Zwischen Wirbel und Wirkung: Journalismus muss zeigen, dass er Gutes schafft

Journalisten denken üblicherweise, dass sie mit ihrer Arbeit die Welt verändern. Das sieht nicht jeder so. Kürzlich berichtete die Leiterin eines renommierten Ausbildungsprogramms für Journalisten an einer amerikanischen Universität von einem Dilemma. Sie sei auf der Suche nach Geldgebern für Trainings im Klimajournalismus, erzählte sie. Dabei erlebe sie Folgendes: Stiftungen, die Journalismusprogramme finanzierten, fänden Klimajournalismus nicht wichtig genug. Stiftungen wiederum, die viel Geld in Klimaprojekte investierten, fänden Journalismusförderung nicht wichtig genug. „Wir als Branche schaffen es offenbar nicht, unsere Wirkung ausreichend zu dokumentieren“, sagte sie. Aber womöglich ist es mehr als das: Bei vielen großen gesellschaftlichen Aufgaben steht der Beweis aus, dass Journalismus etwas zu deren Lösung beigetragen hat.

Tatsächlich setzen sich Journalisten ungern mit der Wirkung ihrer Arbeit auseinander. Ihr Job sei es, die Fakten zu recherchieren und zu berichten, sagen viele von ihnen. Die Konsequenzen müssten dann andere ziehen. Man braucht allerdings kein Psychologiestudium, um zu wissen: Mehr Faktenwissen trägt nicht unbedingt dazu bei, dass Menschen ihr Verhalten oder Politiker und Institutionen die Regeln ändern. Ärzte würden sonst nicht rauchen, Eltern ihre Kinder nicht anbrüllen, FDP-Politiker sich nicht gegen ein Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen sperren. Emotionen, Werte und tiefe Bedürfnisse wie jenes nach Zugehörigkeit bestimmen in bedeutendem Maße, wie Fakten auf diejenigen wirken, bei denen sie etwas auslösen sollen. 

Journalismus ist kein Selbstgespräch

Journalisten möchten aber üblicherweise etwas bewirken. Diejenigen, die ihren Beruf und Auftrag ernst nehmen, müssen sich deshalb mit ihrem Publikum beschäftigen, und zwar lange bevor die ersten Online-Kommentare eintrudeln. Die Wahl des Themas, des Formats, der Ausspiel-Plattform, der Sprache, der Protagonisten und Quellen – alles hat einen Einfluss darauf, wie Journalismus wirkt und vor allem, auf wen er wirkt. Es gibt Kollegen, die das irgendwie anstößig finden. Schließlich sei man nicht in der Werbebranche, die darauf ziele, Menschen möglichst effektiv zu beeinflussen und damit womöglich zu manipulieren. Dabei verdrängen viele von ihnen, dass sie oft durchaus jemanden beeinflussen oder zumindest beeindrucken wollen. Dazu zählen womöglich ihre Kollegen, ihre Chefs, die Konkurrenz – vielleicht sogar sich selbst. Guter Journalismus entsteht durchaus, weil jemand von seiner eigenen Idee besoffen ist. Aber oft wirken solche Projekte wie ein großes Selbstgespräch, bei dem das Publikum maximal auf den Zuschauerplätzen zugelassen ist. Es gibt ausreichend Beispiele für prämierte journalistische Leistungen, die außer einer Jury nichts und niemanden bewegt haben.

Wie misst man den Impact von gutem Journalismus?

Gerade Geldgebern ist dies meistens zu wenig. In der Regel sind sie jemandem Rechenschaft schuldig, vor allem, wenn sie nicht auf Gewinne zielen, sondern einen gesellschaftlichen Zweck erfüllen müssen. Wer sich Projekte von Stiftungen finanzieren lassen möchte, muss sich darauf einstellen, einer gewissen Erfolgskontrolle ausgesetzt zu sein. Meistens werden harte Zahlen dazu verlangt, welche Wirkung das eingesetzte Geld hat. Aber wie misst man die Wirkung von Journalismus oder gar von Journalistenausbildung? 

Auf dem diesjährigen International Journalism Festival in Perugia hatte sich ein Panel damit beschäftigt, wie man den gesellschaftlichen Wert von Journalismus misst. Richard Addy hatte dort ein „Impact Wheel“ vorgestellt. Addy ist Mitgründer der Londoner Beratung AKAS, die unter anderem Medienunternehmen wie dem Guardian dabei hilft, Projekte aufzusetzen, die eine gesellschaftspolitische Wirkung haben und diese Wirkung messbar zu machen. Das „Impact Wheel“ ist ein Diagramm, mit dessen Hilfe Redaktionen beispielsweise systematisch erfassen können, welche Wirkung sie bei welchem Publikum erzielen möchten, wie viele entsprechende Recherchen sie dazu aufgesetzt haben, welche Influencer und Entscheider sich mit jeweiligen journalistischen Inhalten beschäftigt haben, welches die kurzfristigen und welches die langfristigen Wirkungen waren. 

Es ist kein Wunder-Werkzeug, jede Organisation kann sich entsprechende Tools selbst basteln. Und das sollten Medienhäuser zumindest versuchen, auch wenn sie nicht beabsichtigen, sich Projekte über externe Geldgeber finanzieren zu lassen. Es sollte Redaktionen ein Bedürfnis sein, sich nicht nur mit dem wirtschaftlichen Erfolg ihrer Produkte zu beschäftigen und zum Beispiel Abo-Zahlen und Nutzerloyalität zu messen, sondern auch die gesellschaftliche Wirkung ihres Tuns auszuleuchten. Denn es ist genau diese Wirkung, aus der Journalismus seine Daseinsberechtigung zieht und mit der er seine besondere Schutzbedürftigkeit begründet.

Außerdem liefert ein solcher Wirkungscheck eine Kontrolle darüber mit, ob die Redaktion an wichtigen Themen lange genug „drangeblieben“ ist, oder ob eine (teure) Recherche verpufft ist, bevor eine Wirkung einsetzen konnte. Und natürlich müssen sich Journalisten auch mit den negativen Wirkungen ihres Tuns beschäftigen: Treiben Debatten, wenn sie in einem bestimmten Ton geführt werden, womöglich sinnvolle politische oder gesellschaftliche Projekte ins Aus, bevor sie jemand wirklich verstanden und durchdrungen hat? Man denke an den „Heiz-Hammer“. Zuweilen trägt Journalismus eher dazu bei, schnell aufzuzeigen, was nicht funktioniert, als auf das zu verweisen, was funktionieren könnte oder anderswo schon funktioniert.     

Auch kann der Tag nahen, an dem man für ein besonderes Projekt eine spezielle Finanzierung braucht. Schließlich kommt heute kaum noch ein Medienhaus mit einem einzigen Geschäftsmodell aus. Erst ein Mix verschiedenster Ansätze macht ein Unternehmen robust – ob das Abo- oder Anzeigenfinanzierung, Mitgliedschaften oder Events sind, oder eben stiftungsfinanzierte Sonderprojekte, wie es sie insbesondere auf den Gebieten Gesundheit, Klima und Umwelt oder Wissenschaft gibt und zunehmend geben wird. Wer dann einen Wirkungsnachweis parat hat, sichert sich einen Vorteil im Ringen um potenzielle Investoren. 

Allerdings täte es auch Stiftungen zuweilen gut, sich damit zu beschäftigen, was die Empfänger ihrer Gelder wirklich brauchen. Ritu Kapur, die Gründerin und Geschäftsführerin des indischen Medienhauses The Quint, sagt, oft definiere eine westliche Perspektive die Bedingungen dafür, für welche Projekte es Geld gebe. Zum Beispiel seien viele externe Finanzierungen für Klimajournalismus dem Kampf gegen „Fake News“ gewidmet, so Kapur im EBU News Report „Climate Journalism That Works“. Aber das sei nicht relevant in einem Land wie Indien. Dort müsse es das Thema Klimaschutz überhaupt erst einmal in die öffentliche Debatte schaffen. Wenn aus gut gemeint gut gemacht werden soll, muss auf beiden Seiten etwas passieren: beim Sender und beim Empfänger.  

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 22. August 2023. Für aktuelle Kolumnen brauchen Sie ein Abo. 


So kann Klimajournalismus den Journalismus nachhaltiger machen

Ein sehr geschätzter ehemaliger Kollege reagierte kürzlich etwas verschnupft auf die Ankündigung, demnächst erscheine ein großer Report zum Thema Klimajournalismus. „Klimajournalismus – was ist das? Journalisten sind keine Aktivisten“, kommentierte er einen entsprechenden LinkedIn-Post. Dieser Kollege hat sich Zeit seines Berufslebens mit der Autoindustrie beschäftigt. Er tut das kritisch, kompetent, exzellent vernetzt und mit Begeisterung für das Fachgebiet. Kaum jemand würde ihm dafür Aktivismus vorwerfen. Reportern, die über Klimaschutz berichten, geht dies anders. Auch wenn sie dies nur am Rande tun, zum Beispiel im Kontext eines Wetterberichts, findet sich immer jemand, der ihnen eine politische Agenda unterstellt. 

Das macht eine ohnehin komplizierte Sache nicht einfacher, selbst wenn sich die Führungsetage gegen solche Anwürfe verwahrt. „Wir haben keine Agenda. Der Klimawandel ist so offensichtlich geworden. Selbst den größten Kritikern ist klar, dass da etwas passiert“, sagt zum Beispiel der ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke in einem Interview für den oben erwähnten Report „Climate Journalism That Works – Between Knowledge and Impact“, der von der European Broadcasting Union in Auftrag gegeben wurde und in der vergangenen Woche erschienen ist (Disclaimer: Ich bin Lead-Autorin dieses Reports). 

So wie Gniffke reagierten viele Interviewpartner. Man berichte die Fakten, auf jeden Fall. Das ist verständlich, denn wer würde schon zugeben, eventuell eine Schere im Kopf zu haben, weil der Ruf der Überparteilichkeit auf dem Spiel steht? Für die öffentlich-rechtlichen Medien, die dieser verpflichtet sind, ist das eine spezielle Herausforderung. 

Da hilft es womöglich, wenn Führungskräfte sich und anderen vor Augen führen, dass eine Investition in Klimajournalismus und eine entsprechende Strategie in jedem Fall nutzt – und sei es, um das gesamte journalistische Angebot und damit die Organisation nachhaltiger zu machen. Denn gerade, weil Klimajournalismus so komplex ist, lassen sich die Lektionen, die Redaktionen daraus lernen können, auch auf andere Felder anwenden. Dies ist das Fazit des Reports, der sieben solcher Vorteile herausgearbeitet hat:

Erstens: Beim Klimajournalismus geht es um die Zukunft. Der heutige Journalismus steckt allzu häufig in der Gegenwart fest. Er muss Strategien entwickeln, um seine Legitimität in der Aufmerksamkeitsökonomie zu steigern. Dies gilt besonders für öffentlich-rechtliche Medienhäuser, denen die Daseinsberechtigung von verschiedenen politischen Lagern abgesprochen wird. Wer, wenn nicht sie sollte den Auftrag haben, zum Schutz der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten durch besseren Journalismus beizutragen? Damit würden die Sender auch den besonderen Ansprüchen der jungen Generation gerecht. Es ist vor allem ihre Zukunft.

Zweitens: Klimaschutz braucht Hoffnung. Nur damit bringt er Menschen zum Handeln. Der heutige Journalismus konzentriert sich dagegen meist auf Konflikte, Versäumnisse und Fehlschläge. Konstruktiver und lösungsorientierter Journalismus bieten einen Weg in die Zukunft. Das Drive-Projekt der DPA und der Beratung Schickler, in dem 21 deutsche Regionalverlage ihre Daten zur Verfügung stellen, hat kürzlich belegt, dass inspirierende Stücke die wertvollsten Digital-Inhalte sind, wenn es um Abo-Abschlüsse geht. In der vergangenen Woche widmete sich der gesamte Journalismustag der Gewerkschaft Verdi dem konstruktiven Journalismus.  

Drittens: Im Klimaschutz zählt das, was getan wurde. Der heutige Journalismus konzentriert sich noch zu sehr auf das, was gesagt wurde. Dabei lässt der „Er hat gesagt, sie hat gesagt“ Journalismus, der vor allem die Politikberichterstattung dominiert, die meisten Nutzer eher kalt. Moderner Journalismus sollte stärker auf Daten als auf Zitaten aufbauen.

Viertens: Ein funktionierender Klimajournalismus nähert sich dem Publikum mit Respekt und in einer Sprache, die es versteht. Der heutige Journalismus erhebt sich oft besserwisserisch über sein Publikum. Viel zu häufig mahnt oder warnt er, statt zu erklären und aufzudecken. Viele Nutzer fühlen sich davon bevormundet oder dazu gedrängt, in Lagerkämpfen Partei zu ergreifen. Dabei muss Journalismus vielfältiger und inklusiver werden, wenn er Menschen erreichen, begeistern und zum Handeln bringen möchte. Das gilt für Formate und Protagonisten.

Fünftens: Klimajournalismus muss im Lokalen verankert sein. Der heutige Journalismus strebt dagegen zu oft nach Reichweite und vernachlässigt dabei die besonderen Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Um sich unverzichtbar zu machen, sollte Journalismus seine Bedeutung als gemeinschaftsbildende Institution zurückgewinnen. Wer ein Medienprodukt nutzt oder gar abonniert, tut dies oft, um dazuzugehören. 

Sechstens: Klimajournalismus muss Wirkung zeigen, sonst ist er sinnlos. Er sollte deshalb seine eigenen Praktiken reflektieren und Erkenntnisse aus der Forschung nutzen, insbesondere aus den Kommunikationswissenschaften und der Psychologie. Journalismus tut dies noch viel zu selten. Journalisten sind üblicherweise neugierige Menschen, aber oft erstaunlich veränderungsresistent. Medienhäuser könnten viel gewinnen, zeigten ihre Führungskräfte und Mitarbeitenden mehr Freude am Lernen und strategischen Denken.

Siebtens: Klimajournalismus profitiert von Zusammenarbeit. Dies gilt für die interne Vernetzung von Ressorts und Regionen sowie extern für die Kooperation mit anderen Medienhäusern oder Partnern, die zum Beispiel Daten liefern. Im heutigen Journalismus dominiert noch viel zu oft altes Konkurrenzdenken. Dabei ließen sich über Kooperationen so viele Potenziale heben. Der Journalismus der Zukunft ist kollaborativ.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 7. März 2023. Um aktuelle Kolumnen dort zu lesen, braucht man ein Medieninsider-Abo.