Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School. 

 

Das Ende des journalistischen Bauchgefühls

Warum tun sich Journalisten und ihr Publikum manchmal so schwer miteinander? Auch, weil häufig das Maß nicht stimmt. Das richtige Maß an Tempo, an News, Verständnis, Vorwissen, Vielfalt. Und Teamarbeit.

Da waren sie wieder, die zwei Seelen in meiner Brust, und sie rangen heftig miteinander. Als die amerikanische Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg im September ihren Kampf gegen den Krebs verlor, wollte sich die Leserinnen-Seele in tiefem Respekt vor der Juristin verneigen, die zur Ikone geworden war. Bis zuletzt hatte RBG, wie sie von ihren Fans fast zärtlich genannt wurde, am Supreme Court für die gleiche Behandlung von Frauen und Männern, für die Rechte der Schwachen gefochten. Im Angesicht des Todes dieser großen Persönlichkeit hätten auch die Redaktionen innehalten müssen, fand die Leserin. Wenigstens für ein paar Stunden hätten sie allein Ruth Bader Ginsburg würdigen können.

Die Journalistinnen-Seele in mir hingegen verstand den Reflex nur allzu gut, der durch praktisch alle Schlagzeilen schwappte. Weiterdrehen, heißt der im Branchen-Jargon, zeigen, was man drauf hat an analytischer Schärfe und politischem Verstand, nicht stehenbleiben beim Ereignis, sondern die Folgen ausleuchten. Bader Ginsburg wird geahnt haben, dass Präsident Donald Trump, dem sie noch 87-jährig und schwerkrank die Stirn geboten hatte, selbst die Nachrichten über ihr Lebensende dominieren würde.

Journalismus bedeutet auch Atemlosigkeit. Schneller sein als andere, besser als die Konkurrenz, weiter denken, pointierter kommentieren – manchmal wissen die Redakteurinnen, Reporter und Kommentatorinnen gar nicht mehr so genau, wen sie damit eigentlich beeindrucken wollen: wirklich das Publikum? Oder vielleicht doch eher den Ressortleiter, die Chefredakteurin, die Kollegen in einer von Krisen gezeichneten Branche? Oder gar nur sich selbst? Man hat das schließlich so gelernt. Erster sein ist wichtig, und wenn man Zweiter ist, muss man wenigstens besser sein. „Better right than first“ heißt ein gängiger Lehrsatz in vielen Redaktionen, die natürlich trotzdem alles Erdenkliche daran setzen, „first“ zu sein.

Wissen die Leser*innen das Tempo zu schätzen?

Aber wie sehen das diejenigen, für die dieser ganze Aufwand eigentlich betrieben werden sollte: die Leser, Hörerinnen, Zuschauer und Nutzerinnen? Wissen sie das Tempo zu schätzen? Fragt man sie, fällt das Urteil recht wohlwollend aus. Rund zwei Drittel der Onlinenutzer stimmten laut dem Digital News Report von 2019 der Aussage zu, dass die Medien gut darin seien, sie über das Tagesgeschehen auf dem Laufenden zu halten. All die Push-Meldungen und eilig zusammengezimmerten Nachrichten zahlen sich also aus, könnte man meinen. Das wäre erfreulich, würde die Beurteilung anderer journalistischer Qualitäten im Vergleich dazu nicht einigermaßen steil abfallen. Gerade einmal jeder zweite Onlinenutzer attestierte den Redaktionen nämlich, die Meldungen des Tages auch angemessen zu erklären. Noch weniger Studienteilnehmer waren der Meinung, dass Journalist*innen einen guten Job dabei machen, den Mächtigen auf die Finger zu schauen. In zwei Kategorien schnitten die Medien besonders schlecht ab. Nicht einmal jeder Dritte fand, dass die ausgewählten Themen für sein tägliches Leben relevant sind. Und gerade einmal 16 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Medien in der Berichterstattung den richtigen Ton wählen. Der häufigste Vorwurf: Sie seien zu negativ.

„Die größte Herausforderung der digitalen Transformation ist nicht die Technik, sondern der Kulturwandel.“

Man kann das jetzt mit der Begründung abtun, dass das ja nur eine Umfrage ist. Man kann gar damit kontern, selbst viel gefälligere Zahlen vorweisen zu können, wie es der Intendant eines deutschen öffentlich-rechtlichen Senders einmal in kleiner Runde getan hat. Man kann aber auch darüber nachdenken. Beim Digital News Report handelt es sich immerhin um die weltweit größte fortlaufende Online-Untersuchung zum Medienkonsum. Das Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford publiziert die Studie jährlich im Juni. Im laufenden Jahr hatten sich mehr als 80.000 Nutzer aus 40 Ländern daran beteiligt, im genannten Jahr 2019 waren es nur unwesentlich weniger. Und auch wenn Durchschnittswerte in Umfragen nie die ganze Geschichte erzählen, ist die Tendenz eindeutig: Nach Meinung des Publikums ist Journalismus zwar aktuell, aber zum Teil nicht besonders relevant. Dazu sei er so negativ und in der Menge oft erschlagend, dass etwa ein Drittel der Leser*innen mindestens zeitweise zu Nachrichten-Verweigerern wird.

Ja, aber …

Wer dem Journalismus erst einmal aus dem Weg geht, weil er ihn nervt, überfordert oder ihm keinen Mehrwert bietet, der ist nicht nur als zahlender Kunde verloren. Er oder sie taucht gar nicht erst in den Nutzerdaten auf, die Präferenzen abbilden sollen und aus denen Redaktionen Schlussfolgerungen darüber ziehen, was inhaltlich „läuft“. Noch schwerer wiegt allerdings: Journalismus-Verweigerer sitzen womöglich schneller Falschmeldungen auf und sind generell weniger gut in der Lage, als Bürger*innen informierte Entscheidungen zu treffen. Die Publikumsnähe des journalistischen Angebots steht in direktem Verhältnis zur Qualität der Demokratie.

Journalist*innen reagieren auf derartige Denkanstöße häufig mit einem beherzten „Ja, aber“. Die Leser*innen verschlängen doch aber alles, was Katastrophe, Streit, Drama und Unglück in der Unterzeile habe. Die Nutzerdaten belegten dies. Investigativ-Reporter*innen widersprechen noch vehementer. Es sei schließlich ihr Job, dem Publikum schlechte Laune zu machen. Nur wenn man Missstände aufdecke, ändere sich etwas zum Guten, argumentieren sie. Beides stimmt. Die Frage ist nur: Findet der Journalismus das richtige Maß? Schließlich geht es darum, ein größtmögliches Publikum zu begeistern. Wer die Job-Beschreibung „vierte Gewalt“ ernst nimmt, darf sich nicht damit zufriedengeben, vor allem im politischen Betrieb oder von der Konkurrenz gelesen zu werden. „Warum hatten die das und wir nicht?“, diese Frage wird in den meisten Redaktionskonferenzen vermutlich mit mehr Nachdruck gestellt als: „Warum interessiert die Leute dieser Stoff nicht, und wie können wir das ändern?“

Eine zunehmend wichtige Frage für die demokratische Wirksamkeit von Journalismus ist außerdem, wen er überhaupt (noch) erreicht. Wenn man ehrlich ist, war diese Quote noch nie so grandios. Zumindest dann nicht, wenn man die gesamte Gesellschaft als Grundlage nimmt. Den Qualitätsmedien ist es zum Beispiel immer schon viel schwerer gefallen, Leserinnen – in diesem Fall bewusst in der weiblichen Form – für sich einzunehmen. Insbesondere bei Wirtschaftstiteln war (und ist) die Leserschaft zu rund 80 Prozent männlich. Das liegt nicht daran, dass sich Frauen nicht für Wirtschaft oder Politik interessieren, im Gegenteil. Viele von ihnen fühlen sich nur nicht angesprochen von einem Journalismus, der sich in Ton und Inhalt rauf und runter um Wettbewerb, Sieg und Niederlage, Helden und gefallene Helden dreht. Leserinnen begeistern sich tendenziell mehr für Auswirkungen von Politik auf den Alltag, persönliche Geschichten, die auch Hoffnung machen, weil sie Wege aus Krisen aufzeigen. Über ständigen Schlagabtausch zu lesen, empfinden sie als ermüdend und Verschwendung ihrer ohnehin knapp bemessenen Zeit.

Junge Leute kreiden den Medien den Hang zur schlechten Laune besonders stark an. Auch mit Sarkasmus und Ironie, auf die man in Redaktionen oft so stolz ist, kommen sie schlecht klar. Sie wünschen sich vom Journalismus mehr Nutzwert für ihr Leben, bessere Erklärungen und gerne auch ein bisschen Spaß – aber eben nicht jenen, der mit einer gewissen Überheblichkeit auf Kosten anderer geht. In persönlichen Gesprächen mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen scheint dies ein ums andere Mal durch. Die qualitative Studie How Young People Consume News von Nic Newman vom Reuters Institute belegt ein entsprechendes Nutzerverhalten. Redaktionen müssen diese Bedürfnisse ernst nehmen. Schließlich gibt es kaum ein Medienhaus, das nicht die Sorge hat, die nachwachsenden Generationen an Youtube- oder Instagram-Held*innen oder gleich ganz an Netflix zu verlieren.

Aus der Perspektive der Demokratie sollte es Journalist*innen aber ganz besonders sorgen, dass der digitale Graben in der Mediennutzung tiefer wird. Diejenigen, die hochgebildet und versiert im Umgang mit Online-Angeboten sind, finden in der digitalen Informations- und Medienwelt heute sehr viel bessere, das heißt vielfältigere, hochwertigere und faktenreichere Angebote als in der Zeit vor Suchmaschinen und sozialen Netzwerken. Viele derjenigen hingegen, die früher wenigstens dann und wann mal zur Zeitung griffen, die Fernsehnachrichten anschalteten oder das Radio laufen ließen – und sei es aus Langeweile –, haben heute so viele Möglichkeiten zur Ablenkung und zum Zeitvertreib, dass sie immer seltener mit Journalismus in Kontakt kommen. Forschung belegt das.

„Nach Meinung des Publikums ist Journalismus zwar aktuell, aber zum Teil nicht besonders relevant.“

Journalismus hat also eine gewaltige Bringschuld. Es gilt, das Publikum in all seiner Vielfalt dort abzuholen, wo es ist: auf den Plattformen, die es nutzt, zu den Zeiten, an denen es sich dort aufhält, mit Formaten, die ihm gefallen. Voraussetzung ist allerdings, dass Redaktionen diese Vielfalt erst einmal erkennen. Das fällt ihnen umso schwerer, je ähnlicher die Kolleginnen und Kollegen einander sind, ganz gleich ob das die Ausbildungswege, das Geschlecht, das Alter, die soziale oder die ethnische Herkunft betrifft.

Ein großer und verbreiteter Irrtum ist, dass man sich um Diversität immer noch kümmern kann, wenn die digitale Transformation erst einmal bewältigt ist. Nein, Vielfalt steht im Kern des Wandels hin zu einem Angebot, das die Produkte vom Publikum her denkt. Anders formuliert: Die größte Herausforderung der digitalen Transformation ist nicht die Technik, sondern der Kulturwandel. Diversität muss nicht nur geschaffen, sondern auch geschätzt und gelebt werden.

Vor allem für Journalist*innen heißt das umlernen. Dabei geht es nicht nur um neue Fähigkeiten, die man sich in ein paar Kursen draufschaffen kann. Die Digitalisierung hat die Machtverhältnisse zwischen Nutzern und Produzenten wenn nicht umgekehrt, so doch zumindest ins Wanken gebracht. Früher gab es Bücher wie Den Wirtschaftsteil der Zeitung richtig lesen und nutzen. Auch wer gut ausgebildet war, sollte sich ruhig noch ein wenig anstrengen. Die Medien erzogen sich ihr Publikum, wer nicht folgen konnte, war raus. Das Geld kam ja ohnehin woanders her: von den Anzeigenkunden, die vor allem am zahlungskräftigen, gebildeten Publikum interessiert waren.

Heute sind die Verlage auf jede zahlende Nutzerin, jeden Nutzer angewiesen. Gebrauchsanweisungen liest aber niemand mehr. Wer nicht intuitiv versteht, warum etwas wichtig ist, wie man es nutzt und worauf es ankommt, wendet sich ab. Ein anderes Angebot wartet schon. Die neue Aufgabenstellung heißt also: Nachrichten so anschaulich machen, dass sie möglichst viele Menschen erreichen, die sie verstehen, nutzen können und sich dabei nicht langweilen.

Seite an Seite mit Entwicklern

Das Gute ist, dass es dafür mehr Plattformen und Möglichkeiten gibt als je zuvor. Der Instagram-Post, das TikTok-Video, der Podcast, die interaktive Infografik, virtuelle Realität, ein Videospiel, der E-Mail-Newsletter – was sich für welche Stoffe und Zwecke eignet, lässt sich ausprobieren. Anders als früher weiß man heute dank neuer Datenfülle zum Glück ziemlich genau, was funktioniert. Wer es nicht immer genau weiß sind die Redakteure und Reporterinnen, die ihr Berufsleben lang ihr Bauchgefühl trainiert haben. Das führt noch immer zu manchem Scoop. Aber im Zusammenspiel der verschiedenen Funktionen in den Verlagshäusern schwindet die Definitionsmacht der Journalist*innen. Produkte, die das Publikum begeistern, können nur Seite an Seite mit Entwicklern, Daten- und Marketing-Spezialisten erfunden, gebaut und getestet werden.

Das Bauchgefühl kann irren

Und es kommt noch schlimmer, wenn man das so formulieren will. „Die Leitung des Teams muss immer jemand von der Business-Seite haben“, sagt Anna Aberg, Digitalchefin der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter, die sich durch besondere Innovationsfreude auszeichnet und bei den Digital-Abos schnell wächst. Das ist für manch eine Journalist*in schwer zu ertragen. Es kratzt tief am Selbstverständnis eines Berufsstands, in dem in weiten Teilen heute noch so ausgebildet und geführt wird wie vor 20 Jahren. Es ist ein Berufsstand, der alles Recht dazu hat, stolz darauf zu sein, was von Reporterinnen und Redakteuren täglich geleistet, riskiert und durchgefochten wird, dessen Stolz aber viel zu häufig mit einem Überlegenheitsgefühl einherging – dem Publikum gegenüber und auch den eigenen Kollegen. Mit großem Selbstverständnis haben Journalist*innen die Mitstreiter*innen vom Marketing, der Infografik oder der IT-Abteilung lediglich als Zuarbeiter verstanden. Teamarbeit geht anders, Kundenorientierung auch.

Zum Glück wächst in den Verlagen eine neue Generation heran, die Führung ernst nimmt und als ständiges Lernen versteht. Dazu gehören übrigens auch jene älteren Semester, die es nie gemocht haben, dass man jede schlampige, ungerechte oder unsinnige Entscheidung mit dem eigenen „Bauchgefühl“ rechtfertigen kann. Dies könnte den Ton nicht nur in den Redaktionskonferenzen verändern, sondern womöglich ebenso den der Produkte, für die sich die Nutzer*innen begeistern sollen.

Journalist*innen leisten viel für die Demokratie. Manche riskieren dafür ihre Gesundheit, einige sogar ihr Leben. Dennoch legitimiert sich Journalismus nur über sein Publikum, wie Rasmus Kleis Nielsen, Direktor des Reuters Institutes in Oxford, zu sagen pflegt. Journalismus ist manchmal Kunst, aber viel öfter Dienstleistung. Seine Grundhaltung ist Mut. Vor allem aber sollte es auch Demut sein. 

Dieser Text erschien in „Journalist“, gedruckte Ausgabe November 2020, online am 9. November 2020.

Jetzt reicht’s mit Lügenpresse – Wenn das Publikum die Medien verteidigt

Beim Thema Medienvertrauen wird gerne mit Superlativen gearbeitet, auch in der Branche selbst. „Noch nie war das Vertrauen in den Journalismus so niedrig“, heißt es dann oder „Vertrauen in die Presse sinkt seit Jahren“. Man sollte hinter beide Behauptungen zumindest ein Fragezeichen stellen, denn wie so oft ist die Wirklichkeit komplizierter. Forscher_innen diagnostizieren keinen drastischen Vertrauensschwund in journalistische Produkte. Im Gegenteil: In der Corona-Krise war die Hoffnung auf Aufklärung durch etablierte Medien ausgeprägt wie lange nicht, selbst bei jungen Leuten. Es geht vielmehr um die Frage, wer wem vertraut – oder eben nicht. Neue Studien bestätigen dies.

Da ist zum Beispiel die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz. Die repräsentative Umfrage wurde bereits sechsmal durchgeführt, die Werte zum allgemeinen Vertrauen in Medien rangierten in den vergangenen vier Jahren einigermaßen konstant zwischen 40 und 44 Prozent. Das ist kein schlechter Wert, denn eine gesunde Skepsis ist auch ein Zeichen von Medienbildung in der Demokratie. Allerdings legte bei der im Dezember 2019 erhobenen Welle der Anteil derjenigen auf 28 Prozent deutlich zu, die deutliches Misstrauen äußerten. Was hingegen so selten vorkam wie noch nie: Dass sich jemand mit „teils, teils“ äußerte. „Offenbar sehen sich immer mehr Menschen angesichts einer sich immer weiter polarisierenden Debattenkultur dazu veranlasst, auch selbst Position zu beziehen“, schlossen die Forscher_innen daraus. Noch deutlicher wird dies bei dem Vorwurf, die Bevölkerung werde „systematisch von den Medien belogen“. Zwar stimmte knapp jeder Fünfte dieser Aussage zu, 58 Prozent wiesen sie aber zurück – und damit so viele wie nie zuvor.

Dieser Trend zur klaren Meinungsbildung deutet darauf hin, dass sich mehr Menschen mit der Rolle der Medien und des Journalismus in der Demokratie auseinandersetzen als früher. Und das ist eine gute Nachricht. Schließlich haben Redaktionen in den vergangenen Jahren offensiv um das Vertrauen der Bürger_innen geworben. Das ist neu. Schließlich gab es Zeiten, in denen Journalisten so etwas nicht für nötig gehalten hatten. Das war damals, als man Leserpost als lästige Nebenwirkung betrachtete und es zur Berufsehre gehörte, sich bei der Recherche nicht in die Karten schauen zu lassen (manchmal auch, weil es da nicht viel zu sehen gab). Heute, wo Medienhäuser mehr und mehr darauf angewiesen sind, ihre Einkünfte aus Abos oder Mitglieder-Beiträgen zu generieren, kann man sich eine solche (Nach-)Lässigkeit nicht mehr leisten. Auf der einen Seite gewinnt man also Verbündete.

Auf der anderen kommen sie allerdings abhanden, denn das Bekenntnis zur Medienmarke wird immer stärker politisch aufgeladen. Dies belegt auch der aktuelle Digital News Report. Das generelle Vertrauen in Medien hat demzufolge über alle 40 Märkte hinweg etwas gelitten, es sank um vier Prozentpunkte auf 38 Prozent verglichen mit 2019. Aber der Blick auf einzelne Länder ergibt ein differenziertes Bild. In Großbritannien mit einer eher rechts der Mitte orientierten Medienlandschaft kollabierte das Vertrauen derjenigen nahezu, die sich als politisch links identifizieren. Die Berichterstattung über Brexit und ein polarisierender Wahlkampf können als Ursachen gewertet werden. In den USA hingegen vertraut das linke Spektrum den etablierten Medien dagegen deutlich stärker, als dies Angehörige des konservativen Lagers tun. Es geht also deutlich mehr um Gesinnung als um so etwas wie objektive Qualitätsdaten.

Daraus folgt allerdings noch lange nicht, dass sich Medien mit eben dieser Gesinnung diesen Rändern anbiedern sollten. In vielen Ländern gibt es nach wie vor eine große Mehrheit derjenigen, die es schätzen, wenn sich Journalismus zumindest um Objektivität bemüht. In Deutschland ist dieses Bedürfnis laut Digital News Report so ausgeprägt wie nirgendwo: 80 Prozent aller Befragten wünschen sich Unparteilichkeit, nur 15 Prozent hätten nach eigenem Bekunden gerne ihre eigene Sicht auf die Welt bestätigt, und nur fünf Prozent möchten sich durch andere politische Standpunkte herausfordern lassen. Kein Wunder, denn hierzulande haben sich schlechte Erfahrungen besonders eingeprägt mit einer Presse, die eher indoktriniert als informiert.

Diese Zahlen sollte man kennen. Denn gerade die jüngere Generation von Journalist_innen führt eine ausgeprägte Debatte darüber, ob Objektivität eigentlich möglich sei. Die Antwort darauf ist schlicht: Natürlich hat Journalismus immer mit Auswahl zu tun, ob Reportage, Kommentar oder Datenanalyse, und diese Auswahl ist persönlich gefärbt. Ein journalistisches Produkt ist deshalb nie so neutral wie die Lösung einer Mathe-Aufgabe. Aber es wäre grundfalsch, das Bemühen um Fakten und Objektivität deshalb gleich einzustellen. Denn ein Ringen um Wahrheit gehört zur Grundausstattung des Handwerks, damit heben sich Journalist_innen von allen anderen Meinungsmachern ab, die es ja reichlich gibt. Wichtig ist allerdings, dass Reporterinnen und Redakteure mit vielen unterschiedlichen Standpunkten um diese Wahrheit ringen. Das große Ganze ergibt dann den Journalismus.

Eine neue, großangelegte quantitative Studie der Kommunikationswissenschaftler Antonis Kalogeropoulos und Benjamin Toff hat ergeben, dass Vertrauen in die Qualität von Medien und der Grad an Pressefreiheit die wichtigsten Variablen dafür sind, ob Menschen Medien überhaupt nutzen oder ob sie sie ignorieren. Der Bildungsgrad spielte dagegen praktisch keine Rolle. Es lohnt sich also, in diese Qualität zu investieren. Denn wenn sich die Bürger_innen vom Journalismus abwenden, entziehen sie ihm die Lebensgrundlage.

Dieser Text erschien am 17. Juli 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.

Journalismus darf etwas kosten!

Das Angebot an Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen ist zu einem Über­an­ge­bot gewor­den. Der Preis für viele jour­na­lis­ti­sche Pro­dukte ten­diert gegen Null. Deshalb müssen Zei­tungs­häu­ser und Medi­en­kon­zerne die Bedürf­nisse ihres Publi­kums ergrün­den. Bezahl­mo­delle funk­tio­nie­ren im Lokal­jour­na­lis­mus beson­ders gut.

Wenn es um ihre eigenen Pro­dukte geht, geben sich manche Jour­na­lis­ten erstaun­lich wenig selbst­be­wusst. „Leider, leider steht dieser Text hinter einer Bezahl­schranke“, kann man zuwei­len in den sozia­len Netz­wer­ken lesen, wenn eine Autorin oder ein Autor ihr eigenes Werk anpreist. Beim Bäcker zum Bei­spiel käme so etwas nie­man­dem in den Sinn. „Leider, leider muss ich für dieses Kür­bis­kern-Bröt­chen Geld ver­lan­gen“ – schon mal gehört? Okay, man kann das nicht direkt ver­glei­chen. Denn ein Bröt­chen gibt es nicht so ohne wei­te­res geschenkt. Um hin­ge­gen Jour­na­lis­mus zu bekom­men, der nichts kostet, reicht meist ein ein­zi­ger Scroll oder Klick. In der Infor­ma­ti­ons- und Auf­klä­rungs­bran­che hat die Digi­ta­li­sie­rung zu einem Markt­ver­sa­gen geführt.

Aller­dings sind sich viele Repor­ter und Redak­teure selbst nicht so sicher, ob sie für ihre Pro­dukte etwas ver­lan­gen dürfen. Schließ­lich sei die Auf­klä­rung der Bürger auch ein öffent­li­ches Gut, von dem alle pro­fi­tie­ren sollten, nicht nur die­je­ni­gen, die es sich leisten könnten, sagen sie. Jour­na­lis­mus, der nichts kostet, sei deshalb ein Dienst an der Demo­kra­tie. Man kann aller­dings auch anders argu­men­tie­ren: Die Demo­kra­tie braucht Medien, die ihre Rolle als Wächter, Welt­erklä­rer und Ver­mitt­ler zwi­schen gesell­schaft­li­chen Gruppen und ein­zel­nen Men­schen ernst nehmen und mit Lei­den­schaft aus­fül­len. Die Bereit­schaft der Bürger, für Jour­na­lis­mus zu zahlen, ist ein Grad­mes­ser dafür, ob ihnen das gut genug gelingt.

Fried­rich Merz: Wir brau­chen Jour­na­lis­ten nicht mehr

Die Situa­tion ist ver­fah­ren, und das hat mehrere Gründe. Einer­seits ist das Angebot an Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen zu einem Über­an­ge­bot gewor­den: Da Men­schen mit­tei­lungs­be­dürf­tig sind, wollen sie mit ihren Bot­schaf­ten vor allem gehört werden. Dafür auch noch Geld zu ver­lan­gen, kommt nur den­je­ni­gen in den Sinn, die davon leben müssen oder eben jene Orga­ni­sa­tio­nen am Laufen halten, die sich der Auf­klä­rung der Bürger ver­schrie­ben haben. Die anderen würden not­falls sogar drauf­zah­len, um gehört zu werden. „Wir brau­chen die nicht mehr“, sagte der von Füh­rungs­am­bi­tio­nen getrie­bene CDU-Poli­ti­ker Fried­rich Merz kürz­lich an die Adresse von Jour­na­lis­ten und sprach damit vor allem eine Wahr­heit aus: Der  immer noch beliebte Jour­na­lis­mus des Typs „der hat gesagt, die hat gesagt“ ist vom Aus­ster­ben bedroht. Auf dem Markt für Infor­ma­tio­nen ten­diert der Preis für viele Arten von Inhal­ten gegen Null.

„Click­bai­ting“ höhlt Ver­trauen aus

Ande­rer­seits hat sich die Medi­en­bran­che die Kos­ten­los-Kultur auch selbst zuzu­schrei­ben. Zu lange hatte sie in dem Irr­glau­ben ver­harrt, das Erfolgs­mo­dell „Werbung finan­ziert Inhalt“, oder zumin­dest einen großen Teil davon, ließe sich von der Welt der gedruck­ten Zeitung eins zu eins in die Online-Welt über­tra­gen. Dass daraus ein Modell „Inhalte finan­zie­ren Daten für Inter­net-Kon­zerne“ werden würde, hatten sie nicht geahnt.

Von der Stra­te­gie, Texte aus Druckerzeug­nis­sen für jeden zugäng­lich online zu stellen, hat aller­dings bislang niemand pro­fi­tiert. Die Medi­en­häu­ser haben damit zwar ihre Reich­wei­ten erhöht, vor allem betraf das aber ver­wech­sel­bare Inhalte – das so genannte Click­bait –, die ihr Profil ver­wäs­sert und Ver­trauen aus­ge­höhlt haben. Einige Jour­na­lis­ten und Blogger konnten sich zwar per­sön­lich als Marke eta­blie­ren und mas­sen­weise Fol­lo­wer um sich scharen, das allein sichert aber selten ihren Lebens­un­ter­halt. Die Platt­form-Kon­zerne haben auch wenig von der Kos­ten­los-Kultur der Medien, denn der Anteil jour­na­lis­ti­scher Inhalte an allem, was rund um die Uhr über das Netz ver­brei­tet wird, liegt im unteren ein­stel­li­gen Bereich. Und nicht einmal der Anspruch auf mehr Demo­kra­tie wurde ein­ge­löst. Nach einer Studie des Reuters Insti­tu­tes for the Study of Jour­na­lism am Bei­spiel Groß­bri­tan­nien ist der Nach­rich­ten­kon­sum in der digi­ta­len Welt noch unglei­cher ver­teilt als offline: Während gebil­dete Schich­ten sich online aus mehr Quellen infor­mie­ren, bekom­men sozial schlech­ter gestellte wegen des Über­an­ge­bots an Unter­hal­tung und anderen Ablen­kun­gen noch sel­te­ner mit Jour­na­lis­mus in Berüh­rung als vorher.

Schreib­tisch­jour­na­lis­mus

Gewin­ner sind einzig die Bil­dungs­eli­ten, die mit der neuen Infor­ma­ti­ons­welt gut umgehen können. Die könnten es sich leisten, für guten Jour­na­lis­mus Geld aus­zu­ge­ben, aber sie tun es selten, wenn sie es nicht müssen. Welt­weit zahlen laut dem Digital News Report, der 38 Länder ana­ly­siert, nur etwa 14 Prozent aller online Nutzer für jour­na­lis­ti­sche Ange­bote. In einigen skan­di­na­vi­schen Ländern, in denen es wenige kos­ten­freie Qua­li­täts­an­ge­bote gibt, sind es immer­hin bis zu 30 Prozent.

In vielen einst pro­spe­rie­ren­den Zei­tungs­häu­sern ran­gie­ren die Stra­te­gien deshalb irgendwo zwi­schen Kürzen und Kahl­schlag. Überall auf der Welt ächzen Medien gleich­zei­tig unter dem Versuch, kos­ten­pflich­tige Ange­bote auf­zu­bauen. Das ist schwie­rig. Denn viele Redak­tio­nen haben sich aus der Not heraus auf eine Art „Copy und Paste“-Journalismus ein­ge­schos­sen, für den man den Schreib­tisch nicht ver­las­sen muss. Für solche Billig-Ware zahlen die Kon­su­men­ten nicht, doch für was dann? Vor lauter Ringen um Klicks und Reich­weite haben viele Medi­en­schaf­fende den Kontakt zu ihrem Publi­kum ver­lo­ren.

Geschäfts­mo­dell Lokal­jour­na­lis­mus

Klar ist: Kon­su­men­ten sind eher nicht geneigt, für ein­zelne Inhalte Geld aus­zu­ge­ben. Es gibt schlicht zu viele davon. Sie zahlen für ein Erleb­nis, zum Bei­spiel für ein Ritual am Morgen oder ein Event am Abend. Sie zahlen für Service und Bera­tung. Und sie zahlen für das Qua­li­täts­ver­spre­chen einer Marke, die es schafft, Ver­trauen auf­zu­bauen und zu pflegen. Men­schen müssen sich vom Jour­na­lis­mus ernst genom­men fühlen, wenn sie ihn unter­stüt­zen sollen. Redak­tio­nen müssen sich deshalb auf ihren Kern zurück­be­sin­nen: Sie müssen sich ihrem spe­zi­el­len Publi­kum zuwen­den, dessen Bedürf­nisse ergrün­den und ihm dienen. Im Lokal­jour­na­lis­mus kann das beson­ders gut gelin­gen.

Nur wer sich unver­zicht­bar oder zum Teil einer lieb­ge­wor­de­nen Routine macht, kann das in Rech­nung stellen. Bürger brau­chen Ori­en­tie­rung. Sie werden nicht für alles zahlen wollen, und wenige können es wirk­lich nicht. Auch für sie muss es Ange­bote geben, ob öffent­lich-recht­lich oder stif­tungs­fi­nan­ziert. Aber noch geben viele Men­schen für den Milch­kaf­fee zum Mit­neh­men mehr Geld aus als für den Jour­na­lis­mus, an dem sie mehr und länger Freude haben sollten. Es liegt in den Händen der Medi­en­häu­ser, das zu ändern. Jour­na­lis­mus, der so viel Spaß macht wie ein „Coffee to go“: Das muss zu schaf­fen sein.

Diese Kolumne erschien am 25. Februar 2020 bei Zentrum Liberale Moderne

Rettet den Journalismus für alle! Warum es öffentlich-rechtliche Medien geben muss

Es wird viel bemän­gelt am öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: zu kri­tisch, zu unkri­tisch, zu links, zu behäbig, als Konzept überholt. Aber ohne Sender, die durch öffent­li­che Finan­zie­rung den unmittelbaren Zwängen des Marktes enthoben sind, wäre die Demo­kra­tie in Gefahr.

Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Strei­fen­hemd wirft und dort heute lei­den­schaft­lich für den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk plä­diert, muss die Lage ernst sein. Der Auf­tritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Euro­päi­schen Broad­cas­ting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber ange­sichts dessen, dass die großen Sender welt­weit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womög­lich zu einer Revival-Tour über­re­den. Immer­hin geht es um eine Säule der Demo­kra­tie.

Ulvaeus erzählte sehr per­sön­lich, wie er Schwe­dens öffent­li­ches Radio als Teen­ager zunächst ver­ach­tet hatte, weil dort zu wenig Pop-Musik gespielt wurde, wie er sich später jedoch zuneh­mend gebor­gen fühlte in den Werten, die es ver­mit­telte. Er hatte Fotos von Ausch­witz gesehen und den Schat­ten der Sowjet­union gespürt. Ihm war bewusst gewor­den, dass Frei­heit und Teil­habe nicht selbst­ver­ständ­lich sind. „Der Bil­dungs­auf­trag durch die öffent­lich-recht­li­chen Sender war immer Kern des euro­päi­schen demo­kra­ti­schen Pro­jekts“, sagte Ulvaeus.

Dieser Tage gras­siert viel Ver­ach­tung für die staat­lich finan­zier­ten Sender. Nicht unter Teen­agern, die strafen sie eher mit Nicht­be­ach­tung. Die Atta­cken gegen den „Staats­funk“ kommen viel­mehr aus dem poli­ti­schen Raum, vor allem von rechts. Poli­tisch zu links, zu lang­wei­lig, zu irrele­vant, zu teuer und auf­ge­bläht, zu kri­tisch oder zu unkri­tisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Über­in­for­ma­tion sei das Konzept eines gemein­sa­men öffent­li­chen Infor­ma­ti­ons­raums über­holt.

Und die Debatte wird zuneh­mend schril­ler. Zum Jah­res­wech­sel beschäf­tigte ein etwas unglück­lich umge­tex­te­tes Lied, vor­ge­tra­gen vom Kin­der­chor des WDR, den poli­tisch-media­len Komplex ein­schließ­lich Inten­dan­ten für Wochen. Sogar die stolze BBC, welt­weit Inbe­griff erst­klas­si­ger und unbe­stech­li­cher Infor­ma­tion, ist Angriffs­ziel. Im Wahl­kampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Inter­view in einen Kühl­raum flüch­tete. An einer dem Kli­ma­schutz gewid­me­ten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teil­neh­men, die Redak­tion ersetzte ihn durch einen schmel­zen­den Eis­klotz. Der Premier ließ durch­bli­cken, Bürger könnten künftig straf­frei aus­ge­hen, wenn sie ihre Rund­funk­ge­bühr nicht zahlten.

Zur Unter­ma­lung kürzen aller­or­ten Regie­run­gen den öffent­li­chen Sendern die Etats, in Däne­mark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Mil­lio­nen Pfund ein­spa­ren, einer der Gründe, warum BBC-Inten­dant Tony Hall Rich­tung Natio­nal Gallery ent­schwin­det, deren Chair­man er wird.

Ner­ven­kit­zel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rund­funk- und Fern­seh­an­stalt SRG SSR ihre Daseins­be­rech­ti­gung per Refe­ren­dum bestä­ti­gen lassen musste. Im Land der Volks­be­fra­gun­gen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstim­men­den lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Genera­ti­ons­wech­sel wird dazu führen, dass sich ein immer grö­ße­rer Teil der Bevöl­ke­rung nicht mehr daran erin­nern kann, wozu man die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten braucht. Und die wie­derum geben dem jungen Publi­kum nicht unbe­dingt einen Grund dazu. Das Reuters Insti­tute for the Study of Jour­na­lism beti­telte eine Studie zu den großen Sendern acht euro­päi­scher Länder deshalb mit „Old, edu­ca­ted and poli­ti­cally diverse“, also alt gebil­det und – immer­hin – poli­tisch viel­fäl­tig.

Die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten sind aber kei­nes­wegs ver­zicht­bare Über­bleib­sel aus dem prä­di­gi­ta­len Zeit­al­ter, sondern zentral für die Demo­kra­tie. Dafür gibt es min­des­tens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Ver­trau­ens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publi­kum ihnen immer noch am ehesten zu, die Fak­ten­lage zu über­bli­cken und eine Viel­falt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegen­tei­li­gen Anwür­fen zum Trotz. Dies ergeben Umfra­gen wie der Digital News Report, die Lang­zeit­stu­die Medi­en­ver­trauen der Uni­ver­si­tät Mainz oder Ver­öf­fent­li­chun­gen der EBU.

Zwei­tens, die Sender gehen in die Fläche. Öffent­lich-recht­li­che Anbie­ter sind auch dort präsent, wo sich kom­mer­zi­el­ler Jour­na­lis­mus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischen­da­sein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokal­zei­tun­gen der Begriff Nach­rich­ten­wüste geprägt. In Europa sind solche von Jour­na­lis­mus unver­sorg­ten Gebiete deut­lich sel­te­ner. Man könnte behaup­ten, dies ver­hin­dert eine ähn­li­che poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung. Zumin­dest trägt es aber zu Bildung und Auf­klä­rung bei.

Drit­tens bemühen sich öffent­lich-recht­li­che Medien wie niemand sonst um Viel­falt und Inklu­sion. Dies betrifft die Zusam­men­set­zung der Beleg­schaf­ten und die Inhalte. Die öffent­li­chen Sender müssen die Gesell­schaft abbil­den. Sie sind deshalb in der Regel deut­lich weiter als privat finan­zierte Häuser, was die Gleich­stel­lung von Frauen oder die Beschäf­ti­gung von Min­der­hei­ten angeht. Dies wirkt sich auf den Facet­ten­reich­tum der Pro­gramme aus, die sich an alle sozia­len Schich­ten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine ver­läss­li­che jour­na­lis­ti­sche Grund­ver­sor­gung in einer Zeit, in der kom­mer­zi­elle Anbie­ter zuneh­mend auf Bezahl­mo­delle setzen.

Natür­lich müssen sich die öffent­li­chen Medi­en­häu­ser wandeln, und das ist inmit­ten gewach­se­ner büro­kra­ti­scher Appa­rate eine Her­aus­for­de­rung. Aber die ent­spre­chende Erkennt­nis ist überall da – und dazu viele Jour­na­lis­ten, die dies mit Verve und Über­zeu­gung vor­an­trei­ben.

Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Euro­vi­sion Song Contest der EBU gewon­nen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Men­schen ver­bin­det: „Er ist unter­halt­sam, breit, inklu­siv“. Wer das so poli­tisch sieht, mag dem Spek­ta­kel künftig womög­lich etwas abge­win­nen. Und den dahin­ter­ste­hen­den Bas­tio­nen des Jour­na­lis­mus noch dazu.

Kolumne erschienen bei Zentrum Liberale Moderne am 3. Februar 2020

Wir brauchen digital mündige Bürger!

Das Phä­no­men der Fake News wird sich in Zukunft noch ver­stär­ken. Ändern lässt sich das kaum. Deshalb sind Kam­pa­gnen zur digi­ta­len Mün­dig­keit min­des­tens so not­wen­dig wie einst jene zur Alpha­be­ti­sie­rung.

Für die­je­ni­gen, die mit der rasan­ten Ver­brei­tung von „Fake News“ das Ende der Demo­kra­tie her­an­na­hen sehen, dürfte 2020 ein beun­ru­hi­gen­des Jahr werden. Die Wahlen in den USA und ein Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren gegen den amtie­ren­den Prä­si­den­ten Donald Trump stehen an, beides wird das Land weiter pola­ri­sie­ren und die Bürger eher emp­fäng­li­cher für Lügen und aller­lei Ver­schwö­rungs­theo­rien machen. Erfah­rungs­ge­mäß schwap­pen die Debat­ten darüber unge­bremst über den Atlan­tik. In Groß­bri­tan­nien wurde schon gewählt, und wenn­gleich selbst hart­ge­sot­tene Digital-Pes­si­mis­ten sich schwer damit tun sollten, das klare Votum für Premier Boris Johnson und gegen Labour-Her­aus­for­de­rer Jeremy Corbyn der Akti­vi­tät von Troll­fa­bri­ken oder ähn­li­chem zuzu­schrei­ben, gehör­ten Falsch­in­for­ma­tio­nen und die Debatte darum im Wahl­kampf zum per­ma­nen­ten Grund­rau­schen. Wie sehr müssen wir uns also fürch­ten?

Man könnte sagen: sehr. Und genau darin liegt eine Chance. Die Ver­brei­tung von „Fake News“ und die Debatte darüber müssen ein Anlass dafür sein, Bürger im großen Stil fit für die neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Welt zu machen. Kam­pa­gnen zur digi­ta­len Mün­dig­keit sind min­des­tens so not­wen­dig wie einst jene zur Alpha­be­ti­sie­rung, die die Men­schen fit für die Welt des gedruck­ten Wortes und die Demo­kra­ti­sie­rung möglich gemacht haben.

Gleich vorweg: Das Phä­no­men der Falsch­in­for­ma­tion als solches wird nicht nur bleiben, es wird sich ver­stär­ken. Künst­li­che Intel­li­genz ermög­licht es schon jetzt selbst Laien, für wenig Geld soge­nannte deep fakes zu kre­ieren, also zum Bei­spiel täu­schend echt wir­kende Videos von Poli­ti­kern mit ent­spre­chen­den Ton­spu­ren zu basteln. Und die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten dafür ver­bes­sern sich schnel­ler als die Werk­zeuge, um den Ver­ur­sa­chern das Hand­werk zu legen. Hacker und Geheim­dienste in aller Welt werden dies aus ver­schie­dens­ten Motiven heraus zu nutzen wissen. Die Pro­duk­ti­ons­seite lässt sich also kaum in den Griff bekom­men.

Algo­rith­men anpas­sen

Etwas besser stehen die Chancen dafür, das Übel auf Seiten der Ver­tei­ler zu bekämp­fen. Die Platt­form-Kon­zerne haben die Infor­ma­tio­nen bislang weit­ge­hend unge­prüft und nur nach kom­mer­zi­el­len Kri­te­rien gewich­tet in die Welt gebla­sen. Sie könnten eben diese Gewich­tung ändern, sprich, ihre Algo­rith­men anpas­sen und Nach­rich­ten von ver­trau­ens­wür­di­gen Quellen höher bewer­ten als jene von unbe­kann­ten oder gar erwie­se­ner­ma­ßen zwei­fel­haf­ten. Der Müll würde so zwar nicht aus dem Netz ver­schwin­den aber weniger sicht­bar und damit auch sel­te­ner geteilt werden.

Die Jour­na­lism Trust Initia­tive, initi­iert und getra­gen von der Orga­ni­sa­tion Repor­ter ohne Grenzen, der European Broad­cas­ting Union und anderen nam­haf­ten Medien-Insti­tu­tio­nen, hat hier wich­tige Vor­ar­beit geleis­tet. Nun müssen die Kon­zerne das Übel auch anpa­cken wollen, not­falls unter mehr oder weniger sanftem Druck von Regu­lie­rung­be­hör­den. Hier liegt zuge­ge­ben ein Risiko, denn Regu­lie­rer könnten sich auf diese Weise auch dem Ein­fluss kri­ti­scher Stimmen ent­le­di­gen. Man möchte weder einem Donald Trump noch einem Viktor Orban das Pri­vi­leg zubil­li­gen, über die Qua­li­tät von Jour­na­lis­mus zu urtei­len. Dies sollte Gremien über­las­sen bleiben, die sich der Neu­tra­li­tät und Fak­ten­treue ver­schrie­ben haben.

Am wich­tigs­ten ist es aller­dings, bei den Emp­fän­gern anzu­set­zen. Bislang wissen nur die wenigs­ten Bürger, nach welchen Kri­te­rien Inhalte im Netz ver­teilt werden und an ihre Adres­sa­ten gelan­gen, wer Zugang zu diesen Kanälen hat und wie leicht sich erlo­gene aber täu­schend echt wir­kende Infor­ma­tio­nen erstel­len lassen. Auch über die Besitz­ver­hält­nisse der digi­ta­len Infra­struk­tur sind eher nur die Fach­leute infor­miert. Zumin­dest kann nicht vor­aus­ge­setzt werden, dass jedem Nutzer klar ist, dass hinter der Kurz­vi­deo-Platt­form TikTok ein chi­ne­si­scher Konzern steckt. Davon abge­se­hen, dass auch die­je­ni­gen, die es wissen, mit TikTok arbei­ten oder es nutzen – aus Spaß, oder weil man damit eben viele Kunden erreicht.

„Finn­land ist winning the war“

Noch am ehesten kann vor­aus­ge­setzt werden, dass das Publi­kum zumin­dest Grund­kennt­nisse darüber hat, wie Jour­na­lis­mus funk­tio­niert. Dass sich Repor­ter und Redak­teure im Nor­mal­fall an ethi­sche und hand­werk­li­che Regeln gebun­den fühlen – Bei­spiele sind das Vier-Augen-Prinzip und das Ein­ho­len meh­re­rer Quellen – haben viele Bürger schon gehört, auch wenn sie es nicht immer glauben. Und ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung ver­lässt sich eher auf eta­blierte Marken wie die „Tages­schau“, Sender wie die BBC oder auf ihre Lokal­zei­tung als auf zwei­fel­hafte „Exper­ten“, die manch ein Face­book-Beitrag nach oben schwemmt. Das lässt sich aus Medi­en­kon­sum-Studien wie dem Digital News Report ablesen.

Aber all das ist keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Auf­klä­rung tut also Not. Bislang funk­tio­niert das am besten in der jungen Genera­tion. Junge Leute betrach­ten „Fake News“ eher als Beläs­ti­gung denn als echte Gefahr. Viele von ihnen haben gelernt, sich durch die Abgründe des Inter­nets zu navi­gie­ren – um den Preis, dass sie allen Infor­ma­tio­nen mit grö­ße­rer Skepsis begeg­nen als die älteren Genera­tio­nen, inklu­sive dem Qua­li­täts­jour­na­lis­mus. Sie bringen sich das gegen­sei­tig bei oder lernen es in der Schule, wo es natür­lich die beste Infra­struk­tur für digi­tale Bildung gibt.

Anders geht es den Älteren. Sie sind einer­seits anfäl­li­ger für Falsch­mel­dun­gen, weil sie weniger über die Online-Welt wissen, ande­rer­seits aber auch ver­letz­li­cher, weil sie gezielt von Algo­rith­men als mut­maß­lich leichte Beute ange­steu­ert werden. Es ist erwie­sen, dass Senio­ren sehr viel häu­fi­ger Falsch­mel­dun­gen bekom­men und teilen als ihre Enkel. Bil­dungs­pro­gramme für die­je­ni­gen, die Schule und Uni­ver­si­tät bereits ver­las­sen haben, sind also exis­ten­ti­ell, wenn einem der auf­ge­klärte Umgang der Bevöl­ke­rung mit der Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­in­fra­struk­tur am Herzen liegt. Dies sollte und muss in allen Demo­kra­tien der Fall sein. Am Bei­spiel Finn­land lässt sich ablesen, dass das recht ordent­lich funk­tio­nie­ren kann. Eine 2014 begon­nene Auf­klä­rungs­kam­pa­gne über „Fake News“ war so erfolg­reich, dass CNN in einem Feature bereits tri­um­phierte: „Finn­land is winning the war on fake news“. Selbst aus Sin­ga­pur seien Regie­rungs­ver­tre­ter ange­reist, um das Erfolgs­re­zept zu kopie­ren. Aber auch anderswo gibt es gute Initia­ti­ven für genera­tio­nen­über­grei­fende digi­tale Bildung, zum Bei­spiel in Tsche­chien.

Dort, wo diese Auf­klä­rung nicht exis­tiert, ist die Wahr­schein­lich­keit groß, dass Regie­run­gen gar kein Inter­esse an der digi­ta­len Mün­dig­keit ihrer Bürger haben. Eine ver­wirrte Öffent­lich­keit ist anfäl­li­ger für ein­fa­che, popu­lis­ti­sche Inter­pre­ta­tio­nen der Lage, eine kri­ti­sche Presse und unan­ge­nehme Fakten stören so manch einen Amts­trä­ger nur. Digi­tale Bildung darf deshalb nicht nur in der öffent­li­chen Hand liegen. Wer dazu bei­trägt, dient der Demo­kra­tie. Unab­hän­gige Medien zum Bei­spiel können gar nicht genug dafür tun.

Diese Kolumne erschien am 20. Dezember 2020 bei Zentrum Liberale Moderne

Mehr Debatte war nie!

Angeblich schirmen uns die Algorithmen von allen Einflüssen ab, die unser Weltbild stören könnten. Doch so griffig die Metapher der Filterblase auch ist: Sie stimmt nicht.

Wenn es theoretische Konzepte in die Alltagssprache schaffen, freuen sich Akademiker*innen üblicherweise. Hat die Wissenschaft der Welt also doch etwas zu sagen, das jenseits des Hörsaals relevant ist.

In diese Kategorie gehören auch die Wörter Filterblase und Echokammer. Microsoft-Gründer Bill Gates hat davor ebenso gewarnt wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, und zuweilen wirft sie jemand auf einem Elternabend in die Diskussion: „Die Kids leben in ihrer Filterblase.“ Was frei übersetzt in etwa heißen soll: Die lesen nicht mal Zeitung.

Die Theorie klingt zumindest griffig: Angeblich schirmen uns Algorithmen im Internet von jeglichen Einflüssen ab, die unser Weltbild stören könnten. Die sozialen Netzwerke sind demnach schuld daran, dass wir diskurstechnisch in sauber getrennten Teichen nach den immer gleichen Argumenten fischen. Mit Inhalten, die uns überraschen oder Standpunkten, die unseren widersprechen könnten, kommen wir nicht mehr in Kontakt.

Das Konzept hat nur einen Schönheitsfehler: Es stimmt nicht. In Wahrheit weisen mehr Indizien auf das Gegenteil hin. Das Publikum informiert sich heute aus einer größeren Anzahl von Quellen als zu Zeiten, in denen die „Tagesschau“ oder die abonnierte Zeitung die einzige nachrichtliche Grundversorgung lieferten.

Zu diesem Ergebnis kommt etwa der „Digital News Report“. Dessen Autoren Richard Fletcher und Rasmus Kleis Nielsen untersuchen seit Jahren den weltweiten Informationskonsum. Ihr Fazit: „Jene, die Nachrichten über Suchmaschinen konsumieren, nutzen durchschnittlich mehr Quellen. Und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie politisch rechts- und linkslastige Quellen finden.“

Echokammern? Filterblasen? Fletcher und Nielsen widersprechen: „Suchmaschinen bringen Menschen mit Quellen in Kontakt, die sie sonst nicht genutzt hätten“, schrieben sie im vergangenen Jahr im Fachjournal „Digital Journalism“.

Zu schön, um falsch zu sein

Die Politikwissenschaftler Jan Philipp Rau und Sebastian Stier haben jüngst ebenfalls die Literatur gesichtet und herausgefunden, dass „die Furcht vor einer gesamtgesellschaftlichen Fragmentierung durch digitale Medien und einer damit verbundenen politischen Polarisierung empirisch nicht unterstützt wird“.

Man könnte also sogar sagen: So viel Debattenstoff war nie! Warum aber schwebt die Filterblase durch jede Diskussion zur digitalen Kommunikation, wenn man sie so leicht zum Platzen bringen kann?

Geprägt hat den Begriff der Internetaktivist Eli Pariser, der 2011 mit einem gleichnamigen Buch Furore machte. Darin wollte er darüber aufklären, „wie wir im Internet entmündigt werden“. Das klang offenbar zu schön, um nicht wahr zu sein.

Angesehene Theoretiker griffen das Konzept auf und entwickelten es weiter, zum Beispiel der Harvard-Jurist Cass Sunstein in „#Republic – Divided Democracy in the Age of Social Media“. In gewisser Weise teilt Pariser das Schicksal des Historikers Francis Fukuyama, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das Ende der Geschichte prognostizierte: Ständig wird er mit etwas zitiert, was so nie eingetroffen ist. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, warum die Filterblasen-Metapher so erfolgreich ist.

„Sie ist intuitiv, eingängig und spricht eine große Angst hinsichtlich des Einflusses von Algorithmen an“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Natali Helberger von der Universität Amsterdam, „die Menschen fürchten sich davor, dass sie das Publikum segmentieren und polarisieren.“

Sie will sich über diese Sorge keineswegs lustig machen, im Gegenteil: „Aber angesichts einer vielfältigen Medienlandschaft und eines heterogenen Publikums ist das nicht die drängendste Sorge Europas.“

Richtig ist, dass die Algorithmen der sozialen Netzwerke oder Suchmaschinen bestimmte Inhalte mit höherer Wahrscheinlichkeit anzeigen: was Nutzer*innen vorher schon mal interessiert hat, was Freunde mögen, was besonders aufsehenerregend ist oder viele andere Menschen ebenfalls angeklickt haben. Falsch ist allerdings, dass die Technologie gar nichts anderes serviert und uns deshalb in der Sicherheit wiegt, alle anderen dächten so wie wir.

Verrohung der Gesellschaft

Trotzdem werden die sozialen Netzwerke und ihre vermeintlichen Filterblasen und Echokammern für die Verrohung der Gesellschaft, die Verdummung der Bürger*innen oder die Expansion des Populismus verantwortlich gemacht. Dahinter steckt die ebenso überhebliche wie realitätsferne Annahme, dass Menschen, die krudes Gedankengut verbreiten, zur Besinnung kommen, wenn sie die richtigen Argumente kennen.
Tatsache ist aber: Fakten beeinflussen uns weniger, als wir hoffen. Menschen, die sich mit ‧populistischem Gedankengut identifizieren, glauben ohnehin selten an Objektivität. Sie malen die Gesellschaft bewusst als ein „Wir gegen die“-Gemälde. Dazu suchen sie sich allerlei „Beweise“ zusammen, gerne aus verschiedenen Quellen.

Zum Beispiel hören sie „Staatsfunk“, wie sie öffentlich-rechtliche Sender gerne nennen – um ihn sodann zu verdammen. Menschen, nicht Suchmaschinen, treiben die Polarisierung voran. Es ist sogar erwiesen, dass sich Mediennutzer*innen noch weiter in extremen Positionen vergraben, wenn sie gegensätzlichen Meinungen ausgesetzt sind. Versucht man, die vermeintliche Filterblase aufzubrechen, reagieren sie darauf mit Abwehr.

Im Twitter-Zeitalter werden Fakten zur digitalen Kommunikation gerne ignoriert. Zunächst einmal hat es die vermeintlichen Filterblasen schon immer gegeben. Die abonnierte Tageszeitung oder der voreingestellte Radiosender sind und waren diesbezüglich effektiv. Man las die Beiträge seiner Lieblingsautoren und fühlte sich rundum gut informiert. Wozu woanders suchen?

Auch politische Polarisierung, Rassismus und Sexismus existierten, lange bevor sich die Bürger*innen über soziale Netzwerke gegenseitig darin bestärken konnten – zumal ältere Generationen gespaltener sind als jüngere. Das Brexit-Referendum in Großbritannien wurde in erster Linie von der Boulevardpresse angeheizt.

Wie eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung von neun überregionalen britischen Tageszeitungen vor der Abstimmung ergab, sprachen sich von fast 2400 Artikeln 41 Prozent für einen Brexit aus. Demgegenüber waren 27 Prozent dafür, in der EU zu bleiben. Über Facebook schoben sich die Brexiteers allenfalls entsprechende Meldungen traditioneller Medien zu.

Bloß keine Panik

Der australische Kommunikationswissenschaftler Axel Bruns warnt deshalb vor „moralischer Panik“. Die permanente Diskussion um Filterblasen und Echokammern lenke von den wahren Ursachen politischer Polarisierung ab, sagte er vor einigen Monaten auf einer Konferenz: „Der Aufstieg von hyperparteiischen, populistischen und illiberalen ideologischen Agitatoren und Propagandisten an den Rändern des politischen Spektrums und die Ablehnung von demokratischen Prinzipien und Prozessen sind nicht in erster Linie ein Phänomen der Kommunikationstechnologien – sondern ein gesellschaftliches Problem.“

Zudem wird der Einfluss sozialer Netzwerke massiv überschätzt. Das liegt auch daran, dass die Journalist*innen selbst dort kräftig unterwegs sind – und sie geben nach wie vor den Ton an. Selbst wenn der amerikanische Präsident häufig über Twitter krakeelt, erreicht er dort bei Weitem nicht alle seine Anhänger*innen.

Tatsächlich ist die Reichweite gerade von Twitter vergleichsweise gering. Populist*innen beziehen ihre Neuigkeiten zudem überproportional aus dem Fernsehen, in den USA zum Beispiel über den Sender Fox News, in Deutschland über Privatsender wie RTL.

Auf Twitter hingegen tummeln sich vor allem Politiker*innen und Medienschaffende. Der unbeabsichtigte Effekt: Journalist*innen verschaffen so manchem Tweet erst Reichweite, weil sie ihn zur Story hochjazzen. Die Forschung hat ein ums andere Mal ergeben: In den sozialen Netzwerken beherrschen die traditionellen Medien die Debatte.

Was lässt sich nun gegen die Polarisierung tun? Zunächst einmal müssen alle Institutionen die Sorgen und Gefühle der Bürger*innen ernst nehmen: Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der digitale Umbruch, der Klimawandel, Einwanderung – in all diesen Feldern warten Aufgaben. Es wird aber mehr daran gearbeitet, als es das große Blabla in den sozialen Netzwerken zuweilen vermuten lässt.

Im Koalitionstracker der „Süddeutschen Zeitung“ kann man zum Beispiel verfolgen, wie viele von 140 Versprechen aus dem Koalitionsvertrag schon umgesetzt wurden oder zumindest in Arbeit sind – tatsächlich eine ganze Menge. Auch ein Blick auf die Website ourworldindata.org lohnt sich für die Erkenntnis: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lösen tatsächlich echte Probleme der Menschheit, sie schaffen sie nicht nur.

Tatsächlich tragen die Medien viel zur gesellschaftlichen Grundstimmung bei. Der diesjährige „Digital News Report“ stellte dem Journalismus in dieser Hinsicht ein schlechtes Zeugnis aus. Nur 16 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Medien „den richtigen Ton“ treffen, weniger als ein Drittel fand die Themen relevant, über die berichtet wurde. Gerade mal jeder Zweite bescheinigte der Presse, die Nachrichten des Tages ausreichend zu erklären.

Allein bei der Vermittlung purer Informationen schnitten die Medien gut ab. Da geht also noch was. Vor allem gilt es, Formate zu entwickeln, die mehr Bürger*innen erreichen. Daran appelliert auch Natali Helberger. Sie sorge sich „um die digital Verletzlichen“ – jene Nutzer*innen, die wegen ihres Medienkonsums, ihrer Bildung, ihres sozialen Status und des Mangels an politischem Interesse von vielfältiger Information ausgeschlossen werden.

Die Medien haben schon immer Filterblasen produziert, und sie werden es auch weiter tun. In Wahrheit ist es heute bloß viel leichter, ihnen zu entkommen.

Dieser Text erschien in ada und Handelsblatt.com am 23. November 2019

Warum Journalismus mehr Haltung und weniger Meinung braucht

„Haltung“ – im Zusam­men­hang mit Jour­na­lis­mus ist dieses Wort in Miss­kre­dit geraten. Heute wird es häufig mit „Mei­nungs­ma­che“ gleich­ge­setzt. Eine Verteidigung dieses zwi­schen „Meinung“ und „Neu­tra­li­tät“ ein­ge­zwäng­ten Begriffs.

Zunächst klang es nach einer Geschichte, die Hoff­nung machte: Die bis dahin weit­ge­hend unbe­kann­ten Soft­ware-Mil­lio­näre Silke und Holger Fried­rich kauften der Kölner Dumont Medi­en­gruppe den tra­di­ti­ons­rei­chen Ber­li­ner Verlag ab, der die Ber­li­ner Zeitung und den Ber­li­ner Kurier her­aus­gibt. Und anders als Finanz­in­ves­to­ren, die so etwas vor allem tun, um die Objekte ihrer Begierde finan­zi­ell aus­zu­pres­sen und dann ihrem Schick­sal zu über­las­sen, schien bei dem Unter­neh­mer­paar gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment dahin­ter zu stecken. Schlum­merte hier womög­lich eine Art Washing­ton Post-Story? Die ame­ri­ka­ni­sche Zeitung war 2013 von Amazon-Gründer Jeff Bezos über­nom­men worden, und hat sich seitdem zu einem Vor­zei­ge­be­trieb ent­wi­ckelt. Ein tech­no­lo­gi­sches Power-Haus, das dennoch keinen Zweifel an seiner jour­na­lis­ti­schen Kraft und Unab­hän­gig­keit lässt.

Pres­se­ko­dex als Grund­ge­rüst

Im Fall Berlin frei­lich währte die Begeis­te­rung kurz. Mitte Novem­ber kam heraus, dass Holger Fried­rich in den Acht­zi­ger­jah­ren als IM für die Staats­si­cher­heit der DDR tätig war. Für die Redak­tion der Ber­li­ner Zeitung mit ihrem großen Stamm­pu­bli­kum im Osten der Stadt heißt es seitdem: Haltung zeigen. Die Chef­re­dak­teure Jochen Arntz, Elmar Jehn und Margit J. Mayer ver­spra­chen ihren Lese­rin­nen und Lesern, man werde sich „sach­lich und ange­mes­sen“ mit der Situa­tion aus­ein­an­der­set­zen: „Wir stehen für unab­hän­gi­gen Jour­na­lis­mus und werden wie bereits in der Ver­gan­gen­heit unseren Beitrag zur Auf­ar­bei­tung der DDR-Geschichte leisten.”

Haltung – im Zusam­men­hang mit Jour­na­lis­mus ist dieses Wort in jüngs­ter Zeit in Miss­kre­dit geraten. Der schöne deut­sche Begriff, für den es übri­gens im Eng­li­schen keine Ent­spre­chung gibt, stand mal für Rück­grat. Heute wird er häufig mit „Mei­nungs­ma­che“ gleich­ge­setzt. Er beschreibt eine Bericht­erstat­tung, die in ähn­li­cher Atem­lo­sig­keit den Daumen über die Welt­lage hebt oder senkt, wie es die Nutzer beim Sichten der nim­mer­mü­den Nach­rich­ten-Fließ­bän­der in den sozia­len Netz­wer­ken tun. Dabei ist Jour­na­lis­mus ohne Haltung nicht denkbar. Viel mehr: Jour­na­lis­mus braucht Haltung. Er muss Unab­hän­gig­keit vom Staat und anderen mäch­ti­gen Inter­es­sen bewei­sen. Nur so kann er den Bürgern, der Demo­kra­tie und den Grund­wer­ten dienen, die ihr Fun­da­ment sind. Tut er das nicht, hat er das Prä­di­kat „Jour­na­lis­mus“ nicht ver­dient. Er ist dann Pro­pa­ganda oder PR.

Nun ist das ein hehres Ideal. Im Tages­ge­schäft stehen die Grund­werte oft in Kon­kur­renz mit jour­na­lis­ti­schen Begehr­lich­kei­ten und tat­säch­lich auch dem Arbeits­auf­trag von Repor­te­rin­nen und Repor­tern. Die Würde von Men­schen zum Bei­spiel wird schon mal ange­tas­tet, selbst wenn es nicht um ein grö­ße­res gesell­schaft­li­ches Inter­esse, sondern nur um eine gute Story geht. Ständig gilt es abzu­wä­gen, was wich­ti­ger ist: der Per­sön­lich­keits­schutz oder das Inter­esse der All­ge­mein­heit. Aber wie überall, wo die Frei­heit des einen gegen die des anderen ver­han­delt wird, gibt es für diese Fälle Regeln, nach denen sich Jour­na­lis­ten zu ver­hal­ten haben. In Deutsch­land schreibt sie der Pres­se­ko­dex in seinen 16 Grund­sät­zen fest. Wer sich seiner Haltung nicht sicher ist: Diese Liste taugt schon mal recht gut als Gerüst.

Ver­pflich­tung zur Neu­tra­li­tät

Weniger komplex ist der berühmte, erschöp­fend zitierte Satz des ehe­ma­li­gen Tages­the­men-Mode­ra­tors Hanns Joachim Fried­richs, ein Jour­na­list solle sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Der 1995 ver­stor­bene Jour­na­list hatte diese Aussage nicht so all­ge­mein gemeint, wie sie später ver­kauft wurde. Denn natür­lich müssen Jour­na­lis­ten immer wieder Partei ergrei­fen: min­des­tens für die Wahr­heit, oder zumin­dest für deren beste ver­füg­bare Version, wie es der Water­gate-Repor­ter Carl Bern­stein einmal for­mu­lierte. Außer­dem sollen sie Anwälte der Bürger sein, die legi­time Anlie­gen und Bedürf­nisse haben, sich damit aber nicht aus­rei­chend bemerk­bar machen können. Aber es gehört auch zur jour­na­lis­ti­schen Haltung, sich in der Politik nicht auf eine Seite zu werfen, bevor man die Fakten aus­rei­chend geprüft und dar­ge­stellt hat. Jour­na­lis­mus als öffent­li­ches Gut ist auch eine Dienst­leis­tung, damit sich mündige Bürger ihre Meinung selbst bilden können.

Beson­ders die öffent­lich-recht­li­chen Sender ver­pflich­ten sich in unter­schied­li­chem Grad zur Neu­tra­li­tät – immer­hin haben sie den Auftrag, für alle da zu sein. Schwe­dens Radio­sen­der Sve­ri­ges Radio ist beson­ders strikt. Chef­re­dak­teur Olle Zach­ri­son schil­dert in einer Studie, die sich unter anderem mit der Moti­va­tion von Berufs­an­fän­gern beschäf­tigt: „Wie erleben es oft, dass junge Leute Jour­na­lis­ten werden, weil sie die Welt ver­än­dern wollen. (…) Wir sagen ihnen dann, das ist viel­leicht eine gute Moti­va­tion. Aber nun musst du deine vor­ge­fer­tig­ten Mei­nun­gen zur Seite legen, denn nun bist du ein unvor­ein­ge­nom­me­ner Jour­na­list.“ Auch die bri­ti­sche BBC achtet streng auf das Gebot der Neu­tra­li­tät, dessen Inter­pre­ta­tion manch einer nicht mehr zeit­ge­mäß findet. Als die schwarze Star-Mode­ra­to­rin Naga Mun­chetty kürz­lich abge­mahnt wurde, weil sie eine ras­sis­ti­sche Äuße­rung von Donald Trump ent­spre­chend kom­men­tiert hatte, spran­gen ihr so viele Kol­le­gen zur Seite, dass Inten­dant Tony Hall den Verweis zurück­nahm.

Haltung kann nicht starr sein, denn Werte ändern sich, wenn sich neue Fakten offen­ba­ren. Die Bewah­rung der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen ist ein solcher Wert, der sich in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten von einem Mei­nungs­thema, bei dem man Exper­ten gegen­ein­an­der antre­ten lies, zu einem Hal­tungs­thema ent­wi­ckelt hat. Je besser sich der Kli­ma­wan­del belegen ließ, umso legi­ti­mer wurde es, Anders­den­ken­den keinen Platz mehr ein­zu­räu­men. Der bri­ti­sche Guar­dian hat sich sogar ver­pflich­tet, der „Kli­ma­krise“ sowohl in der Bericht­erstat­tung als auch in der Orga­ni­sa­tion „die Auf­merk­sam­keit zu widmen, der sie bedarf“.

Haltung muss übri­gens jede Jour­na­lis­tin, jeder Jour­na­list per­sön­lich ent­wi­ckeln. Wer sich hinter seiner Redak­tion ver­steckt mit dem Argu­ment, dieses und jenes sei nun einmal Praxis des Hauses, handelt viel­leicht nach­voll­zieh­bar. Haltung zeigen aber heißt, für Werte gera­de­zu­ste­hen – im Zweifel auch gegen den Chef­re­dak­teur.

Diese Kolumne erschien am 26. November 2019 bei Zentrum Liberale Moderne

Keine Angst vor Trollen: Fünf Gründe, warum das Internet noch zu retten ist

Manchmal sieht es so aus, als sei das Internet vom Werkzeug der Unterdrückten zum Instrument der Unterdrücker geworden. Aber es gibt Fakten, die Hoffnung machen. Trotz Trump, Fake-News und Troll-Fabriken bleibt das Internet ein Zukunftsversprechen. 

Für Inter­net-Opti­mis­ten hält ein neuer Report aus Oxford ver­stö­ren­den Lese­stoff parat: Schon mehr als ein Drittel aller Staats­re­gie­run­gen nutzt das Netz dazu, die eigene Bevöl­ke­rung mit Hilfe sozia­ler Netz­werke zu mani­pu­lie­ren, wie Saman­tha Brad­shaw und Philip Howard vom Oxford Inter­net Insti­tute in ihrer Studie „The Global Dis­in­for­ma­tion Order“ her­aus­ge­fun­den haben. Eine wach­sende Anzahl ver­breite online zudem nicht nur Pro­pa­ganda, sondern schüch­tere Kri­ti­ker ein, bringe Oppo­si­tio­nelle zum Schwei­gen und ver­letze gar Men­schen­rechte. Und die Freude an der digi­ta­len Kon­trolle nehme zu: Iden­ti­fi­zierte die Studie 2017 noch 28 solche Länder, waren es ein Jahr später schon 48, in diesem Jahr nun 70. Einige Staaten misch­ten sich zudem mit geziel­ten Kam­pa­gnen in Ange­le­gen­hei­ten anderer Länder ein, nament­lich China, Russ­land, Iran, Saudi Arabien, Vene­zuela, Paki­stan und Indien – immer­hin die größte Demo­kra­tie der Welt. Bevor­zugt griffen die Täter über Face­book an, so die For­scher. Man kann diese Infor­ma­tion Ope­ra­ti­ons – so das Fach­wort – auch Kriegs­füh­rung mit vir­tu­el­len Waffen nennen.

Lassen sich die Errun­gen­schaf­ten des demo­kra­ti­schen Zeit­al­ters bewah­ren?

Nun gibt es ja schon im Kleinen aus­rei­chend Pöbe­leien, Hass­rede und Lügen im Netz – neu­er­dings sogar mit rich­ter­li­cher Bil­li­gung. Die Grünen-Poli­ti­ke­rin Renate Künast musste sich im Sep­tem­ber vom Ber­li­ner Land­ge­richt erklä­ren lassen, dass sie es hin­zu­neh­men habe, „Schlampe“, „Drecks Fotze“ oder „Geis­tes­kranke“ genannt zu werden. Hinzu kommt gezielte Falsch­in­for­ma­tion, gemein­hin unter dem Begriff Fake News zusam­men­ge­fasst. Wenn all das auch noch staat­lich gelenkt und geför­dert mit immer bes­se­ren tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten geschieht, fällt Zuver­sicht schwer. Ist das Netz vom Werk­zeug der Unter­drück­ten zum Instru­ment der Unter­drü­cker gewor­den? Gepflegte Debatte, zuver­läs­sige Infor­ma­tion, Wahl­ent­schei­dun­gen ohne Mei­nungs­ma­ni­pu­la­tion – es scheint gar nicht so sicher zu sein, dass sich die Errun­gen­schaf­ten des demo­kra­ti­schen Zeit­al­ters bewah­ren lassen.

 

Und doch muss nun nicht jeder den Habeck machen und sich bei Face­book und Twitter abmel­den wie der Grünen-Chef, oder gar ein Ere­mi­ten-Leben planen wie der Inter­net-Aus­stei­ger in Dave Eggers‘ Inter­net-Dys­to­pie „The Circle“. Es gibt durch­aus einige Fakten, die Hoff­nung machen können:

Fake-News sel­te­ner als man denkt

Erstens, die Angst vor fal­scher Infor­ma­tion ist weitaus größer als die tat­säch­li­che Ver­brei­tung von Lügen und ver­dreh­ten Fakten. Das gilt zumin­dest für die hiesige poli­ti­sche Welt. Dies belegen Studien, unter anderem der Digital News Report des Reuters Insti­tute for the Study of Jour­na­lism. Zwar macht sich ein großer Teil des Publi­kums wegen des Themas Sorgen. Iro­ni­scher­weise tragen die Medien-Berichte über Troll-Fabri­ken und Infor­ma­ti­ons­ma­ni­pu­la­tion nicht unwe­sent­lich dazu bei. Aber nur ein kleiner Teil der Online-Nutzer bekommt tat­säch­lich erfun­dene Inhalte zu Gesicht, und ein noch klei­ne­rer ver­brei­tet sie weiter.

Junge Nutzer denken kri­tisch

Zwei­tens, die junge Genera­tion geht ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter mit dem Netz um als die ältere. Auch das belegen Studien. Während viele in der ana­lo­gen Welt sozia­li­sierte Online-Nutzer krude Dinge nicht hin­ter­fra­gen, weil diese schwarz auf weiß daher­kom­men, navi­gie­ren die Jungen mit gesun­der Skepsis durchs Netz. Die Pro­gramme zur Medi­en­bil­dung an den Schulen schei­nen zu wirken – dumm nur, dass es zu wenig sys­te­ma­ti­sche Auf­klä­rung für ältere Genera­tio­nen gibt.

Bürger sind lernfähig

Drit­tens, es emp­fiehlt sich, die Bürger nicht zu unter­schät­zen. Das Publi­kum ist lern­fä­hig. Viele online Nutzer haben sich bereits von Face­book abge­wandt, weil ihnen Kako­pho­nie, Unglaub­wür­dig­keit und Ver­wick­lung in Skan­dale wie Cam­bridge Ana­ly­tica zu viel gewor­den sind. Das gilt sowohl für Jugend­li­che im glo­ba­len Norden als auch für viele Nutzer in Ländern Afrikas und Süd­ost­asi­ens, bei denen Face­book als „Fake News Kanal“ gilt. Das heißt natür­lich nicht, dass der Face­book-Konzern an Macht ver­liert. Immer­hin gehören auch Insta­gram und Whats­app zum Impe­rium von Mark Zucker­berg.

Print-Zei­tun­gen machen Twitter groß

Vier­tens, Donald Trump regiert nicht über Twitter. Ent­ge­gen all­ge­mei­ner Annah­men infor­mie­ren sich die Anhän­ger von Popu­lis­ten deut­lich stärker über das Fern­se­hen als über soziale Medien, auch das belegt der Digital News Report. Im Netz hin­ge­gen suchen eher die­je­ni­gen nach Aus­kunft, die sich dif­fe­ren­zier­ter mit der Welt aus­ein­an­der­set­zen. Dennoch besitzt Twitter Durch­schlags­kraft. Vor allem, weil tra­di­tio­nelle Medien oder Sender wie Fox News die Reich­weite dras­ti­scher Tweets und Posts massiv erhöhen. Jour­na­lis­ten können also sehr viel für eine kon­struk­tive Debatte tun, wenn sie die Empö­rungs-Maschi­ne­rie nicht anhei­zen.

Ein bes­se­res Inter­net ist möglich

Fünf­tens, die digi­tale Welt ist nicht wie das Wetter, das man hin­neh­men muss. Sie lässt sich gestal­ten. Zum Glück wird dieser Tage in vielen natio­na­len und inter­na­tio­na­len Gremien bis hin zur UNESCO darüber debat­tiert, wie man mit den Ver­stär­ker-Effek­ten des Inter­nets umgehen soll. Dass die Algo­rith­men der Platt­for­men von mäch­ti­gen kom­mer­zi­el­len und staat­li­chen Inter­es­sen getrie­ben werden, macht es nicht leich­ter. Aber die Zusam­men­hänge sind vielen Akteu­ren klarer als vor zehn Jahren, und unter Demo­kra­ten ist der Wunsch groß, das Netz zu nutzen, um Mit­spra­che und Teil­habe zu ver­bes­sern. Die EU ist eine Bastion gewor­den, wenn es darum geht, die Bürger der Mit­glied­staa­ten gegen den Miss­brauch ihrer digi­ta­len Spuren zu ver­tei­di­gen. Und selbst Face­book inves­tiert in die unab­hän­gige Erfor­schung ethi­scher Fragen von künst­li­cher Intel­li­genz, auch wenn manch einer das kri­tisch sehen mag. Der Konzern aus dem Silicon Valley steckt 6,5 Mil­lio­nen Euro in ein ent­spre­chen­des Insti­tut an der TU München.

Natür­lich bleibt die Lage ernst. Vor allem dort, wo Popu­lis­ten sich des Netzes bedie­nen, brau­chen Kon­troll­in­stan­zen wie Gerichte und unab­hän­gige Medien Stär­kung, die Opfer von Atta­cken Schutz. Das ist dort ungleich schwie­ri­ger, wo Popu­lis­ten regie­ren. Aber eine starke Demo­kra­tie ist immer noch die beste Ver­si­che­rung gegen Miss­brauch im Netz. Und man sollte sich nicht beirren lassen: Die Anstän­di­gen, die fried­lich mit ihren Nach­barn zusam­men­le­ben wollen, sind bei genaue­rem Hin­se­hen meist in der Mehr­heit. Auch wenn sie von den Krach­ma­chern über­tönt werden.

Diese Kolumne erschien bei Zentrum Liberale Moderne am 29. Oktober 2019