star-Reporters, den sie so erklärte: Man habe jetzt eine „no asshole policy“, da passe nicht mehr jeder rein. Verlage, die gegen solche Klima-Vergifter konsequent vorgehen, sparen dabei manchmal weit mehr als nur ein Gehalt.  

Diese Kolumne erschien am 3. Juni 2021 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School. 

 

News als Männersache? Warum sich viele Medienmarken mit Leserinnen so schwer tun

Der Journalismus hat ein Frauenproblem, und man muss nicht die Financial Times (FT) sein, um das als Chance zu begreifen. Die britische Finanz- und Wirtschaftszeitung hatte vor ein paar Jahren festgestellt, dass ein immenses Leserinnen-Potenzial in der Welt da draußen schlummern dürfte. Von 100 Leser*innen des Zentralorgans der Londoner City waren damals ungefähr 90 männlichen Geschlechts. Jeder auch nur halbwegs mit Marketing-Strategien vertraute Mensch begreift bei so einem Missverhältnis: Hey, da geht noch was! Und so machte sich die FT ans Werk, dachte über Leserinnen-Bedürfnisse nach, stellte mehr Frauen ein, setzte Themen anders, analysierte und veränderte die Bildsprache und entwickelte den Newsletter „Long Story Short“, der von Kolleginnen komponiert, aber auch von vielen Männern abonniert wurde. Und es ging was: Der Anteil der Leserinnen kletterte deutlich.

Viele Redaktionen tagesaktueller Medienmarken rätseln darüber, wie man Frauen stärker begeistern könnte, selbst wenn sie in der Beziehung besser dastehen als die FT oder andere Wirtschaftstitel. Forschung gibt es dazu kaum. Wer sich wenig Mühe gibt, tröstet sich deshalb mit Stereotypen. Frauen mögen halt weichere Themen, heißt es dann, Themen rund um Familie und Partnerschaft, Promi-Storys, Ratgeber- und Lokaljournalismus. Politik und Wirtschaft? Eher nicht. Komplett abwegig sind diese Annahmen nicht. Forscher*innen des Reuters Institutes in Oxford haben im vergangenen Jahr Daten aus dem Digital News Report daraufhin ausgewertet, wie Männer und Frauen in elf Ländern Nachrichten nutzen. Dabei zeigten sich Leser deutlich stärker an aktuellem Journalismus interessiert als Leserinnen, die Lücke lag durchgängig bei etwa zehn Prozentpunkten. Die Frage ist aber: Liegt es an den Themen selbst, oder können sich Frauen nur nicht mit deren Aufbereitung identifizieren?

In Erinnerung dazu bleibt ein Gespräch mit der irakisch-amerikanischen Journalistin und Frauenrechtlerin Zainab Salbi, die ihre Kindheit im Irak verbrachte und heute in den USA lebt. Salbi erzählte damals, sie sei mit Krieg aufgewachsen, habe aber als Mädchen Krieg ganz anders erlebt, als er in den Nachrichten dargestellt wurde. Dort sei es nur um Gewinne und Verluste gegangen, um Sieg und Niederlage, gezeigt worden seien Soldaten, Offiziere, Politiker – mehr Mann ging kaum. Sie aber sei von Frauen umgeben gewesen: Lehrerinnen, Ärztinnen, Verkäuferinnen, Müttern und Großmüttern – klar, die Männer seien ja meist abwesend gewesen. Hier könnte ein Indiz liegen: Politischer Journalismus, so wie er oft erzählt wird, hat mit der Lebenswirklichkeit vieler Frauen zu selten zu tun.

Das Portal Newsmavens, das für ein paar Jahre mit allein von Journalistinnen ausgewählten Inhalten experimentierte, bevor es 2019 eingestellt wurde, war in einer Bilanz zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen. Frauen interessieren sich durchaus für Politik und Wirtschaft, aber eher für den Alltagsblick darauf, so die damalige Chefredakteurin Zuzana Ziomecka. Und auch die Reaktionen auf Plan W – das Wirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung – das sich vorwiegend an Frauen richtete, zeigten: Konstruktiver Journalismus kommt bei ihnen besser an als das ewige Kräftemessen und die Machtkämpfe, die der traditionelle politische Journalismus ins Zentrum rückt. Helden-Geschichten, wie sie im Wirtschaftsjournalismus oft erzählt werden, begeistern sie dafür weniger – das gilt übrigens auch für Heldinnen-Geschichten. Etwas mehr Forschung dazu wäre jedoch interessant und könnte den Journalismus bereichern.

Was die Studie des Reuters Institutes noch ergibt, führt auf eine weitere Spur. Frauen konsumieren Journalismus deutlich seltener lesend als Männer, sie hören lieber oder lassen den Fernseher laufen. Bei der Podcast-Nutzung ist das Geschlechterverhältnis deshalb sogar einigermaßen ausgewogen, wie Daten des Marktforschers Nielsen ergeben. Das hängt höchstwahrscheinlich damit zusammen, dass sich Frauen seltener als Männer ausschließlich mit der Weltlage beschäftigen, zum Beispiel am Frühstückstisch oder auf dem Weg zur Arbeit. Podcasts oder Radio kann man auch beim Kochen oder Wäschelegen hören oder während man das Kind zum Kindergarten fährt. Auch der Fernseher lässt sich als Nebenbei-Medium nutzen, wenn der Staubsauger nicht zu laut ist. Es sollte eigentlich niemanden wundern: Je mehr Care-Arbeit jemand leistet, desto weniger Zeit bleibt ihr oder ihm für den Journalismus.

Und dann haben die Oxford-Forscher*innen noch etwas belegt: Frauen verhalten sich in den sozialen Netzwerken anders als Männer. Sie kommunizieren viel mit Freund*innen und Familie, schalten sich aber seltener in politische Debatten ein. Ein Grund dürfte die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit sein, mit der Frauen im Netz angegriffen, gemobbt und belästigt werden. Das mögen sich viele nicht antun.

Als Medienmacher*in kann man diese Dinge nun hinnehmen, oder man kann etwas tun. Am leichtesten ist es, mehr Frauen in der Berichterstattung sichtbar zu machen, die BBC hat in ihrem 50:50 Projekt gezeigt, wie und vor allem dass das geht. Einige Redaktionen – eher außerhalb Deutschlands – setzen bereits Bots als Mittel der Selbstkontrolle ein: Wie viele Frauen bilden wir ab, wie viele zitieren wir? Seitdem Covid-19 das Expertentum beflügelt, wurden es vielerorts weniger. Gebraucht werden mehr Journalistinnen an entscheidenden Stellen: in den meinungsbildenden und in den Investigativ-Ressorts. Die Zusammensetzung der Redaktion beeinflusst durchaus, ob die investigative Recherche in Steueroasen führt oder in die Nagelstudios um die Ecke, wo es reichlich Ausbeutung gibt (siehe: New York Times, „The Price of Nice Nails“). Nur wäre es naiv anzunehmen, dass allein das mehr Frauen an die Nachrichten bringt. Der Journalismus kann immer nur so gut sein wie die Gesellschaft, in der er wirkt. Diesen Ehrgeiz allerdings sollte er haben.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 18. Februar 2021.

Mehr Macht für den Mittelbau – Nicht einmal die Medien-Leader selbst finden, dass sie die besten Ideen für die Zukunft haben

Was hat man nicht schon alles gehört über das mittlere Management in Unternehmen. Dort säßen Erfüllungsgehilfen, Kontrollettis, an Prozessen ebenso klebend wie am eigenen Stuhl. Manager*innen eben, definitiv keine Leader. Wären sie das, regierten sie schließlich in der Top-Etage – so wird es in mancher Business School unterrichtet. Der ehemalige Siemens-Chef Peter Löscher hatte mal von „Lehmschicht“ gesprochen, der Begriff überlebte sogar seine eigene Karriere im Konzern. Ein Wort wie eine Watschn, würde man auf Bayrisch sagen, ein Schlag ins Gesicht all jener emsiger Erlediger*innen und Macher*innen, die nicht nur täglich den Betrieb am Laufen halten, sondern sich auch um ständige Verbesserungen bemühen, ob gerade Krise ist oder nicht.

In der Medienbranche sind sich die Chef*innen in Sachen Lehmschicht offenbar nicht mehr so sicher. Im neuen „Journalism, media and technology trends and predictions“ Report von Nic Newman, den das Reuters Institute in Oxford regelmäßig zu Jahresbeginn veröffentlicht, äußerten sich Top-Manager*innen zumindest erfrischend selbstkritisch über ihre eigenen Kapazitäten, auch Top-Ideen zu generieren. Nur etwa einer von vieren (26 Prozent) der 234 befragten Führungskräfte aus 43 Ländern gab an, dass nach ihrer Überzeugung das Spitzenmanagement die besten Ideen generiere. Das Problem ist klar: „Die besten Ideen kommen nicht unbedingt von oben, aber die Unternehmen werden noch so geführt“, sagt Nic Newman. Der Report ist nicht repräsentativ aber in der Branche gerade deshalb Pflichtlektüre, weil die Antwortenden in der Regel besonders um Fortschritt bemühte Köpfe sind. 

Aber wo werden die Innovationen geboren? Fast drei Viertel verrieten in der Umfrage, dass Daten und Publikumsforschung ihnen am ehesten auf die Sprünge helfen würden, 68 Prozent wetteten auf gemischte Teams aus verschiedenen Bereichen, und immerhin knapp jeder Zweite gestand ein, sich die besten Strategien von anderen Medienunternehmen abzugucken. Okay, dem mittleren Management als solchem trauten die Chefredakteur*innen und Medienmanager*innen laut der Umfrage noch weniger zu (17 Prozent) als sich selbst. Aber wer trifft sich in den gemischten Teams, wer wertet die Publikumsdaten aus und leitet daraus Strategien ab, wer besucht die einschlägigen Branchentreffs, liest sich in fremde Materien ein und berichtet dann an die C-Ebene? Richtig, im allerhäufigsten Fall ist es ist der Mittelbau.

Es sind oft diejenigen, die in keinem Branchendienst als Held*innen gefeiert werden und auf die weder Management-Literatur noch Forschung ein Auge haben, die am nächsten dran an den Schwierigkeiten und deshalb auch an den Lösungen sind. Sie sind es, bei denen sich Sorgen von Mitarbeiter*innen und Kund*innen gleichermaßen zu einem Sandwich an Erwartungen türmen. Von ihnen verlangt man, dass sie sowohl operativ zuverlässig sind als auch strategisch mitdenken und Veränderungen managen. Und wenn etwas schiefgeht, bleibt es ihnen überlassen, die Scherben aufzulesen und daraus noch etwas zu basteln – auf Selbstbewusst nennt man das dann „celebrate failure“.

Diese Schicht aus nimmermüden Arbeits- und Innovationsbienen, von denen viele in einem Alter und Situationen sind, in denen ihnen die Familienarbeit Zusätzliches abverlangt, ist – wen wundert’s – am stärksten gefährdet, ein Burn-out zu erleiden. Lucy Küng, die wie kaum jemand zum Kulturwandel in sich digitalisierenden Medienunternehmen forscht, hat dies in zahllosen Interviews belegt, nachzulesen unter anderem in ihrem neuesten Buch: „Hearts and Minds: Harnessing Leadership, Culture and Talent to Really Go Digital“. Viele Talente gingen der Branche deshalb verloren, betont sie wieder und wieder.

Dennoch halten viele Manager*innen den Mittelbau nur so lange für unterstützenswert, wie sie selbst ein Teil davon sind. Kaum haben sie Karriere gemacht, reklamieren sie die Visionen für sich. Gianpiero Petriglieri, Professor an der INSEAD Business School, nennt das „Leaderism“. Statt zuverlässiges und konstruktives Management zu schätzen, das gerade in der Krise so nötig sei, feiere man Visionäre, deren Ideen nur allzu oft mit ihnen untergingen. Die Verherrlichung von Leadership einerseits und die Abwertung von Management-Qualitäten andererseits sei ein gefährliches Gegensatzpaar, das immer noch gelehrt werde, aber vor allem in Krisen mehr schade als nutze, beschreibt er wortgewaltig in dem Essay: „Why leadership isn’t a miracle cure for the Covid-19 crisis (and what can really help).“ Es sei an der Zeit, weniger Hoffnung in Leadership zu setzen und mehr Menschlichkeit in das Management zu bringen, so Petriglieri. Dem „Trends and Predictions“-Report nach zu urteilen, haben das viele Medien-Manager*innen schon verstanden. Demut ist der erste Schritt zur Innovation.

Dieser Text erschien am 15. Januar 2021 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School.

Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.