Journalismus ist kein Geschäftsmodell

Eine der großen Schwierigkeiten der Medienbranche gründet darauf, dass sich Journalist:innen viel zu häufig in ihre Inhalte verlieben – und Liebe macht bekanntlich blind. Warum nur, fragen sie sich dann, erwidern die Leser, Hörerinnen oder Zuschauer diese Liebe nicht und verweigern die Zahlung für etwas, in das so viel Mühe geflossen ist? Immerhin geben selbst Menschen mit wenig Einkommen Geld für allerlei Dinge aus, die bei flüchtiger Betrachtung einen deutlich geringeren Wert versprechen als ein Digital-Abo. Während letzteres stundenlangen Lesegenuss verspricht, ist zum Beispiel der Kaffee zum Mitnehmen in fünf Minuten getrunken. 

Andere wiederum, darunter viele mit Gründungsambitionen, hängen ihr Herz so sehr an ihre Produkte, dass sie sich gar nicht erst trauen, dafür Geld zu nehmen. Sei es nicht nahezu unverschämt, der Welt etwas so Wichtiges vorzuenthalten wie Aufklärung, argumentieren sie dann? Auch Anzeigenerlöse sind ihnen oft nicht geheuer. Diese Kunden könnten schließlich – um Himmels Willen – kommerzielle Interessen verfolgen. Nach potenziellen Geldgebern gefragt, fallen solchen Entrepreneuren in spe allein Stiftungen ein. Willkommen im Spiel „Eine Branche sucht ein Geschäftsmodell“.

Verlagsleute, die den Zeiten der nahezu von selbst sprudelnden Einnahmen nachtrauern, spielen es seit Jahren einigermaßen lust- und fantasielos, während es die vom Selbstverständnis her Kreativen aus den Redaktionen immer noch als ein wenig unter ihrer Würde betrachten, Kunst und Kommerz zusammenzudenken. Ausnahmen gibt es natürlich. In der Branche arbeiten mittlerweile einige, die sich ernsthaft mit Produktentwicklung beschäftigen. Sie spüren potenziellen Bedürfnissen von Nutzern und Geldgebern nach – und haben sogar Spaß daran.

Schnell gelangen die meisten von ihnen zu der unbequemen Erkenntnis: Ein für (fast) alle gültiges Geschäftsmodell wie jenes, von dem weite Teile der Medienbranche lange profitiert haben, wird es so nicht mehr geben. Jedes journalistische Unternehmen muss sich Gedanken über seinen Platz im Medien-Universum machen und daraus ein Modell oder idealerweise eine ganze Reihe von ihnen ableiten. Bei großen Unternehmen können das schon mal zwischen fünf und zehn unterschiedliche Einnahmequellen sein, die sich an verschiedene Zielgruppen richten und unterschiedliche Zwecke erfüllen. Finanzierung durch Abos, Anzeigen, Veranstaltungen, Mitgliedschaften, Spenden, Patenschaften, Merchandise, B2B-Services, Beratungsdienste – es gibt einen Strauß an Möglichkeiten, aber nicht jede passt für jeden zu jeder Zeit.

Um herauszufinden, welche Modelle für das eigene Unternehmen in Frage kommen, hilft eine Analyse, wie sie Profigründer Sebastian Esser vorschlägt. Er hat unter anderem die Medienmarke Krautreporter und die bei kleinen und Kleinst-Redaktionen beliebte Membership-Plattform Steady entwickelt. Er nutzt eine Nähe/Nutzen-Matrix, um die Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden auszuloten. Auf der einen Achse geht es darum, wie hoch die Kunden den Nutzen von Produkten einschätzen, auf der anderen Achse wird die potenzielle emotionale Nähe zur Marke bewertet. Für Produkte oder Dienstleistungen, die sehr nützlich sind, aber wenig Verbundenheit mit dem Anbieter auslösen, bieten sich Modelle an, die auf purer Transaktion basieren. Also zum Beispiel Abo oder Einzelverkauf. Spüren die Kunden hingegen viel Nähe, aber sehen für sich einen geringen Nutzen, können Spenden oder Solidaritätsbeiträge das Richtige sein. Punktet das Produkt in keiner der beiden Kategorien, wird ein Drittanbieter für die Finanzierung nötig sein – beispielsweise der Anzeigenkunde. Ideal ist natürlich eine Kombination aus hohem Nutzen und großer Nähe – dann könnten Mitgliedschaften die beste Wahl sein.  

Gewohnheit und Verbundenheit verkaufen Abos

Journalist:innen gehen oft davon aus, dass Menschen für gute Geschichten zahlen, aber so klar ist der Zusammenhang nicht. Wer zum Beispiel ein Abo abschließt, tut dies aus unterschiedlichen Motiven, die oft mehr mit Gewohnheit, dem Gefühl von Zugehörigkeit oder guten Vorsätzen zu tun haben als mit der journalistischen Qualität einzelner Stücke. Man abonniert die Zeitung, weil man sie morgens beim Frühstück durchblättern oder durch die App scrollen möchte. Mit dem Economist-Abo fühlt man sich klüger, auch wenn man vielleicht nur eine Geschichte pro Monat zu Ende liest (so wie man sich mit der Fitnessclub-Mitgliedschaft irgendwie aktiver fühlt). Man zahlt für die Lokalzeitung, weil man ein ortsverbundener Mensch ist oder die Fachzeitschrift, weil man einer bestimmten Berufsgruppe angehört. Man möchte mitreden können, wenn sich die Freunde, Kumpels, Kollegen oder Chefs unterhalten. Einzelverkäufe von Texten funktionieren deshalb schlecht bis gar nicht – auch, weil die Konkurrenz an kostenloser Information und guten Inhalten so groß ist, dass das nächste spannende Stück meist nur ein, zwei Klicks entfernt liegt. 

Kundenbindung erreicht man also, indem man Menschen in Gewohnheiten treibt oder sich einen Platz darin erobert (siehe Frühstück). Es gilt, in seine Marke zu investieren und deren Versprechen einzulösen, also Vertrauen aufzubauen. Manchmal muss man einfach nur nerven. Nach der 50. Aufforderung, man könne das New York Times Abo für zwei Euro pro Woche haben und sofort wieder kündigen, wird dann doch noch die eine oder der andere schwach. Guter Journalismus gehört zum Kern dieses Gesamtpakets, aber ohne das Drumherum reicht er üblicherweise nicht aus. Auch Zeitungsabos werden häufiger wegen unpünktlicher Zustellung gekündigt als wegen der Schwächen im redaktionellen Angebot.  

Weshalb spenden- oder stiftungsfinanzierter Journalismus nicht immer zielführend ist 

Manchmal muss man auf der Suche nach einem Geschäftsmodell auch um die Ecke denken. Anna Bateson, CEO des britischen Guardian, erzählte zum Beispiel kürzlich, dass viele Leser:innen wegen der exzellenten Klimaberichterstattung für das Angebot zahlen – der Guardian baut auf freiwillige Zahlungen. Als Grund gäben sie allerdings nicht an, dass sie die entsprechenden Texte selbst lesen. Nein, sie möchten, dass sich andere Menschen kostenfrei über die Klimakatastrophe informieren können. Es verschafft Menschen offensichtlich ein gutes Gefühl, anderen etwas – aus ihrer Sicht – Gutes zu tun. 

Solche Großzügigkeit kann durchaus rationale Gründe haben. Wenn Firmen zum Beispiel in Kinderbetreuung investieren, tun sie das nicht nur aus Familienfreundlichkeit, sondern weil sie damit Mitarbeitende binden und deren Verfügbarkeit erhöhen möchten. Wer ein journalistisches Produkt entwickelt, das Menschen konkret bei der Bewältigung ihres Alltags hilft oder sie weiterbildet, findet womöglich Resonanz bei Unternehmen, die ihren Angestellten diesen Service bieten möchten. Wirtschaftsmedien profitierten lange davon, dass Unternehmen Zeitungen für ihre Mitarbeitenden abonnierten – auch wenn die dann in Stapeln ungelesen im Foyer herumlagen. 

Wer Geldgeber von dritter Seite sucht, muss deshalb nicht nur nach Stiftungen schauen. Die können interessant sein, wenn sich ein Medium einem bestimmten Thema verschrieben hat. Man sollte sich aber nicht täuschen: Stiftungen haben einen bestimmten Zweck. Gründer:innen müssen deshalb regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, was sie tun. Wer mehr journalistische Freiheit braucht, tut sich mit anzeigenfinanzierten Modellen womöglich leichter. 

Ritu Kapur, CEO der indischen Medienmarke The Quint, beklagt dies zum Beispiel beim Thema Klimajournalismus. Internationale Geldgeber böten viel Geld für das Aufdecken von Klima-Desinformation, erzählte sie in einem Interview für den Report Climate Journalism that Works (Disclaimer: Ich bin Lead-Autorin). Aber in Indien gäbe es nicht viel Klima-Desinformation, weil das Thema noch nicht einmal die politische Debatte erreicht habe. Es sei schwer, Investoren für Klimajournalismus zu finden, der zunächst vor allem informiere.

Bei allen potenziellen Modellen gilt: Ohne ausprobieren geht nichts. Zahlungsbereitschaft kann und sollte man austesten – und entsprechende Angebote immer wieder weiterentwickeln. Dass Kund:innen oft strapazierfähiger sind als man denkt, zeigen Modelle dynamischer Bezahlschranken oder Preise. Wie gut das funktioniert, wenn der Nutzen groß ist, machen die Airline- und Touristik-Branchen seit langem vor. Das bedeutet aber auch: Die Suche nach dem Geschäftsmodell fängt mit den Bedürfnissen potenzieller Kunden an. Die Lust auf starken Journalismus kann eines davon sein. Es ist aber höchstwahrscheinlich nicht das einzige.   

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 4. April 2023. Aktuelle Kolumnen kannst du mit einem Abo lesen.