Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

„Kirche und Staat“: Warum wir dringend über journalistische Werte reden müssen

Es klingt zunächst wie ein Widerspruch, wenn sich ausgerechnet ein PR-Mann so eindeutig positioniert: Dass ein Chefredakteur gleichzeitig Geschäftsführer sei, das ginge gar nicht, hatte Karsten Krogmann im Mai 2022 auf dem Forum Lokaljournalismus in Bremerhaven auf einem Podium gesagt. Nun ist Krogmann noch recht neu dort, wo die Branche gemeinhin „die andere Seite“ verortet. Er leitet die Pressearbeit für die Opferschutzorganisation Weißer Ring, bis 2020 war er preisgekrönter Chefreporter der Nordwest-Zeitung. Verlassen habe er den Verlag, weil der Journalismus zunehmend von wirtschaftlichen Zwängen geprägt werde. Das hatte er vor zwei Jahren bereits in einem Interview mit Kress Pro erläutert. 

Nun spielen beim Jobwechsel meist mehrere, auch sehr persönliche Gründe eine Rolle. Wenn man es für höchste Zeit hält, dass sich Journalisten Gedanken über das Geldverdienen machen, hört sich eine solche Klage zudem recht larmoyant an. Ist die Zahlungsbereitschaft für Journalismus nicht der beste Qualitätsausweis? Schließlich beweist doch der Abschluss eines Abos am ehesten, dass das Produktversprechen stimmt. Wahr ist aber auch: Über journalistische Unabhängigkeit, also genau das, was Journalismus von PR unterscheidet, wird in der Branche selten diskutiert.

Zwar gilt es bei den fortschrittlichen Vertretern des Fachs als ausgemacht, dass die strikte Trennung von Redaktion und Verlag in der digitalen Medienwelt nicht mehr funktionieren kann. Aber wo genau die neuen Grenzen verlaufen, was die roten Linien sind zwischen Marketing und inhaltlicher Überzeugungsarbeit, über Angebot und Verkaufe, darüber gibt es kaum Debatten.

Das „Kirche und Staat“-Prinzip stößt auf neue Herausforderungen

Nun war auch die alte Welt von „Kirche und Staat“ keine, in der nur Heilige die Geschäfte verwalteten. Grenzüberschreitungen gab und gibt es immer wieder. Die Konflikte um Dirk Ippen, der die Springer-Recherche seines Investigativ-Teams nicht veröffentlicht haben wollte und Zeit-Herausgeber Josef Joffe, der den befreundeten Banker Max Warburg vor Recherchen warnte, bestätigen das nur. Das alte Prinzip stößt aber auf neue Begebenheiten, die es herausfordern:

► Neu ist, dass Teams aus Marketing, Redaktion und Tech-Abteilung gemeinsam Produkte für bestimmte Zielgruppen entwickeln. 

► Neu ist, dass Redaktionen, die ihre Leser in Leitartikeln vor der Macht der Daten-Konzerne warnen, selbst eifrig Daten über ihre Kunden erheben um, deren Gewohnheiten und Vorlieben besser zu verstehen. 

► Neu ist, dass sich Medienhäuser nicht nur Innovationsprojekte und Weiterbildung von Google und Meta bezahlen lassen, sondern ihre Strukturen zunehmend so ausrichten, dass sie zu den Produkten der Tech-Konzerne passen. Felix Simon vom Oxford Internet Institute hat dies für einen jüngst veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel für das Feld Künstliche Intelligenz untersucht (Transparenz-Hinweis: Alexandra hat mit Felix mehrfach publiziert). 

► Neu ist auch, dass eine Generation von Nutzerinnen und Nutzern heranwächst, für die Journalismus nur noch eine Spielart der Informationsvermittlung ist, weil Blogger, Influencer und auch die meisten Organisationen das Geschäft selbst recht professionell betreiben. Bezeichnend ist, dass zum Beispiel auch Karsten Krogmann für sich in Anspruch nimmt, beim Weißen Ring weiterhin Journalismus abzuliefern.  

Was also darf der Journalismus und was muss er sogar, um sich von allerlei Veröffentlichungskanälen abzugrenzen und seine Existenz zu legitimieren?

„Die journalistische Reinheitsrhetorik hat ausgedient.“

Aufklärung könnte man sich vom Pressekodex erhoffen, aber auch der ist in die Jahre gekommen. Zwar haben seine 16 Ziffern weiterhin Gültigkeit, aber der Alltag in modernen Redaktionen, der von all den genannten Konflikten geprägt ist, findet dort nur in Ansätzen Erwähnung. Außerdem war er schon immer ein selten erreichtes Ideal in einer Welt, in der sich Journalisten ihr Handwerk eher von ihren Vorgesetzten oder Kollegen abgeguckt haben, statt es von einer Regelsammlung abzuleiten.

Wichtig für die neue Welt ist: Die journalistische Reinheitsrhetorik hat ausgedient, in der auch immer der Anspruch auf Unfehlbarkeit mitgeschwungen hat. Man recherchiere, weil das Thema wichtig sei und veröffentliche, weil es die Allgemeinheit interessieren müsse – nicht etwa, weil man ein Interview angeboten bekommen oder eine Pressemitteilung gesichtet hatte, von einer Idee begeistert war, Lust auf eine spezielle Recherche oder Pressereise hatte oder einfach nur dem Chefredakteur gefallen wollte. Dass man die Unabhängigkeit der Redaktion von Verlagsinteressen früher mit Stolz vor sich hertragen konnte, hat auch dabei geholfen, so manch einen Beweggrund zu verschleiern. Wer behauptet, dass Clickbait eine Erfindung des Online-Journalismus ist, war nie beim Titeln dabei.   

Anstelle der Unabhängigkeit sollte Transparenz rücken

An die Stelle des mit breiter Brust verkündeten Ideals sollte deshalb größtmögliche Transparenz treten. Was weiß man, was weiß man nicht, welche Interessenkonflikte könnte es geben, wer zahlt für bestimmte Reisen oder Produkte, aber auch welche Nutzerdaten werden erhoben und wofür werden sie verwendet? Wohl kaum ein Leser wird all diese Informationen im Detail studieren, aber sie könnten geeignet sein, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Hier gibt jemand zu, dass er befangen ist und gewissen Zwängen unterliegt, aha. Die meisten Nutzer können Abhängigkeiten durchaus verstehen, wenn man sie ihnen erklärt, so wie sie dann auch verstehen werden, dass man bestimmte Quellen nicht offenlegen kann. 

Eine solche Offenheit würde Medienmarken vor allem von denjenigen abheben, die sie nicht bieten. Das sind zum Beispiel Influencer, die selten darüber Auskunft geben, wo die Produkte herstammen, die sie empfehlen und wie ihre Geschäftsmodelle funktionieren. Sie arbeiten nicht mit erarbeitetem Vertrauen, sondern mit Gefolgschaft. Die Investigativ-Recherche des Teams um  Jan Böhmermann zum Geschäftsgebaren des Influencers Fynn Kliemann dürfte einiges dafür getan haben, jungen Leuten das Prinzip Qualitätsjournalismus näherzubringen. 

Initiativen wie die Journalism Trust Initiative zertifizieren Redaktionen danach, wie sie Qualitätsstandards einhalten. Wer nachweist, das Vier-Augen-Prinzip anzuwenden, Fakten zu checken oder Videos zu verifizieren, macht sich glaubwürdig. Solche unabhängigen Audits sind auch für Medienhäuser empfehlenswert, die öffentlich-rechtlich strukturiert sind. Statt zu viel kommerzieller Nähe wird ihnen oft Staatsnähe vorgeworfen. Vertrauenswürdig ist, wer mit Beweisen dagegenhalten kann.

Aber darf ein Geschäftsführer oder Eigentümer gleichzeitig Geschäftsführer sein? Auch hier ist die Antwort: Es kommt darauf an. So wie es manch einem Chefredakteur an journalistischem Rückgrat mangelt, wirkt manch ein CEO als leidenschaftlicher Verleger. Wichtig ist, dass ethische Standards und die Kontrolle stimmen. Die Debatte über beides ist ausbaufähig. 

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 25. Mai 2022. Alexandra schreibt dort monatlich zu aktuellen Themen der Branche.

 

Was der Journalismus vom Joghurt lernen kann

Die Glaubwürdigkeit des Journalismus ist ein Dauerthema innerhalb der Branche. Ein Rezept für mehr Vertrauen: Transparenz. Doch wie viel davon ist uns wirklich recht? Vor allem im Umgang mit Quellen? Die Angabe von Inhaltsstoffen ist auf jedem Joghurt genauer als in den Medien.

Es wirkte fast so, als wollte sich Rezo noch im Nachhinein für den Nannen-Preis bedanken. Über 140 Quellen steckten in seinem jüngsten Aufschlag, twitterte er nach der Veröffentlichung im August. Das klang wie: Seht her, Leute, ich bin nicht der selbstverliebte Laberkopf, für den ihr mich haltet, meine Stücke sind gut recherchiert. Man erinnert sich: 2020 hatte es in der Branche längliche Diskussionen darüber gegeben, ob der Influencer die begehrte Journalisten-Auszeichnung tatsächlich verdient habe, wo er doch höchstwahrscheinlich noch nicht einmal die 16 Ziffern des Pressekodexes aufzählen könne. Und nun: 140 Quellen. 

Die Anerkennung der Kollegen hätte allerdings großzügiger ausfallen können. Jeder Journalist verwende immer ganz viele Quellen, twitterte einer zurück. Nur stelle man das halt nicht so heraus. Wirklich?

Reporter und Reporterinnen haben im Allgemeinen ein ähnliches Verhältnis zu ihren Quellen wie Annalena Baerbock es zur Verteidigung ihres Bestsellers „Jetzt“ beschrieben hat: Ist ja nur so ein Sachbuch und keine wissenschaftliche Arbeit.

Der Joghurt-Moment

Oft setzt sich auch die Bequemlichkeit gegenüber der mühseligen Recherche durch: Da fragt man für ein schwieriges Thema fix ein paar Leute aus dem Bekanntenkreis, musste halt schnell gehen. Und für die Fach-Auskunft wird der ewig gleiche Kumpel aus Studientagen angerufen. Der nimmt den Call zuverlässig an und ist zudem eloquent, warum also nicht? 

Darum nicht, fanden die Kolleginnen und Kollegen von France Televisions, als sie im Mai dieses Jahres das Projekt nosSources launchten. Chefredakteur Pascal Doucet-Bon hatte es vorangetrieben nach einem Erlebnis, das man einen Joghurt-Moment nennen könnte:

In Frankreich sei vor zwei Jahren diese große öffentliche Debatte über Vertrauen und die Medien geführt worden – die Zustimmungswerte waren im Zuge der Gelbwesten-Proteste drastisch eingebrochen. Eines Tages habe sich dieser Mann gemeldet und angemerkt, man solle sich nicht wundern, wenn Menschen dem Journalismus weniger vertrauten. Beim Einkauf im Supermarkt fände er auf jedem Produkt penibel genau Inhaltsstoffe und Nährwerte aufgelistet. Bei Nachrichten hingegen müsse er sich allein auf die Marke verlassen. „Er sagte mir: Leute, so läuft das nicht mehr“, erinnert sich Doucet-Bon. Wie sollten Leser den Journalisten trauen ohne die Möglichkeit, die Quellen zu überprüfen? „Es war mir etwas peinlich zuzugeben, dass er recht hatte. Jeder Joghurt kommt transparenter daher. Aber damals wusste ich nicht so recht, was wir tun könnten.“ 

Die Idee ließ ihn nicht mehr los. „Wir arbeiten mit dem Geld der Steuerzahler, sie haben ein Recht darauf, unsere Quellen zu kennen und zu beurteilen“, so Doucet-Bon. Aber wie lässt sich ein Joghurt-Label auf das Nachrichtengeschehen übertragen? Es brauchte einen Chefwechsel, viele Diskussionen und einiges an Vorbereitung, bis nosSources starten konnte.

Das Konzept ist simpel: In jedem von France Televisions digital publizierten Stück werden die Leserinnen und Leser nun eingeladen, die Quellen am Ende des Textes zu studieren. Sie finden Hinweise auf Infografiken, Studien und Informationen zu den Experten, die zitiert werden. „Das hat sich vor allem in der Impf-Debatte als wichtig erwiesen“, so Doucet-Bon. Denn gerade Impfgegner würden die Quellen systematisch durchforsten mit dem Hintergedanken, die Kompetenz und Unabhängigkeit von Wissenschaftlern und Ärzten in Frage zu stellen.

Eine klare Einordnung helfe beispielsweise dabei, nachzuvollziehen, wer welche Verbindungen zur Pharmaindustrie habe. „Natürlich geben wir keine vertraulichen Quellen preis. Und bei manchen Reportagen gibt es schlicht keine Quellen, wenn zum Beispiel jemand eine Nacht bei Obdachlosen verbringt“, sagt der Chefredakteur. Aber meistens geht es eben doch. 

Ob die Quellen-Transparenz das Vertrauen der Leserschaft in den französischen Marktführer bei digitalen Nachrichten erhöht, lässt sich noch nicht beurteilen. Tatsache ist: Die wenigsten Nutzerinnen und Nutzer klicken darauf. Für Doucet-Bon geht es aber nicht nur darum, Offenheit nach außen demonstrieren, sagt er: „Wir wollten auch, dass unsere Kollegen und Kolleginnen ihre Quellen bewusster wählen.“ Wie oft hätten Reporter zuvor einfach Umfragen anderer kopiert oder immer dieselben Experten befragt. Der Sender hoffe, seinen Journalismus mit dem Projekt zu verbessern. Selbst die Gewerkschaften schweigen ob des Mehraufwands – in Frankreich ein Zeichen stiller Zustimmung.

Allerdings haben sich noch nicht alle Redakteure, Reporterinnen und Kommentatoren mit den neuen Standards angefreundet. Einer von vier Journalisten mache nicht mit bei nosSources, so Doucet-Bon, „manche hoffen sicher, dass das wieder verschwinden wird“. Es dürften aber eher die sich verweigernden Kolleginnen und Kollegen sein, deren journalistische Sterne irgendwann verblassen werden. Denn in einer datengetriebenen Welt steigt der Anspruch der Konsumentinnen und Konsumenten, eben diesen Daten bei Bedarf auf den Grund gehen zu können. Der Aufschwung des Wissenschaftsjournalismus in der Pandemie hat gezeigt, dass die Nachfrage nach Belegen wächst. Ein beträchtlicher Teil des Publikums nimmt es nicht mehr kommentarlos hin, wenn faktenloses Geschwurbel damit begründet wird, dies sei nun einmal Feuilleton oder ein politischer Kommentar. 

Journalismus darf allerdings auch nicht ins Gegenteil abdriften, wie dies heute manch eine wissenschaftliche Arbeit tut. Aus Angst, eines Plagiats bezichtigt zu werden, belegen Studierende häufig jede noch so simple Aussage. Das Ergebnis wirkt häufig zaghaft und unentschieden.

Starker Journalismus bewahrt den Mut zum eigenen Gedanken. Statt des Joghurts funktioniert als Analogie womöglich eher das Curry: Das kann feurig und gehaltvoll schmecken und dennoch auf einem Rezept basieren, das sich nachkochen ließe – würde man es denn wollen. Vertrauen steigt nicht automatisch mit mehr Transparenz. Dies geschieht nur, wenn die Zutaten stimmen.      

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 17. September 2021. Mit einem Abo kann man dort auch aktuelle Kolumnen lesen.   


Eine Checkliste für starken Journalismus

Die Frage, wie Qualitätsjournalismus definiert wird, ist keine einfache – schon gar nicht in Zeiten des digitalen Wandels. Genauso schwierig gestaltet sich dann die Kontrolle. Das sollte Redaktionen aber nicht davon abhalten, über Kriterien und Kontrollstandards zu diskutieren. Zehn Impulse, mit denen das gelingen kann.

Sicher, auch über die Substanz von Autos, Mänteln oder Möbelstücken kann man streiten: Ist das nun Qualität, oder doch eher nur gute Verpackung? Wer sich allerdings daran versucht, Qualitätsjournalismus zu definieren, sollte Zeit und Lust auf eine erhitzte Debatte mitbringen. Denn was die einen als große publizistische Leistung empfinden, ist für die anderen nichts als abgehobene Schwurbelei. Werden Inhalte mit einem Qualitätssiegel versehen, sagt so ein Prädikat oft mehr über die Bewertenden aus als über das Produkt. Manche betrachten es gar als Einfallstor für Zensur: Gelobt wird das, was politisch erwünscht ist.

Alternativ kann man den Prozess unter die Lupe zu nehmen, mit dem Journalismus erstellt wird. Werden Fakten überprüft, mehrere Quellen konsultiert, wie wird redigiert, wie wird Unabhängigkeit gewahrt? All das lässt sich leichter beurteilen als Faktoren wie Sprache, Themenwahl oder Ausgestaltung. Aber bei der Herangehensweise haben starke Medienmarken zwangsläufig die Nase vorn. Kurz: Es ist kompliziert.

Die Debatte um Qualität ist dennoch zentral, schon gar in einer Medienwelt, in der Algorithmen Inhalte auf- und abwerten und damit vorselektieren, wie viel Aufmerksamkeit ein Stück bekommt. Redaktionen tun deshalb gut daran, immer wieder Inventur zu machen: Wie stark ist unser Journalismus? Eine Checkliste mit zehn Punkten dürfte helfen:

1. Haben wir genug erklärt?

Wer sich informiert, will nicht nur Bescheid wissen. Er möchte wissen, warum er Bescheid wissen sollte. Journalismus muss immer einordnen, und er muss das immer wieder tun. Laut Digital News Report 2019 findet nur jeder zweite Nutzer, dass die Medien einen guten Job dabei machen, das aktuelle Geschehen zu erklären. Da ist Luft nach oben.

2. Setzen wir die Agenda?

Im täglichen Feuerwerk der Informationen und Zitate ist es allzu leicht, sich von anderen treiben zu lassen. Stimmt das, was dieser Politiker, jene CEO behauptet, oder ist das eine Falschinformation? Verifizieren ist wichtig, aber wer nur noch überprüft, was andere sagen, kann es leicht versäumen, eigene Themen zu setzen. Da gilt das in der Branche gerne genutzte Wort: Journalismus ist, über etwas zu berichten, das andere gerne verbergen würden.

3. Begeistern wir Nutzer mit Produkten, die ihnen helfen?

Die Erfolge von Apple, Amazon, Netflix und Co. sind nicht die Ergebnisse von klugem Marketing. Die Produkte und Plattformen überzeugen, weil sie einen Mehrwert bieten. Sie helfen dabei, alltägliche Probleme zu lösen. Welche Produkte können Medienhäuser entwickeln, die ihren Kundinnen und Kunden im Alltag helfen? Die Denke vom Nutzer her ist zentral, wenn man sich unverzichtbar machen will. 

4. Begeistern wir unsere Nutzer mit Themen, die sie berühren?

In der Welt der Überinformation dringen diejenigen durch, die Emotionen wecken, Menschen in ihrem Alltag abholen, bei ihren Sorgen, Freuden, Hoffnungen. Es ist ein schwerer Fehler, das Feld der Emotionen den Populisten zu überlassen, die bevorzugt in Schwarz oder Weiß malen. Menschen sind komplex und sie begreifen Komplexität – wenn man sie denn lässt.

5. Lassen wir andere zu Wort kommen?

Der Trend geht zum Kommentar, denn er ist billig. Recherche hingegen kostet Geld. Aber Kommentare gibt es überall. Beobachtung, Beschreibung, Einordnung, Gespräch, echte Analyse führen weiter. Zuhören ist der Schlüssel, oder genau hinschauen. Wenig überzeugt so schnell wie eine gute Datenreihe – und wenig macht so viel Mühe.  

6. Suchen wir Vielfalt und lassen sie zu?

Es ist ein Reflex, der nicht nur beim Besetzen von Talk-Shows funktioniert: Journalisten greifen bei der Recherche wieder und wieder auf dieselben Experten zurück. Ein Grund dafür ist, dass es funktioniert. Ein Christian Drosten schafft Vertrauen, die Medienmarke profitiert. Aber die Welt ist weit, die Perspektiven vielfältig. Das 50:50 Projekt der BBC hat gezeigt, wie ein bewussterer Umgang mit Quellen nicht nur Geschlechtergerechtigkeit vorantreiben, sondern auch das Publikum begeistern kann.

7. Bieten wir Perspektiven an?

Etwa ein Drittel aller Bürgeren vermeidet den Kontakt mit Nachrichten mittlerweile bewusst, die Tendenz ist steigend. Der Hauptgrund: Journalismus sei zu negativ, mache schlechte Laune, wecke Ohnmachtsgefühle. Die Alternative ist keine Weichzeichner-PR. Aber Menschen brauchen Perspektiven und Lösungen, das Stückchen Inspiration. Wie sind andere aus einem Dilemma gekommen, was funktioniert? Die Ansätze des Konstruktiven Journalismus können helfen. Wer seine Nutzeren in dunkle Szenarien hineinführt, muss sie auch wieder hinausbegleiten. 

8. Gehen wir transparent mit Wissen, Quellen und Meinung um?

Manchmal weiß man, dass man (noch) nicht viel weiß – die Pandemie erinnert einen täglich daran. Aber weiß unser Publikum auch, wo unsere Erkenntnisse enden und das informierte Raten beginnt? Je mehr wir die Menschen mitnehmen auf die Forschungsreise, umso weniger peinlich wird es, wenn wir uns korrigieren müssen. Ähnliches gilt für den Umgang mit Quellen und deren Interessen. Journalismus wäre unmöglich in kompletter Transparenz, es gelten Fürsorgepflicht und Quellenschutz. Aber unsere Nutzeren haben Klarheit darüber verdient, wie wir arbeiten und warum. 

9. Erheben wir Daten und lernen daraus?

Oft ist es die bequemere Lösung, den Journalismus in die Nähe von Kunst zu rücken, die vor allem im Auge des Betrachters wirkt. Oder man argumentiert mit der Mission, dem öffentlichen Interesse, der Wächterfunktion, wenn man ein Stück verteidigen möchte, das beim Publikum „nicht funktioniert“. Man kann aber auch nach Gründen forschen. Dabei helfen Daten. Daten können niemals alles belegen und schon gar nicht erklären. Aber es wäre fahrlässig, sie nicht zu nutzen, um die Bedürfnisse des Publikums zu ergründen. Der A/B-Test sollte eine geläufige Vokabel in jeder Redaktion sein.

10. Begegnen wir den Menschen auf Augenhöhe?

Noch nicht einmal ein Fünftel aller Nutzer findet, dass die Medien den richtigen Ton treffen. 39 Prozent gaben im Digital News Report 2019 sogar explizit zu Protokoll, dass sie dieser Aussage überhaupt nicht zustimmen. Zu negativ, zu belehrend, zu stark politisch eingefärbt – Beschwerden gibt es viele. Das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum ist komplex, auch weil das Bild auf beiden Seiten häufig von denjenigen dominiert wird, die sich selbst besonders wichtig nehmen. Mehr Gespräch und mehr Begegnungen bilden Vertrauen und stärken den Journalismus. Zugegeben, in Pandemie-Zeiten ist das noch leichter gesagt als getan. Aber auch ohne physischen Kontakt kann man Fragen stellen – und das in Frage stellen, was man schon immer unter Qualität verstanden hat. Es mögen sich daraus sogar ein paar neue Antworten ergeben.     

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 22. März 2021. Aktuelle Kolumnen und Neues aus der Branche sind mit einem Abo zu lesen. 


Corona als Vertrauens-Booster – Was Redaktionen jetzt tun können

Man hört das immer wieder, die Frage kommt von Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und anderen, die sich um den Fortbestand der Medienlandschaft in der Demokratie sorgen: Was sich denn tun ließe, um das so dramatisch gesunkene Vertrauen in die Medien wieder aufzupäppeln? Das Anliegen ist ehrenwert, es hat nur einen Haken: Es baut auf einer falschen Diagnose. In den meisten Ländern ist das Medienvertrauen in den letzten Jahren gar nicht so stark eingebrochen, wie viele dies frei nach Bauchgefühl behaupten. Für Deutschland hat die Universität Mainz jetzt sogar das Gegenteil belegt: Laut der in dieser Woche veröffentlichten vierten Ausgabe der Langzeitstudie Medienvertrauen haben seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015 noch nie so viele Bürger*innen dem Journalismus so viel Glaubwürdigkeit zugebilligt wie im vergangenen Jahr. Die Erklärung liegt nahe. Während der Pandemie suchen viele Menschen verlässliche Informationen, und sie trauen den traditionellen Redaktionen dabei offensichtlich am meisten zu.

Der Mainzer Studie zufolge gaben 56 Prozent der Befragten an, den Medien in wichtigen Themen zu vertrauen, in den Vorjahren waren dies jeweils zwischen 41 und 44 Prozent. Der Anteil derjenigen, die dem Lügenpresse-Vorwurf folgen, ist dagegen auf einen Tiefstand gesunken. Zwei Drittel weisen ihn ausdrücklich zurück. Die Forscher*innen räumen zwar ein, dass sich diese Werte in den zurückliegenden Monaten geändert haben könnten – die Daten wurden im November und Dezember 2020 erhoben, als die Kritik am staatlichen Pandemie-Management noch deutlich verhaltener klang. Dennoch bestätigen die Ergebnisse eine in diversen Studien gewonnene Erkenntnis, die selbst zu vielen Medienschaffenden nicht durchdringt: Ein allgemeiner Vertrauensschwund in den Journalismus ist nicht oder meist nur in der Varianz weniger Prozentpunkte festzustellen. Aber was ist das Problem dann, und was bedeutet die immer wieder beschworene Dramatik? Mehrere Dinge spielen eine Rolle:

Erstens, das Vertrauen in Medien mag zwar allgemein einigermaßen stabil sein, aber die Lautstärke der kritischen Minderheit nimmt zu. Und es bleibt nicht immer bei verbalen Pöbeleien online und offline: Journalist*innen auch in Deutschland werden zunehmend tätlich angegriffen und bei der Arbeit behindert. In den Niederlanden rückte das öffentlich-rechtliche Fernsehen nach Angriffen schon in neutralen Fahrzeugen aus, um sich nicht zu offensichtlich zur Zielscheibe zu machen. Hinzu kommen Influencer wie Rezo, die öffentlichkeitswirksam mit etablierten Medien abrechnen. Wird das dann geteilt, gilt das schon als Zustimmung, auch wenn sich dahinter vor allem Voyeurismus verbirgt.

Zweitens, in vielen Ländern schlägt sich eine starke politische Polarisierung auch im Medienvertrauen nieder. Sehr deutlich zeigt sich dies in den USA, wo diejenigen, die sich politisch eher „links“ verorten, auch dem Journalismus gute Noten ausstellen, diejenigen aus dem republikanischen Lager dies aber eher nicht tun oder maximal für Rupert Murdochs Fox News ihre Hand ins Feuer legen würden. Ein Durchschnittswert über beide Lager genommen, sagt dann relativ wenig über die tatsächliche Lage aus. Der Digital News Report des Reuters Institutes hat dies in mehreren Jahren gut abgebildet.

Drittens, das Medienvertrauen geht Hand in Hand mit dem Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen – und auf diesem Wege bei Gelegenheit auch mal steil bergab. Diverse Umfragen belegen, dass in politisch besonders konfliktreichen Jahren auch das Vertrauen in die Medien schwindet und manchmal eine Weile braucht, um sich wieder zu erholen. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind ein Beispiel für einen besonders drastischen Vertrauenssturz. Hart umkämpfte Wahlen verschärfen die Polarisierung und resultieren oft in einer Vertrauensdelle, auch Einzelereignisse – siehe die Kölner Silvesternacht und ihre mediale Aufarbeitung – können dazu führen.

Viertens heißt dies aber auch, dass Redaktionen das Vertrauen der Menschen in ihre Erzeugnisse nicht so nachhaltig beeinflussen können, wie sie sich dies erhoffen. Manch politische und gesellschaftliche Entwicklung wiegt schwerer als die Qualität des Journalismus. Man könnte sogar von einem Paradox sprechen: Je stärker sich Journalismus mit politischen Zerwürfnissen und Verwerfungen beschäftigt, umso fragiler kann das Vertrauen werden. Wird die Leistungsfähigkeit von Institutionen insgesamt angezweifelt, schadet das der Institution Journalismus gleich mit. Reporter*innen, die sich nur auf Streit fixieren, sägen also an dem Ast, auf dem sie sitzen.

Fünftens, die Medien müssen natürlich trotzdem gegensteuern: Bessere Erklärungen, mehr Transparenz die eigene Arbeit betreffend, interaktive Formate, die Bürger*innen einbeziehen und nahbare Journalist*innen tragen dazu bei, dass sich die Bürger*innen von ihren Medien ernst genommen fühlen. Am besten gelingt dies in Deutschland laut der Mainzer Studie nach wie vor den öffentlich-rechtlichen Sendern, die für 70 Prozent der Nutzer*innen vertrauenswürdig sind, gleich danach folgen Lokal- und Regionalzeitungen. Überregionale Marken bekommen von etwa jedem zweiten einen Vertrauensbonus. Pandemie hin oder her, an der Gewichtung hat sich über die Jahre kaum etwas geändert.

Sechstens, das eigentliche Problem für den Journalismus ist nicht der Vertrauensverlust. Es ist der Verlust an Relevanz für das tägliche Leben – und den hat er sich auch selbst zuzuschreiben. Im globalen Durchschnitt gibt schon etwa jede*r Dritte an, auf Nachrichtenangebote häufig gut verzichten zu können. Als Grund wird selten mangelndes Vertrauen genannt. Die Berichterstattung sei zu negativ und biete zu viel des immer Gleichen, das sind die häufigsten Klagen der Medien-Vermeider*innen, besonders die junge Generation sieht das so. Auch in der Mainzer Studie gaben 40 Prozent der Befragten an, dass die Medien es mit der Corona-Berichterstattung übertreiben. Statt die Nutzer*innen also mit Masse zuzuschütten, käme es stärker darauf an, sie ab und an mal zu überraschen: mit besonderem Tiefgang, mit starken Daten, mit Vielfalt und Perspektive. Und es käme darauf an, auf die Plattformen zu gehen, auf denen sich die Nutzer*innen aufhalten. Bei den Formaten mehr in die Breite und bei den Inhalten mehr in die Tiefe gehen, das wäre ein gutes Rezept.

Siebtens gibt es natürlich Gründe dafür, dass sich die Erzählung vom Vertrauenskollaps so nachhaltig hält. Zunächst einmal hat das mit dem allgemeinen Unwillen zu tun, sich mit Daten zu beschäftigen, die den eigenen Annahmen widersprechen. Davon sind auch Medienschaffende und Politiker*innen nicht frei. Vor allem aber kommt das Bild so manch einem sehr gelegen. Denn wenn etwas kaputt ist, muss man es reparieren. Die Dringlichkeit, in starken Journalismus zu investieren, lässt sich mit Vertrauens-Schwund besser begründen als mit Überdruss. Aber letzterer ist die größere Gefahr.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 9. April 2021. 

Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.