Junge Nutzer verzweifelt gesucht – sieben Erkenntnisse über eine anspruchsvolle Zielgruppe

Man kennt diesen Satz aus der Redaktionskonferenz. Themenplanung ist dran, und irgendein Chef wirft ihn in die Runde: „Wir müssen mal wieder was für die Jungen machen.“ Ratlosigkeit entweicht den Blicken der Älteren. Vielleicht was über Tik Tok? Über angesagte Musik oder das nahende Abitur? Alle unter 30 gehen vorsichtshalber in Deckung. Besteht doch ihr wichtigster Job darin, ihre Ü40-Vorgesetzten mit klugen Vorschlägen zu beeindrucken, die dann vor allem bei der Ü60-Kundschaft gut ankommen. Sie wollen ja ernst genommen werden.  

Etablierte Medienhäuser und das junge Publikum haben es schwer miteinander. Während die einen nicht ohne die anderen können, weil dies ihren wirtschaftlichen Hungertod zur Folge haben würde, können die anderen sehr wohl ohne vieles, was den Verlagen und Sendern ihr Auskommen sichert: Abos, Apps und Abendprogramm im Fernsehen zum Beispiel. Selbst mit dem Digitalen ist das so eine Sache. Laut Digital News Report 2020 gehen 84 Prozent der unter 25-Jährigen nicht direkt auf die Website einer Medienmarke, sondern informieren sich über das, was Soziale Netzwerke, Suchmaschinen oder Nachrichten-Aggregatoren in ihre Timelines oder per Push-Nachricht auf ihre Bildschirme spülen. In den Strategie-Sitzungen etablierter Medienmarken steht deshalb auf Wiedervorlage: Junge Nutzer verzweifelt gesucht.

Aber wie steht es um den Medienkonsum junger Menschen, was mögen sie, was ignorieren sie, wann schalten sie ein und wann wieder ab? Gemessen daran, wie stark und wie lange das Thema Redaktionen schon beschäftigt, ist die Forschung dazu einigermaßen dünn. Für den deutschen Markt gibt es wichtige neue Erkenntnisse. 

Nachzulesen sind sie in der im April 2021 veröffentlichten Studie „#usethenews“ des Leibniz-Instituts für Medienforschung Hans-Bredow Institut und der Studie zur Medienkompetenz in Deutschland, die im März bei der Stiftung Neue Verantwortung erschienen ist. Daraus und aus zahllosen Gesprächen mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen leiten sich ein paar Dinge ab, die Redaktionsstrategen wissen sollten.

Erstens: Tatsächlich brennt bei diesem Thema die Hütte, nicht nur, was die Zukunft der Verlage angeht, sondern auch mit Blick auf bürgerliches Engagement in der Demokratie. Etwa jeder zweite Jugendliche hält es nicht für wichtig, sich über aktuelle Ereignisse zu informieren, so das Forscherteam des Hans-Bredow-Instituts. Die Erklärung liefern es gleich mit: „Bei journalistischen Nachrichten fehlt ihnen oft der Bezug zu ihrem Alltag.“ Es reicht also nicht, schulterzuckend auf den allgemein steigenden Anteil der Nachrichten-Vermeider zu verweisen, der laut Digital News Report international bei etwa einem Drittel liegt. In der jungen Generation ist die News-Abstinenz deutlich ausgeprägter. Wer es ernst meint mit dem Journalismus als Säule der Demokratie, sollte also dringend tätig werden. 

Zweitens: Die Schere zwischen denjenigen, die top informiert und kompetent sind und denjenigen, die sich kaum in der neuen Informationslandschaft zurechtfinden, geht weit auseinander. Waren diejenigen mit niedrigem Schulabschluss früher noch einigermaßen informiert, weil vielleicht hier und da mal eine Zeitung herumlag, man aus Langeweile die Fernseh-Nachrichten schaute oder beim Autofahren stündlich mit Radio-News zwangsgefüttert wurde, lässt sich all das im Zeitalter der maximalen Ablenkungsmöglichkeiten komplett vermeiden. Die Informationslücke, die das Internet eigentlich schließen sollte, tut sich als digitaler Graben zwischen den Gesellschaftsschichten immer weiter auf – wenn nichts geschieht. Die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihrem Auftrag, Journalismus für alle anzubieten, haben hier eine besondere Verpflichtung. 

Drittens: Zum Glück interessieren sich viele junge Leute doch für die Welt um sie herum – nur nicht immer für das, was gereifte Politik- und Feuilleton-Redakteure und -Redakteurinnen spannend finden. Diejenigen, die Journalismus mögen, schauen gerne mal bei den Lokalnachrichten rein. Alles, was mit Umweltschutz und Wissenschaft zu tun hat, ist zumindest für die Gebildeteren ein Hingucker. In einer neuen amerikanischen Studie zum Thema Journalismus-Vermeider („The head and heart of news avoidance“) waren es übrigens auch die Themen Gesundheit, Wissenschaft, Umwelt und Lokales, die Nachrichtenmuffel aller Generationen am ehesten interessierten. Redaktionen, in deren informeller Hackordnung nach Innen- und Außenpolitik erst einmal lange gar nichts kommt, werden sich umstellen müssen.  

Viertens: Was alle Nutzer der jüngeren Generationen vereint, ist die Vorliebe fürs leichte Fach. „Lustiges und Sonderbares“ kommt laut der Leibniz-Studie durchweg gut an. Ohnehin ist Humor ein ziemlich sicherer Weg, um bei den Generationen Y und Z Gehör zu finden, das belegen nicht nur Böhmermann und Co.. Aber Achtung, es ist nicht unbedingt die Art von Humor, den eben jene gereiften Führungskräfte mögen. Witzeln auf Kosten von Schwächeren geht gar nicht. Wer austeilt, muss sich zumindest selbst auch mal einen mitgeben. In der Abteilung Humor im Journalismus gilt deshalb das Gleiche wie bei unsicherer Quellenlage: Im Zweifel lieber lassen.

Fünftens: An Influencern führt kein Weg vorbei, aber es müssen keine Instagram-Vertriebshelden sein. Als die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter im vergangenen Jahr Greta Thunberg für einen Tag das Blatt machen ließ, rauschten die Digital-Abos nur so rein, mehrere Tausend waren es an einem Tag. Prominenz erhöht die Reichweite und hilft dabei, Botschaften zu vermitteln. Faustregel: Promis sollten als Menschen rüberkommen, nicht als Funktionäre. Den Filmstar über Politik reden lassen und die Politikerin über Filme kann beide glaubwürdiger machen, wenn sie es denn ehrlich meinen. Junge Leute sind geübt darin, zwischen echter Authentizität und inszenierter Nahbarkeit zu unterscheiden.  

Sechstens: Vielfalt zählt – und zwar nicht nur als Ankreuz-Übung. Junge Leute erwarten, dass ein Programm oder eine Marke die Welt so abbildet, wie sie sie erleben. Sie mögen sich mit Protagonisten identifizieren können und vielleicht sogar selbst etwas beitragen. Dazu gehören eine Sprache, die ebenso locker wie respektvoll ist und Inhalte, die – siehe oben – etwas mit ihrem Alltag zu tun haben. Nachrichten sollten nützlich sein und Spaß machen, lautete das Fazit einer Studie über junge Journalismus-Nutzer, die der Marktforscher Flamingo gemeinsam mit dem Reuters Institute 2019 veröffentlicht hatte. Konstruktiver Journalismus, der die Welt mit Perspektiven weit öffnet, kommt bei der jungen Generation deshalb besonders gut an. Faustregel: Man darf dem Publikum ruhig etwas zutrauen. Der Erfolg von wissenschaftsgetriebenen Formaten wie Brainstorm des irischen öffentlich-rechtlichen Senders RTE oder des Magazins Katapult sind Belege dafür. Dumm für Kostenkiller, dass hintergründiges Berichten meist aufwändiger ist als das fixe Wegmelden nach Methode Copy and Paste. Aber die schnelle Nachricht gibt’s eben heute überall. Man könnte sagen: Junge Leute sind Journalismus-Gourmets.  

Siebtens: Journalismus muss leicht zugänglich und gut aufbereitet sein. Die Digitalisierung trainiert alle Generationen auf Bequemlichkeit, Amazon, PayPal, Spotify und Co. haben den Gold-Standard für Nutzerfreundlichkeit gesetzt. Die alte Welt, in der man noch Gebrauchsanleitungen las, sich Telefonnummern notierte und zum Kiosk an der Ecke ging, verschwindet. Für den Journalismus heißt das: Er muss dahin, wo die Nutzer sind und es ihnen leicht machen. Die oben erwähnte amerikanische Studie sagt: Verständnishürden und mangelndes Selbstbewusstsein im Umgang mit Medien seien die Hauptgründe, warum Menschen um Nachrichten einen Bogen machen. Im Zweifel schlägt die interaktive Infografik mit drei Bullet-Points den 200-Zeilen-Leitartikel. Das ist bitter für manche Autorinnen und Autoren. War Komplexität früher ein Ausweis von Qualität, muss sie heute gut begründet sein. Leider kaschiert sie allzu oft nur Dünkel oder schiere Bequemlichkeit.

Diese Kolumne erschien am 17. Mai 2021 bei Medieninsider, wo ich monatlich zu Medienthemen schreibe.  


Von wegen „Digital Natives“ – Gerade beim jungen Publikum klafft die Medienkompetenz weit auseinander

Es ist eine bequeme Annahme, dass sich manche Probleme mit dem Generationenwechsel von selbst lösen werden. Leider fällt sie immer wieder durch den Wirklichkeitstest. Dies trifft auch auf die Fähigkeit zu, mit dem Digitalen im Allgemeinen und digitalen Medien im Besonderen kompetent umzugehen. Belegt wird das von einer großen Studie für Deutschland, die in dieser Woche von der Stiftung Neue Verantwortung veröffentlicht wurde und Pflichtlektüre für alle sein sollte, die etwas mit Journalismus zu tun haben. Denn unter den vielen interessanten Einzelergebnissen fällt eins besonders ins Auge: Gebildete junge Menschen erreichen in dem Test im Durchschnitt die besten Werte aller Altersgruppen, während ihre Altersgenossen mit niedriger Schulbildung schlechter abschneiden als ältere Jahrgänge mit ähnlichem Ausbildungsniveau. Kurz gesagt: Der Begriff „Digital Natives“ beschreibt kaum mehr als eine Wunschvorstellung. Vielmehr wird der digitale Graben tiefer.

Es lohnt sich, die Studie genauer zu lesen, denn etliche Aussagen sollten Redaktionen schwer zu denken geben. Nicht nur ist das Niveau der Medienbildung insgesamt mau: Im Durchschnitt erreichten die Befragten nicht einmal die Hälfte der möglichen Punktzahl, nur jede*r Fünfte qualifizierte sich in den Kategorien hohe oder sehr hohe Medienkompetenz. Aber einige Erkenntnisse rufen direkt nach Taten.

Da ist zum einen der Vorwurf einer „von oben“ gesteuerten Presse. Etwa ein Viertel der Befragten nimmt nach eigenem Bekunden an, Politik und Journalist*innen arbeiten Hand in Hand und täuschen die Bevölkerung, „Lügenpresse“ lässt grüßen. Woran die Menschen das festmachen, ergibt sich nicht. Aber eine Unterrichtseinheit in der Schule reicht vermutlich nicht, um das Gegenteil zu beweisen. Hier rächt sich eine Politik-Berichterstattung, die sich nach wie vor zu sehr auf Statements von Funktionsträger*innen und zu wenig auf die Recherche von Themen fokussiert. Wer Politiker*innen und Journalist*innen ständig gemeinsam in Bild und Gespräch wahrnimmt, wird womöglich auch bei kritischen Interviewfragen den Eindruck nicht los, hier werde über die Köpfe der Bürger*innen hinweg verhandelt. Dazu passt, dass der Lokaljournalismus in den meisten Studien auch international die höchsten Vertrauenswerte genießt. Er ist eben näher dran.

Besonders schwer taten sich die Teilnehmer*innen der Untersuchung damit, Journalismus von Werbung zu unterscheiden oder Kommentare von Nachrichten. Wer seine Informationen überwiegend aus den sozialen Netzwerken bezieht, verirrt sich der Studie zufolge besonders häufig im Überangebot und Nebeneinander von unabhängiger, überprüfter auf der einen und interessengeleiteter Information auf der anderen Seite. Nutzer*innen, die sich direkt in Nachrichten-Apps schlau machen, schneiden dagegen deutlich besser ab. Das ist bedenklich, da der weit überwiegende Teil der Medienkonsument*innen über die Plattformen Dritter auf Journalismus zugreift, Tendenz steigend. Bei den jungen Leuten nutzen laut aktuellem Digital News Report 84 Prozent den Seiteneinstieg, nur ein geringer Teil geht also direkt auf Website oder App.

In der Branche wird immer wieder die Notwendigkeit diskutiert, Beiträge nach Kategorien zu kennzeichnen. Aber ein schlichtes „Kommentar“ in der Dachzeile reicht möglicherweise nicht aus. In der Studie konnte zum Beispiel kaum jemand ein Advertorial identifizieren, selbst wenn es als Anzeige gekennzeichnet war. Auch das Label „Kolumne“ wurde als wenig hilfreich empfunden. Die Wirkung von Kennzeichnungen ist offenbar auch bei Falschinformationen begrenzt. Selbst wenn soziale Netzwerke Lügen eindeutig als solche ausweisen, ist das offenbar nicht für alle ein Grund dafür, sie als solche zu behandeln.

Wenn es nur noch gut ausgebildete Menschen schaffen, sich einigermaßen sicher in der digitalen Medienwelt zu bewegen, sind das schlechte Nachrichten für die Demokratie. Die Gefahr steigt, falsch oder gar nicht informiert zu sein und deshalb schlechte Entscheidungen zu treffen. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen, was die Forschung schon länger nahelegt: dass das Internet den Zugang zu Information und Wissen nicht etwa egalitärer, sondern ungleicher gemacht hat. Antonis Kalogeropoulos hatte dies 2018 in einer Studie für Großbritannien belegt. Demnach kamen in der alten Welt von Print und linearem Fernsehen Menschen mit niedrigem Bildungsgrad häufiger mit Journalismus in Kontakt als heute, wo jeder zwar ständig an seinem Smartphone herumfingert, darauf aber eher chattet und spielt, statt nach Information zu fahnden. In der Zeit vor Netflix und Spotify griffen auch weniger Bildungsbeflissene schon mal aus Langeweile zur herumliegenden Zeitung oder ließen die Nachrichten an sich vorbeirauschen, schnappten dabei das eine oder andere auf. Exzellent ausgebildete Nutzer*innen sind dagegen heute in der Lage, sich deutlich besser und vielfältiger zu informieren als je zuvor.

Was also tun, damit Journalismus nicht zum Klassen-Privileg wird? Medienbildung erreicht Menschen kaum noch, sobald sie die Schule verlassen haben. Gerade die ältere Generation ist besonders anfällig für „Fake News“, ebenso die Jüngeren, die sich Informationen bewusst oder unbewusst entziehen. Schon jede*r Dritte gilt laut Digital News Report als Nachrichten-Verweiger*in.

Redaktionen stehen in besonderer Verantwortung. Medientrainings in Schulen sollten Standard werden, aber nicht als „wir erklären euch mal was“ von oben herab. Junge Leute können fantastische Reporter*innen sein, man muss sie nur ermutigen. Journalismus und die Aufklärung gehören zudem auf die Plattformen, auf denen sich die Nutzer*innen bewegen. Die Tagesschau mit ihren vielfältigen digitalen Angeboten macht vor, wie so etwas gehen kann – in der Studie der Stiftung Neue Verantwortung schneidet sie vergleichsweise gut ab. Idealerweise begeistern Medien das Publikum so, dass es den direkten Weg auf die Nachrichten-App findet und keine Verwechselungsgefahr besteht. Aber dazu muss auch der Journalismus besser werden: weniger fixiert auf Institutionen, dafür mehr auf Menschen und Themen, stärker im Austausch mit den Nutzer*innen, transparenter, was die eigene Arbeitsweise angeht.

Die Medien können die Aufgabe allerdings nicht alleine stemmen. Öffentliche Institutionen und Privatwirtschaft müssen nicht nur besser aufklären. Aus jedem Plattform-Design muss klar hervorgehen, was die Konsument*innen von Inhalten erwarten können: Ist das nur Werbung oder Bla Bla, oder ist da echter Journalismus drin? Was Zeitungen einigermaßen gelungen ist, muss auch im Digitalen möglich sein.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 26. März 2021.