Über so ein Geschenk kann sich nicht jede Branche freuen. 220 Millionen Euro hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr locker gemacht, um deutschen Medienunternehmen zu helfen, angeblich bei der „digitalen Transformation“. In Fach- und Verlagskreisen streitet man sich seitdem trefflich darüber, was mit dem Geld passieren soll. Lobbyisten-Werk, schimpfen die einen, das Ganze werde versickern wie Kohle-Subventionen, nichts als lebensverlängernde Maßnahmen für besonders bräsige Verlagshäuser. Innovative Gründer und andere, die sich für den Journalismus einsetzen, gingen dagegen leer aus. Experten wie der Medienwissenschaftler Christopher Buschow aus Weimar denken so oder ähnlich, zusammen mit Christian-Mathias Wellbrock hat er ein viel beachtetes Gutachten zur Innovationsförderung im deutschen Journalismus für die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen veröffentlicht und ist seitdem auf allen Kanälen zum Thema präsent. Die anderen sind natürlich die Verlage selbst. Nach deutlich zweistelligen Einbrüchen im Anzeigengeschäft ringen viele um ihre Existenz. Sie argumentieren staatstragend mit ihrer Rolle als Säule der Demokratie, damit untertreiben sie nicht. Kassenwart ist das Bundeswirtschaftsministerium, demnächst soll es ein Konzept geben.
Die Erwartungen daran sind niedrig, denn bislang regiert das Prinzip Gießkanne, und schon die Grundfrage ist ungeklärt: Wie fördert man das eigentlich, die „digitale Transformation“? Geht es um neue Technik, um Organisation, oder doch nur um die Abfederung von Härten in einer Verlagsbranche, die seit ungefähr 15 Jahren mit sinkenden Druckauflagen und Anzeigenerlösen kämpft und bei der Begeisterung des Publikums für digitalen Journalismus viel zu langsam in die Puschen gekommen ist? Eine Antwort wäre: Man beginnt bei den Menschen, die in der Branche arbeiten. Für die Zukunft der Medienbranche sind Investitionen in Aus- und Weiterbildung kritisch. Denn im Journalismus zeichnet sich ein gigantisches Personalproblem ab.
In der Welt draußen ist das noch wenig bekannt. Die politische Diskussion wird schließlich von den großen Medienmarken beherrscht, zu denen nach wie vor ausreichend qualifizierte Bewerber*innen drängen. Redet man mit Vertreter*innen von Regionalverlagen, sieht die Sache anders aus. „Das Geschäftsmodell Zeitungen wird nicht von der Auflage zuerst zusammenbrechen, sondern vom Personal“, sagte kürzlich ein im Digitalen recht umtriebiger Chefredakteur einer süddeutschen Lokalzeitung. Die Zahl der Bewerbungen nehme rasant ab, die Qualität der Bewerber*innen ebenso. Das gilt für Journalist*innen, die sich in der leidenden Branche wenige Perspektiven ausrechnen und jene jungen Leute, die mit dem Beruf gar nichts mehr anfangen können. Noch viel mehr gilt es aber für junge Leute mit IT-Kompetenz. Die gehen lieber gleich zu Originalen wie Facebook, Google oder Spotify, wo die Gehälter höher, die Work-Life-Balance besser und die Kultur cooler sind. In der Studie „Are Journalists Today’s Coal Miners?“ hat eine Forscher*innen-Gruppe aus Oxford und Mainz das Thema 2019 ausführlich beleuchtet (die Autorin dieser Kolumne war Teil des Teams).
Aber nicht nur mit der Rekrutierung von Berufseinsteigern haben die Verlage ein Problem. In den Redaktionen und Verlagsabteilungen gibt es eine große Unwucht zwischen dem, was die Mitarbeiter*innen können und dem, was sie können müssten. Das zieht sich hinauf bis in Chefredaktionen und Verlagsleitungen. Die Redaktionen sind gut gefüllt mit Reporter*innen und Redakteur*innen, die zwar brillant oder zumindest versiert im Recherchieren, Schreiben und Redigieren sind, sich aber mit digitalen Erzählformaten, Produktentwicklung und Kundennähe kaum auskennen, ganz zu schweigen von Veränderungsmanagement. Schlimmer, aus den Journalistenschulen kommen in großer Zahl junge Leute nach, die sich dafür ebenso wenig interessieren und am liebsten nur große Reportagen schreiben wollen.
Jetzt rächt sich außerdem, dass man in der Branche jahrzehntelang Menschen wegen ihrer journalistischen Kompetenz in Leitungspositionen befördert hat, nicht jedoch wegen ihrer Management-Qualitäten – und dass sie damit oft heillos überfordert sind. Gerade die talentierteren unter ihnen spüren das. Gerne würden sie sich entsprechend weiterbilden, aber dafür ist das Geld nicht da. Viele landen im Burnout oder verlassen die Branche für Jobs, in denen es auch mal Wachstum zu feiern, statt Krise zu verwalten gibt. Die anderen ducken sich weg und hoffen, dass das bis zur Rente oder zumindest dem nächsten Abfindungsprogramm niemandem auffällt. Energie und Kompetenzen verkümmern, weil sie niemand abholt zur Reise in die digitale journalistische Zukunft.
Hinzu kommt ein erbitterter Konkurrenzkampf in der Branche, der zwar am Kiosk seine Berechtigung hatte aber längst nach hinten losgeht, weil die wahren Wettbewerber im Silicon Valley sitzen oder dort, wo man dessen Rezepte kopiert. Die Verlage haben es versäumt voneinander zu lernen, Kompetenzen zu bündeln und Innovationen selbst zu entwickeln, von denen die Branche und damit auch der Journalismus profitieren könnte. Kooperationen entwickeln sich nur langsam, ein Beispiel ist Drive, das gemeinsame Daten-Projekt verschiedener Regionalzeitungen und der dpa.
Was könnte man alles erreichen, würde man nur einen Teil der 220 Millionen Euro in die Ausbildung junger Journalist*innen stecken, die verschiedenste Perspektiven und Fähigkeiten in die Verlage tragen könnten? Welches Potenzial ließe sich erschließen, würde man gestandene Redaktions- und Verlagskolleg*innen für die digitale Transformation fit machen? Flächendeckende Trainings in Veränderungsmanagement, Kundenorientierung und Leadership sind Investitionen, die der Branche langfristig mehr nutzen als das nächste neue Redaktionssystem. Bevor man sich für Technik entscheidet, muss man schließlich wissen, was man damit machen will. Strategien aber können nur Menschen entwickeln.
Tragisch besonders in Deutschland ist, dass man all diese Aufgaben weitgehend Google und Facebook überlässt, die großzügig Bildungsprogramme für Verlage finanzieren (Transparenz: Das Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School, in dessen Rahmen diese Kolumne entsteht, wird von Facebook unterstützt, die Autorin ist zudem in Programmen engagiert, die von der Google News Initiative gefördert werden). Damit machen sich die Medienhäuser noch abhängiger von den Plattform-Konzernen, die ohnehin schon viel zu häufig definieren, was bitte Innovation zu sein hat. Die Ironie dabei: Geißeln Kommentator*innen im Leitartikel gerne die Übermacht der Tech-Monopole, wird deren Geld intern nur zu gerne angenommen – weil es keine Alternative gibt.
Dabei wäre staatliches Geld für Journalismus in der Bildung am besten investiert. Hier bliebe die journalistische Unabhängigkeit gewahrt, gleichzeitig würde man nachhaltig in die Zukunft investieren. Als Vorbild könnte man die Diskussion in der Entwicklungshilfe nehmen, die heute aus gutem Grund Entwicklungszusammenarbeit heißt. Geld ausschütten per Gießkanne ist das Rezept von gestern. Strukturen aufbauen und Hilfe zur Selbsthilfe anstoßen, darauf kommt es an.
Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum
Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.
Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.
Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.
Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.
Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.
Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.
Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.
Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.
Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.
Das Ende des journalistischen Bauchgefühls
Warum tun sich Journalisten und ihr Publikum manchmal so schwer miteinander? Auch, weil häufig das Maß nicht stimmt. Das richtige Maß an Tempo, an News, Verständnis, Vorwissen, Vielfalt. Und Teamarbeit.
Da waren sie wieder, die zwei Seelen in meiner Brust, und sie rangen heftig miteinander. Als die amerikanische Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg im September ihren Kampf gegen den Krebs verlor, wollte sich die Leserinnen-Seele in tiefem Respekt vor der Juristin verneigen, die zur Ikone geworden war. Bis zuletzt hatte RBG, wie sie von ihren Fans fast zärtlich genannt wurde, am Supreme Court für die gleiche Behandlung von Frauen und Männern, für die Rechte der Schwachen gefochten. Im Angesicht des Todes dieser großen Persönlichkeit hätten auch die Redaktionen innehalten müssen, fand die Leserin. Wenigstens für ein paar Stunden hätten sie allein Ruth Bader Ginsburg würdigen können.
Die Journalistinnen-Seele in mir hingegen verstand den Reflex nur allzu gut, der durch praktisch alle Schlagzeilen schwappte. Weiterdrehen, heißt der im Branchen-Jargon, zeigen, was man drauf hat an analytischer Schärfe und politischem Verstand, nicht stehenbleiben beim Ereignis, sondern die Folgen ausleuchten. Bader Ginsburg wird geahnt haben, dass Präsident Donald Trump, dem sie noch 87-jährig und schwerkrank die Stirn geboten hatte, selbst die Nachrichten über ihr Lebensende dominieren würde.
Journalismus bedeutet auch Atemlosigkeit. Schneller sein als andere, besser als die Konkurrenz, weiter denken, pointierter kommentieren – manchmal wissen die Redakteurinnen, Reporter und Kommentatorinnen gar nicht mehr so genau, wen sie damit eigentlich beeindrucken wollen: wirklich das Publikum? Oder vielleicht doch eher den Ressortleiter, die Chefredakteurin, die Kollegen in einer von Krisen gezeichneten Branche? Oder gar nur sich selbst? Man hat das schließlich so gelernt. Erster sein ist wichtig, und wenn man Zweiter ist, muss man wenigstens besser sein. „Better right than first“ heißt ein gängiger Lehrsatz in vielen Redaktionen, die natürlich trotzdem alles Erdenkliche daran setzen, „first“ zu sein.
Wissen die Leser*innen das Tempo zu schätzen?
Aber wie sehen das diejenigen, für die dieser ganze Aufwand eigentlich betrieben werden sollte: die Leser, Hörerinnen, Zuschauer und Nutzerinnen? Wissen sie das Tempo zu schätzen? Fragt man sie, fällt das Urteil recht wohlwollend aus. Rund zwei Drittel der Onlinenutzer stimmten laut dem Digital News Report von 2019 der Aussage zu, dass die Medien gut darin seien, sie über das Tagesgeschehen auf dem Laufenden zu halten. All die Push-Meldungen und eilig zusammengezimmerten Nachrichten zahlen sich also aus, könnte man meinen. Das wäre erfreulich, würde die Beurteilung anderer journalistischer Qualitäten im Vergleich dazu nicht einigermaßen steil abfallen. Gerade einmal jeder zweite Onlinenutzer attestierte den Redaktionen nämlich, die Meldungen des Tages auch angemessen zu erklären. Noch weniger Studienteilnehmer waren der Meinung, dass Journalist*innen einen guten Job dabei machen, den Mächtigen auf die Finger zu schauen. In zwei Kategorien schnitten die Medien besonders schlecht ab. Nicht einmal jeder Dritte fand, dass die ausgewählten Themen für sein tägliches Leben relevant sind. Und gerade einmal 16 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Medien in der Berichterstattung den richtigen Ton wählen. Der häufigste Vorwurf: Sie seien zu negativ.
„Die größte Herausforderung der digitalen Transformation ist nicht die Technik, sondern der Kulturwandel.“
Man kann das jetzt mit der Begründung abtun, dass das ja nur eine Umfrage ist. Man kann gar damit kontern, selbst viel gefälligere Zahlen vorweisen zu können, wie es der Intendant eines deutschen öffentlich-rechtlichen Senders einmal in kleiner Runde getan hat. Man kann aber auch darüber nachdenken. Beim Digital News Report handelt es sich immerhin um die weltweit größte fortlaufende Online-Untersuchung zum Medienkonsum. Das Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford publiziert die Studie jährlich im Juni. Im laufenden Jahr hatten sich mehr als 80.000 Nutzer aus 40 Ländern daran beteiligt, im genannten Jahr 2019 waren es nur unwesentlich weniger. Und auch wenn Durchschnittswerte in Umfragen nie die ganze Geschichte erzählen, ist die Tendenz eindeutig: Nach Meinung des Publikums ist Journalismus zwar aktuell, aber zum Teil nicht besonders relevant. Dazu sei er so negativ und in der Menge oft erschlagend, dass etwa ein Drittel der Leser*innen mindestens zeitweise zu Nachrichten-Verweigerern wird.
Ja, aber …
Wer dem Journalismus erst einmal aus dem Weg geht, weil er ihn nervt, überfordert oder ihm keinen Mehrwert bietet, der ist nicht nur als zahlender Kunde verloren. Er oder sie taucht gar nicht erst in den Nutzerdaten auf, die Präferenzen abbilden sollen und aus denen Redaktionen Schlussfolgerungen darüber ziehen, was inhaltlich „läuft“. Noch schwerer wiegt allerdings: Journalismus-Verweigerer sitzen womöglich schneller Falschmeldungen auf und sind generell weniger gut in der Lage, als Bürger*innen informierte Entscheidungen zu treffen. Die Publikumsnähe des journalistischen Angebots steht in direktem Verhältnis zur Qualität der Demokratie.
Journalist*innen reagieren auf derartige Denkanstöße häufig mit einem beherzten „Ja, aber“. Die Leser*innen verschlängen doch aber alles, was Katastrophe, Streit, Drama und Unglück in der Unterzeile habe. Die Nutzerdaten belegten dies. Investigativ-Reporter*innen widersprechen noch vehementer. Es sei schließlich ihr Job, dem Publikum schlechte Laune zu machen. Nur wenn man Missstände aufdecke, ändere sich etwas zum Guten, argumentieren sie. Beides stimmt. Die Frage ist nur: Findet der Journalismus das richtige Maß? Schließlich geht es darum, ein größtmögliches Publikum zu begeistern. Wer die Job-Beschreibung „vierte Gewalt“ ernst nimmt, darf sich nicht damit zufriedengeben, vor allem im politischen Betrieb oder von der Konkurrenz gelesen zu werden. „Warum hatten die das und wir nicht?“, diese Frage wird in den meisten Redaktionskonferenzen vermutlich mit mehr Nachdruck gestellt als: „Warum interessiert die Leute dieser Stoff nicht, und wie können wir das ändern?“
Eine zunehmend wichtige Frage für die demokratische Wirksamkeit von Journalismus ist außerdem, wen er überhaupt (noch) erreicht. Wenn man ehrlich ist, war diese Quote noch nie so grandios. Zumindest dann nicht, wenn man die gesamte Gesellschaft als Grundlage nimmt. Den Qualitätsmedien ist es zum Beispiel immer schon viel schwerer gefallen, Leserinnen – in diesem Fall bewusst in der weiblichen Form – für sich einzunehmen. Insbesondere bei Wirtschaftstiteln war (und ist) die Leserschaft zu rund 80 Prozent männlich. Das liegt nicht daran, dass sich Frauen nicht für Wirtschaft oder Politik interessieren, im Gegenteil. Viele von ihnen fühlen sich nur nicht angesprochen von einem Journalismus, der sich in Ton und Inhalt rauf und runter um Wettbewerb, Sieg und Niederlage, Helden und gefallene Helden dreht. Leserinnen begeistern sich tendenziell mehr für Auswirkungen von Politik auf den Alltag, persönliche Geschichten, die auch Hoffnung machen, weil sie Wege aus Krisen aufzeigen. Über ständigen Schlagabtausch zu lesen, empfinden sie als ermüdend und Verschwendung ihrer ohnehin knapp bemessenen Zeit.
Junge Leute kreiden den Medien den Hang zur schlechten Laune besonders stark an. Auch mit Sarkasmus und Ironie, auf die man in Redaktionen oft so stolz ist, kommen sie schlecht klar. Sie wünschen sich vom Journalismus mehr Nutzwert für ihr Leben, bessere Erklärungen und gerne auch ein bisschen Spaß – aber eben nicht jenen, der mit einer gewissen Überheblichkeit auf Kosten anderer geht. In persönlichen Gesprächen mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen scheint dies ein ums andere Mal durch. Die qualitative Studie How Young People Consume News von Nic Newman vom Reuters Institute belegt ein entsprechendes Nutzerverhalten. Redaktionen müssen diese Bedürfnisse ernst nehmen. Schließlich gibt es kaum ein Medienhaus, das nicht die Sorge hat, die nachwachsenden Generationen an Youtube- oder Instagram-Held*innen oder gleich ganz an Netflix zu verlieren.
Aus der Perspektive der Demokratie sollte es Journalist*innen aber ganz besonders sorgen, dass der digitale Graben in der Mediennutzung tiefer wird. Diejenigen, die hochgebildet und versiert im Umgang mit Online-Angeboten sind, finden in der digitalen Informations- und Medienwelt heute sehr viel bessere, das heißt vielfältigere, hochwertigere und faktenreichere Angebote als in der Zeit vor Suchmaschinen und sozialen Netzwerken. Viele derjenigen hingegen, die früher wenigstens dann und wann mal zur Zeitung griffen, die Fernsehnachrichten anschalteten oder das Radio laufen ließen – und sei es aus Langeweile –, haben heute so viele Möglichkeiten zur Ablenkung und zum Zeitvertreib, dass sie immer seltener mit Journalismus in Kontakt kommen. Forschung belegt das.
„Nach Meinung des Publikums ist Journalismus zwar aktuell, aber zum Teil nicht besonders relevant.“
Journalismus hat also eine gewaltige Bringschuld. Es gilt, das Publikum in all seiner Vielfalt dort abzuholen, wo es ist: auf den Plattformen, die es nutzt, zu den Zeiten, an denen es sich dort aufhält, mit Formaten, die ihm gefallen. Voraussetzung ist allerdings, dass Redaktionen diese Vielfalt erst einmal erkennen. Das fällt ihnen umso schwerer, je ähnlicher die Kolleginnen und Kollegen einander sind, ganz gleich ob das die Ausbildungswege, das Geschlecht, das Alter, die soziale oder die ethnische Herkunft betrifft.
Ein großer und verbreiteter Irrtum ist, dass man sich um Diversität immer noch kümmern kann, wenn die digitale Transformation erst einmal bewältigt ist. Nein, Vielfalt steht im Kern des Wandels hin zu einem Angebot, das die Produkte vom Publikum her denkt. Anders formuliert: Die größte Herausforderung der digitalen Transformation ist nicht die Technik, sondern der Kulturwandel. Diversität muss nicht nur geschaffen, sondern auch geschätzt und gelebt werden.
Vor allem für Journalist*innen heißt das umlernen. Dabei geht es nicht nur um neue Fähigkeiten, die man sich in ein paar Kursen draufschaffen kann. Die Digitalisierung hat die Machtverhältnisse zwischen Nutzern und Produzenten wenn nicht umgekehrt, so doch zumindest ins Wanken gebracht. Früher gab es Bücher wie Den Wirtschaftsteil der Zeitung richtig lesen und nutzen. Auch wer gut ausgebildet war, sollte sich ruhig noch ein wenig anstrengen. Die Medien erzogen sich ihr Publikum, wer nicht folgen konnte, war raus. Das Geld kam ja ohnehin woanders her: von den Anzeigenkunden, die vor allem am zahlungskräftigen, gebildeten Publikum interessiert waren.
Heute sind die Verlage auf jede zahlende Nutzerin, jeden Nutzer angewiesen. Gebrauchsanweisungen liest aber niemand mehr. Wer nicht intuitiv versteht, warum etwas wichtig ist, wie man es nutzt und worauf es ankommt, wendet sich ab. Ein anderes Angebot wartet schon. Die neue Aufgabenstellung heißt also: Nachrichten so anschaulich machen, dass sie möglichst viele Menschen erreichen, die sie verstehen, nutzen können und sich dabei nicht langweilen.
Seite an Seite mit Entwicklern
Das Gute ist, dass es dafür mehr Plattformen und Möglichkeiten gibt als je zuvor. Der Instagram-Post, das TikTok-Video, der Podcast, die interaktive Infografik, virtuelle Realität, ein Videospiel, der E-Mail-Newsletter – was sich für welche Stoffe und Zwecke eignet, lässt sich ausprobieren. Anders als früher weiß man heute dank neuer Datenfülle zum Glück ziemlich genau, was funktioniert. Wer es nicht immer genau weiß sind die Redakteure und Reporterinnen, die ihr Berufsleben lang ihr Bauchgefühl trainiert haben. Das führt noch immer zu manchem Scoop. Aber im Zusammenspiel der verschiedenen Funktionen in den Verlagshäusern schwindet die Definitionsmacht der Journalist*innen. Produkte, die das Publikum begeistern, können nur Seite an Seite mit Entwicklern, Daten- und Marketing-Spezialisten erfunden, gebaut und getestet werden.
Das Bauchgefühl kann irren
Und es kommt noch schlimmer, wenn man das so formulieren will. „Die Leitung des Teams muss immer jemand von der Business-Seite haben“, sagt Anna Aberg, Digitalchefin der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter, die sich durch besondere Innovationsfreude auszeichnet und bei den Digital-Abos schnell wächst. Das ist für manch eine Journalist*in schwer zu ertragen. Es kratzt tief am Selbstverständnis eines Berufsstands, in dem in weiten Teilen heute noch so ausgebildet und geführt wird wie vor 20 Jahren. Es ist ein Berufsstand, der alles Recht dazu hat, stolz darauf zu sein, was von Reporterinnen und Redakteuren täglich geleistet, riskiert und durchgefochten wird, dessen Stolz aber viel zu häufig mit einem Überlegenheitsgefühl einherging – dem Publikum gegenüber und auch den eigenen Kollegen. Mit großem Selbstverständnis haben Journalist*innen die Mitstreiter*innen vom Marketing, der Infografik oder der IT-Abteilung lediglich als Zuarbeiter verstanden. Teamarbeit geht anders, Kundenorientierung auch.
Zum Glück wächst in den Verlagen eine neue Generation heran, die Führung ernst nimmt und als ständiges Lernen versteht. Dazu gehören übrigens auch jene älteren Semester, die es nie gemocht haben, dass man jede schlampige, ungerechte oder unsinnige Entscheidung mit dem eigenen „Bauchgefühl“ rechtfertigen kann. Dies könnte den Ton nicht nur in den Redaktionskonferenzen verändern, sondern womöglich ebenso den der Produkte, für die sich die Nutzer*innen begeistern sollen.
Journalist*innen leisten viel für die Demokratie. Manche riskieren dafür ihre Gesundheit, einige sogar ihr Leben. Dennoch legitimiert sich Journalismus nur über sein Publikum, wie Rasmus Kleis Nielsen, Direktor des Reuters Institutes in Oxford, zu sagen pflegt. Journalismus ist manchmal Kunst, aber viel öfter Dienstleistung. Seine Grundhaltung ist Mut. Vor allem aber sollte es auch Demut sein.
Dieser Text erschien in „Journalist“, gedruckte Ausgabe November 2020, online am 9. November 2020.
Jetzt reicht’s mit Lügenpresse – Wenn das Publikum die Medien verteidigt
Beim Thema Medienvertrauen wird gerne mit Superlativen gearbeitet, auch in der Branche selbst. „Noch nie war das Vertrauen in den Journalismus so niedrig“, heißt es dann oder „Vertrauen in die Presse sinkt seit Jahren“. Man sollte hinter beide Behauptungen zumindest ein Fragezeichen stellen, denn wie so oft ist die Wirklichkeit komplizierter. Forscher_innen diagnostizieren keinen drastischen Vertrauensschwund in journalistische Produkte. Im Gegenteil: In der Corona-Krise war die Hoffnung auf Aufklärung durch etablierte Medien ausgeprägt wie lange nicht, selbst bei jungen Leuten. Es geht vielmehr um die Frage, wer wem vertraut – oder eben nicht. Neue Studien bestätigen dies.
Da ist zum Beispiel die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz. Die repräsentative Umfrage wurde bereits sechsmal durchgeführt, die Werte zum allgemeinen Vertrauen in Medien rangierten in den vergangenen vier Jahren einigermaßen konstant zwischen 40 und 44 Prozent. Das ist kein schlechter Wert, denn eine gesunde Skepsis ist auch ein Zeichen von Medienbildung in der Demokratie. Allerdings legte bei der im Dezember 2019 erhobenen Welle der Anteil derjenigen auf 28 Prozent deutlich zu, die deutliches Misstrauen äußerten. Was hingegen so selten vorkam wie noch nie: Dass sich jemand mit „teils, teils“ äußerte. „Offenbar sehen sich immer mehr Menschen angesichts einer sich immer weiter polarisierenden Debattenkultur dazu veranlasst, auch selbst Position zu beziehen“, schlossen die Forscher_innen daraus. Noch deutlicher wird dies bei dem Vorwurf, die Bevölkerung werde „systematisch von den Medien belogen“. Zwar stimmte knapp jeder Fünfte dieser Aussage zu, 58 Prozent wiesen sie aber zurück – und damit so viele wie nie zuvor.
Dieser Trend zur klaren Meinungsbildung deutet darauf hin, dass sich mehr Menschen mit der Rolle der Medien und des Journalismus in der Demokratie auseinandersetzen als früher. Und das ist eine gute Nachricht. Schließlich haben Redaktionen in den vergangenen Jahren offensiv um das Vertrauen der Bürger_innen geworben. Das ist neu. Schließlich gab es Zeiten, in denen Journalisten so etwas nicht für nötig gehalten hatten. Das war damals, als man Leserpost als lästige Nebenwirkung betrachtete und es zur Berufsehre gehörte, sich bei der Recherche nicht in die Karten schauen zu lassen (manchmal auch, weil es da nicht viel zu sehen gab). Heute, wo Medienhäuser mehr und mehr darauf angewiesen sind, ihre Einkünfte aus Abos oder Mitglieder-Beiträgen zu generieren, kann man sich eine solche (Nach-)Lässigkeit nicht mehr leisten. Auf der einen Seite gewinnt man also Verbündete.
Auf der anderen kommen sie allerdings abhanden, denn das Bekenntnis zur Medienmarke wird immer stärker politisch aufgeladen. Dies belegt auch der aktuelle Digital News Report. Das generelle Vertrauen in Medien hat demzufolge über alle 40 Märkte hinweg etwas gelitten, es sank um vier Prozentpunkte auf 38 Prozent verglichen mit 2019. Aber der Blick auf einzelne Länder ergibt ein differenziertes Bild. In Großbritannien mit einer eher rechts der Mitte orientierten Medienlandschaft kollabierte das Vertrauen derjenigen nahezu, die sich als politisch links identifizieren. Die Berichterstattung über Brexit und ein polarisierender Wahlkampf können als Ursachen gewertet werden. In den USA hingegen vertraut das linke Spektrum den etablierten Medien dagegen deutlich stärker, als dies Angehörige des konservativen Lagers tun. Es geht also deutlich mehr um Gesinnung als um so etwas wie objektive Qualitätsdaten.
Daraus folgt allerdings noch lange nicht, dass sich Medien mit eben dieser Gesinnung diesen Rändern anbiedern sollten. In vielen Ländern gibt es nach wie vor eine große Mehrheit derjenigen, die es schätzen, wenn sich Journalismus zumindest um Objektivität bemüht. In Deutschland ist dieses Bedürfnis laut Digital News Report so ausgeprägt wie nirgendwo: 80 Prozent aller Befragten wünschen sich Unparteilichkeit, nur 15 Prozent hätten nach eigenem Bekunden gerne ihre eigene Sicht auf die Welt bestätigt, und nur fünf Prozent möchten sich durch andere politische Standpunkte herausfordern lassen. Kein Wunder, denn hierzulande haben sich schlechte Erfahrungen besonders eingeprägt mit einer Presse, die eher indoktriniert als informiert.
Diese Zahlen sollte man kennen. Denn gerade die jüngere Generation von Journalist_innen führt eine ausgeprägte Debatte darüber, ob Objektivität eigentlich möglich sei. Die Antwort darauf ist schlicht: Natürlich hat Journalismus immer mit Auswahl zu tun, ob Reportage, Kommentar oder Datenanalyse, und diese Auswahl ist persönlich gefärbt. Ein journalistisches Produkt ist deshalb nie so neutral wie die Lösung einer Mathe-Aufgabe. Aber es wäre grundfalsch, das Bemühen um Fakten und Objektivität deshalb gleich einzustellen. Denn ein Ringen um Wahrheit gehört zur Grundausstattung des Handwerks, damit heben sich Journalist_innen von allen anderen Meinungsmachern ab, die es ja reichlich gibt. Wichtig ist allerdings, dass Reporterinnen und Redakteure mit vielen unterschiedlichen Standpunkten um diese Wahrheit ringen. Das große Ganze ergibt dann den Journalismus.
Eine neue, großangelegte quantitative Studie der Kommunikationswissenschaftler Antonis Kalogeropoulos und Benjamin Toff hat ergeben, dass Vertrauen in die Qualität von Medien und der Grad an Pressefreiheit die wichtigsten Variablen dafür sind, ob Menschen Medien überhaupt nutzen oder ob sie sie ignorieren. Der Bildungsgrad spielte dagegen praktisch keine Rolle. Es lohnt sich also, in diese Qualität zu investieren. Denn wenn sich die Bürger_innen vom Journalismus abwenden, entziehen sie ihm die Lebensgrundlage.
Journalismus darf etwas kosten!
Das Angebot an Informationen und Meinungen ist zu einem Überangebot geworden. Der Preis für viele journalistische Produkte tendiert gegen Null. Deshalb müssen Zeitungshäuser und Medienkonzerne die Bedürfnisse ihres Publikums ergründen. Bezahlmodelle funktionieren im Lokaljournalismus besonders gut.
Wenn es um ihre eigenen Produkte geht, geben sich manche Journalisten erstaunlich wenig selbstbewusst. „Leider, leider steht dieser Text hinter einer Bezahlschranke“, kann man zuweilen in den sozialen Netzwerken lesen, wenn eine Autorin oder ein Autor ihr eigenes Werk anpreist. Beim Bäcker zum Beispiel käme so etwas niemandem in den Sinn. „Leider, leider muss ich für dieses Kürbiskern-Brötchen Geld verlangen“ – schon mal gehört? Okay, man kann das nicht direkt vergleichen. Denn ein Brötchen gibt es nicht so ohne weiteres geschenkt. Um hingegen Journalismus zu bekommen, der nichts kostet, reicht meist ein einziger Scroll oder Klick. In der Informations- und Aufklärungsbranche hat die Digitalisierung zu einem Marktversagen geführt.
Allerdings sind sich viele Reporter und Redakteure selbst nicht so sicher, ob sie für ihre Produkte etwas verlangen dürfen. Schließlich sei die Aufklärung der Bürger auch ein öffentliches Gut, von dem alle profitieren sollten, nicht nur diejenigen, die es sich leisten könnten, sagen sie. Journalismus, der nichts kostet, sei deshalb ein Dienst an der Demokratie. Man kann allerdings auch anders argumentieren: Die Demokratie braucht Medien, die ihre Rolle als Wächter, Welterklärer und Vermittler zwischen gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen ernst nehmen und mit Leidenschaft ausfüllen. Die Bereitschaft der Bürger, für Journalismus zu zahlen, ist ein Gradmesser dafür, ob ihnen das gut genug gelingt.
Friedrich Merz: Wir brauchen Journalisten nicht mehr
Die Situation ist verfahren, und das hat mehrere Gründe. Einerseits ist das Angebot an Informationen und Meinungen zu einem Überangebot geworden: Da Menschen mitteilungsbedürftig sind, wollen sie mit ihren Botschaften vor allem gehört werden. Dafür auch noch Geld zu verlangen, kommt nur denjenigen in den Sinn, die davon leben müssen oder eben jene Organisationen am Laufen halten, die sich der Aufklärung der Bürger verschrieben haben. Die anderen würden notfalls sogar draufzahlen, um gehört zu werden. „Wir brauchen die nicht mehr“, sagte der von Führungsambitionen getriebene CDU-Politiker Friedrich Merz kürzlich an die Adresse von Journalisten und sprach damit vor allem eine Wahrheit aus: Der immer noch beliebte Journalismus des Typs „der hat gesagt, die hat gesagt“ ist vom Aussterben bedroht. Auf dem Markt für Informationen tendiert der Preis für viele Arten von Inhalten gegen Null.
„Clickbaiting“ höhlt Vertrauen aus
Andererseits hat sich die Medienbranche die Kostenlos-Kultur auch selbst zuzuschreiben. Zu lange hatte sie in dem Irrglauben verharrt, das Erfolgsmodell „Werbung finanziert Inhalt“, oder zumindest einen großen Teil davon, ließe sich von der Welt der gedruckten Zeitung eins zu eins in die Online-Welt übertragen. Dass daraus ein Modell „Inhalte finanzieren Daten für Internet-Konzerne“ werden würde, hatten sie nicht geahnt.
Von der Strategie, Texte aus Druckerzeugnissen für jeden zugänglich online zu stellen, hat allerdings bislang niemand profitiert. Die Medienhäuser haben damit zwar ihre Reichweiten erhöht, vor allem betraf das aber verwechselbare Inhalte – das so genannte Clickbait –, die ihr Profil verwässert und Vertrauen ausgehöhlt haben. Einige Journalisten und Blogger konnten sich zwar persönlich als Marke etablieren und massenweise Follower um sich scharen, das allein sichert aber selten ihren Lebensunterhalt. Die Plattform-Konzerne haben auch wenig von der Kostenlos-Kultur der Medien, denn der Anteil journalistischer Inhalte an allem, was rund um die Uhr über das Netz verbreitet wird, liegt im unteren einstelligen Bereich. Und nicht einmal der Anspruch auf mehr Demokratie wurde eingelöst. Nach einer Studie des Reuters Institutes for the Study of Journalism am Beispiel Großbritannien ist der Nachrichtenkonsum in der digitalen Welt noch ungleicher verteilt als offline: Während gebildete Schichten sich online aus mehr Quellen informieren, bekommen sozial schlechter gestellte wegen des Überangebots an Unterhaltung und anderen Ablenkungen noch seltener mit Journalismus in Berührung als vorher.
Schreibtischjournalismus
Gewinner sind einzig die Bildungseliten, die mit der neuen Informationswelt gut umgehen können. Die könnten es sich leisten, für guten Journalismus Geld auszugeben, aber sie tun es selten, wenn sie es nicht müssen. Weltweit zahlen laut dem Digital News Report, der 38 Länder analysiert, nur etwa 14 Prozent aller online Nutzer für journalistische Angebote. In einigen skandinavischen Ländern, in denen es wenige kostenfreie Qualitätsangebote gibt, sind es immerhin bis zu 30 Prozent.
In vielen einst prosperierenden Zeitungshäusern rangieren die Strategien deshalb irgendwo zwischen Kürzen und Kahlschlag. Überall auf der Welt ächzen Medien gleichzeitig unter dem Versuch, kostenpflichtige Angebote aufzubauen. Das ist schwierig. Denn viele Redaktionen haben sich aus der Not heraus auf eine Art „Copy und Paste“-Journalismus eingeschossen, für den man den Schreibtisch nicht verlassen muss. Für solche Billig-Ware zahlen die Konsumenten nicht, doch für was dann? Vor lauter Ringen um Klicks und Reichweite haben viele Medienschaffende den Kontakt zu ihrem Publikum verloren.
Geschäftsmodell Lokaljournalismus
Klar ist: Konsumenten sind eher nicht geneigt, für einzelne Inhalte Geld auszugeben. Es gibt schlicht zu viele davon. Sie zahlen für ein Erlebnis, zum Beispiel für ein Ritual am Morgen oder ein Event am Abend. Sie zahlen für Service und Beratung. Und sie zahlen für das Qualitätsversprechen einer Marke, die es schafft, Vertrauen aufzubauen und zu pflegen. Menschen müssen sich vom Journalismus ernst genommen fühlen, wenn sie ihn unterstützen sollen. Redaktionen müssen sich deshalb auf ihren Kern zurückbesinnen: Sie müssen sich ihrem speziellen Publikum zuwenden, dessen Bedürfnisse ergründen und ihm dienen. Im Lokaljournalismus kann das besonders gut gelingen.
Nur wer sich unverzichtbar oder zum Teil einer liebgewordenen Routine macht, kann das in Rechnung stellen. Bürger brauchen Orientierung. Sie werden nicht für alles zahlen wollen, und wenige können es wirklich nicht. Auch für sie muss es Angebote geben, ob öffentlich-rechtlich oder stiftungsfinanziert. Aber noch geben viele Menschen für den Milchkaffee zum Mitnehmen mehr Geld aus als für den Journalismus, an dem sie mehr und länger Freude haben sollten. Es liegt in den Händen der Medienhäuser, das zu ändern. Journalismus, der so viel Spaß macht wie ein „Coffee to go“: Das muss zu schaffen sein.
Diese Kolumne erschien am 25. Februar 2020 bei Zentrum Liberale Moderne
Rettet den Journalismus für alle! Warum es öffentlich-rechtliche Medien geben muss
Es wird viel bemängelt am öffentlich-rechtlichen Rundfunk: zu kritisch, zu unkritisch, zu links, zu behäbig, als Konzept überholt. Aber ohne Sender, die durch öffentliche Finanzierung den unmittelbaren Zwängen des Marktes enthoben sind, wäre die Demokratie in Gefahr.
Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Streifenhemd wirft und dort heute leidenschaftlich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk plädiert, muss die Lage ernst sein. Der Auftritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Europäischen Broadcasting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber angesichts dessen, dass die großen Sender weltweit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womöglich zu einer Revival-Tour überreden. Immerhin geht es um eine Säule der Demokratie.
Dieser Tage grassiert viel Verachtung für die staatlich finanzierten Sender. Nicht unter Teenagern, die strafen sie eher mit Nichtbeachtung. Die Attacken gegen den „Staatsfunk“ kommen vielmehr aus dem politischen Raum, vor allem von rechts. Politisch zu links, zu langweilig, zu irrelevant, zu teuer und aufgebläht, zu kritisch oder zu unkritisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Überinformation sei das Konzept eines gemeinsamen öffentlichen Informationsraums überholt.
Und die Debatte wird zunehmend schriller. Zum Jahreswechsel beschäftigte ein etwas unglücklich umgetextetes Lied, vorgetragen vom Kinderchor des WDR, den politisch-medialen Komplex einschließlich Intendanten für Wochen. Sogar die stolze BBC, weltweit Inbegriff erstklassiger und unbestechlicher Information, ist Angriffsziel. Im Wahlkampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Interview in einen Kühlraum flüchtete. An einer dem Klimaschutz gewidmeten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teilnehmen, die Redaktion ersetzte ihn durch einen schmelzenden Eisklotz. Der Premier ließ durchblicken, Bürger könnten künftig straffrei ausgehen, wenn sie ihre Rundfunkgebühr nicht zahlten.
Zur Untermalung kürzen allerorten Regierungen den öffentlichen Sendern die Etats, in Dänemark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Millionen Pfund einsparen, einer der Gründe, warum BBC-Intendant Tony Hall Richtung National Gallery entschwindet, deren Chairman er wird.
Nervenkitzel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rundfunk- und Fernsehanstalt SRG SSR ihre Daseinsberechtigung per Referendum bestätigen lassen musste. Im Land der Volksbefragungen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstimmenden lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Generationswechsel wird dazu führen, dass sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung nicht mehr daran erinnern kann, wozu man die öffentlich-rechtlichen Anstalten braucht. Und die wiederum geben dem jungen Publikum nicht unbedingt einen Grund dazu. Das Reuters Institute for the Study of Journalism betitelte eine Studie zu den großen Sendern acht europäischer Länder deshalb mit „Old, educated and politically diverse“, also alt gebildet und – immerhin – politisch vielfältig.
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind aber keineswegs verzichtbare Überbleibsel aus dem prädigitalen Zeitalter, sondern zentral für die Demokratie. Dafür gibt es mindestens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Vertrauens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publikum ihnen immer noch am ehesten zu, die Faktenlage zu überblicken und eine Vielfalt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegenteiligen Anwürfen zum Trotz. Dies ergeben Umfragen wie der Digital News Report, die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz oder Veröffentlichungen der EBU.
Zweitens, die Sender gehen in die Fläche. Öffentlich-rechtliche Anbieter sind auch dort präsent, wo sich kommerzieller Journalismus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischendasein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokalzeitungen der Begriff Nachrichtenwüste geprägt. In Europa sind solche von Journalismus unversorgten Gebiete deutlich seltener. Man könnte behaupten, dies verhindert eine ähnliche politische Polarisierung. Zumindest trägt es aber zu Bildung und Aufklärung bei.
Drittens bemühen sich öffentlich-rechtliche Medien wie niemand sonst um Vielfalt und Inklusion. Dies betrifft die Zusammensetzung der Belegschaften und die Inhalte. Die öffentlichen Sender müssen die Gesellschaft abbilden. Sie sind deshalb in der Regel deutlich weiter als privat finanzierte Häuser, was die Gleichstellung von Frauen oder die Beschäftigung von Minderheiten angeht. Dies wirkt sich auf den Facettenreichtum der Programme aus, die sich an alle sozialen Schichten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine verlässliche journalistische Grundversorgung in einer Zeit, in der kommerzielle Anbieter zunehmend auf Bezahlmodelle setzen.
Natürlich müssen sich die öffentlichen Medienhäuser wandeln, und das ist inmitten gewachsener bürokratischer Apparate eine Herausforderung. Aber die entsprechende Erkenntnis ist überall da – und dazu viele Journalisten, die dies mit Verve und Überzeugung vorantreiben.
Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Eurovision Song Contest der EBU gewonnen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Menschen verbindet: „Er ist unterhaltsam, breit, inklusiv“. Wer das so politisch sieht, mag dem Spektakel künftig womöglich etwas abgewinnen. Und den dahinterstehenden Bastionen des Journalismus noch dazu.
Kolumne erschienen bei Zentrum Liberale Moderne am 3. Februar 2020
Wir brauchen digital mündige Bürger!
Das Phänomen der Fake News wird sich in Zukunft noch verstärken. Ändern lässt sich das kaum. Deshalb sind Kampagnen zur digitalen Mündigkeit mindestens so notwendig wie einst jene zur Alphabetisierung.
Für diejenigen, die mit der rasanten Verbreitung von „Fake News“ das Ende der Demokratie herannahen sehen, dürfte 2020 ein beunruhigendes Jahr werden. Die Wahlen in den USA und ein Amtsenthebungsverfahren gegen den amtierenden Präsidenten Donald Trump stehen an, beides wird das Land weiter polarisieren und die Bürger eher empfänglicher für Lügen und allerlei Verschwörungstheorien machen. Erfahrungsgemäß schwappen die Debatten darüber ungebremst über den Atlantik. In Großbritannien wurde schon gewählt, und wenngleich selbst hartgesottene Digital-Pessimisten sich schwer damit tun sollten, das klare Votum für Premier Boris Johnson und gegen Labour-Herausforderer Jeremy Corbyn der Aktivität von Trollfabriken oder ähnlichem zuzuschreiben, gehörten Falschinformationen und die Debatte darum im Wahlkampf zum permanenten Grundrauschen. Wie sehr müssen wir uns also fürchten?
Man könnte sagen: sehr. Und genau darin liegt eine Chance. Die Verbreitung von „Fake News“ und die Debatte darüber müssen ein Anlass dafür sein, Bürger im großen Stil fit für die neue Kommunikations-Welt zu machen. Kampagnen zur digitalen Mündigkeit sind mindestens so notwendig wie einst jene zur Alphabetisierung, die die Menschen fit für die Welt des gedruckten Wortes und die Demokratisierung möglich gemacht haben.
Gleich vorweg: Das Phänomen der Falschinformation als solches wird nicht nur bleiben, es wird sich verstärken. Künstliche Intelligenz ermöglicht es schon jetzt selbst Laien, für wenig Geld sogenannte deep fakes zu kreieren, also zum Beispiel täuschend echt wirkende Videos von Politikern mit entsprechenden Tonspuren zu basteln. Und die technischen Möglichkeiten dafür verbessern sich schneller als die Werkzeuge, um den Verursachern das Handwerk zu legen. Hacker und Geheimdienste in aller Welt werden dies aus verschiedensten Motiven heraus zu nutzen wissen. Die Produktionsseite lässt sich also kaum in den Griff bekommen.
Algorithmen anpassen
Etwas besser stehen die Chancen dafür, das Übel auf Seiten der Verteiler zu bekämpfen. Die Plattform-Konzerne haben die Informationen bislang weitgehend ungeprüft und nur nach kommerziellen Kriterien gewichtet in die Welt geblasen. Sie könnten eben diese Gewichtung ändern, sprich, ihre Algorithmen anpassen und Nachrichten von vertrauenswürdigen Quellen höher bewerten als jene von unbekannten oder gar erwiesenermaßen zweifelhaften. Der Müll würde so zwar nicht aus dem Netz verschwinden aber weniger sichtbar und damit auch seltener geteilt werden.
Die Journalism Trust Initiative, initiiert und getragen von der Organisation Reporter ohne Grenzen, der European Broadcasting Union und anderen namhaften Medien-Institutionen, hat hier wichtige Vorarbeit geleistet. Nun müssen die Konzerne das Übel auch anpacken wollen, notfalls unter mehr oder weniger sanftem Druck von Regulierungbehörden. Hier liegt zugegeben ein Risiko, denn Regulierer könnten sich auf diese Weise auch dem Einfluss kritischer Stimmen entledigen. Man möchte weder einem Donald Trump noch einem Viktor Orban das Privileg zubilligen, über die Qualität von Journalismus zu urteilen. Dies sollte Gremien überlassen bleiben, die sich der Neutralität und Faktentreue verschrieben haben.
Am wichtigsten ist es allerdings, bei den Empfängern anzusetzen. Bislang wissen nur die wenigsten Bürger, nach welchen Kriterien Inhalte im Netz verteilt werden und an ihre Adressaten gelangen, wer Zugang zu diesen Kanälen hat und wie leicht sich erlogene aber täuschend echt wirkende Informationen erstellen lassen. Auch über die Besitzverhältnisse der digitalen Infrastruktur sind eher nur die Fachleute informiert. Zumindest kann nicht vorausgesetzt werden, dass jedem Nutzer klar ist, dass hinter der Kurzvideo-Plattform TikTok ein chinesischer Konzern steckt. Davon abgesehen, dass auch diejenigen, die es wissen, mit TikTok arbeiten oder es nutzen – aus Spaß, oder weil man damit eben viele Kunden erreicht.
„Finnland ist winning the war“
Noch am ehesten kann vorausgesetzt werden, dass das Publikum zumindest Grundkenntnisse darüber hat, wie Journalismus funktioniert. Dass sich Reporter und Redakteure im Normalfall an ethische und handwerkliche Regeln gebunden fühlen – Beispiele sind das Vier-Augen-Prinzip und das Einholen mehrerer Quellen – haben viele Bürger schon gehört, auch wenn sie es nicht immer glauben. Und ein Großteil der Bevölkerung verlässt sich eher auf etablierte Marken wie die „Tagesschau“, Sender wie die BBC oder auf ihre Lokalzeitung als auf zweifelhafte „Experten“, die manch ein Facebook-Beitrag nach oben schwemmt. Das lässt sich aus Medienkonsum-Studien wie dem Digital News Report ablesen.
Aber all das ist keine Selbstverständlichkeit. Aufklärung tut also Not. Bislang funktioniert das am besten in der jungen Generation. Junge Leute betrachten „Fake News“ eher als Belästigung denn als echte Gefahr. Viele von ihnen haben gelernt, sich durch die Abgründe des Internets zu navigieren – um den Preis, dass sie allen Informationen mit größerer Skepsis begegnen als die älteren Generationen, inklusive dem Qualitätsjournalismus. Sie bringen sich das gegenseitig bei oder lernen es in der Schule, wo es natürlich die beste Infrastruktur für digitale Bildung gibt.
Anders geht es den Älteren. Sie sind einerseits anfälliger für Falschmeldungen, weil sie weniger über die Online-Welt wissen, andererseits aber auch verletzlicher, weil sie gezielt von Algorithmen als mutmaßlich leichte Beute angesteuert werden. Es ist erwiesen, dass Senioren sehr viel häufiger Falschmeldungen bekommen und teilen als ihre Enkel. Bildungsprogramme für diejenigen, die Schule und Universität bereits verlassen haben, sind also existentiell, wenn einem der aufgeklärte Umgang der Bevölkerung mit der Kommunikations- und Informationsinfrastruktur am Herzen liegt. Dies sollte und muss in allen Demokratien der Fall sein. Am Beispiel Finnland lässt sich ablesen, dass das recht ordentlich funktionieren kann. Eine 2014 begonnene Aufklärungskampagne über „Fake News“ war so erfolgreich, dass CNN in einem Feature bereits triumphierte: „Finnland is winning the war on fake news“. Selbst aus Singapur seien Regierungsvertreter angereist, um das Erfolgsrezept zu kopieren. Aber auch anderswo gibt es gute Initiativen für generationenübergreifende digitale Bildung, zum Beispiel in Tschechien.
Dort, wo diese Aufklärung nicht existiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Regierungen gar kein Interesse an der digitalen Mündigkeit ihrer Bürger haben. Eine verwirrte Öffentlichkeit ist anfälliger für einfache, populistische Interpretationen der Lage, eine kritische Presse und unangenehme Fakten stören so manch einen Amtsträger nur. Digitale Bildung darf deshalb nicht nur in der öffentlichen Hand liegen. Wer dazu beiträgt, dient der Demokratie. Unabhängige Medien zum Beispiel können gar nicht genug dafür tun.
Diese Kolumne erschien am 20. Dezember 2020 bei Zentrum Liberale Moderne
Mehr Debatte war nie!
Angeblich schirmen uns die Algorithmen von allen Einflüssen ab, die unser Weltbild stören könnten. Doch so griffig die Metapher der Filterblase auch ist: Sie stimmt nicht.
Wenn es theoretische Konzepte in die Alltagssprache schaffen, freuen sich Akademiker*innen üblicherweise. Hat die Wissenschaft der Welt also doch etwas zu sagen, das jenseits des Hörsaals relevant ist.
In diese Kategorie gehören auch die Wörter Filterblase und Echokammer. Microsoft-Gründer Bill Gates hat davor ebenso gewarnt wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, und zuweilen wirft sie jemand auf einem Elternabend in die Diskussion: „Die Kids leben in ihrer Filterblase.“ Was frei übersetzt in etwa heißen soll: Die lesen nicht mal Zeitung.
Die Theorie klingt zumindest griffig: Angeblich schirmen uns Algorithmen im Internet von jeglichen Einflüssen ab, die unser Weltbild stören könnten. Die sozialen Netzwerke sind demnach schuld daran, dass wir diskurstechnisch in sauber getrennten Teichen nach den immer gleichen Argumenten fischen. Mit Inhalten, die uns überraschen oder Standpunkten, die unseren widersprechen könnten, kommen wir nicht mehr in Kontakt.
Das Konzept hat nur einen Schönheitsfehler: Es stimmt nicht. In Wahrheit weisen mehr Indizien auf das Gegenteil hin. Das Publikum informiert sich heute aus einer größeren Anzahl von Quellen als zu Zeiten, in denen die „Tagesschau“ oder die abonnierte Zeitung die einzige nachrichtliche Grundversorgung lieferten.
Zu diesem Ergebnis kommt etwa der „Digital News Report“. Dessen Autoren Richard Fletcher und Rasmus Kleis Nielsen untersuchen seit Jahren den weltweiten Informationskonsum. Ihr Fazit: „Jene, die Nachrichten über Suchmaschinen konsumieren, nutzen durchschnittlich mehr Quellen. Und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie politisch rechts- und linkslastige Quellen finden.“
Echokammern? Filterblasen? Fletcher und Nielsen widersprechen: „Suchmaschinen bringen Menschen mit Quellen in Kontakt, die sie sonst nicht genutzt hätten“, schrieben sie im vergangenen Jahr im Fachjournal „Digital Journalism“.
Zu schön, um falsch zu sein
Die Politikwissenschaftler Jan Philipp Rau und Sebastian Stier haben jüngst ebenfalls die Literatur gesichtet und herausgefunden, dass „die Furcht vor einer gesamtgesellschaftlichen Fragmentierung durch digitale Medien und einer damit verbundenen politischen Polarisierung empirisch nicht unterstützt wird“.
Man könnte also sogar sagen: So viel Debattenstoff war nie! Warum aber schwebt die Filterblase durch jede Diskussion zur digitalen Kommunikation, wenn man sie so leicht zum Platzen bringen kann?
Geprägt hat den Begriff der Internetaktivist Eli Pariser, der 2011 mit einem gleichnamigen Buch Furore machte. Darin wollte er darüber aufklären, „wie wir im Internet entmündigt werden“. Das klang offenbar zu schön, um nicht wahr zu sein.
Angesehene Theoretiker griffen das Konzept auf und entwickelten es weiter, zum Beispiel der Harvard-Jurist Cass Sunstein in „#Republic – Divided Democracy in the Age of Social Media“. In gewisser Weise teilt Pariser das Schicksal des Historikers Francis Fukuyama, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das Ende der Geschichte prognostizierte: Ständig wird er mit etwas zitiert, was so nie eingetroffen ist. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, warum die Filterblasen-Metapher so erfolgreich ist.
„Sie ist intuitiv, eingängig und spricht eine große Angst hinsichtlich des Einflusses von Algorithmen an“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Natali Helberger von der Universität Amsterdam, „die Menschen fürchten sich davor, dass sie das Publikum segmentieren und polarisieren.“
Sie will sich über diese Sorge keineswegs lustig machen, im Gegenteil: „Aber angesichts einer vielfältigen Medienlandschaft und eines heterogenen Publikums ist das nicht die drängendste Sorge Europas.“
Richtig ist, dass die Algorithmen der sozialen Netzwerke oder Suchmaschinen bestimmte Inhalte mit höherer Wahrscheinlichkeit anzeigen: was Nutzer*innen vorher schon mal interessiert hat, was Freunde mögen, was besonders aufsehenerregend ist oder viele andere Menschen ebenfalls angeklickt haben. Falsch ist allerdings, dass die Technologie gar nichts anderes serviert und uns deshalb in der Sicherheit wiegt, alle anderen dächten so wie wir.
Verrohung der Gesellschaft
Trotzdem werden die sozialen Netzwerke und ihre vermeintlichen Filterblasen und Echokammern für die Verrohung der Gesellschaft, die Verdummung der Bürger*innen oder die Expansion des Populismus verantwortlich gemacht. Dahinter steckt die ebenso überhebliche wie realitätsferne Annahme, dass Menschen, die krudes Gedankengut verbreiten, zur Besinnung kommen, wenn sie die richtigen Argumente kennen.
Tatsache ist aber: Fakten beeinflussen uns weniger, als wir hoffen. Menschen, die sich mit ‧populistischem Gedankengut identifizieren, glauben ohnehin selten an Objektivität. Sie malen die Gesellschaft bewusst als ein „Wir gegen die“-Gemälde. Dazu suchen sie sich allerlei „Beweise“ zusammen, gerne aus verschiedenen Quellen.
Zum Beispiel hören sie „Staatsfunk“, wie sie öffentlich-rechtliche Sender gerne nennen – um ihn sodann zu verdammen. Menschen, nicht Suchmaschinen, treiben die Polarisierung voran. Es ist sogar erwiesen, dass sich Mediennutzer*innen noch weiter in extremen Positionen vergraben, wenn sie gegensätzlichen Meinungen ausgesetzt sind. Versucht man, die vermeintliche Filterblase aufzubrechen, reagieren sie darauf mit Abwehr.
Im Twitter-Zeitalter werden Fakten zur digitalen Kommunikation gerne ignoriert. Zunächst einmal hat es die vermeintlichen Filterblasen schon immer gegeben. Die abonnierte Tageszeitung oder der voreingestellte Radiosender sind und waren diesbezüglich effektiv. Man las die Beiträge seiner Lieblingsautoren und fühlte sich rundum gut informiert. Wozu woanders suchen?
Auch politische Polarisierung, Rassismus und Sexismus existierten, lange bevor sich die Bürger*innen über soziale Netzwerke gegenseitig darin bestärken konnten – zumal ältere Generationen gespaltener sind als jüngere. Das Brexit-Referendum in Großbritannien wurde in erster Linie von der Boulevardpresse angeheizt.
Wie eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung von neun überregionalen britischen Tageszeitungen vor der Abstimmung ergab, sprachen sich von fast 2400 Artikeln 41 Prozent für einen Brexit aus. Demgegenüber waren 27 Prozent dafür, in der EU zu bleiben. Über Facebook schoben sich die Brexiteers allenfalls entsprechende Meldungen traditioneller Medien zu.
Bloß keine Panik
Der australische Kommunikationswissenschaftler Axel Bruns warnt deshalb vor „moralischer Panik“. Die permanente Diskussion um Filterblasen und Echokammern lenke von den wahren Ursachen politischer Polarisierung ab, sagte er vor einigen Monaten auf einer Konferenz: „Der Aufstieg von hyperparteiischen, populistischen und illiberalen ideologischen Agitatoren und Propagandisten an den Rändern des politischen Spektrums und die Ablehnung von demokratischen Prinzipien und Prozessen sind nicht in erster Linie ein Phänomen der Kommunikationstechnologien – sondern ein gesellschaftliches Problem.“
Zudem wird der Einfluss sozialer Netzwerke massiv überschätzt. Das liegt auch daran, dass die Journalist*innen selbst dort kräftig unterwegs sind – und sie geben nach wie vor den Ton an. Selbst wenn der amerikanische Präsident häufig über Twitter krakeelt, erreicht er dort bei Weitem nicht alle seine Anhänger*innen.
Tatsächlich ist die Reichweite gerade von Twitter vergleichsweise gering. Populist*innen beziehen ihre Neuigkeiten zudem überproportional aus dem Fernsehen, in den USA zum Beispiel über den Sender Fox News, in Deutschland über Privatsender wie RTL.
Auf Twitter hingegen tummeln sich vor allem Politiker*innen und Medienschaffende. Der unbeabsichtigte Effekt: Journalist*innen verschaffen so manchem Tweet erst Reichweite, weil sie ihn zur Story hochjazzen. Die Forschung hat ein ums andere Mal ergeben: In den sozialen Netzwerken beherrschen die traditionellen Medien die Debatte.
Was lässt sich nun gegen die Polarisierung tun? Zunächst einmal müssen alle Institutionen die Sorgen und Gefühle der Bürger*innen ernst nehmen: Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der digitale Umbruch, der Klimawandel, Einwanderung – in all diesen Feldern warten Aufgaben. Es wird aber mehr daran gearbeitet, als es das große Blabla in den sozialen Netzwerken zuweilen vermuten lässt.
Im Koalitionstracker der „Süddeutschen Zeitung“ kann man zum Beispiel verfolgen, wie viele von 140 Versprechen aus dem Koalitionsvertrag schon umgesetzt wurden oder zumindest in Arbeit sind – tatsächlich eine ganze Menge. Auch ein Blick auf die Website ourworldindata.org lohnt sich für die Erkenntnis: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lösen tatsächlich echte Probleme der Menschheit, sie schaffen sie nicht nur.
Tatsächlich tragen die Medien viel zur gesellschaftlichen Grundstimmung bei. Der diesjährige „Digital News Report“ stellte dem Journalismus in dieser Hinsicht ein schlechtes Zeugnis aus. Nur 16 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Medien „den richtigen Ton“ treffen, weniger als ein Drittel fand die Themen relevant, über die berichtet wurde. Gerade mal jeder Zweite bescheinigte der Presse, die Nachrichten des Tages ausreichend zu erklären.
Allein bei der Vermittlung purer Informationen schnitten die Medien gut ab. Da geht also noch was. Vor allem gilt es, Formate zu entwickeln, die mehr Bürger*innen erreichen. Daran appelliert auch Natali Helberger. Sie sorge sich „um die digital Verletzlichen“ – jene Nutzer*innen, die wegen ihres Medienkonsums, ihrer Bildung, ihres sozialen Status und des Mangels an politischem Interesse von vielfältiger Information ausgeschlossen werden.
Die Medien haben schon immer Filterblasen produziert, und sie werden es auch weiter tun. In Wahrheit ist es heute bloß viel leichter, ihnen zu entkommen.
Dieser Text erschien in ada und Handelsblatt.com am 23. November 2019
Warum Journalismus mehr Haltung und weniger Meinung braucht
„Haltung“ – im Zusammenhang mit Journalismus ist dieses Wort in Misskredit geraten. Heute wird es häufig mit „Meinungsmache“ gleichgesetzt. Eine Verteidigung dieses zwischen „Meinung“ und „Neutralität“ eingezwängten Begriffs.
Zunächst klang es nach einer Geschichte, die Hoffnung machte: Die bis dahin weitgehend unbekannten Software-Millionäre Silke und Holger Friedrich kauften der Kölner Dumont Mediengruppe den traditionsreichen Berliner Verlag ab, der die Berliner Zeitung und den Berliner Kurier herausgibt. Und anders als Finanzinvestoren, die so etwas vor allem tun, um die Objekte ihrer Begierde finanziell auszupressen und dann ihrem Schicksal zu überlassen, schien bei dem Unternehmerpaar gesellschaftliches Engagement dahinter zu stecken. Schlummerte hier womöglich eine Art Washington Post-Story? Die amerikanische Zeitung war 2013 von Amazon-Gründer Jeff Bezos übernommen worden, und hat sich seitdem zu einem Vorzeigebetrieb entwickelt. Ein technologisches Power-Haus, das dennoch keinen Zweifel an seiner journalistischen Kraft und Unabhängigkeit lässt.
Pressekodex als Grundgerüst
Im Fall Berlin freilich währte die Begeisterung kurz. Mitte November kam heraus, dass Holger Friedrich in den Achtzigerjahren als IM für die Staatssicherheit der DDR tätig war. Für die Redaktion der Berliner Zeitung mit ihrem großen Stammpublikum im Osten der Stadt heißt es seitdem: Haltung zeigen. Die Chefredakteure Jochen Arntz, Elmar Jehn und Margit J. Mayer versprachen ihren Leserinnen und Lesern, man werde sich „sachlich und angemessen“ mit der Situation auseinandersetzen: „Wir stehen für unabhängigen Journalismus und werden wie bereits in der Vergangenheit unseren Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte leisten.”
Haltung – im Zusammenhang mit Journalismus ist dieses Wort in jüngster Zeit in Misskredit geraten. Der schöne deutsche Begriff, für den es übrigens im Englischen keine Entsprechung gibt, stand mal für Rückgrat. Heute wird er häufig mit „Meinungsmache“ gleichgesetzt. Er beschreibt eine Berichterstattung, die in ähnlicher Atemlosigkeit den Daumen über die Weltlage hebt oder senkt, wie es die Nutzer beim Sichten der nimmermüden Nachrichten-Fließbänder in den sozialen Netzwerken tun. Dabei ist Journalismus ohne Haltung nicht denkbar. Viel mehr: Journalismus braucht Haltung. Er muss Unabhängigkeit vom Staat und anderen mächtigen Interessen beweisen. Nur so kann er den Bürgern, der Demokratie und den Grundwerten dienen, die ihr Fundament sind. Tut er das nicht, hat er das Prädikat „Journalismus“ nicht verdient. Er ist dann Propaganda oder PR.
Nun ist das ein hehres Ideal. Im Tagesgeschäft stehen die Grundwerte oft in Konkurrenz mit journalistischen Begehrlichkeiten und tatsächlich auch dem Arbeitsauftrag von Reporterinnen und Reportern. Die Würde von Menschen zum Beispiel wird schon mal angetastet, selbst wenn es nicht um ein größeres gesellschaftliches Interesse, sondern nur um eine gute Story geht. Ständig gilt es abzuwägen, was wichtiger ist: der Persönlichkeitsschutz oder das Interesse der Allgemeinheit. Aber wie überall, wo die Freiheit des einen gegen die des anderen verhandelt wird, gibt es für diese Fälle Regeln, nach denen sich Journalisten zu verhalten haben. In Deutschland schreibt sie der Pressekodex in seinen 16 Grundsätzen fest. Wer sich seiner Haltung nicht sicher ist: Diese Liste taugt schon mal recht gut als Gerüst.
Verpflichtung zur Neutralität
Weniger komplex ist der berühmte, erschöpfend zitierte Satz des ehemaligen Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs, ein Journalist solle sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Der 1995 verstorbene Journalist hatte diese Aussage nicht so allgemein gemeint, wie sie später verkauft wurde. Denn natürlich müssen Journalisten immer wieder Partei ergreifen: mindestens für die Wahrheit, oder zumindest für deren beste verfügbare Version, wie es der Watergate-Reporter Carl Bernstein einmal formulierte. Außerdem sollen sie Anwälte der Bürger sein, die legitime Anliegen und Bedürfnisse haben, sich damit aber nicht ausreichend bemerkbar machen können. Aber es gehört auch zur journalistischen Haltung, sich in der Politik nicht auf eine Seite zu werfen, bevor man die Fakten ausreichend geprüft und dargestellt hat. Journalismus als öffentliches Gut ist auch eine Dienstleistung, damit sich mündige Bürger ihre Meinung selbst bilden können.
Besonders die öffentlich-rechtlichen Sender verpflichten sich in unterschiedlichem Grad zur Neutralität – immerhin haben sie den Auftrag, für alle da zu sein. Schwedens Radiosender Sveriges Radio ist besonders strikt. Chefredakteur Olle Zachrison schildert in einer Studie, die sich unter anderem mit der Motivation von Berufsanfängern beschäftigt: „Wie erleben es oft, dass junge Leute Journalisten werden, weil sie die Welt verändern wollen. (…) Wir sagen ihnen dann, das ist vielleicht eine gute Motivation. Aber nun musst du deine vorgefertigten Meinungen zur Seite legen, denn nun bist du ein unvoreingenommener Journalist.“ Auch die britische BBC achtet streng auf das Gebot der Neutralität, dessen Interpretation manch einer nicht mehr zeitgemäß findet. Als die schwarze Star-Moderatorin Naga Munchetty kürzlich abgemahnt wurde, weil sie eine rassistische Äußerung von Donald Trump entsprechend kommentiert hatte, sprangen ihr so viele Kollegen zur Seite, dass Intendant Tony Hall den Verweis zurücknahm.
Haltung kann nicht starr sein, denn Werte ändern sich, wenn sich neue Fakten offenbaren. Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist ein solcher Wert, der sich in den vergangenen Jahrzehnten von einem Meinungsthema, bei dem man Experten gegeneinander antreten lies, zu einem Haltungsthema entwickelt hat. Je besser sich der Klimawandel belegen ließ, umso legitimer wurde es, Andersdenkenden keinen Platz mehr einzuräumen. Der britische Guardian hat sich sogar verpflichtet, der „Klimakrise“ sowohl in der Berichterstattung als auch in der Organisation „die Aufmerksamkeit zu widmen, der sie bedarf“.
Haltung muss übrigens jede Journalistin, jeder Journalist persönlich entwickeln. Wer sich hinter seiner Redaktion versteckt mit dem Argument, dieses und jenes sei nun einmal Praxis des Hauses, handelt vielleicht nachvollziehbar. Haltung zeigen aber heißt, für Werte geradezustehen – im Zweifel auch gegen den Chefredakteur.
Diese Kolumne erschien am 26. November 2019 bei Zentrum Liberale Moderne
Keine Angst vor Trollen: Fünf Gründe, warum das Internet noch zu retten ist
Manchmal sieht es so aus, als sei das Internet vom Werkzeug der Unterdrückten zum Instrument der Unterdrücker geworden. Aber es gibt Fakten, die Hoffnung machen. Trotz Trump, Fake-News und Troll-Fabriken bleibt das Internet ein Zukunftsversprechen.
Für Internet-Optimisten hält ein neuer Report aus Oxford verstörenden Lesestoff parat: Schon mehr als ein Drittel aller Staatsregierungen nutzt das Netz dazu, die eigene Bevölkerung mit Hilfe sozialer Netzwerke zu manipulieren, wie Samantha Bradshaw und Philip Howard vom Oxford Internet Institute in ihrer Studie „The Global Disinformation Order“ herausgefunden haben. Eine wachsende Anzahl verbreite online zudem nicht nur Propaganda, sondern schüchtere Kritiker ein, bringe Oppositionelle zum Schweigen und verletze gar Menschenrechte. Und die Freude an der digitalen Kontrolle nehme zu: Identifizierte die Studie 2017 noch 28 solche Länder, waren es ein Jahr später schon 48, in diesem Jahr nun 70. Einige Staaten mischten sich zudem mit gezielten Kampagnen in Angelegenheiten anderer Länder ein, namentlich China, Russland, Iran, Saudi Arabien, Venezuela, Pakistan und Indien – immerhin die größte Demokratie der Welt. Bevorzugt griffen die Täter über Facebook an, so die Forscher. Man kann diese Information Operations – so das Fachwort – auch Kriegsführung mit virtuellen Waffen nennen.
Lassen sich die Errungenschaften des demokratischen Zeitalters bewahren?
Nun gibt es ja schon im Kleinen ausreichend Pöbeleien, Hassrede und Lügen im Netz – neuerdings sogar mit richterlicher Billigung. Die Grünen-Politikerin Renate Künast musste sich im September vom Berliner Landgericht erklären lassen, dass sie es hinzunehmen habe, „Schlampe“, „Drecks Fotze“ oder „Geisteskranke“ genannt zu werden. Hinzu kommt gezielte Falschinformation, gemeinhin unter dem Begriff Fake News zusammengefasst. Wenn all das auch noch staatlich gelenkt und gefördert mit immer besseren technischen Möglichkeiten geschieht, fällt Zuversicht schwer. Ist das Netz vom Werkzeug der Unterdrückten zum Instrument der Unterdrücker geworden? Gepflegte Debatte, zuverlässige Information, Wahlentscheidungen ohne Meinungsmanipulation – es scheint gar nicht so sicher zu sein, dass sich die Errungenschaften des demokratischen Zeitalters bewahren lassen.
Und doch muss nun nicht jeder den Habeck machen und sich bei Facebook und Twitter abmelden wie der Grünen-Chef, oder gar ein Eremiten-Leben planen wie der Internet-Aussteiger in Dave Eggers‘ Internet-Dystopie „The Circle“. Es gibt durchaus einige Fakten, die Hoffnung machen können:
Fake-News seltener als man denkt
Erstens, die Angst vor falscher Information ist weitaus größer als die tatsächliche Verbreitung von Lügen und verdrehten Fakten. Das gilt zumindest für die hiesige politische Welt. Dies belegen Studien, unter anderem der Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism. Zwar macht sich ein großer Teil des Publikums wegen des Themas Sorgen. Ironischerweise tragen die Medien-Berichte über Troll-Fabriken und Informationsmanipulation nicht unwesentlich dazu bei. Aber nur ein kleiner Teil der Online-Nutzer bekommt tatsächlich erfundene Inhalte zu Gesicht, und ein noch kleinerer verbreitet sie weiter.
Junge Nutzer denken kritisch
Zweitens, die junge Generation geht verantwortungsbewusster mit dem Netz um als die ältere. Auch das belegen Studien. Während viele in der analogen Welt sozialisierte Online-Nutzer krude Dinge nicht hinterfragen, weil diese schwarz auf weiß daherkommen, navigieren die Jungen mit gesunder Skepsis durchs Netz. Die Programme zur Medienbildung an den Schulen scheinen zu wirken – dumm nur, dass es zu wenig systematische Aufklärung für ältere Generationen gibt.
Bürger sind lernfähig
Drittens, es empfiehlt sich, die Bürger nicht zu unterschätzen. Das Publikum ist lernfähig. Viele online Nutzer haben sich bereits von Facebook abgewandt, weil ihnen Kakophonie, Unglaubwürdigkeit und Verwicklung in Skandale wie Cambridge Analytica zu viel geworden sind. Das gilt sowohl für Jugendliche im globalen Norden als auch für viele Nutzer in Ländern Afrikas und Südostasiens, bei denen Facebook als „Fake News Kanal“ gilt. Das heißt natürlich nicht, dass der Facebook-Konzern an Macht verliert. Immerhin gehören auch Instagram und Whatsapp zum Imperium von Mark Zuckerberg.
Print-Zeitungen machen Twitter groß
Viertens, Donald Trump regiert nicht über Twitter. Entgegen allgemeiner Annahmen informieren sich die Anhänger von Populisten deutlich stärker über das Fernsehen als über soziale Medien, auch das belegt der Digital News Report. Im Netz hingegen suchen eher diejenigen nach Auskunft, die sich differenzierter mit der Welt auseinandersetzen. Dennoch besitzt Twitter Durchschlagskraft. Vor allem, weil traditionelle Medien oder Sender wie Fox News die Reichweite drastischer Tweets und Posts massiv erhöhen. Journalisten können also sehr viel für eine konstruktive Debatte tun, wenn sie die Empörungs-Maschinerie nicht anheizen.
Ein besseres Internet ist möglich
Fünftens, die digitale Welt ist nicht wie das Wetter, das man hinnehmen muss. Sie lässt sich gestalten. Zum Glück wird dieser Tage in vielen nationalen und internationalen Gremien bis hin zur UNESCO darüber debattiert, wie man mit den Verstärker-Effekten des Internets umgehen soll. Dass die Algorithmen der Plattformen von mächtigen kommerziellen und staatlichen Interessen getrieben werden, macht es nicht leichter. Aber die Zusammenhänge sind vielen Akteuren klarer als vor zehn Jahren, und unter Demokraten ist der Wunsch groß, das Netz zu nutzen, um Mitsprache und Teilhabe zu verbessern. Die EU ist eine Bastion geworden, wenn es darum geht, die Bürger der Mitgliedstaaten gegen den Missbrauch ihrer digitalen Spuren zu verteidigen. Und selbst Facebook investiert in die unabhängige Erforschung ethischer Fragen von künstlicher Intelligenz, auch wenn manch einer das kritisch sehen mag. Der Konzern aus dem Silicon Valley steckt 6,5 Millionen Euro in ein entsprechendes Institut an der TU München.
Natürlich bleibt die Lage ernst. Vor allem dort, wo Populisten sich des Netzes bedienen, brauchen Kontrollinstanzen wie Gerichte und unabhängige Medien Stärkung, die Opfer von Attacken Schutz. Das ist dort ungleich schwieriger, wo Populisten regieren. Aber eine starke Demokratie ist immer noch die beste Versicherung gegen Missbrauch im Netz. Und man sollte sich nicht beirren lassen: Die Anständigen, die friedlich mit ihren Nachbarn zusammenleben wollen, sind bei genauerem Hinsehen meist in der Mehrheit. Auch wenn sie von den Krachmachern übertönt werden.
Diese Kolumne erschien bei Zentrum Liberale Moderne am 29. Oktober 2019