Wer viel unterwegs ist, hat sich längst daran gewöhnt, dass Preise nicht nur von der Qualität des Produkts abhängen: Airlines verkaufen ihre Tickets je nach Nachfrage, bei Booking.com zahlen Smartphone-Nutzer und loyale Kunden günstigere Raten für Hotelzimmer, an der Tankstelle steht manchmal ein anderer Liter-Preis an der Zapfsäule als der, den man noch vor ein paar Minuten an der Einfahrt gesehen hatte. Und womöglich wird zukünftig auch die Kneipe zu einer Art Bier-Börse: „The rise of surge pricing: It will eventually be everywhere“, betitelte die Financial Times kürzlich eine größere Recherche, nachdem eine britische Pub-Kette angekündigt hatte, zu Stoßzeiten mehr fürs Bier zu verlangen.
In der Medienbranche halten sich die flexiblen Preismodelle noch in Grenzen, aber es gibt sie: Die New York Times verlangt für das Abo in Europa deutlich weniger als auf dem Heimatmarkt. Andere Marken wie der zur schwedischen Bonnier-Gruppe gehörende Dagens Nyheter arbeiten mit dynamischen Bezahlschranken, die hochgezogen werden, sobald ein Text häufig und ausführlich gelesen und geteilt wird, die Nutzer ihn also als besonders attraktiv bewerten. Außerdem scheinen Abos zuweilen Verhandlungssache zu sein. Nic Newman und Craig Robertson vom Reuters Institute in Oxford bezeichnen es als eines der erstaunlichsten Erkenntnisse einer auf Deutschland, die USA und Großbritannien fokussierten Studie, welche Bandbreite an Abo-Preisen verschiedene Nutzer für ein und dasselbe Produkt zu zahlen scheinen. Die Untersuchung Paying for News: Price-Conscious Consumers Look for Value amid Cost-of-Living Crisis erschien im September 2023.
Flexible Preise sind kein „No Go“ mehr
Flexible Preise galten lange als „No-Go“. Aber womöglich ist es nur fair, dass diejenigen mehr für ein Produkt zahlen, denen es mehr bedeutet. Angesichts der rasant wachsenden Möglichkeiten künstlicher Intelligenz ist es absehbar, dass sich in verschiedensten Branchen Preismodelle durchsetzen werden, die berücksichtigen, wann, wie häufig, wie intensiv und von welchem Endgerät aus ein Nutzer auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen zugreift. Verlage sind also gut beraten, schon jetzt mit Kreativität an die Sache zu gehen. Denn zwischen Paywall, Mitgliedschaften und dem unbegrenzt kostenlosen Zugriff gibt es noch eine Reihe von flexiblen Möglichkeiten. Wichtig ist allerdings, dass man sich über seine Strategie und Zielgruppen im Klaren ist – und die darf man getrost differenzieren.
Die New York Times zum Beispiel wird für die wenigsten Menschen in Übersee beim Abo-Abschluss erste Wahl sein, anders als in ihrem Kernverbreitungsgebiet rund um New York City. Es ist nur logisch, dass der Verlag nicht allen Kunden den gleichen Preis anbietet. Der Guardian verzichtet ganz auf Bezahl-Zwang, weil sich die Geschäftsführung darauf verlassen kann, dass ein beträchtlicher Teil des politisch eher links engagierten Publikums aus moralischer Verpflichtung freiwillig für den Journalismus zahlt und ihn auch anderen zugänglich machen möchte. Fast nirgendwo anders funktioniert dieses Modell so gut wie dort.
Eine vielversprechende Mischform ist der Text zum Verschenken. Schon jetzt erlauben viele Medienmarken ihren Abonnenten, Beiträge mit einer begrenzten Anzahl von Nutzern zu teilen. Für das dänische Journalismus-Portal Zetland ist das ein Erfolgsprinzip: Abonnenten dürfen Geschichten unbegrenzt oft verschenken. „Journalismus funktioniert als Gespräch“, sagt Zetland-CEO Tav Klitgaard. Das 2016 gegründete, strikt auf konstruktiven Journalismus fokussierte Medienunternehmen generiert auf diese Weise Leser-Einnahmen und Reichweite gleichermaßen, und es scheint sich auszuzahlen. Seit 2019 ist Zetland profitabel und hat mittlerweile 40.000 zahlende Kunden, die pro Monat im Schnitt 17 Euro hinlegen. Ein Drittel davon ist jünger als 33 Jahre. Die Gründer führen dies natürlich nicht nur auf das Geschenk-Konzept zurück, sondern auf die journalistische Qualität und ein stark auf Audio ausgelegtes Angebot.
Auch das kulturelle Umfeld ist für die Preisgestaltung relevant
Wer an Preis- und Geschäftsmodellen arbeitet, sollte sich aber nicht nur mit seinen Produkten und Nutzern, sondern auch mit dem kulturellen Umfeld beschäftigen. US-Amerikaner zum Beispiel sind das Spenden gewöhnt, sie tun es in den vielfältigsten Zusammenhängen gerne und reichhaltig. In Deutschland, wo man Wohltätigkeit vor allem vom Staat erwartet, weil man ohnehin kräftig Steuern zahlt, ist die Spender-Kultur weniger ausgeprägt. Preise und Leistung werden genauer abgeglichen. Wer hier auf Mitgliedsmodelle setzt, muss mindestens eine gute Story bieten.
Für alle Kulturräume gilt: Verlage, die allzu starr an ihren Bezahlmodellen festhalten, machen es sich unnötig schwer. Viele Medienhäuser erleben, dass eine harte Paywall das Wachstum irgendwann versiegen lässt, weil ein Grund-Potenzial ausgeschöpft ist. Die NOZ-Gruppe experimentiert deshalb neuerdings mit flexibleren Modellen, um unterschiedliche Nutzerbedürfnisse besser abzuschöpfen – die Bezahlschranken variieren je nach Themenfeld und Angebot. Als Grundregel lässt sich feststellen: Themen und Formate, die es auch anderswo gibt, sollten eher frei zugänglich sein. Bei Marken mit Alleinstellungsmerkmal können sich höhere Barrieren lohnen. Mancher Inhalt lässt sich über Anzeigeneinnahmen besser monetarisieren.
Wichtig ist auch, dass sich Abos schnell kündigen lassen. Vertriebsleuten alter Schule mag das Magenkrämpfte bereiten. Aber wer sich im Abo fühlt wie im Gefängnis, wird bei nächster Gelegenheit ausbrechen und nie wiederkommen. Es ist deutlich sinnvoller, Kunden jederzeit gehen zu lassen, ihnen aber immer wieder neue Angebote zu machen. Dabei darf man ihnen ruhig ein bisschen auf die Nerven gehen. KI wird dabei helfen, die richtigen Anreize zu setzen.
Die Forscher des Reuters Institutes haben übrigens herausgefunden, dass es kaum Unterschiede zwischen den Altersgruppen gibt, was die Zahlungsbereitschaft für Journalismus angeht. Allerdings weichen die Preisvorstellungen voneinander ab – auf eine Weise, die für die Verlage eher ungünstig ist. Während für ältere Kunden das Zeitungsabo der Referenzrahmen sei, verglichen jüngere die Angebote mit den Kosten und Nutzen von Netflix und Spotify, sagt Autor Nic Newman. Ein E-Paper-Abo ist derzeit zwar das lukrativste digitale Medienprodukt, dessen Fans dürften aber mittelfristig weniger werden.
Man kann nur jedem Verlagsverantwortlichen raten, offen an die Preisgestaltung heranzugehen. Während einige Nutzer strikt aufs Budget schauen und am liebsten penibel abrechnen möchten, mögen die anderen bereit sein, für eine Art Deutschland-Ticket für Journalismus tatsächlich 49 Euro zu zahlen. Und wenn man hier mal fantasieren darf: Vielleicht könnten sogar Öffentlich-Rechtliche und ein paar Verlage ihre Streitigkeiten beilegen und eine Flatrate für Qualitätsjournalismus entwickeln, eine Art aufgestockte Haushaltsabgabe, bei der man sich quer durch verschiedenste Angebote lesen und hören kann. Kern aller Modelle sollte es sein, gewohnheitsbildend zu wirken – auch wenn das nur mit Hilfe von Rätseln und Kochrezepten funktioniert. Im Sinne einer gut informierten, aufgeklärten Bevölkerung und Wählerschaft ist es wichtig, dass Menschen Interesse an Journalismus entwickeln und es durch verschiedenste Lebenslagen beibehalten. Dann werden sie auch immer mal wieder zahlen.
Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 28. September 2023. Aktuelle Kolumnen lassen sich mit einem Abo lesen.