Vielfalt fordern, Einfalt meinen: Wenn Journalismus-Kritiker aneinander vorbeireden

Eines lässt sich mit ziemlicher Sicherheit behaupten: Das Angebot an Journalismus war noch nie so vielfältig wie heute. Man kann sich einerseits wie früher bei den großen oder lokalen Medienmarken informieren. Deren Inhalte gibt es aber nicht länger nur als lineare Sendung oder auf Papier, sondern auch auf Websites, manchmal bei YouTube, Instagram, TikTok, bei Spotify oder in der Mediathek. Zudem handeln die etablierten Nachrichtenmarken heute in einer Breite Themen ab, die es noch vor zehn Jahren an keinem Chefredakteur vorbei geschafft hätten. Vermutlich kommen heute selbst in der FAZ mehr Paartherapeuten als Parteiforscher zu Wort. Andererseits existieren unzählige Spezial-Angebote für diejenigen, die sich als Teil einer Gruppe oder mit einem Interessengebiet identifizieren – ob das junge Frauen sind, People of Colour, die queere Community, Politik-Junkies oder Menschen, die sich im Detail über Klima-Themen oder Geldanlage auf dem Laufenden halten wollen. Das Gründen im Journalismus ist einfach geworden (was nicht für das wirtschaftliche Überleben gilt). Und dennoch beklagen sich mindestens zwei Lager darüber, dass es den Medien an Vielfalt mangelt. 

Der Streit um die Vielfalt und seine beiden Lager 

Das ist einerseits die Fraktion, die Harald Welzer und Richard David Precht (Die Vierte Gewalt) applaudiert. Sie unterstellt insbesondere dem politischen Journalismus eine ideologische Einfalt, die sie irgendwo links von der Mitte und auf jeden Fall im grünen Milieu verortet. Sie beklagen: Die angebliche „Mehrheits-Meinung“ (nämlich ihre eigene) komme in den Medien nicht vor. Sie greifen vor allem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, was man befremdlich finden kann, denn anders als bei kommerziellen Anbietern wird gerade dort penibel auf angemessene Redezeiten aller in den Parlamenten vertretenen Parteien geachtet. 

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die etwas Ähnliches behaupten, aber etwas anderes meinen. Sie sagen: Redaktionelle Inhalte und Entscheidungen seien nach wie vor von einer Mehrheit weißer, gut ausgebildeter Männer, vielleicht auch ein paar Frauen geprägt. Menschen wie sie – schwarz, muslimisch, transsexuell, Arbeiterkinder, man ergänze – seien weder optisch noch inhaltlich so repräsentiert, dass es die Gesellschaft abbilde. Sie kämen höchstens als Objekte vor, die es zu sezieren gelte. Praktisch ist, dass auf diese Weise so gut wie jeder in den Chor der nach Vielfalt Rufenden einstimmen kann, was dem Anliegen eine gewisse Lautstärke verleiht. Allerdings ist es schon jetzt absehbar, dass kein Ergebnis alle zufriedenstellen wird. 

Was sind also die Fakten?

Eine Tagung des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund um Michael Steinbrecher und Tobias Gostomzyk hatte im Sommer 2023 den Spagat versucht, die Debatte in ihrer gesamten Breite abzubilden und dazu einige Fachleute samt Forschung aufgefahren. Es ging sowohl um inhaltliche Vielfalt als auch um Vielfalt in Redaktionen und Gremien. 

Eine wichtige Erkenntnis in Sachen politische Vielfalt lieferte die Uni selbst in einer Studie aus ihrem Projekt Journalismus und Demokratie: Anhänger verschiedener Parteien finden, dass jeweils das andere politische Lager in den Medien überrepräsentiert ist. Im Kontrast dazu sehen sie sich und ihre Positionen zu wenig gespiegelt. Man könnte das als Hinweis auf eine gewisse Vielfalt deuten, denn schon als Journalist ahnt man, wenn sich gegensätzliche Seiten beklagen, hat man wohl etwas richtig gemacht. Trotzdem attestierten die Anhänger fast aller Parteien dem Journalismus eine verhältnismäßig hohe Glaubwürdigkeit. Allein diejenigen, die sich in der forsa-Umfrage als AFD-Sympathisanten bekannten, vertrauen den traditionellen Medien kaum, weshalb sie ihre Informationen eher aus anderen Quellen beziehen. 

38 Prozent der befragten Journalisten stehen den Grünen nahe 

Die Dortmund-Studie legt allerdings die Interpretation nahe, dass der politische Journalismus eine gewisse Schlagseite Richtung grüne Positionen haben könnte. Laut Michael Steinbrecher gaben 38 Prozent von 750 befragten Journalisten an, den Grünen nahezustehen. Es ist jedoch nicht belegt, ob und wie sich Parteipräferenzen in der Berichterstattung niederschlagen. Jeder vierte Befragte hatte zu Protokoll gegeben, sich mit keiner politischen Partei zu identifizieren.           

Die Journalismusforscherin Birgit Stark von der Johannes Gutenberg Universität Mainz präsentierte zudem eine Studie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, in der sich die befragten Nutzer recht zufrieden mit der Vielfalt in den Medien äußerten. Die Forscher:innen hatten Themenvielfalt, Meinungsvielfalt und Akteursvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Medien der drei Länder untersucht. Vor allem bei Themen und Meinungen sahen die Angesprochenen kaum Defizite in der Vielfalt. Wo also liegen die Probleme wirklich?

Die erdrückende Dominanz des politischen Journalismus 

Ein Grund, warum Menschen Journalismus oft als einseitig wahrnehmen, dürfte in der erdrückenden Dominanz des traditionellen politischen Journalismus liegen, der insbesondere die wichtigen Nachrichtensendungen prägt. Hier geht es häufiger um Zitate und Konflikte als um Fakten und Nutzwert, zu Wort kommen in erster Linie Funktionäre. Harald Welzer sprach bei der Tagung von „Politik-Politik-Journalismus“, also einer selbstreferentiellen Spielart des Fachs. Auch der Digital News Report von 2023 sieht Anzeichen dafür, dass diese Art von Journalismus Menschen in den Nachrichten-Überdruss treibt. „Das Nachrichten-Interesse rutscht ab“, bestätigte Juliane Leopold, Chefredakteurin Digital von ARD Aktuell auf der Tagung. Wer sich aber generell vom Journalismus abwendet, nimmt die gesamte Breite und Vielfalt des journalistischen Angebots nicht mehr wahr und verpasst wichtige Informationen und Debatten. 

Der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der FU Berlin warnte auf der Konferenz davor, nur auf die Angebotsvielfalt zu schauen. Es komme auf die Nutzungsvielfalt an, also darauf, dass der Journalismus auch die Breite der Gesellschaft erreicht. Hier haben viele Redaktionen Nachholbedarf, denn traditionell beschäftigen sich Journalisten viel mit ihren Inhalten, aber wenig oder gar nicht mit deren Wirkung auf diejenigen, für die sie gedacht sind. Es reicht nicht, Vielfalt zu produzieren, wenn sie die potenziellen Adressaten nicht erreicht. 

„News Outsider“ – wem der Journalismus nichts bedeutet 

Die Gründerin des Schibsted-Innovation Labs, Agnes Stenbom, hat den Begriff „News Outsider“ geprägt. Er beschreibt diejenigen, denen Journalismus nichts bedeutet. Sie finden, er sei für ihr Leben nicht relevant. Insbesondere junge Menschen aus sozialen Brennpunkten zählen dazu. Für sie sind Angebote auf den (Social Media-)Plattformen wichtig, auf denen sie sich bewegen. Und darin müssen natürlich Menschen vorkommen, mit denen sich diese Zielgruppen identifizieren können. Der Haken ist: Genau solche Formate, wie sie zum Beispiel bei Funk von ARD und ZDF zu finden sind, ärgern wiederum diejenigen, die in Talkshows gerne von mangelnder Medienvielfalt sprechen. Man könnte unterstellen, dass sich so manch einer dieser Kritiker eher eine Rückkehr zur Medienwelt von früher wünscht – als es so ein breiteres Angebot eben nicht gab.

Man sollte nicht vergessen, dass einige derjenigen, die den Medien einen Mangel an Meinungsvielfalt attestieren, politische Interessen damit verfolgen. Nicht erst seit den „Fake News Media“-Tiraden von Donald Trump ist klar, dass sich Politiker gerne Kritiker vom Hals schaffen, indem sie die gesamte Branche als unglaubwürdig diskreditieren. Wie Craig Robertson im Digital News Report belegt, setzen Politiker Medienkritik weltweit als Instrument ein, um Widerspruch zu ersticken und Rechercheure einzuschüchtern. Genau aus diesem Grund wird Forschung gebraucht, die Fakten zur Medienvielfalt liefert. Wer nur Gefühlslagen abbildet, dient damit gewollt oder ungewollt Interessen, die den unabhängigen Journalismus gezielt schwächen wollen.      

Durch tägliches Erleben wie auch durch Forschung nachgewiesen ist hingegen der Mangel an Vielfalt innerhalb der Redaktionen. Zahlreiche Publikationen zum Beispiel von den Neuen deutschen Medienmacher*innen oder dem Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford belegen, dass hier noch viel getan werden muss. Das reicht von der Einstellung und Förderung entsprechender Kandidat:innen über die Sensibilisierung von Führungskräften bis hin zum Kulturwandel. Nur in einer Umgebung, in der sich vielfältige Mitarbeiter:innen sicher fühlen, in der sie ihre Ideen als willkommen wahrnehmen, werden entsprechende Projekte gedeihen. 

Dabei geht es auch um Bedürfnisse von Menschen, die sich in keiner Statistik potenziell benachteiligter Gruppen finden. Schließlich stecken die urban und bildungsbürgerlich geprägten Redaktionen großer Medienmarken die Themenfelder entsprechend ab. Sven Gösmann, Chefredakteur der DPA,  gab auf der Konferenz zu bedenken, dass zum Beispiel die Berufsschule in der Berichterstattung deutscher Medien kaum stattfinde. Dafür habe man sich zeitweise überproportional mit Elektro-Rollern beschäftigt. Redaktionen, die die Gesellschaft nicht abbilden, werden dies auch in ihren Inhalten kaum schaffen. Damit riskieren sie aber nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sie verschenken auch wirtschaftliches Potenzial. Letztlich gefährden sie die Rolle des Journalismus in der Demokratie.

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 27. Juli 2023. Aktuelle Kolumnen lesen Sie dort mit einem Abo.

Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

Jetzt reicht’s mit Lügenpresse – Wenn das Publikum die Medien verteidigt

Beim Thema Medienvertrauen wird gerne mit Superlativen gearbeitet, auch in der Branche selbst. „Noch nie war das Vertrauen in den Journalismus so niedrig“, heißt es dann oder „Vertrauen in die Presse sinkt seit Jahren“. Man sollte hinter beide Behauptungen zumindest ein Fragezeichen stellen, denn wie so oft ist die Wirklichkeit komplizierter. Forscher_innen diagnostizieren keinen drastischen Vertrauensschwund in journalistische Produkte. Im Gegenteil: In der Corona-Krise war die Hoffnung auf Aufklärung durch etablierte Medien ausgeprägt wie lange nicht, selbst bei jungen Leuten. Es geht vielmehr um die Frage, wer wem vertraut – oder eben nicht. Neue Studien bestätigen dies.

Da ist zum Beispiel die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz. Die repräsentative Umfrage wurde bereits sechsmal durchgeführt, die Werte zum allgemeinen Vertrauen in Medien rangierten in den vergangenen vier Jahren einigermaßen konstant zwischen 40 und 44 Prozent. Das ist kein schlechter Wert, denn eine gesunde Skepsis ist auch ein Zeichen von Medienbildung in der Demokratie. Allerdings legte bei der im Dezember 2019 erhobenen Welle der Anteil derjenigen auf 28 Prozent deutlich zu, die deutliches Misstrauen äußerten. Was hingegen so selten vorkam wie noch nie: Dass sich jemand mit „teils, teils“ äußerte. „Offenbar sehen sich immer mehr Menschen angesichts einer sich immer weiter polarisierenden Debattenkultur dazu veranlasst, auch selbst Position zu beziehen“, schlossen die Forscher_innen daraus. Noch deutlicher wird dies bei dem Vorwurf, die Bevölkerung werde „systematisch von den Medien belogen“. Zwar stimmte knapp jeder Fünfte dieser Aussage zu, 58 Prozent wiesen sie aber zurück – und damit so viele wie nie zuvor.

Dieser Trend zur klaren Meinungsbildung deutet darauf hin, dass sich mehr Menschen mit der Rolle der Medien und des Journalismus in der Demokratie auseinandersetzen als früher. Und das ist eine gute Nachricht. Schließlich haben Redaktionen in den vergangenen Jahren offensiv um das Vertrauen der Bürger_innen geworben. Das ist neu. Schließlich gab es Zeiten, in denen Journalisten so etwas nicht für nötig gehalten hatten. Das war damals, als man Leserpost als lästige Nebenwirkung betrachtete und es zur Berufsehre gehörte, sich bei der Recherche nicht in die Karten schauen zu lassen (manchmal auch, weil es da nicht viel zu sehen gab). Heute, wo Medienhäuser mehr und mehr darauf angewiesen sind, ihre Einkünfte aus Abos oder Mitglieder-Beiträgen zu generieren, kann man sich eine solche (Nach-)Lässigkeit nicht mehr leisten. Auf der einen Seite gewinnt man also Verbündete.

Auf der anderen kommen sie allerdings abhanden, denn das Bekenntnis zur Medienmarke wird immer stärker politisch aufgeladen. Dies belegt auch der aktuelle Digital News Report. Das generelle Vertrauen in Medien hat demzufolge über alle 40 Märkte hinweg etwas gelitten, es sank um vier Prozentpunkte auf 38 Prozent verglichen mit 2019. Aber der Blick auf einzelne Länder ergibt ein differenziertes Bild. In Großbritannien mit einer eher rechts der Mitte orientierten Medienlandschaft kollabierte das Vertrauen derjenigen nahezu, die sich als politisch links identifizieren. Die Berichterstattung über Brexit und ein polarisierender Wahlkampf können als Ursachen gewertet werden. In den USA hingegen vertraut das linke Spektrum den etablierten Medien dagegen deutlich stärker, als dies Angehörige des konservativen Lagers tun. Es geht also deutlich mehr um Gesinnung als um so etwas wie objektive Qualitätsdaten.

Daraus folgt allerdings noch lange nicht, dass sich Medien mit eben dieser Gesinnung diesen Rändern anbiedern sollten. In vielen Ländern gibt es nach wie vor eine große Mehrheit derjenigen, die es schätzen, wenn sich Journalismus zumindest um Objektivität bemüht. In Deutschland ist dieses Bedürfnis laut Digital News Report so ausgeprägt wie nirgendwo: 80 Prozent aller Befragten wünschen sich Unparteilichkeit, nur 15 Prozent hätten nach eigenem Bekunden gerne ihre eigene Sicht auf die Welt bestätigt, und nur fünf Prozent möchten sich durch andere politische Standpunkte herausfordern lassen. Kein Wunder, denn hierzulande haben sich schlechte Erfahrungen besonders eingeprägt mit einer Presse, die eher indoktriniert als informiert.

Diese Zahlen sollte man kennen. Denn gerade die jüngere Generation von Journalist_innen führt eine ausgeprägte Debatte darüber, ob Objektivität eigentlich möglich sei. Die Antwort darauf ist schlicht: Natürlich hat Journalismus immer mit Auswahl zu tun, ob Reportage, Kommentar oder Datenanalyse, und diese Auswahl ist persönlich gefärbt. Ein journalistisches Produkt ist deshalb nie so neutral wie die Lösung einer Mathe-Aufgabe. Aber es wäre grundfalsch, das Bemühen um Fakten und Objektivität deshalb gleich einzustellen. Denn ein Ringen um Wahrheit gehört zur Grundausstattung des Handwerks, damit heben sich Journalist_innen von allen anderen Meinungsmachern ab, die es ja reichlich gibt. Wichtig ist allerdings, dass Reporterinnen und Redakteure mit vielen unterschiedlichen Standpunkten um diese Wahrheit ringen. Das große Ganze ergibt dann den Journalismus.

Eine neue, großangelegte quantitative Studie der Kommunikationswissenschaftler Antonis Kalogeropoulos und Benjamin Toff hat ergeben, dass Vertrauen in die Qualität von Medien und der Grad an Pressefreiheit die wichtigsten Variablen dafür sind, ob Menschen Medien überhaupt nutzen oder ob sie sie ignorieren. Der Bildungsgrad spielte dagegen praktisch keine Rolle. Es lohnt sich also, in diese Qualität zu investieren. Denn wenn sich die Bürger_innen vom Journalismus abwenden, entziehen sie ihm die Lebensgrundlage.

Dieser Text erschien am 17. Juli 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.

Quote, sportlich genommen – Was Redaktionen vom 50:50 Projekt der BBC lernen können

Dürfte man sich noch so unbeschwert ins Gesicht fassen wie früher, hätte man sich womöglich die Augen gerieben. Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, eröffnete kürzlich einen Gastbeitrag in Die Zeit mit den Worten, dass seit Tagen etwas in ihr arbeite: „Ich möchte etwas dazu schreiben, aber ich traue mich nicht.“ Bitte? Die Chefin eines der größten Verlagshäuser Europas traut sich nicht, etwas zu schreiben?

Nun, viele Journalistinnen dürften sich nicht so arg gewundert haben. Über dem Stück stand schließlich: „Zurück in der Männerwelt“. Und Reporterinnen und Redakteurinnen hierzulande wissen, dass man über so ein Thema nur so offen schreibt, wenn man Hass-Kommentare im Netz und Kollegen (und Kolleginnen) mit genervten Blicken gut aushalten kann. Wollen sie im eigenen Laden, der üblicherweise von Männern geführt wird, noch etwas werden, verkneifen es sich die meisten übrigens auch. Jäkel allerdings ist schon etwas, und deshalb kann sie sich solch ein öffentliches Nachdenken eher leisten als andere. Aber selbst ihr fällt es offenbar schwer.

Jäkel wundert sich in dem Stück lautstark und mit einem Anflug von Resignation, wo denn in der Coronakrise all die Führungsfrauen geblieben seien, auch im eigenen Haus. In Video-Konferenzen begegne sie ihnen jedenfalls nicht. „Homeoffice bedeutet für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. Und das ist besonders bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden“, schreibt sie. Und endet mit: „Frauen sind so viel weniger weit, als wir es dachten.“

Kurz zur Erinnerung: Deutschland, das ist das Land, in dem jüngst die erste weibliche Vorstandsvorsitzende eine Dax-Konzerns nach einem halben Jahr abtreten musste, weil man ihr den Job ohnehin nur in einer Doppelspitze zugetraut hatte und in der Krise nun entschlossenes Handeln nötig sei – so die offizielle Begründung des Software-Konzerns SAP bei der Trennung von Jennifer Morgan. Es ist auch das Land, in dem 2019 nur acht von 110 Regionalzeitungen Chefredakteurinnen hatten und die Redaktion keines großen Titels alleine von einer Frau geführt wird, wie zum Beispiel die der Financial Times, des Guardian, des Economist oder der Sunday Times, nur um mal über den Kanal zu schauen.

In einer Studie zu Vielfalt in Redaktionen, die Deutschland, Großbritannien und Schweden verglichen hat, kamen das Reuters Instituts aus Oxford und das Publizistische Seminar der Universität Mainz zu dem Ergebnis: Im Vereinigten Königreich zeigt sich ein Mangel an Vielfalt vor allem beim Thema soziale Herkunft, in Schweden bei der ethnischen Diversität und dem Stadt-Land-Gefüge, in Deutschland geht es – immer noch, muss man sagen – um die Geschlechterfrage. Wobei man nach Führungspersonal aus Einwanderer-Familien noch vergeblicher sucht, wie eine jüngst veröffentlichte Studie der Neuen Deutschen Medienmacher ergeben hat. 

Im Journalismus ist das besonders verstörend, denn gemessen an den Zahlen und der Qualifikation der Absolventinnen ist der Beruf ausgesprochen weiblich. In den Redaktionen schaffen es im Verhältnis dazu wenige Frauen nach oben, und selbst wenn schlägt sich das noch nicht zwangsläufig in den Inhalten nieder. Während Medienmarken wie die Financial Times oder die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter seit längerem Gender Bots einsetzen und damit kontrollieren, wie sich das Verhältnis von männlichen und weiblichen Protagonisten in Bild und Wort darstellt, ist das Thema Geschlechter-Repräsentation in Deutschland offenbar immer noch so heikel, dass man Vorstandschefin oder karrieremüde sein muss, um darüber zu schreiben. Das geschieht in einer Branche, die sich von Berufswegen dazu verpflichtet, die Gesellschaft zu repräsentieren, wie sie ist.

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Lage etwas besser. Und richtig lernen können alle, wirklich alle von der BBC und ihrem 50:50 Projekt. Der Erfolg von 50:50 ist ein Knaller, es handelt sich um „das größte kollektive Vorhaben für gleiche Repräsentation im BBC Programm“, wie es auf der Projektseite heißt. Vor drei Jahren hatte der charismatische Moderator Ros Atkins in seiner Redaktion die Idee entwickelt, in einer Art internem Wettbewerb zu zeigen, dass eine 50:50 Präsenz von Frauen und Männern im Programm leicht zu schaffen ist.

Es gab keine Vorgabe von oben, nur Mund-zu-Mund-Propaganda und ansteckende Begeisterung. Immer mehr Redaktionen wollten zeigen, dass auch sie es hinkriegen. Irgendwann fing Intendant Tony Hall Feuer und feierte die Idee. Schon bei der ersten großen Bestandsaufnahme im Mai 2019 hatte der größte Teil der Beteiligten die Vorgabe erreicht, selbst in „schwierigen“ Ressorts wie Sport oder im arabischen Raum. Mittlerweile machen innerhalb der BBC etwa 600 Teams mit – und nicht nur das. Das Vorhaben hat Nachahmer in 20 Ländern gefunden, weltweit haben 60 Organisationen das Konzept übernommen. Man könnte jetzt erwähnen, dass man auf der Landkarte vergeblich nach deutschen Unternehmen schaut.

Ah, halt, die sind ja derzeit mit der Digitalisierung beschäftigt – und dazu mit dem von Jäkel beobachteten ziemlich männlichen Krisenmanagement. Aber das Ringen um Diversität auf später zu vertagen ist auch mit Blick darauf ein schwerer Fehler. Digitalisierung bedeutet im Journalismus „Audience first“, also von den Bedürfnissen und Nutzergewohnheiten des Publikums her nicht nur denken, sondern auch handeln. Auf diese Weise begeistert man loyale Kunden, sichert sich also die Zukunft. Und das potenzielle Publikum ist jung, alt, audio-, video- oder print-affin, einheimisch und zugewandert und, ja, männlich, weiblich – vielfältig eben. Nur gut gemischte Teams werden es schaffen, in dieser Vielfalt zu denken und entsprechende Produkte zu entwickeln. Die BBC nimmt übrigens für ihre 50:50 Challenge weiterhin Bewerbungen entgegen. 

Dieser Beitrag entstand für den Newsletter zum Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School, dort veröffentlicht am 8. Mai 2020.