Trends 2025: Journalismus braucht chemische Verbindungen

Es ist nicht leichter geworden für den Journalismus im Jahr 2025. Politiker und Tech-Oligarchen diskreditieren Medien, das Publikum ist nachrichtenmüde oder folgt Influencern, die (nach)lässig mit Fakten umgehen, und der digitale Wandel klappt zwar leidlich, kann aber weder die Verluste aus dem Niedergang von Print kompensieren noch jene wettmachen, die ihnen die Herren Musk und Zuckerberg einbrocken, weil sie nichts von Journalismus halten und ihre Social Media Plattformen entsprechend gestalten. Wenn man den neuen Report „Journalism and Technology Trends and Predictions 2025“ des Reuters Institutes studiert, schaut man selbst als Optimistin eher in ein halbleeres Glas.

Vielen in der Branche gilt der stets im Januar erscheinende Trend-Report aus Oxford als Pflichtlektüre. Er basiert auf einer Befragung von handverlesenen Medien-Führungskräften aus aller Welt. Dieses Mal haben 326 geantwortet, und nur 41 Prozent von diesen zeigten sich optimistisch für die Zukunft des Journalismus – vor zwei Jahren waren es bei sehr ähnlicher Zusammensetzung noch 60 Prozent. Die Realität dürfte eher noch trüber aussehen, denn wer sich weder international vernetzt noch für die Zukunft des Journalismus oder wenigstens seines Hauses einsetzt, wird gar nicht erst erfasst. Zusätzlich startet das Reuters Institute das Jahr traditionell mit seinem „News Innovation Forum“, bei dem ein kleiner Kreis von überwiegend europäischen Medienmachern Erfahrungen austauscht und Stimmungen abgleicht. Die folgenden Erkenntnisse beruhen sowohl auf dem Report als auch auf den Diskussionen in Oxford und sind so subjektiv, wie sich das für eine Kolumne gehört.   

Die erste Einsicht ist keine Überraschung: Für Medienhäuser sind direkte Verbindungen zu ihren Nutzern der Schlüssel zum Erfolg. Was haben Redaktionen in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht alles dafür getan, um über soziale Netzwerke in die Feeds ihrer Nutzer zu gelangen. Nun stellen sie fest, dass X unbrauchbar und Facebook zum weitgehend nachrichtenfreien Raum geworden ist. Die Reichweite, die Medienmarken über die beiden Plattformen erzielen, ist in den vergangenen beiden Jahren massiv eingebrochen. Die meisten setzen deshalb auf Einnahmen über Digital-Abos oder Mitgliedschaften sowie die üblichen Geschäftsmodelle inklusive neuer Produkte, aber auch da geht es sehr häufig um direkten Kundenkontakt, der gepflegt werden will. Um es mit einer nunmehr vier Jahre alten Medieninsider-Kolumne zu sagen: „Print hat gewonnen“ – zumindest dessen Prinzip der festen, auf Gewohnheit und Zuneigung beruhenden Beziehung.

Das Vordringen von generativer KI als Such-Werkzeug macht den Ausbau dieser Verbindungen noch dringlicher. Denn abgesehen von den großen Verlagen erwartet kaum ein Medienhaus, von Deals mit den großen KI-Konzernen zu profitieren. Zwar wünschen sich viele Manager – in der Umfrage fast drei Viertel –, dass die Branche solche Verträge im Schulterschluss aushandelt, in der Realität kämpft aber jeder für sich allein, was ein klassisches Collective Action Dilemma abbildet.

Auf der Suche nach Rezepten für die beschriebene Beziehungspflege drängt sich eine weitere Erkenntnis auf: Journalismus ist eine Frage der Chemie. Erfolgreiche Medienhäuser und Einzelkämpfer begreifen, dass es in einer Welt der Über-Information zunehmend auf die emotionalen Verbindungen ankommt, die zwischen Sendern und Empfängern entstehen. Da geht es stärker um Nähe, Authentizität und Identifikation als um Faktenfülle, Geschwindigkeit und Chronistenpflicht, wie sie etablierte Medienhäuser in den Mittelpunkt stellen. Tony Pastor, Mitgründer der größten unabhängigen britischen Podcast-Firma Goalhanger, beschreibt das Casting der jeweils zwei Hosts als wichtigsten Erfolgsfaktor seiner Produkte: „Die Chemie zwischen den beiden muss stimmen.“ Ähnliches gilt für slow journalism Marken wie das dänische Zetland, das in dieser Woche eine neue Marke in Finnland launcht, oder eben jene polarisierenden Politik-Kommentatoren der so genannten alternativen Medien: Allen geht es in erster Linie um einen bestimmten Ton der Ansprache, der beim jeweiligen Publikum verfängt. Wer den trifft, der kann auch mit überlangen Stücken und auch bei jungen Nutzern punkten. Der traditionelle Journalismus muss sich diesem Trend stellen.

Die neuen Vorlieben dürften auch etwas mit dem Zeitgeist zu tun haben, zum Beispiel in Deutschland. War der Hunger nach Nüchternheit, Fakten und Neutralität nach dem Propaganda-Gebrüll der Nazi-Zeit groß, erleben Generationen, die nicht mehr mit den Kriegsgeschichten ihrer Großeltern aufgewachsen sind, die gleiche Art der Ansprache als bürokratisch, kalt und lebensfern. Wer Vereinzelung und Flüchtigkeit von Beziehungen als bedrückendste Probleme der Zeit wahrnimmt, sucht eher nach Identifikation, Emotionalität und Menschlichkeit. Journalismus muss also etwas wie ein guter Freund werden, ohne seine Grundwerte zu verraten. Das gilt auch für faktenreiche, nüchtern erklärende Stücke, die oft dann gut funktionieren, wenn sie das Informationsbedürfnis der Nutzer ernst nehmen, sie also weder über- noch unterschätzen, mit passenden, attraktiven Formaten arbeiten und auch mal klarstellen, etwas (noch) nicht zu wissen.

Noch keine befriedigenden Antworten gibt es auf die Frage, ob KI mehr Nähe zum Publikum schaffen kann – oder gar das Gegenteil bewirkt. Viele Häuser arbeiten derzeit daran, ihre Angebote mit Hilfe von KI zu personalisieren und erhoffen sich davon mehr Nähe. Aber im direkten Kundenkontakt könnte dann doch der Mensch wörtlich genommen die Nase vorn haben. Roboterstimmen zum Beispiel klängen zu perfekt, hatte Zetland-CEO Tav Klitgaard kürzlich in einem Interview mit Medieninsider gesagt, die Nutzer wollten aber Menschlichkeit: „Wir mögen keine Perfektion, weil Perfektion nicht vertrauenswürdig ist.“

Auch das ist eine Erkenntnis aus Report und Innovation Forum: KI sucht in vielen Redaktionen noch ihren Platz. Zwar gibt es kaum ein Haus, das noch nicht an und mit entsprechenden Werkzeugen arbeitet, mehr als 80 Prozent der Befragten berichten von laufenden KI-Projekten. Man habe es aber noch zu häufig mit „Lösungen zu tun, die nach Problemen suchen“, wie es ein Teilnehmer der Diskussionsrunde formulierte. Sprich, es wird viel experimentiert, aber es ist unklar, was man mit Hilfe Künstlicher Intelligenz wirklich erreichen will und kann. Noch ist KI in Redaktionen mehr Handwerkszeug als Heilsbringer, sie transkribiert, übersetzt, fasst zusammen und schlägt Text-Bausteine vor. Auch Effizienz-Versprechen werden noch nicht eingelöst – jedenfalls dort, wo man Journalismus ernst nimmt und das Vertrauen seines Publikums nicht durch übermäßige Fehler riskieren will. Stattdessen sind Investitionen nötig, auch in neue Talente. Fazit: Für Medienhäuser wird das KI-Rennen zum Marathon, auf der Strecke steht manch quälender Abschnitt noch bevor.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 14. Januar 2025. Aktuelle Kolumnen von Alexandra lesen Sie dort mit einem Abo. 

KI-Siegel im Journalismus? Wenn, dann richtig

Im Fall Sports Illustrated war die Sache eindeutig. Als durchsickerte, dass nicht hinter jedem Kolumnisten und Reporter des traditionsreichen amerikanischen Sportmagazins ein kluger Kopf sondern zuweilen nur ein Sprachmodell steckte, kostete das etliche Abos und am Ende auch CEO Ross Levinsohn seinen Job. Redaktionen, die Journalisten-Imitate aus künstlicher Intelligenz einsetzen, machen das also besser selbstbewusst mit eindeutigem Transparenz-Hinweis, wie dies zum Beispiel der Kölner Express mit seiner Avatar-Reporterin Klara Indernach (abgekürzt KI!) tut. Und selbst dann kann die Sache schief gehen. Der Radio-Sender Off Radio aus Krakau, der zunächst stolz verkündet hatte, seinen Hörern ein allein von KI gesteuertes Programm vorzusetzen, musste das Experiment nach kurzer Zeit abbrechen. Eine Avatar-Moderatorin hatte ein fiktives Interview mit der Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska geführt und sie zu aktuellen Themen befragt – nur lebt die Autorin schon seit 2012 nicht mehr. Das Publikum war entsetzt.

Derzeit gilt Transparenz und eine offene Debatte darüber, ob, wann und in welchem Maße Redaktionen beim Erstellen von Inhalten KI einsetzen, in der Branche dennoch als eine Art Königsweg. In den meisten Ethik-Leitlinien zum redaktionellen Umgang mit KI dürfte sich dazu der eine oder andere Absatz finden. Die Furcht ist groß, durch unbedachten KI-Gebrauch die eigene Marke zu beschädigen und das vielerorts angeknackste Medienvertrauen weiter auszuhöhlen. Da schreibt man dann lieber mal dazu, dass diese oder jene Zusammenfassung oder Übersetzung von Sprachmodellen generiert wurde. Wie das bei den Lesern und Nutzern ankommt, ist allerdings noch kaum erforscht – und auch unter Branchen-Experten umstritten. Während die einen sich für Kennzeichnungen aussprechen, wie man sie von Nahrungsmitteln kennt, verweisen die anderen darauf, dass Label das Publikum erst recht misstrauisch stimmen könnten. Immerhin könnte der Hinweis „KI-unterstützt“ auch so interpretiert werden, dass sich die Redaktion aus der Verantwortung stehlen möchte.

Aus anderen Bereichen weiß man zudem: zu viel Transparenz kann Vertrauen ebenso schmälern wie zu wenig. Eine vollständige Liste aller Pannen und Kunstfehler, im Foyer eines Krankenhauses ausgehängt, würde Patienten vermutlich eher abschrecken als zuversichtlich stimmen. Gleiches gilt für Defekte an Flugzeugen oder Missgeschicke in Restaurantküchen. Wer überall einen Warnhinweis liest, ergreift entweder die Flucht oder schaut nicht mehr hin. Rachel Botsman, eine führende Expertin zum Thema, definiert Vertrauen als „eine selbstbewusste Beziehung zum Unbekannten“. Transparenz und Kontrolle stärkten Vertrauen nicht, sondern machten es weniger notwendig, weil sie das Unbekannte reduzierten, argumentiert sie.

Viel wichtiger für die Vertrauensbildung sind gute Erfahrungen mit der Marke oder Individuen, die sie repräsentieren. Dazu sollte eine Organisation offen darüber kommunizieren, welche Schritte sie unternimmt und welche Prozesse sie installiert hat, um Pannen zu verhindern. In Flugzeugen gehören dazu Redundanz von Technik, die doppelte Besetzung des Cockpits und feste Abläufe, in Redaktionen das Vier-Augen- und das Zwei-Quellen-Prinzip. Wenn Menschen einer Medienmarke vertrauen, gehen sie schlicht davon aus, dass dieses Haus alle Abläufe nach bestem Wissen und Gewissen strukturiert und regelmäßig überprüft. Wird KI als Sonderfall herausgestellt, könnte sich der Eindruck einschleichen, dass die Redaktion der Sache selbst nicht so richtig traut.

Felix Simon, Wissenschaftler am Reuters Institute in Oxford, hält deshalb allgemeine Transparenz-Regeln für ebenso wenig praxistauglich wie auch den Grundsatz, es müsse immer ein Mensch die Endkontrolle übernehmen. Es sei eine Fehlannahme, dass man allein mit diesen Maßnahmen das Vertrauen des Publikums zurückgewinnen könne, schreibt er in einem Essay.

Viele Journalisten machen sich zudem nicht bewusst, wie stark ihre eigene redaktionelle Berichterstattung über Künstliche Intelligenz das Verhältnis ihres Publikums dazu prägt. Wer in Interviews, Essays und Podcasts ständig liest und hört, was für einem Teufelszeug sich die Menschheit da ausliefert, wird der Technologie kaum aufgeschlossen gegenüberstehen, wenn die sonst so geschätzte Redaktion plötzlich überall KI-Hinweise anbringt. In Umfragen äußern sich Befragte deshalb erwartungsgemäß eher skeptisch, wenn sie zum Einsatz von KI im Journalismus um Auskunft gebeten werden.

Es gilt deshalb, die Kompetenz der eigenen Reporter zu stärken, damit sie das Thema KI vielschichtig angehen und konstruktiv begleiten, statt zwischen Hype und Weltuntergang zu mäandrieren. Auch die Vermenschlichung von KI – sei es über Avatar-Reporter oder nur in der Sprache (streng genommen ist schon Intelligenz ein unpassendes Wort) – trägt nicht gerade dazu bei, dem Publikum ein realistisches Bild davon zu vermitteln, was Sprach- und Rechenmodelle können und was eben nicht.   

 

Der Eindruck, den Menschen von KI haben, wird zudem stark davon geprägt werden, welche Erfahrungen sie selbst damit machen. Unter Studierenden gibt es wohl schon gegenwärtig kaum jemanden mehr, der nicht dann und wann Hilfsmittel wie ChatGPT nutzt. Auch wer von Berufs wegen programmiert, greift auf die blitzschnellen Rechenmodelle zurück, und für Büroarbeiter wird KI in zunehmendem Maße zum alltäglichen Werkzeug, ganz so wie Rechtschreibkontrolle, Excel Kalkulationen oder Spracheingabe. Allerdings wird es immer weniger offensichtlich werden, hinter welchen Tools welche KI steckt, da die Tech-Anbieter sie ins Leistungspaket stecken wie den Autofokus beim Fotografieren mit dem Smartphone. KI-Labels könnten deshalb schon bald wirken wie ein Relikt aus vergangener Zeit. 

Bei einer Konferenz, zu der das in Washington ansässige Center for News, Technology & Innovation jüngst nach Brüssel eingeladen hatte, schlug ein Teilnehmer vor, man sollte womöglich über eine Kennzeichnung von menschengemachtem Journalismus nachdenken. Was im ersten Moment nach einem Scherz klingt, hat tatsächlich einen ernsthaften Hintergrund. Die Branche muss sich zügig darüber klar werden, wie sich Journalismus in einer Welt der rasant skalierenden automatisierten Inhalte-Produktion seine Einzigartigkeit und Relevanz bewahrt. Sonst hat sie bald größere Probleme als die Frage, wie man KI-unterstützten Journalismus im Einzelfall kennzeichnen soll.               

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 28. November 2024. Aktuelle Kolumnen von Alexandra dort lesen Sie mit einem Abo. 

Wie der Lokaljournalismus einen Weg in die Zukunft finden kann

Man muss nicht mit dem Finger auf die Washington Post zeigen, um festzustellen, dass im Journalismus nicht alles, was der Demokratie dient, gut fürs Geschäft ist – und umgekehrt. Jenseits des Atlantiks hat Amazon Gründer und WaPo-Besitzer Jeff Bezos jüngst die Redaktion daran gehindert, eine Wahlempfehlung für Kamala Harris abzugeben – er sah offenbar lukrative Staatsaufträge für Amazon in Gefahr, sollte Donald Trump die Wahl gewinnen. Dieser hatte Bezos, wie vom ehemaligen Chefredakteur Marty Baron beschrieben, schon in seiner ersten Amtszeit böse zugesetzt.

Aber auch diesseits des Ozeans ist die Spannung zwischen medialen Geschäftsinteressen und demokratischer Verantwortung beträchtlich. Zum einen verkämpfen sich die Verleger in einem Konflikt mit den öffentlich-rechtlichen Sendern, der dazu führen könnte, dass den erfolgreichsten deutschen Nachrichtenangeboten auf Social Media – jenen der Tagesschau – die Reichweite abgedreht wird. Die Verleger argumentieren, die Konkurrenz der Öffentlich-Rechtlichen koste sie Abos. (Man wartet nun darauf, welche packenden Angebote die Regionalzeitungsverleger für TikTok und Insta in den Schubladen haben, um den politischen Rechtsaußen-Bewegungen etwas entgegenzusetzen, die sich dort fröhlich tummeln.) Außerdem schließt die Süddeutsche Zeitung ihre Regionalbüros samt den dazugehörigen Ausgaben, was man durchaus als Schlag gegen die wichtige Verankerung der Demokratie im Lokalen werten kann.

Die SZ-Strategen werden das durchgerechnet haben. Fakt ist, dass man Lokaljournalismus nur sehr begrenzt skalieren kann, im Gegensatz zu etwas wie „15 Erkenntnisse zu Erkältungskrankheiten, die jeder kennen sollte“, (wobei so etwas künftig jede KI sekundenschnell zusammentragen kann). Hinzu kommt, dass die begehrten, besser gebildeten nachwachsenden Zielgruppen eine deutlich geringere Bindung an Orte haben als noch frühere Generationen. Lokaljournalismus hat es also bei den Jungen schwerer – wenngleich er auch dort immer noch die Interessen toppt (siehe Grafik). Auf der Soll-Seite hinzu kommt, dass genau jener intensiv recherchierte, investigative Lokaljournalismus, der wirklich gebraucht wird, teuer zu produzieren ist.  

Fakt ist aber auch, dass lokale Medien in Studien zum Thema Vertrauen in den Journalismusregelmäßig Spitzenwerte erzielen. Nur noch die öffentlich-rechtlichen Anbieter schneiden oft besser ab. Und dass Lokaljournalismus einen wichtigen Beitrag zu einer funktionierenden Demokratie leistet, ist kaum umstritten: Mehr Menschen gehen zur Wahl und kandidieren für politische Ämter, wenn eben dieses politische Leben auch irgendwo öffentlich verhandelt wird. Menschen engagieren sich mehr, wenn sie wissen, wo sie das tun können. Gemeindefinanzen werden besser gemanagt, wenn die Verantwortlichen fürchten müssen, dass ihnen die Presse auf die Schliche kommt. All dies ist von Studien belegt.

Es ist kaum bestritten, dass es dem demokratischen Dialog nicht guttut, wenn Journalismus nur noch aus den urbanen Zentren gemacht wird und die Belange der Menschen in ländlichen Regionen keine Rolle mehr spielen. Auch große öffentlich-rechtliche Anbieter wie die BBC und das Schwedische Fernsehen SVT haben das erkannt und ihre Aktivitäten in den Regionen fernab von London und Stockholm in den vergangenen Jahren wieder intensiviert. Wenn es um das Überleben des Journalismus als solchen geht, steht die Sorge um den Lokaljournalismus aus all diesen Gründen häufig im Fokus potenzieller Geldgeber, weshalb es international eine ganze Reihe von entsprechenden Förderprogrammen gibt – vor allem in den USA.

Die amerikanische Medienlandschaft unterscheidet sich zwar deutlich von der hiesigen. Dennoch lohnt ein Blick über den Atlantik, wenn man sehen möchte, welchen Weg der Lokaljournalismus nehmen kann. Innerhalb der vergangenen 20 Jahre ist dort laut dem jüngst veröffentlichten Bericht des State of Local News Projects ein Drittel aller Zeitungen verschwunden – in Summe mehr als 3200. Übrig geblieben seien 5600, von denen 80 Prozent nur noch wöchentlich erschienen. Der Report weist 208 Landkreise als Nachrichtenwüsten aus, in denen keinen Zugang zu lokalem Journalismus mehr gibt. Rund 55 Millionen Amerikaner hätten somit gar keine oder nur eine lokale Quelle, aus der sie sich mit unabhängigen Informationen versorgen könnten. Übrigens ist laut dem amerikanischen Büro of Labor Statistics die Zahl der Arbeitsplätze in absoluten Zahlen in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten in keiner Branche so drastisch geschrumpft wie im Journalismus.

All dies heißt aber nicht, dass die Lage für den Lokaljournalismus hoffnungslos ist. Es demonstriert vor allem den nicht aufzuhaltenden Niedergang von Print-Produkten, an denen viele Verlage aus (verständlichen) kommerziellen Gründen viel zu lange festgehalten haben. Dies hatte nur den unschönen Nebeneffekt, dass digitale Innovationen im Lokalen gar nicht oder nur halbherzig vorangetrieben wurden – etwas, das sich nun rächt. Denn auch im Digitalen gilt es, Nutzende zu loyalen, möglichst zahlenden Kunden zu machen. Und Kunden zahlen bekanntermaßen nicht für die schnell zusammengezimmerte Ein-Quellen-Geschichte, die zur Not die Aufschlagseite im Print-Lokalteil füllt. Sie erwarten innovative, digitale Produkte.

Und auch da lohnt sich der Blick in die USA. Ganz nach Lehrbuch ist es dort bislang nicht etwa den Platzhirschen sondern vor allem Newcomern gelungen, solche neuen Angebote zu machen. Das US-Portal Axios ist seit 2021 im Lokaljournalismus aktiv und bedient mittlerweile 30 lokale Märkte mit Newslettern. Die Gründer Jim VandeHei und Mike Allen und werden im November für ihre Verdienste um den Journalismus mit dem renommierten Fourth Estate Award des National Press Clubs geehrt. Der State of Local News Report listet etliche „Local News Bright Spots“, also innovative lokale Medien vom WhatsApp-Angebot Conecta Arizona, das sich an die spanischsprachige Community richtet, bis hin zur Traditionszeitung Salt Lake Tribune, die sich als gemeinnütziges digital first Medium neu erfunden hat. Allerdings konzentrieren sich fast alle diese Angebote auf urbane Regionen, in denen zumindest eine gewisse Skalierung möglich ist, in ausgedünnten Landkreisen bleibt die Lage weiterhin ernst.

Aber auch in Europa und Deutschland zeigt sich, dass diejenigen, die sich reinhängen, auch mit digitalen Produkten Erfolg haben können. In Wan-Ifras  Table Stakes Europe Projekt haben Dutzende Teams unter Beweis gestellt, dass man im traditionellen Lokaljournalismus wachsen kann, wenn man sich intensiv mit den Zielgruppen in der Region und deren Bedürfnissen beschäftigt.[1) In den verschiedenen Reports finden sich etliche Fallstudien erfolgreicher digitaler Transformation. Wichtigste Erkenntnis: jede Region bietet andere Chancen. In manch einem Umfeld wollen die Leser alles über einen großen Arbeitgeber wissen, wie zum Beispiel über Volkswagen bei der Freien Presse Chemnitz. Die Nutzer des Hamburger Abendblatts hingegen verschlingen alles zu Kulturangeboten, was bei anderen Regionalanbietern gar nicht funktioniert. Was fast immer läuft: gut recherchierte Angebote zu erfolgreichen Fußball-Bundesligisten und zum Thema Essen und Trinken in der Region. 

Aber es geht nicht nur um Zielgruppen und Themen. Wichtig ist es auch, auf der ganzen Klaviatur der Angebote zu spielen, von der Push Mitteilung über den Newsletter und den Live-Stream von lokalen Events bis hin zur eigenen öffentlichen Veranstaltung, der bei der die Leser direkt in den Kontakt zu den Journalisten kommen können – eine wahrhaft vertrauensbildende Maßnahme. Viele Verlage, vor allem jene in Skandinavien, setzen zunehmend auf die Möglichkeiten von KI, Lokalseiten automatisiert zu erstellen und mit hyperlokalen Informationen zu personalisieren, zum Beispiel zu den nachgefragten Lokalthemen Wetter, Verkehrslage, Lokalsport und Immobilienpreise. Auf diesem Gebiet wird sich in den kommenden Jahren viel tun. 

Idealerweise baut man seine digitalen Angebote übrigens auf, bevor man Lokalausgaben dicht macht. Denn eins weiß jeder Marketing-Manager: Einen neuen Kunden zu gewinnen ist um ein Vielfaches teurer, als einen bestehenden zu halten und an ein neues Produkt zu gewöhnen.  

[1] Alexandra Borchardt hat im Table Stakes Europe Project in den vergangenen fünf Jahren 26 Verlage gecoacht.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 30. Oktober 2024. Aktuelle Kolumnen von Alexandra lesen Sie dort mit einem Abo. 

Antworten gesucht? FAQs zur Zukunft des Journalismus

Wenn man Geld damit verdient, auf Veranstaltungen über Journalismus zu reden, sollte man das Folgende vielleicht nicht veröffentlichen, denn womöglich macht man sich damit sein Geschäft kaputt. Aber Fakt ist, dass Medienmenschen und ihre Freunde immer wieder dieselben Fragen stellen oder Annahmen formulieren. Natürlich findet man Unternehmen verwerflich, die es darauf anlegen, ihre Kunden mit den berühmten „Frequently Asked Questions“ (FAQs) abzuwimmeln, statt ihnen geduldig zuzuhören. Aber dann bastelt man doch an einer persönlichen Hitliste von FAQs, von denen man ahnt, was die fragenden Journalisten wirklich damit sagen wollen.

Stichwort Nutzerbedürfnisse: Wenn man den Kunden nur gibt, was sie lesen oder sehen wollen, darf man dann nur noch Katzenvideos bringen? (Wirklich gemeint ist: Wo bleibt dann unser wichtiger Politikjournalismus?)

Antwort: Zunächst einmal geht es nicht darum, den Kunden mehr davon zu bieten, worauf sie klicken, sondern darüber nachzudenken, was sie brauchen könnten, um ihr Leben und ihren Alltag besser zu bewältigen. Wer sich wirklich mit den Bedürfnissen verschiedener Nutzergruppen beschäftigt, erlebt nämlich immer wieder Überraschungen. Leser lesen ein 250-Zeilen-Stück über den Nahost-Konflikt bis zum Ende, rufen über Wochen regelmäßig einen 45-Minuten-Podcast ab, teilen eine Infografik mit vielen Zahlen. Bei sperrigen Stoffen hilft es, sich besonders viele Gedanken zum Format zu machen und Mühe in die Ausführung zu stecken. Die Chefredakteurin der dänischen Zeitung Politiken, Amalie Kestler, erläutert am Beispiel des Klimajournalismus, man müsse von den Stücken lernen, die beim Publikum punkten, um mit entsprechenden Elementen jene Stoffe zu bereichern, von deren politischer Bedeutung die Redaktion überzeugt ist (zum Beispiel Verhandlungen bei Klimagipfeln). Im Übrigen sind die Beiträge mit den meisten Klicks üblicherweise nicht jene, für die Nutzer Abos abschließen – was ja das eigentliche Ziel vieler Redaktionen ist.

Stichwort Qualitätsjournalismus: Die Leser haben heute eine wahnsinnig kurze Aufmerksamkeitsspanne, vor allem die Jungen wollen nur noch Häppchenware. Was tun? (Wirklich gemeint ist: Früher waren die Leser gebildeter und die Journalismus-Welt war noch in Ordnung.)

Antwort: Die Aufmerksamkeitsspanne im Digitalen ist kürzer, weil die Nutzer verwöhnter sind. Sie müssen sich nicht mehr durch Bleiwüsten quälen, um herauszufinden, was los ist in der Welt. Sie sind trotzdem einigermaßen informiert, weil sich irgendwo immer jemand findet, der einen Stoff anschaulich und packend präsentiert. Auch Schulkinder lernen mit YouTube Videos nicht selten besser als im Unterricht, und das liegt weniger an ihrer Aufmerksamkeitsspanne als an schlechten Lehrern und Schulbüchern. Daten zeigen, dass Nutzer auch auf dem Handy sehr lange Reportagen lesen, wenn sie spannend sind. Junge Leute hören regelmäßig 30-Minuten-Podcasts zu politischen Themen bis zum Ende, weil die Hosts sie begeistern. Dass Leser gedruckter Zeitung früher geduldig die Politikteile von Tageszeitungen in Gänze studiert haben, ist eher Wunschdenken als Realität. Auch da ging die Aufmerksamkeit oft nicht über die Schlagzeile hinaus. Nur hat das niemand messen können. Die Journalismus-Welt war früher nicht wegen der Reichweite von Qualität in Ordnung, sondern weil die Geschäftsmodelle funktioniert haben. Wer auf die investigative Arbeit von Rechercheverbünden und das Angebot an Datenjournalismus, Visualisierungen oder Podcasts schaut, muss zugeben:  Noch nie gab es im Journalismus Qualität in einer solchen Vielfalt wie heute.

Stichwort Objektivität: Warum haben ältere Journalisten solche Probleme mit der Ich-Form? Journalismus ist doch immer subjektiv. (Was wirklich gemeint ist: Ich schreibe am liebsten Ich-Geschichten – da kann ich mir auch Recherche sparen.)

Antwort: Es gibt wunderbare, packende und wichtige Geschichten in der Ich-Form. Es gibt aber auch eine ganze Menge Befindlichkeits-Journalismus, der eher Schulaufsatz-Charakter hat. Das sind dann Geschichten, die Perspektive mit Fakten verwechseln, die eigene Erfahrung als allgemeingültig betrachten und damit ebenso bevormundend herüberkommen wie manch ein Politik-Kommentator der alten Schule. Tatsächlich unterscheidet sich Journalismus vom meinungsstarken Influencer-Post und vom subjektiven Blog dadurch, dass er sich um Perspektiven-Vielfalt und Fakten bemüht, dass er sich auf die Suche nach etwas macht, das manche Wahrheit nennen. Und das gelingt nur mit einer gewissen professionellen Distanz. Die kann man auch einnehmen, wenn man das in der Ich-Form tut. Aber es geht auch gut ohne. Das Publikum wird es schätzen. In der Definition von Journalismus steckt das Konzept der Unabhängigkeit. Ohne diese ist er nicht mehr als Content, Meinung, womöglich sogar Propaganda – und verspielt damit seine Daseinsberechtigung. Wer unabhängig berichten will, tut gut daran, von der Selbstbeschau auf die Beobachterperspektive zu wechseln.  

Stichwort Desinformation: Was kann man nur gegen diese „Fake News Epidemie“ machen? (Was wirklich gemeint ist: Das Problem ist nicht unser Journalismus sondern diese Lügengeschichten, die das Netz verstopfen.)

Antwort: Das Problem Desinformation wird häufig falsch eingeschätzt und überschätzt. Deshalb werden darauf auch unwirksame Antworten gefunden. Ohne Zweifel gibt es staatliche Desinformation als Mittel der hybriden Kriegsführung. Aber Forschung zum Beispiel des Reuters Institutes in Oxford zeigt: Der größte Teil der Falschinformationen wird bewusst von Politikern verbreitet, um Meinung zu machen. Zudem ist der Einfluss von Desinformation auf das Verhalten von Menschen geringer, als dies oft angenommen wird. Das gilt auch für Lügengeschichten, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz erstellt werden. Medien sind gut beraten, sich erst einmal darauf zu konzentrieren, eigene Themen zu recherchieren und damit die Agenda zu setzen, statt Falschmeldungen hinterherzujagen und sie damit womöglich größer zu machen, als sie sind. Faktenchecks können große Organisationen wie Nachrichtenagenturen am besten liefern. Zum Thema Desinformation gibt es viel Forschung, es empfiehlt sich vor dem Lamentieren über das Problem einen Blick hineinzuwerfen. Unglücklicherweise stecken Geldgeber, die ein Interesse an der Eindämmung des Themas haben, viel Geld in Projekte zum Kampf gegen „Fake News“ – deutlich mehr, als sie in den Journalismus als solchen investieren. Der hätte es aber nötiger, vor allem der Lokaljournalismus.

Stichwort konstruktiver Journalismus: So etwas wie konstruktiver Journalismus klingt ja gut, aber verfehle ich damit nicht meine Aufgabe als Journalist? (Was wirklich gemeint ist: Echt jetzt, die wollen MIR Journalismus neu erklären?)

Antwort: Diese Frage kommt praktisch ausschließlich von älteren, gestandenen Kollegen. Junge Journalisten, insbesondere solche, die neue Medienmarken gründen wollen, sehnen sich nach konstruktiven Formaten. Für sie ist der etablierte „er hat gesagt, sie hat gesagt“-Journalismus wie Weißbrot: stopft irgendwie, macht aber nicht satt. Sie wissen: In einer digitalen Informationswelt, die voll ist von Content, suchen sie und ihre Altersgenossen nach jenen Stoffen, von denen sie etwas Neues, Überraschendes mitnehmen können – und vielleicht sogar etwas Zuversicht. Und nein, konstruktiver Journalismus bedeutet nicht, die Welt in rosarot zu malen, sondern Nuancen abzubilden und Perspektiven aufzuzeigen. Er ist ein Versuch, den Bedürfnissen der Nutzer näher zu kommen und sie wieder für Journalismus zu begeistern. Der AFP-Journalist Ivan Couronne formulierte es kürzlich auf einer Tagung so: „Menschen vermeiden keine Nachrichten, sie vermeiden schlechten Journalismus.“ Und sie vermeiden solchen, den sie nicht brauchen.   

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 3. Oktober 2024. Mit einem Medieninsider-Abo kannst du dort aktuelle Kolumnen von mir lesen.

Vorsicht mit der „Klimakrise“: Warum Wortwahl zählt

Journalisten glauben gewöhnlich, dass sie mit Sprache die Welt verändern können. Dinge präzise zu benennen, gehört immerhin zum Handwerk, das manch einer als Kunsthandwerk versteht. Deshalb führen große Redaktionen Stil-Bücher. Diese geben nicht nur Schreibweisen vor, sondern legen auch fest, mit welchen Begriffen Reporter welche Phänomene beschreiben sollten, welche sie keinesfalls verwenden sollten, und mit welchen sie riskieren sich im Kollegenkreis lächerlich zu machen (ändert sich bei Chefredakteurswechsel). Organisationen geben Empfehlungen zu diskriminierungsfreier (-armer) Sprache ab, wie die Neuen Deutschen Medienmacher mit ihrem Glossar zur Einwanderungsgesellschaft. Und wenn es um polarisierende Themen geht wie das Gendern, werden Debatten schnell leidenschaftlich. Wo die einen die Sprachpolizei fürchten, wittern die anderen den unverbesserlichen Sexisten.

In der Klimaberichterstattung ist die Aufregung zwar nicht ganz so groß, dennoch machen sich einige Redaktionen Gedanken darüber, wie man über die Erderwärmung schreiben sollte, um dem Publikum die Dringlichkeit des Ganzen nahezubringen. Der britische Guardian hatte 2019 mit neuen Regeln zum Sprachgebrauch in Sachen Klima für Aufsehen gesorgt. Auf Weisung der Chefredaktion ersetzen Redakteure und Reporter seitdem das gebräuchliche climate change mit climate crisis oder climate emergency, statt global warming schreiben sie global heating.

Was bei den traditionell eher linksliberalen Lesern des Guardian gut ankam, könnte allerdings am breiten Publikum vorbeigezielt haben, wie eine neue Untersuchung nahelegt. Die im Fachmagazin Climatic Change veröffentlichte Studie hat für den amerikanischen Markt ergeben: Wenn Redaktionen das Publikum für Klimathemen interessieren und dazu motivieren möchten, etwas zu tun, sollten sie gebräuchliche Begriffe wie Klimawandel oder Erderwärmung nutzen. Andere Ausdrücke zeigten weniger Effekte oder könnten sogar polarisieren, so zum Beispiel das politisch links konnotierte climate justice. Das Autorenteam der University of California Los Angeles schloss daraus: “Begriffe zu verändern, ist wahrscheinlich kein Schlüssel zu vermehrter Aktivität in Sachen Klima. Wir empfehlen andere Kommunikationsstrategien.” In einem Artikel des populärwissenschaftlichen Magazins The Conversation schrieben dieselben Forscher: Es sei generell ratsam aufgeheizte, politisch aufgeladene Begriffe zu vermeiden und Sprache einfach zu halten.

Tatsächlich decken sich diese Erkenntnisse mit Erfahrungen aus Redaktionen, wie sie Medien-Führungskräfte im 2023 erschienenen EBU News Report Climate Journalism That Works – Between Knowledge and Impact schildern. Zum Beispiel berichteten Nora Zimmett und Angie Massie, Top-Managerinnen bei der amerikanischen Weather Group, sie würden bei Reportagen über Klimaphänomene zum Teil sogar den Begriff Klimawandel vermeiden, um konservative Zuschauer nicht zu vertreiben. Von sauberer Luft zu sprechen, funktioniere oft besser. Das Etikett „Klima“ sperre zudem entsprechende Berichterstattung in ein Ghetto. Sinnvoller sei es, Fakten zum Thema überall einfließen zu lassen, so wie man Kindern Gemüse in allerlei Gerichten unterschiebe, ohne daraus ein großes Ding zu machen. Andere Interviewpartner meinten, wer politisch aufgeladene Begriffe verwende, mache sich eher angreifbar. Jon Williams, früher Chefredakteur des irischen Senders RTE sagte: „Es ist wichtiger, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.“

Nach diesem Credo richten auch Unternehmen ihre Kommunikation aus, die Kunden dazu bewegen wollen, für hochwertigere Ware mehr Geld auszugeben. Aldi Süd hat sich zum Beispiel zum Ziel gesetzt, bis 2030 bei gekühlten Fleisch- und Milchprodukten nur noch solche aus den Haltungsstufen 3 und 4 im Angebot zu haben. Es empfehle sich, Menschen zu erklären, dass sie beim Kauf solcher Produkte der Gesundheit ihrer Familie etwas Gutes tun, sagt Aldi Süds Nachhaltigkeitschefin Julia Adou dazu. Mit dem Klimawandel zu argumentieren, funktioniere deutlich schlechter.

Sprachgebrauch sollte sich vor allem am Gegenüber orientieren. Dies betonen auch Liam Mannix und Mahima Jain in ihrer Empfehlung zum Klima-Vokabular; beide haben am Climate Explorer Program des Constructive Institutes in Aarhus teilgenommen. Wer sich verständlich machen möchte, sollte in der Sprache des Publikums sprechen und sich vorher darüber informieren, welche Bedeutungen bestimmte Begriffe haben könnten. In manchen Weltregionen wissen die Einwohner zum Beispiel sehr viel über die Folgen des Klimawandels, auch wenn sie den Ausdruck nie benutzen. Das Wichtigste sei, wissenschaftlich präzise zu bleiben – und das Publikum nicht zu unterschätzen: „Respektieren Sie die Intelligenz Ihrer Zielgruppen.“  

Dieser Respekt bedeutet aber nicht, Dinge komplizierter als nötig zu machen. Experimente mit verschieden komplexen Überschriften haben ergeben, dass „normale“ Leser mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die simplere Variante klicken, während Journalisten das nicht unbedingt tun. Dies geht aus einer weiteren Studie hervor, die im August in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlich wurde. Als Beispiel nannten die Autoren in einem Beitrag für The Conversation eine Überschrift aus der Washington Post: “Meghan and Harry are talking to Oprah. Here’s why they shouldn’t say too much” zog deutlich mehr Leser an als “Are Meghan and Harry spilling royal tea to Oprah? Don’t bet on it.” Man ahnt – leicht beschämt – , wie sich Kollegen bei der Referenz zum königlichen Tee an der eigenen Originalität erfreut haben könnten.

All dies bedeutet keinesfalls, dass sich Redaktionen nicht mit Sprache auseinandersetzen sollten. Zum Beispiel ist es ein Unterschied, ob Journalisten von Terror oder Überfall, von Kampf oder Krieg sprechen. Debatten über solche Definitionen sind wichtig. Sie tragen aktiv zur Veränderung von Sprache bei, wie es das Oxford English Dictionary am Beispiel Klimawandel dekliniert. Manche setzen gesellschaftliche Diskussionen und damit Veränderungen in Gang.

Wer Regeln erlässt, muss sich aber darüber klar sein, was sie bewirken sollen: Sind sie ein politisches oder moralisches Signal an Kunden? Das ist durchaus legitim; der Axel Springer Verlag praktizierte dies zum Beispiel zu Zeiten des Kalten Krieges, indem er seine Redaktionen „DDR“ stets in Anführungszeichen setzen ließ. Sollen die Regeln allerdings vor allem dem jeweiligen Publikum dabei helfen, etwas besser zu verstehen, helfen Vereinfachung, Flexibilität und Anpassung mehr als ein sprachliches Korsett. Zurecht handhaben das auch viele öffentlich-rechtlichen Sender so. In Programmen mit jungen Zielgruppen wird gegendert und geduzt, während anderswo die traditionellen Formen mehr Vertrauen vermitteln. Nur faktisch richtig sollten Begriffe immer sein. Darüber, dass Journalisten ziemlich häufig Prozent sagen, wenn sie Prozentpunkte meinen, muss es zum Beispiel keine Debatte geben. Das ist einfach falsch.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 30. August 2024. Mit einem Medieninsider-Abo kannst du dort aktuelle Kolumnen von mir lesen. 

Die Besserwisser-Spirale: Warum Journalisten mehr über die Wirkung ihrer Arbeit nachdenken sollten

Nur wenige Journalisten konnten nach dem Mordanschlag auf Donald Trump am 13. Juli der Versuchung widerstehen, in Interviews diese eine Frage zu stellen: „Ist die US-Wahl jetzt gelaufen?“ Jeder Experte, der von Demokratie etwas hält, hätte nun eigentlich die Pflicht gehabt, das Ganze mit einem beherzten „Nein“ zu beantworten. Ganz einfach, weil die Wahl erst im November gelaufen sein wird. Aber natürlich inspirierte das die meisten Befragten dazu, den Kenner heraushängen zu lassen. Und so folgten längliche Erläuterungen, warum dieses „ikonographische Foto“ des blutverschmierten, faustreckenden Trump diesen nun praktisch bis kurz vor den Wahlsieg katapultiert habe.

Die Angst, im Welterklärer-Wettbewerb von Kollegen abgehängt zu werden, ist bei vielen erkennbar größer als der Respekt vor dem demokratischen Prozess. Dabei verhallen Aussagen wie „Wahl gelaufen“ nicht nur im Raum. Sie wirken auf Menschen. Und wenn diese Menschen Wähler sind, entscheiden sie sich womöglich dafür, nicht zu einer Wahl zu gehen, bei der ihre Stimme vermeintlich ohnehin nichts mehr drehen kann. Was dem einen oder anderen Kollegen in der Nachschau das befriedigende Gefühl geben dürfte, Recht gehabt zu haben.

Zum Glück funktionieren viele Menschen nicht so und stimmen im November trotzdem ab. Historisch ist sogar belegt, dass Attentate selten Wahlen beeinflusst haben, wie der  The Atlantic-Redakteur Derek Thompson unter dem Titel „Stop Pretending You Know How This Will End“ darlegte. Aber Medien funktionieren so. Nicht nur wählten unzählige Bildredakteure unter Dutzenden Trump-Fotos zielsicher das mit der Faust aus, aus ähnlichen Motiven, aus denen weltweit Konzertgänger nach Taylor-Swift-Karten Schlange stehen: Man will einfach dabei sein. Im Journalisten-Sprech wurde es dann noch zu einem „ikonografischen Bild“ erklärt, an dem Kollegen in Interviews folglich kaum mehr vorbeikamen.   

Mit dieser Art Besserwisser-Spirale, dem Effekt der selbsterfüllenden Prophezeiung, setzen sich die wenigsten Journalisten gerne auseinander. „Ich recherchiere nur die Fakten“, sagen sie dann, die Wirkung ihrer Worte müsse ihnen von Berufswegen egal sein. Aber die Wahrheit ist, dass es ohne den Herdentrieb der Medien, die journalistische Zuspitzung und die Lust an der Rechthaberei manche gesellschaftlichen Phänomene gar nicht in der Ausprägung gäbe, wie sie nun zu beobachten sind.

Beim Thema Desinformation zum Beispiel haben Forscher wie Andreas Jungherr von der Universität Bamberg, Ralph Schröder und Felix Simon von der Universität Oxford wiederholt nachgewiesen, dass das Phänomen in der Realität deutlich weniger ausgeprägt ist, als dies die mediale Debatte darüber vermuten lassen könnte. Der Journalismus, nicht die Fakten lösten eine „moralische Panik“ aus. Doch solche Erkenntnisse ändern nichts daran, dass rund um das Thema im Zusammenspiel zwischen Regulierern und Geldgebern eine Art „Fake-News“-Bekämpfungs-Komplex entstanden ist, der zum Teil mehr Schaden anrichtet, als dass er nutzt – in dem Regierungen dies zum Beispiel zum Anlass nehmen, Pressefreiheit einzuschränken.

Ein anderes Beispiel ist Künstliche Intelligenz. Ob die Bevölkerung die Technologie als potenziell hilfreich oder als bedrohlich wahrnimmt, richtet sich sehr stark danach, wie Medien das Thema angehen, ob sie Möglichkeiten erläutern oder Risiken dämonisieren. Sind Ängste erst einmal gesät, helfen Fakten kaum noch dabei die Wahrnehmung zu verändern.

Im vergangenen Jahr konnte man diese Dynamik in Deutschland rund um das Thema Wärmepumpe nachverfolgen. Die „Heiz-Hammer-Debatte“ ließ viele Menschen in Öl-Heizungen investieren, was etliche Immobilien perspektivisch unverkäuflich machen dürfte. Viele Redaktionen werden trotzdem auf ihre Pflicht zur kritischen Berichterstattung verweisen. Es ist leichter, Menschen kurzfristige Folgen nahezubringen (es wird teuer), als langfristige (Wertverfall, Klimafolgen) korrekt zu prognostizieren. Berichterstattung beeinflusst aber nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Wahrnehmung von Führungskräften in Politik und Wirtschaft. Deshalb wirkt sie sich auf Unternehmensstrategien, Investitionen, Regulierung und alltägliche Praxis aus.

Letztlich bezwecken Journalisten genau das: Sie wollen beeinflussen. Dennoch reflektieren Redaktionen viel zu selten über die potenziellen Folgen von geballter Nachrichten-Aufmerksamkeit (oder deren Entzug) – manchmal auch aus Angst, die Öffentlichkeit könnte dies als Zensur verstehen. Eine interessante Debatte gab es darüber nach der Finanzkrise von 2008: Wann ist es die Pflicht von Finanzjournalisten, Berichterstattung zurückzuhalten, um zum Beispiel zu vermeiden, dass Menschen die Banken stürmen und das System damit weiter destabilisieren?

Ähnliche Überlegungen gibt es in Redaktionen, wenn Nachahmer-Effekte zu befürchten sind, zum Beispiel bei Suiziden. Gängige Praxis ist es mittlerweile, dann auf Hilfsangebote hinzuweisen, wenn die Berichterstattung über spezielle Fälle im öffentlichen Interesse ist. Auch bei Erkenntnissen über individuelles Verhalten, das gegen Normen verstößt, wägen Journalisten ab (heute eher weniger als früher): Beeinflusst es zum Beispiel die Amtsführung eines Politikers oder einer Wirtschaftsführerin, wenn er oder sie eine Beziehung neben der Ehe pflegt oder sich regelmäßig betrinkt? Oder, um wieder nach Amerika zu schauen: Wann wurden Jo Bidens Aussetzer so gravierend, dass die Bevölkerung Aufklärung verdient hatte? Nicht über alles, was man erfährt, muss zwingend und sofort berichtet werden. Journalisten stünde es gut an, auch in anderen Feldern mehr Verantwortung für die Folgen ihrer Arbeit zu übernehmen.  

Wer nun erklärt, der Journalismus habe die Kraft des Agenda-Setzens ohnehin längst eingebüßt, in den sozialen Netzwerken verbreiteten sich massentaugliche Bilder wie jenes vom angeschossenen Trump schließlich viel schneller, stützt damit einen Abgesang auf das Metier, der eindeutig zu früh kommt. Denn tatsächlich ist die Macht der traditionellen Medien immer noch enorm. Dazu verstärken sie die auf Social Media geteilten Inhalte massiv. Studien des Berkman Klein Centers for Internet and Society an der Universität Harvard hatten dies für die US-Wahlen von 2016 und 2020 überzeugend belegt. Politiker, die Propaganda verbreiten wollen, profitieren von dieser Art Doppel-Effekt: Sie posten in den sozialen Netzwerken, setzen aber darauf, dass Politikjournalisten diese Beiträge aufspüren und zum Inhalt ihrer Berichterstattung machen.

Polarisierung war für Medien schon immer ein lukratives Geschäftsmodell, auch wenn die Vertreter traditioneller Marken dies gerne allein den Plattform-Konzernen ankreiden. Der Unterschied zu diesen ist jedoch, dass sich Facebook, Insta, YouTube und TikTok nicht den strengen ethischen Grundsätzen unterwerfen, wie Presseorgane dies tun. Journalisten haben deshalb die besondere Verpflichtung, auch nach dem zu suchen, was Menschen verbindet und Gesellschaften zusammenhält. Dazu gehört, immer wieder nach dem Gegenargument zu suchen, Nuancen und die andere Seite auszuleuchten, nicht nur den Konflikt sondern auch die Lösung hervorzuheben und eben über die Folgen von Veröffentlichungen nachzudenken. Manchmal kann das sogar bedeuten, dann und wann auf Inhalte zu verzichten, selbst wenn man noch so überzeugt von einer guten Schlagzeile oder einer reißerischen Interpretation ist.

Diese Kolumne erschien am 22. Juli 2024 bei Medieninsider. Aktuelle Kolumnen kann man dort mit einem Abo lesen. 

Der Aufstieg der Journalismus-Influencer

Müsste man den Zustand des Journalismus auf Basis des Digital News Reports von 2024 in einen Satz fassen, könnte man sich an Rasmus Nielsen halten, den scheidende Direktor des Reuters Institutes: „Die Öffentlichkeit ist im Grunde zufrieden mit dem Journalismus“, hatte Nielsen beim Launch der weltweit größten fortlaufenden Untersuchung zum Medienkonsum gesagt. Von einer Krise könne nicht die Rede sein. Zwar hält der Report für jeden etwas bereits, der Alarmstimmung schüren möchte: Menschen vermeiden weiterhin oft oder manchmal Nachrichten (39 Prozent geben das an), fürchten Desinformation und vertrauen dem, was sie lesen, nicht unbedingt. Aber man hat es hier überwiegend mit „Glas-halb-leer“-Interpretationen zu tun. Tatsächlich finden Nutzer im Journalismus vieles, was ihren Bedürfnissen entspricht, ihr Vertrauen in Medienmarken ist recht stabil, und viele trauen sich zu, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten einordnen zu können.   

Die Prognose für diejenigen, die mit eben diesem Journalismus Geld verdienen müssen, fällt hingegen weniger günstig aus. Die Zahlungsbereitschaft für journalistische Produkte stagniert im weltweiten Durchschnitt bei etwa 17 Prozent (in Deutschland sind es 13); im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Wert kaum bewegt. Ein sinkender Anteil von Menschen steuert Medienmarken direkt über Websites oder Apps an, was mit der Aussicht auf die neue KI-Wirklichkeit besonders beunruhigend ist, wo Suchergebnisse von Sprachmodellen generierte Texte statt Links zutage fördern werden. Bei unter 35-Jährigen nehmen sogar nur noch 14 Prozent den direkten Weg, weitere vier Prozent konsumieren Nachrichten über Newsletter. Dafür konsumieren immer mehr Nutzende News-Videos über Tik Tok und YouTube, was Verlage bekanntlich nicht monetarisieren können. Der Trend, dass die ganz Großen das Geschäft für sich entscheiden, dürfte sich fortsetzen, und hinzu kommt eine weitere Entwicklung: Einzelne prominente Journalismus-Influencer ziehen zum Teil mehr Aufmerksamkeit auf sich, als dies Medienmarken schaffen.

Wer Letzteres als einen Sieg der Medien-Vielfalt feiert, freut sich womöglich zu früh. Analysiert wurden die Märkte USA, Großbritannien, und Frankreich, und bis auf eine Ausnahme haben alle diese vom Publikum genannten Einzelkämpfer eines gemeinsam: Es sind Männer. Während die Redaktionen von den Volontärs-Jahrgängen bis in die Chefetagen zunehmend weiblicher werden, zeichnet sich beim Nutzerverhalten ein Muster ab, das den Aufstieg der Populisten in der politischen Welt spiegelt: Etliche Menschen vertrauen der starken Stimme mehr als den vielen, denen vor allem die Marke ihrer Organisation Autorität verleiht.

Beobachter, zu denen auch die Experten auf dem Launch-Panel gehörten, erklären sich das damit, dass Authentizität ein zunehmend gefragter Wert ist. Dies gaben auch etliche für den Digital News Report befragte Nutzer zu Protokoll. Dass Video-Formate immer beliebter werden, erklärt sich zu einem Teil ebenfalls daraus. Die im März veröffentlichte qualitative FT Strategies Studie „Next Gen News“ hatte ergeben, dass gerade jüngere Menschen Journalismus-Influencern mehr vertrauen als traditionelle Medienmarken, die ihnen nicht mehr so viel sagen wie der Generation ihrer Eltern und Großeltern. Diese Persönlichkeits-Marken helfen ihnen beim Navigieren in einer zunehmend unübersichtlichen Informationswelt.

Wie „authentisch“ diese Meinungsmacher wirklich sind, und vor allem, wie sauber sie arbeiten, wenn sie sich keiner redaktionellen Kontrolle unterziehen müssen, erweist sich von Fall zu Fall. Medienhäuser begeben sich deshalb in einen Spagat. Sie sollen Stars rekrutieren oder aufbauen und pflegen, während sie alle anderen bei Laune halten müssen. Das ist nicht gänzlich neu, kann aber zu einer schwierigen Übung werden, wenn es um Teamgeist und die zunehmend wichtigeren Aufgaben geht, die vielen Mitarbeitenden kein Rampenlicht versprechen. 

Dass Journalismus im Leben vieler Menschen einen Platz hat, ist zunächst einmal eine beruhigende Erkenntnis aus diesem Report. Dass ihnen die Organisationen weniger bedeuten, die ihn mit viel Aufwand und unter großem Einsatz von Ressourcen produzieren, bereitet jedoch vielen in der Branche Sorgen. Und so gehen auch die Bewertungen dazu weit auseinander, was Künstliche Intelligenz für das Metier bedeuten könnte. Für den EBU News Report „Trusted Journalism in the Age of Generative AI” von 2024 haben wir mit Dutzenden Medien-Führungskräften gesprochen. Die meisten betonten die Möglichkeiten, die KI für die redaktionelle Arbeit eröffnet. Auf der Suche nach Geschäftsmodellen bleiben allerdings derzeit nur die ganz Großen einigermaßen locker. KI könnte gut für den Journalismus sein. Für die Branche ist sie es höchstwahrscheinlich nicht.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 25. Juni 2024. Um aktuelle Kolumnen zu lesen, braucht man ein Abo.         

Gemeinschaft stiften – Journalismus, Digitalisierung und die Bedeutung der lokalen Medien

Ein Blick über den Atlantik lohnt sich nicht immer, wenn man Entwicklungen in Deutschland verstehen und prognostizieren will, aber mit Blick auf den Lokaljournalismus kann er als Warnung dienen. So zeigt ein jüngst veröffentlichter Report, dass sich in den USA die Zahl der Regional- und Lokalzeitungen in den vergangenen 20 Jahren um etwa ein Drittel verringert hat. 80 Prozent der verbleibenden Angebote – gedruckt und digital – erscheinen nur einmal wöchentlich, in 206 Landkreisen haben die Bürger überhaupt keine Möglichkeit mehr, sich aus unabhängigen Quellen zu informieren. Nun ist es forsch, die Wiederwahl des US-Präsidenten Donald Trump, der wenig Respekt für demokratische Institutionen hat, auf die steigende Anzahl der so genannten Nachrichtenwüsten zurückzuführen. Aber der Zusammenhang zwischen Lokaljournalismus und Demokratie ist durchaus belegt.

Wo es unabhängigen Journalismus gibt, gehen mehr Menschen zur Wahl und kandidieren für politische Ämter. Gemeindefinanzen werden besser gemanagt, wenn den Entscheidungsträgern jemand auf die Finger schaut. Und natürlich dient der Journalismus den Bürgern nicht nur als Informationsquelle; er initiiert und vermittelt auch gesellschaftliche Debatten.[1]

Digitalisierungs-Skeptiker suchen die Gründe dafür, warum Medien im Digitalzeitalter unter Druck geraten sind, häufig allein bei den schier übermächtigen Plattformkonzernen wie Google, Meta, TikTok und OpenAI. Sie hätten den Medienhäusern den direkten Zugang zu ihren Kunden und damit auch Einnahmen streitig gemacht. Das ist nicht falsch, aber zusätzlich wirken subtilere Mechanismen. Die Plattform-Konzerne haben den Menschen vorgemacht, wie Nutzerfreundlichkeit aussieht und prägen damit deren Ansprüche an Geschwindigkeit, Bequemlichkeit, Personalisierung und Design – Netflix, Amazon, Apple und Spotify lassen grüßen. Gerade junge Menschen erwarten heute, dass Nachrichten über die von ihnen genutzten Plattformen zu ihnen finden, sie suchen kaum noch bewusst danach. Auch umfangreichere Angebote wie Podcasts und Dokus möchten sie überall und jederzeit konsumieren können. Und da Informationen im Überfluss vorhanden sind, ist Journalismus für viele von einem „must have“ zu einem „nice to have“ Produkt geworden. Zudem ist die nächste Ablenkung immer nur einen Klick entfernt. Medienhäuser müssen sich also deutlich mehr Mühe geben als früher, um ihre Produkte attraktiv zu machen.   

Das hat auch positive Seiten. Noch nie waren Neugründungen im Journalismus so einfach wie heute. Man braucht weder eine Druckerei noch eine Sendelizenz, um Inhalte unter die Leute zu bringen. Und etlicher der neu entstandenen Startups – vom Newsletter und Podcast bis hin zur kanalübergreifenden journalistischen Marke – bedienen gezielt Gruppen und Bedürfnisse, die von den traditionellen Medien vernachlässigt wurden und werden. Außerdem sind die Formate vielfältiger geworden. Journalismus gibt es heute nicht mehr nur als Text, Hörstück oder Film, sondern auch als interaktive Daten-Analyse, YouTube Video, Instagram Reel oder TikTok. Damit lassen sich auch Zielgruppen erreichen, die nie eine Tageszeitung in die Hand genommen hätten.

Für die Geschäftsmodelle des Journalismus ist dies aber eine Herausforderung. Das gilt gerade für den Lokaljournalismus, den man nicht skalieren kann. Während viele Print-Verantwortliche aus Angst um die schönen Gewinne aus dem Anzeigen- und Abo-Geschäft den Wandel blockierten, setzte der Online-Journalismus in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf Reichweite statt auf stabile Beziehungen zu loyalen Nutzern. Dafür eignen sich vor allem Inhalte, die auch überregional „funktionieren“. Diese Strategie orientierte sich an den zunehmend einflussreichen Plattformkonzernen, die schnell wichtige Distributionswege beherrschten. Junge Journalisten wurden deshalb Experten im schnellen „Copy and Paste“ am Bildschirm und in der Optimierung von Inhalten für Suchmaschinen, statt sich „draußen“ und am Telefon in Reportage und investigativer Recherche zu üben. Das rächt sich. Die Kontakte in die Gemeinden hinein rissen ab, die Institutionen dort behalfen sich und kommunizierten fortan direkt mit ihrem Publikum, wie eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung dokumentiert.

Währenddessen brach das Print-Geschäft ein, während das Online-Anzeigengeschäft nicht lieferte, was sich viele Medienmanager in den frühen Tagen davon versprochen hatten. Nun wurde zurückgerudert. Heute gelten loyale, stabile Beziehungen zu Nutzern – ausgedrückt in Abos oder Mitgliedschafts-Modellen – zu den verlässlichsten Einnahmequellen von Medienmarken. Aber kaum jemand erwartet, damit die goldenen Jahre der Print-Ära replizieren zu können.

Gleichzeitig passte sich auch die politische Landschaft den neuen Kommunikationswegen an. Politiker übten sich in der verkürzten Botschaft und der direkten Kommunikation mit den Bürgern, Journalisten wiederum griffen die knackigsten Botschaften nur zu gerne auf. Vor allem Amtsträger mit ausgeprägtem Machtinstinkt und verhaltenem Interesse an der demokratischen Auseinandersetzung begannen, Medien zu umgehen, zu diskreditieren, und Propaganda zu verbreiten – der weitaus größte Anteil der so genannten Des- und Misinformation wird willentlich von Politikern verbreitet, nicht von Trollfarmen und Bots.  

Während das Vertrauen der Bürger in die traditionellen Medienmarken nicht so stark gesunken ist, wie dies oft dargestellt wird, verändert sich dennoch deren Konsumverhalten. Die schiere Masse an Nachrichten gekoppelt mit einer von vielen angstvoll beobachteten Weltlage und dem oft aggressive Ton der Auseinandersetzung treibt Menschen weg vom Journalismus. Der Anteil derjenigen, die bewusst Nachrichten vermeiden, ist laut dem Digital News Report des Reuters Institutes in den zurückliegenden Jahren stetig auf im weltweiten Durchschnitt 39 Prozent gestiegen. In Deutschland gab 2024 nur noch etwa jeder Zweite an, sich für Nachrichten zu interessieren, ein Rückgang um 19 Prozentpunkten innerhalb von zehn Jahren.

Die gute Nachricht für den Lokaljournalismus ist: Nicht nur genießt er mit das höchste Vertrauen beim Publikum. In Deutschland schneiden zum Beispiel nur noch die „Tagesschau“ und „Heute“ besser ab als die Regional- oder Lokalzeitung, das Muster ist auch anderen Ländern erkennbar. Über alle Altersgruppen hinweg toppen Nachrichten aus der jeweiligen Region auch die Liste, wenn Nutzer gefragt werden, für welche Themen sie sich am meisten interessieren. Dies gilt selbst für die jungen Zielgruppen, um die sich alle Medien so bemühen.

Aber dass sich dieses potenzielle Interesse in tatsächlichen Nachrichtenkonsum und Umsätze umwandeln lässt, ist kein Selbstläufer. Medienhäuser müssen sich um ihr jeweiliges Publikum bemühen. Das fällt vor allem denjenigen schwer, die in der alten journalistischen Welt aufgewachsen sind, wo man sich vor allem als Welterklärer verstand. Jetzt gilt es jedoch, vom routinierten Besserwisser zum neugierigen Forschenden zu werden. Redaktionen müssen erkunden, welche Themen und Produkte ihre Nutzer wirklich brauchen, um die Herausforderungen des täglichen Lebens zu meistern. Dazu müssen sie mit ihnen (wieder) ins Gespräch kommen. Idealerweise experimentieren sie damit, welche Nutzergruppen sie zusätzlich für sich gewinnen könnten und letztlich, wofür welche Kunden zahlen.

Künstliche Intelligenz kann beim Erschließen des Publikums helfen. Medienmacher hoffen, dieses zum Beispiel über personalisierte und womöglich hyperlokale Angebote zu erreichen. Sie verweisen auf die immer besseren Möglichkeiten, auf Knopfdruck das Format zu wechseln – vom Text zum Hörstück, Video, Comic oder Chat. KI wird den Zugang zu Daten und damit die Recherche-Tiefe verbessern und die journalistische Produktion effizienter machen.

Demgegenüber stehen die Risiken, und da in erster Linie eine wirtschaftliche Gefahr: KI könnte den Journalismus unsichtbar machen. Stieß man bei einer traditionellen Google-Suche noch auf Links, die einen idealerweise zu Angeboten von Medienmarken führten, fördert die KI-gestützte Suche nur noch Fließtext zutage. Menschen kommen nicht mehr mit den Quellen der Information in Kontakt und verlernen, was Journalismus ist. Dies, verbunden mit einer Flut an automatisch generierten Inhalten, wird von vielen in der Branche als bedrohlicher empfunden als die Möglichkeiten, mit Hilfe von KI Desinformation zu produzieren. Abgesehen davon kann Künstliche Intelligenz Stereotype skalieren, hat einen besorgniserregenden ökologischen Fußabdruck und führt zu Auseinandersetzungen um Copyright und Persönlichkeitsverletzungen, wenn geklonte Stimmen oder Avatare Menschen ersetzen.

Noch ist nicht gesagt, wie die Nutzer auf Inhalte reagieren, deren Produktion mit KI unterstützt wurde oder die gänzlich auf KI-Anwendungen basieren. In Umfragen zeigen sie sich je nach Nachrichten-Sujet mehr oder weniger skeptisch – so lange keine gravierenden Patzer passieren, wie kürzlich bei einem Radiosender aus Krakau; dessen Macher hatten das Experiment stolz als reine KI-Produktion ohne menschliche Kontrolle konzipiert. Zum Entsetzen einiger Hörer hatte dort eine Avatar-Moderatorin ein fiktives Interview über aktuelle Themen mit der Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska geführt – nur war diese bereits 2012 verstorben. Sicher ist, dass sich zwei Spielarten des Journalismus nicht von KI werden ersetzen lassen: die investigative Recherche, denn Sprachmodelle recherchieren nicht, und lokaler Journalismus, den dieser skaliert nicht. Beide können jedoch erheblich von KI profitieren, wenn sie richtig und verantwortungsbewusst eingesetzt wird. 

Wie nun lässt sich der Journalismus fördern und weiterentwickeln in dieser Welt der Umbrüche, von denen viele analog und gar nicht digital sind? Zunächst einmal gilt es, die Pressefreiheit zu stärken. Journalismus ist ein unverzichtbares Gut; er stützt und belebt freie Gesellschaften und die Demokratie. Allen voran sind da Regierungen, Entscheidungsträger und andere „Influencer“ gefragt. Sie müssen gewährleisten, dass Widerspruch und Debatten möglich sind. Zudem braucht der Journalismus eine wirtschaftliche Basis. Neben privaten und öffentlichen Geldgebern, Stiftungen und finanzkräftigen Individuen kann hier jeder einzelne beitragen: jedes Abo, jede Mitgliedschaft bei einer Medienmarke zählt. Verlage sollten die Größe haben, öffentlich-rechtliche Angebote zu stützen, statt sie zu bekämpfen. Denn die Öffentlich-Rechtlichen bringen auch jene Menschen mit Journalismus in Berührung, die niemals für ein Abo zahlen würden. Nicht zuletzt müssen aber die Medienhäuser selbst an der Qualität ihres Journalismus arbeiten, ihn auf ihr jeweiliges Publikum ausrichten und damit in die digitale Zeit führen.

Starker Journalismus ist Journalismus, der seine Zielgruppen kennt und bedient, relevante Plattformen bespielen kann, KI bewusst und strategisch einsetzt, Vielfalt fördert und abgleicht, seine Wächterfunktion ausbaut, sich mit seiner Wirkung beschäftigt und den Ansprüchen, die er an andere stellt, selbst gerecht wird. Tut er dies nicht, bekommt er schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem. Journalismus muss nahe an den Menschen sein, vor allem der lokale.

Der amerikanische Medien-Berater Douglas K. Smith, der Hunderte Medienmanager und Verlags-Teams in den USA und Europa dabei betreut hat, ihre Häuser in die digitale Zukunft zu führen, hat das in einem Interview so formuliert: “Die Gesellschaft hat sich verändert von einer Welt der Freunde, Familien und Orte zu einer Welt der Märkte,

Netzwerke und Organisationen. Diese Veränderung hat im Lokalen ein Vakuum zurückgelassen. (…) Lokaljournalismus hat die Chance, Gemeinschaft zu stiften und damit Orten wieder einen Sinn zu geben.” Das ist eine große Aufgabe aber eine, mit der jede Redaktion gleich morgen beginnen kann.

Dieser Text erschien bei epd Medien am 26. November 2024. Er basiert auf einem Vortrag, den ich bei den Augsburger Mediengesprächen am 11. November 2024 gehalten habe.   

„Deal or deal with it“ – Was im Rennen um Verträge mit KI-Anbietern wichtig ist

Die Anbieter so genannter Large-Language-Modelle bilden neue KI-Oligopole, die Publisher in ein neues und zugleich längst bekanntes Dilemma stürzen. Über eine neue Bedrohung der Medienvielfalt und drei Aspekte, was Publisher dagegen unternehmen können.

Wer sein Berufsleben bei angesehenen Medienmarken verbracht hat, dem geht der Begriff Qualitätsjournalismus meist locker von den Lippen. Man macht sich eher selten bewusst, dass andere das Wort als Instrument der Zensur betrachten könnten. Viele derjenigen, die dem Journalistenberuf in eher repressiven politischen Umgebungen nachgehen, haben aber genau das schon erlebt: Ihnen wurden der Zugang verwehrt oder Informationen vorenthalten, weil Regierungen das Prädikat „Qualitätspresse“ auf diejenigen beschränkten, von denen sie sich geringen Gegenwind versprachen. Vor ein paar Jahren wäre der Experten-Ausschuss Qualitätsjournalismus im Europarat deshalb fast bei der Diskussion des Titels steckengeblieben. 

Deals mit OpenAI: Im Vordergrund geht es um Verlässlichkeit, im Hintergrund um Einnahmen

An diese Auseinandersetzung erinnert man sich, wenn nun ein Medienunternehmen nach dem anderen „Deals“ mit OpenAI, Microsoft oder anderen KI-Großanbietern abschließt. Auch hier geht es nämlich um „Qualitätsmedien“, nur haben die Definitionsmacht in diesem Fall kapitalstarke Unternehmen der Tech-Branche. Associated Press, Axel Springer (Politico, Insider, Bild, Welt), Financial Times, Le Monde, La Prisa, Newscorp (Wall Street Journal, New York Post) – alle haben bereits verschiedenste Vereinbarungen mit den Tech-Oligopolisten abgeschlossen. Vordergründig geben sie an, ihren Journalismus zur Verfügung zu stellen, um auf diese Weise die Verlässlichkeit der Sprachmodelle (Large Language Models, abgekürzt LLM) zu sichern. Im Hintergrund kämpfen sie um Einnahmen, um die künftige Sichtbarkeit ihrer Medien-Marken in KI-basierten Suchmaschinen – und damit ums Überleben ihrer Geschäftsmodelle. 

Andere wie die New York Times und sechs Regionalzeitungsmarken des US-Investors Alden Global Capital haben Open AI verklagt. Auch wenn sie argumentieren, es gehe ihnen um das Wohlergehen der amerikanischen Gesellschaft, wollen sie damit wohl vor allem den Preis nach oben treiben und sich Schadenersatzklagen vom Leib halten. Die stehen zu befürchten, sollten KI-Tools Medieninhalte mit unseriösen Quellen vermixen und daraufhin unter renommierten Marken Fehler verbreiten. Hier ist die Strategie umgekehrt: Qualität wird vorenthalten und als Druckmittel benutzt. 

Das alles ist legitim, aber wo bleibt der große und vielfältige Rest? Für wenige Auserwählte hieße die Entscheidung, „Deal or no deal“, schreibt Pete Brown in einer neuen Analyse in der Columbia Journalism Review, in der er die wenigen bekannten Daten zu den Geschäftsabschlüssen und ihre Bedeutung analysiert. Für diejenigen, die nicht an den Tisch geladen werden, heiße es eher: „deal with it“. Nach welchen Kriterien die Tech-Anbieter ihre Verhandlungspartner auswählen, welche Optionen jeweils im Gespräch sind, und um welche Volumina es geht, kann man nur erraten. Neben Marktanalysen dürfte Lobbying eine Rolle spielen und eben das, was Marken an „Qualität“ zu bieten haben. Die Monopolisten entscheiden nach Gutsherrenart. 

Jeder kämpft für sich – und stürzt alle in Abhängigkeiten

An für die sie weniger interessante Journalismus-Produzenten oder ihnen nahestehende Institutionen händigen sie als Trostpreis Förderprogramme aus, wie Medienhäuser dies schon von der Google News Initiative und dem Facebook Journalism Projekt kennen. Aber ein systematisches Herangehen ist weder von Seiten der Tech-Anbieter noch der Medienbranche erkennbar. Dort kämpft – bis auf Ausnahmen – fast jeder für sich allein. Damit verstricken sich die Medienhäuser immer weiter in das Netz von Abhängigkeiten, das Big Tech seit Beginn der Plattform-Ökonomie gesponnen hat. Nicht wenigen dürfte dabei die Luft ausgehen.

Die Bedrohung wirkt dieses Mal noch erdrückender als in den vorherigen Wellen der Digitalisierung, wo sich Medienhäuser immerhin Reichweite erhofften, weil ihre Marken in Suchergebnissen oder den sozialen Netzwerken auftauchten. Ob sich Nutzer mittelfristig noch über die beiden großen Loyalitätstreiber Apps und Webseiten binden lassen, wenn sich Wissens- und Informationshunger bequem durch Dialogformate stillen lassen, ist fraglich. Die Telekom hatte auf dem Mobile World Congress 2024 als erster Anbieter weltweit die Studie eines Smartphones ohne Apps präsentiert, bei dem ein KI-Assistent die Such-Arbeit übernimmt (sprachlich lässt man es gerne menscheln). 

Einige Experten vermuten allerdings, dass die Branche jetzt mehr Verhandlungsmacht hat. Das liegt daran, dass KI-getriebene Sprachmodelle viele Fehler machen, wenn sie nicht ständig mit frischen Fakten gefüttert werden – was in der Natur der Sache steckt. Schließlich kalkulieren sie nur Wahrscheinlichkeiten und brauchen Informationen zum Abgleich dessen, was richtig und falsch ist. In der Fachsprache heißt das retrieval-augmented generation (RAG). Mike Cook vom King’s College in London vergleicht diesen Prozess in einer Analyse für The Conversation mit einem Examen bei geöffnetem Lehrbuch. Auf einen Prompt hin kalkuliert das Modell die wahrscheinliche Antwort und gleicht sie mit Faktenwissen von verlässlichen Quellen ab. Verlässliche Informationen werden umso wichtiger, je mehr KI-generierte Inhalte das Internet zumüllen. Anbieter wie OpenAI fürchten deshalb juristische Auseinandersetzungen und Regulierung. Man kann sich allerdings vorstellen, dass die Anzahl der für diesen Abgleich nötigen „Lehrbücher“ begrenzt ist.

Drei Aspekte, die nun für Publisher wichtig werden

Für die Branche sind aus all diesen Gründen drei Dinge besonders wichtig. 

Erstens: Medienunternehmen müssen noch mehr als bislang alles daransetzen, direkte Beziehungen zu ihren Nutzern aufzubauen. Dies gilt besonders für Marken mit geringerer Reichweite, die eine geographische oder thematische Nische bedienen. Die Digitalisierung hat die Gründung neuer, rein digitaler Medienunternehmen ermöglicht und damit die Medienvielfalt gestärkt. Im Zeitalter der LLM werden es aber jene schwer haben, die auf rein transaktionale Beziehungen setzen. Nutzer werden nicht mehr für Inhalte bezahlen, die ihnen jeder Prompt liefern kann, sondern nur noch Geld ausgeben, wenn sie eine hohe emotionale Affinität zum Produkt, zum Team oder zur Marke haben. Daran gilt es zu arbeiten. Unternehmen, die auf Mitgliedschaften setzen, dürften einen Vorteil haben.

Zweitens: Alle Medienunternehmen sollten an ihren Qualitätsstandards arbeiten, wie sie zum Beispiel im Zertifizierungsprozess der Journalism Trust Initiative festgeschrieben sind. Regulierer könnten Tech-Anbietern wie OpenAI und Co. auferlegen, solche – einigermaßen objektiven – Gütekriterien zu nutzen, wenn sie künftig über Partnerschaften oder „Deals“ entscheiden. Auf diese Weise käme mehr Transparenz in den Verhandlungsprozess, Qualität wäre überprüfbar und nicht mehr über Bauchgefühl oder die lautesten Lobbyisten definiert. Renommierte Marken würden sich womöglich über ein mehr an Bürokratie ärgern, aber dafür hätte man die Wettbewerbsbedingungen etwas angeglichen. 

Drittens: Medienhäuser sollten sollten sich zusammenschließen und gemeinsam mit den KI-Herstellern verhandeln. Jeff Jarvis, emeritierter Journalismus Professor an der CUNY, schlägt vor, dass sich die Branche auf eine gemeinsame Schnittstelle – ein „News API“ – einigt, was den Lizensierungsprozess für das oben beschriebene Abgleichverfahren vereinfachen könnte. Dies könnte unter Federführung der Nachrichtenagenturen und Verbändengeschehen, sagte Jarvis in einem Interview für den EBU News Report Trusted News in the Age of Generative AI, der Mitte Juni erscheint (Alexandra ist Lead-Autorin des Reports). Ansätze für ein gemeinsames Vorgehen gibt es in Skandinavien, wo Verlage zum Beispiel in Norwegen an einem gemeinsamen Sprachmodell arbeiten oder sich wie in Schweden auf Standards zum Umgang mit KI geeinigt haben. 

Dass ein einheitliches Vorgehen gelingen könnte, daran glaubt derzeit zwar niemand in der Branche. Dazu gibt es zu viele Risse zwischen kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Anbietern, zwischen digitalen Vorreitern und Hinterbänklern, zwischen Konkurrenten mit Blick auf Regionen und Fachgebiete und – nicht zu vergessen – zwischen der Medienbranche und der Tech-Industrie. Aber Veränderung gelingt bekanntlich, wenn der Druck hoch genug ist. Das könnte schon bald der Fall sein. An einer „data apocalypse“ (Mike Cook) kann niemandem gelegen sein. 

Dieser Text erschien am 30. Mai 2024 bei Medieninsider. Aktuelle Kolumnen lassen sich mit einem Abo lesen. 

(Alb-)Traumberuf Journalist – So könnten Verlage der Nachwuchskrise begegnen

Es ist eine Weile her, da galt der „Volontärsbeauftragte“ als eine Art Wächter vor dem Paradies. Die Journalistenausbildung war begehrt, und wer sich bewarb, musste dafür einiges tun – zum Beispiel zum „Probearbeiten“ antreten. Mittlerweile hat sich die Dynamik ins Gegenteil verkehrt.

Assessment Center möge er das gar nicht mehr nennen, sagte ein für die Ausbildung verantwortlicher Kollege einer deutschen Regionalmarke kürzlich auf dem Forum Lokaljournalismus. „Es ist mittlerweile so, dass wir uns bei denen bewerben.“ 

Die Branche steckt in der Talentekrise

Zunächst hatte man sich – typisch Journalistin – gewundert, im April 2024 wegen einer fünf (!) Jahre alten Studie zu der Veranstaltung der Bundeszentrale für Politische Bildung eingeladen worden zu sein. Im Workshop-Raum wurde allerdings schnell klar: Der Titel der Studie Are Journalists Today’s Coal Miners? hat keinerlei an Aktualität verloren und beschreibt die gegenwärtige Situation in den Regionalverlagen recht genau. Zusammengefasst: Immer weniger junge Menschen interessieren sich für Journalistenjobs, die Qualität der Bewerbungen sinkt – und etliche von denen, die dann doch anheuern, sind schnell wieder weg. Die Branche steckt mitten in der Talente-Krise.

Dabei habe man die Anforderungen doch schon gesenkt, lamentierten einige Diskutanten. Früher habe man Anschreiben mit Rechtschreibfehlern sofort weggelegt oder müde abgewunken, wollte jemand das Abenteuer Journalistenberuf ohne Führerschein wagen. Heute versuche man, jegliche Homeoffice-Wünsche mit den Anforderungen des aktuellen Geschäfts zu verbinden. Aber wo nicht Berlin, Hamburg, Leipzig, oder Köln in der Nähe seien, winkten heute die meisten jungen Leute ab. 

Die Gründe für das mangelnde Interesse am einstigen Traumberuf sind vielfältig. Einstiegsgehälter nach dem Volontariat „knapp unter Busfahrer in München“ (so ein Teilnehmer), hohe Arbeitsbelastung, die schwierige Situation der Branche und zunehmende Anfeindungen gehören dazu. Der wichtigste dürfte aber das sein, was ein Chefredaktionsmitglied so beschrieb: „Die jungen Leute haben keinen Produktkontakt mehr“.

Wer sich vorwiegend auf Instagram und TikTok über das Weltgeschehen auf dem Laufenden hält, dem fehlen nicht nur die Vorbilder, die mit dem Weißen Haus im Hintergrund die Lage erklären, in Schutzweste vor Trümmern in Charkiw stehen oder als sonor plaudernde Radiomoderatorin den morgendlichen Erstkontakt zur Außenwelt herstellen. Der potenzielle Nachwuchs fragt sich auch, warum er für etwas, das heute jeder selbst produzieren kann, eine Ausbildung und eine Marke als Ausspielkanal baucht, die jeder mit seinen Großeltern assoziiert. Wer dann noch auf Führungskulturen aus dem vergangenen Jahrhundert trifft, schaltet ab.

All dies wurde in der oben genannten, 2019 vom Reuters Institute in Oxford und der Universität Mainz herausgegebenen und von der Deutsche Telekom Stiftung finanzierten Studie thematisiert. Dort ging es auch um mangelnde Vielfalt in Redaktionen Deutschlands, Schwedens und Großbritanniens, was damals vielen als das drängende Thema erschien. Beim Stichwort Talentekrise hatten noch viele abgewunken. Ein Grund ist, dass die Debatte über Journalismus und Medien vorwiegend von den großen Marken dominiert wird, bei denen sich der Bewerbermangel in Grenzen hielt. Aber nun, da viele Baby-Boomer in Rente gehen, wissen Regionalverlage kaum noch, wo der Nachwuchs herkommen soll. Und viele derjenigen, die dann doch einsteigen, wollen arbeiten wie die Alten, statt dem Verlagshaus den Weg in die Zukunft zu zeigen. Sie wollen lange Geschichten recherchieren und schreiben, statt TikToks zu produzieren (oder der „human in the loop“ bei der KI-assistierten Produktion zu sein).

Viele in der Branche scheinen verzweifelt, doch die Lage ist nicht aussichtslos. Es gibt Mittel und Wege, die Attraktivität des Journalistenberufs und der Branche zu steigern.

Lösung eins: Diversität

Man kann gleich zwei Probleme lösen, in dem man sie miteinander kombiniert. Viele Häuser ringen ohnehin um mehr Vielfalt in den Redaktionen, um die Gesellschaft abzubilden und hoffentlich neue Zielgruppen zu erreichen. Das heißt: Theoretisch könnten sie aus einem deutlich größeren Kandidaten-Pool schöpfen als früher, wo überwiegend die sehr gute Deutschnote Voraussetzung für eine Journalistenkarriere war. Zweitens haben etliche Verlage das erkannt und tun eine ganze Menge, um sich attraktiver für junge Kollegen zu machen. Leider ist dies anstrengend. 

Mit dem Öffnen der Tore für junge Menschen, deren Herkunft, Bildung, Hautfarbe, Muttersprache oder Religionszugehörigkeit nicht der Mehrheit entsprechen, ist es nämlich nicht getan. Man muss zunächst aktiv um sie werben und sie dann auch entsprechend ermutigen, begleiten, zum Teil extra ausbilden. Gerade Kinder aus Einwandererfamilien werden oft von ihren Familien vom Weg in den Journalismus abgehalten. Großeltern oder Eltern hätten viel dafür riskiert und geopfert, heißt es dort, um den Kindern den Aufstieg zu ermöglichen. Im Gegensatz zur Medizin, zur Juristerei oder dem Ingenieurwesen gilt der Journalismus nicht als Aufstiegsberuf – zumal Pressefreiheit in einigen Herkunftsländern nicht vorgelebt werden konnte.

Lösung zwei: Anpassungsdruck abbauen 

Die nächste Hürde ist die Redaktionskultur. Wer zu einer Minderheit gehört und trotzdem brilliert, tut das oft unter erheblichem Anpassungsdruck. Diese Kandidaten haben ein exzellentes Gespür für die Mehrheitsnormen und werden sich diesen eher anpassen, als dagegenzuhalten. Das heißt dann für die Redaktionen, dass sie zwar optisch besser aussehen, aber inhaltlich nicht von der Vielfalt profitieren. Eine wertschätzende Kultur, in der man abweichende Stimmen ermutigt, ihnen zuhört und ihre Ideen auch mal umsetzt, ist die Grundvoraussetzung für ein inklusives Klima. 

Es geht darum, die Stärken der jungen Kollegen zu erkennen, zu nutzen und darin zu investieren, nicht darum, sie in das alte Schema zu pressen. Wer das hinbekommt, entwickelt nicht nur loyale Mitarbeiter, sondern hilft auch dem Produkt und damit letztlich dem Publikum. Beim Birminghamer Ableger der größten britischen Regionalzeitungsgruppe Reach war es zum Beispiel eine muslimische Volontärin, die den preisgekrönten Newsletter  Brummie Muslims entwickelt und zu einer Erfolgsgeschichte gemacht hatte. 

Lösung drei: Weg von den Muster-Ausbildungen

Verlage haben einige interessante, zum Teil sogar erfolgreiche Versuche in der Mache, um den Trend zu drehen. Die einen setzen Karriereseiten auf, die barrierefrei konzipiert sind, also Bewerber nicht mit übermäßigen Anforderungen abschrecken. Die anderen haben Quereinsteiger eingestellt: die ehemalige Versicherungskauffrau, die jetzt Service-Stücke schreibt, die ehemalige Kindergärtnerin, die es versteht, mit verschiedensten Menschen ins Gespräch zu kommen; den Instagramer mit den vielen Followern, der die Marke bei jungen Leuten bekannt macht – wenngleich er niemals als Blattmacher im Sonntagsdienst einsetzbar sein wird. Die WAZ brüstet sich damit, Deutschlands erstes Klimavolontariat anzubieten. Und dann gibt es tatsächlich solche Arbeitgeber, die mehr zahlen – ein Deutschland-Ticket gibt es obendrauf. Die Ausbildungsbeauftragte der Freien Presse Chemnitz, Jana Klameth, brachte es beim Forum Lokaljournalismus auf den Punkt: „Wir brauchen viele zugeschnittene Volontariate. Eines für alle, das geht nicht mehr.“

Diese Herausforderung bleibt

Mit etwas Mühe, der richtigen Verkaufe und ein paar Anreizen dürfte das Werben eigentlich gelingen. Ist „Purpose“ nicht angeblich eines der wichtigsten Themen für die jüngeren Generationen? Einige Verlage beobachten das; allerdings zieht dieses Argument wohl vor allem bei Frauen. Der Nachwuchs sei überwiegend weiblich, heißt es. Und das hat man ja schon in anderen Berufen beobachtet, in denen Status und Gehälter in gleichem Maße sanken wie die Arbeitsanforderungen stiegen.

Was aber noch überzeugender sein sollte als das Sinnstiftende am Beruf ist die Aussicht auf eine Top-Qualifikation. Journalisten müssen heute so viel mehr können als früher: Es geht nicht nur ums Geschichtenerzählen, sondern um Produktentwicklung, Datenanalyse, den Umgang mit KI, das Verständnis von Geschäftsmodellen und Distributionskanälen – alles Fähigkeiten, die Bewerber auch in anderen Branchen hoch attraktiv machen. Und hiermit tut sich für die Medienhäuser das nächste Problem auf.

Dieser Text erschien bei Medieninsider am 30. April 2024. Aktuelle Kolumnen lassen sich mit einem Abo lesen.