Vielfalt fordern, Einfalt meinen: Wenn Journalismus-Kritiker aneinander vorbeireden

Eines lässt sich mit ziemlicher Sicherheit behaupten: Das Angebot an Journalismus war noch nie so vielfältig wie heute. Man kann sich einerseits wie früher bei den großen oder lokalen Medienmarken informieren. Deren Inhalte gibt es aber nicht länger nur als lineare Sendung oder auf Papier, sondern auch auf Websites, manchmal bei YouTube, Instagram, TikTok, bei Spotify oder in der Mediathek. Zudem handeln die etablierten Nachrichtenmarken heute in einer Breite Themen ab, die es noch vor zehn Jahren an keinem Chefredakteur vorbei geschafft hätten. Vermutlich kommen heute selbst in der FAZ mehr Paartherapeuten als Parteiforscher zu Wort. Andererseits existieren unzählige Spezial-Angebote für diejenigen, die sich als Teil einer Gruppe oder mit einem Interessengebiet identifizieren – ob das junge Frauen sind, People of Colour, die queere Community, Politik-Junkies oder Menschen, die sich im Detail über Klima-Themen oder Geldanlage auf dem Laufenden halten wollen. Das Gründen im Journalismus ist einfach geworden (was nicht für das wirtschaftliche Überleben gilt). Und dennoch beklagen sich mindestens zwei Lager darüber, dass es den Medien an Vielfalt mangelt. 

Der Streit um die Vielfalt und seine beiden Lager 

Das ist einerseits die Fraktion, die Harald Welzer und Richard David Precht (Die Vierte Gewalt) applaudiert. Sie unterstellt insbesondere dem politischen Journalismus eine ideologische Einfalt, die sie irgendwo links von der Mitte und auf jeden Fall im grünen Milieu verortet. Sie beklagen: Die angebliche „Mehrheits-Meinung“ (nämlich ihre eigene) komme in den Medien nicht vor. Sie greifen vor allem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, was man befremdlich finden kann, denn anders als bei kommerziellen Anbietern wird gerade dort penibel auf angemessene Redezeiten aller in den Parlamenten vertretenen Parteien geachtet. 

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die etwas Ähnliches behaupten, aber etwas anderes meinen. Sie sagen: Redaktionelle Inhalte und Entscheidungen seien nach wie vor von einer Mehrheit weißer, gut ausgebildeter Männer, vielleicht auch ein paar Frauen geprägt. Menschen wie sie – schwarz, muslimisch, transsexuell, Arbeiterkinder, man ergänze – seien weder optisch noch inhaltlich so repräsentiert, dass es die Gesellschaft abbilde. Sie kämen höchstens als Objekte vor, die es zu sezieren gelte. Praktisch ist, dass auf diese Weise so gut wie jeder in den Chor der nach Vielfalt Rufenden einstimmen kann, was dem Anliegen eine gewisse Lautstärke verleiht. Allerdings ist es schon jetzt absehbar, dass kein Ergebnis alle zufriedenstellen wird. 

Was sind also die Fakten?

Eine Tagung des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund um Michael Steinbrecher und Tobias Gostomzyk hatte im Sommer 2023 den Spagat versucht, die Debatte in ihrer gesamten Breite abzubilden und dazu einige Fachleute samt Forschung aufgefahren. Es ging sowohl um inhaltliche Vielfalt als auch um Vielfalt in Redaktionen und Gremien. 

Eine wichtige Erkenntnis in Sachen politische Vielfalt lieferte die Uni selbst in einer Studie aus ihrem Projekt Journalismus und Demokratie: Anhänger verschiedener Parteien finden, dass jeweils das andere politische Lager in den Medien überrepräsentiert ist. Im Kontrast dazu sehen sie sich und ihre Positionen zu wenig gespiegelt. Man könnte das als Hinweis auf eine gewisse Vielfalt deuten, denn schon als Journalist ahnt man, wenn sich gegensätzliche Seiten beklagen, hat man wohl etwas richtig gemacht. Trotzdem attestierten die Anhänger fast aller Parteien dem Journalismus eine verhältnismäßig hohe Glaubwürdigkeit. Allein diejenigen, die sich in der forsa-Umfrage als AFD-Sympathisanten bekannten, vertrauen den traditionellen Medien kaum, weshalb sie ihre Informationen eher aus anderen Quellen beziehen. 

38 Prozent der befragten Journalisten stehen den Grünen nahe 

Die Dortmund-Studie legt allerdings die Interpretation nahe, dass der politische Journalismus eine gewisse Schlagseite Richtung grüne Positionen haben könnte. Laut Michael Steinbrecher gaben 38 Prozent von 750 befragten Journalisten an, den Grünen nahezustehen. Es ist jedoch nicht belegt, ob und wie sich Parteipräferenzen in der Berichterstattung niederschlagen. Jeder vierte Befragte hatte zu Protokoll gegeben, sich mit keiner politischen Partei zu identifizieren.           

Die Journalismusforscherin Birgit Stark von der Johannes Gutenberg Universität Mainz präsentierte zudem eine Studie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, in der sich die befragten Nutzer recht zufrieden mit der Vielfalt in den Medien äußerten. Die Forscher:innen hatten Themenvielfalt, Meinungsvielfalt und Akteursvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Medien der drei Länder untersucht. Vor allem bei Themen und Meinungen sahen die Angesprochenen kaum Defizite in der Vielfalt. Wo also liegen die Probleme wirklich?

Die erdrückende Dominanz des politischen Journalismus 

Ein Grund, warum Menschen Journalismus oft als einseitig wahrnehmen, dürfte in der erdrückenden Dominanz des traditionellen politischen Journalismus liegen, der insbesondere die wichtigen Nachrichtensendungen prägt. Hier geht es häufiger um Zitate und Konflikte als um Fakten und Nutzwert, zu Wort kommen in erster Linie Funktionäre. Harald Welzer sprach bei der Tagung von „Politik-Politik-Journalismus“, also einer selbstreferentiellen Spielart des Fachs. Auch der Digital News Report von 2023 sieht Anzeichen dafür, dass diese Art von Journalismus Menschen in den Nachrichten-Überdruss treibt. „Das Nachrichten-Interesse rutscht ab“, bestätigte Juliane Leopold, Chefredakteurin Digital von ARD Aktuell auf der Tagung. Wer sich aber generell vom Journalismus abwendet, nimmt die gesamte Breite und Vielfalt des journalistischen Angebots nicht mehr wahr und verpasst wichtige Informationen und Debatten. 

Der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der FU Berlin warnte auf der Konferenz davor, nur auf die Angebotsvielfalt zu schauen. Es komme auf die Nutzungsvielfalt an, also darauf, dass der Journalismus auch die Breite der Gesellschaft erreicht. Hier haben viele Redaktionen Nachholbedarf, denn traditionell beschäftigen sich Journalisten viel mit ihren Inhalten, aber wenig oder gar nicht mit deren Wirkung auf diejenigen, für die sie gedacht sind. Es reicht nicht, Vielfalt zu produzieren, wenn sie die potenziellen Adressaten nicht erreicht. 

„News Outsider“ – wem der Journalismus nichts bedeutet 

Die Gründerin des Schibsted-Innovation Labs, Agnes Stenbom, hat den Begriff „News Outsider“ geprägt. Er beschreibt diejenigen, denen Journalismus nichts bedeutet. Sie finden, er sei für ihr Leben nicht relevant. Insbesondere junge Menschen aus sozialen Brennpunkten zählen dazu. Für sie sind Angebote auf den (Social Media-)Plattformen wichtig, auf denen sie sich bewegen. Und darin müssen natürlich Menschen vorkommen, mit denen sich diese Zielgruppen identifizieren können. Der Haken ist: Genau solche Formate, wie sie zum Beispiel bei Funk von ARD und ZDF zu finden sind, ärgern wiederum diejenigen, die in Talkshows gerne von mangelnder Medienvielfalt sprechen. Man könnte unterstellen, dass sich so manch einer dieser Kritiker eher eine Rückkehr zur Medienwelt von früher wünscht – als es so ein breiteres Angebot eben nicht gab.

Man sollte nicht vergessen, dass einige derjenigen, die den Medien einen Mangel an Meinungsvielfalt attestieren, politische Interessen damit verfolgen. Nicht erst seit den „Fake News Media“-Tiraden von Donald Trump ist klar, dass sich Politiker gerne Kritiker vom Hals schaffen, indem sie die gesamte Branche als unglaubwürdig diskreditieren. Wie Craig Robertson im Digital News Report belegt, setzen Politiker Medienkritik weltweit als Instrument ein, um Widerspruch zu ersticken und Rechercheure einzuschüchtern. Genau aus diesem Grund wird Forschung gebraucht, die Fakten zur Medienvielfalt liefert. Wer nur Gefühlslagen abbildet, dient damit gewollt oder ungewollt Interessen, die den unabhängigen Journalismus gezielt schwächen wollen.      

Durch tägliches Erleben wie auch durch Forschung nachgewiesen ist hingegen der Mangel an Vielfalt innerhalb der Redaktionen. Zahlreiche Publikationen zum Beispiel von den Neuen deutschen Medienmacher*innen oder dem Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford belegen, dass hier noch viel getan werden muss. Das reicht von der Einstellung und Förderung entsprechender Kandidat:innen über die Sensibilisierung von Führungskräften bis hin zum Kulturwandel. Nur in einer Umgebung, in der sich vielfältige Mitarbeiter:innen sicher fühlen, in der sie ihre Ideen als willkommen wahrnehmen, werden entsprechende Projekte gedeihen. 

Dabei geht es auch um Bedürfnisse von Menschen, die sich in keiner Statistik potenziell benachteiligter Gruppen finden. Schließlich stecken die urban und bildungsbürgerlich geprägten Redaktionen großer Medienmarken die Themenfelder entsprechend ab. Sven Gösmann, Chefredakteur der DPA,  gab auf der Konferenz zu bedenken, dass zum Beispiel die Berufsschule in der Berichterstattung deutscher Medien kaum stattfinde. Dafür habe man sich zeitweise überproportional mit Elektro-Rollern beschäftigt. Redaktionen, die die Gesellschaft nicht abbilden, werden dies auch in ihren Inhalten kaum schaffen. Damit riskieren sie aber nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sie verschenken auch wirtschaftliches Potenzial. Letztlich gefährden sie die Rolle des Journalismus in der Demokratie.

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 27. Juli 2023. Aktuelle Kolumnen lesen Sie dort mit einem Abo.

Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

Der mediale Graben: Das Internet vergrößert die Kluft zwischen Informierten und weniger Gebildeten

Journalismus wird zunehmend eine Sache für Oldies, auch der digitale. Das wird in der Analyse des Digital News Report 2022 (DNR) deutlich. Das liegt nicht daran, dass jungen Leuten das Nachrichtengeschehen egal ist. Nur konsumieren die allermeisten von ihnen eher solche Formate, die sich perspektivisch nicht zu Geld machen lassen. Gleichzeitig sind die Verlage auch angesichts der Inflation darauf angewiesen, vor allem ein weniger preissensibles Publikum zu bedienen, das durchaus bereit ist, das eine oder andere zusätzliche Digital-Abo abzuschließen, wenn die Qualität stimmt. Medienmanager und Redaktionsleiter mögen sich wortreich zum Journalismus als vierte Gewalt bekennen; dennoch wird die Konzentration auf zahlungskräftige Zielgruppen zumindest bei den kommerziellen Anbietern Investitionen und Inhalte prägen. 

Die neuen Daten zeigen: Der digitale Graben wächst, und er ist auch ein medialer Graben. Dieser verläuft nicht mehr wie früher nur zwischen mehr und weniger Gebildeten, sondern auch zwischen alt und jung. Nur mit einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung wird es gelingen, alle Generationen weiterhin für die Demokratie fit zu machen.

Fünf Beobachtungen, die auf mediale Gräben hinweisen

Der Trend zur journalistischen Klassengesellschaft ist nicht neu, aber er lässt sich anhand des im Juni 2022 erschienenen Zahlenwerks belegen. (Der Report ist die weltweit größte fortlaufende Untersuchung des Medienkonsums, die in diesem Jahr auf einer Online-Befragung von 93 000 Menschen in 46 Ländern beziehungsweise Märkten basiert.) Folgende Erkenntnisse sprechen für die oben dargestellte Interpretation:

Erstens: Die Reichweite von digitalem Journalismus stagniert bestenfalls, der Konsum über Fernsehen, Radio und Zeitung sinkt

Allein in Deutschland ist der Anteil derjenigen, die angaben, in der zurückliegenden Woche eine Zeitung genutzt zu haben, in den vergangenen zehn Jahren von 63 auf 26 Prozent gefallen. Im Fernsehen schauten nur noch 65 Prozent die Nachrichten, 2013 waren es noch 82 Prozent (der deutsche Teil des Reports stammt vom Hans-Bredow-Institut). Gleichzeitig steigt fast überall der Anteil derjenigen, die zu Protokoll gaben, überhaupt keine Nachrichten gelesen oder gehört zu haben. Das bedeutet, dass durch das Internet nicht mehr, sondern eher weniger Menschen mit Journalismus in Berührung kommen. 

Zweitens: Junge Leute konsumieren Journalismus überwiegend in den sozialen Netzwerken

Das wirkt sich auf drei Weisen negativ aus: Erstens gehen Nachrichten und andere journalistische Leistungen im Überangebot an Information und Unterhaltung oft unter. „Der Überfluss an Wahlmöglichkeiten online mag dazu führen, dass sich einige sehr viel seltener mit Nachrichten beschäftigen als in der Vergangenheit“, schreibt Lead-Autor Nic Newman.

Zweitens verstehen die Nutzer die Nachrichten oft nicht, weil sie in der Online-Umgebung aus dem Zusammenhang gerissen sind. Dies ist besonders für diejenigen ein Problem, denen es an Medienbildung mangelt. Aber zusätzlich belegen die Daten eine deutliche Verständnislücke zwischen jüngeren und älteren Nutzern, die sich 2021 auch schon in der deutschen #usethenews Studie abgezeichnet hatte. Der Journalismus verliert also viele, die ihn besonders nötig brauchen.

Drittens, die Medienhäuser sind auf den Plattformen von Meta, Google oder TikTok auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, wieviel Journalismus diese ihren Nutzern in dem algorithmisch getriebenen Angebot überhaupt zumuten wollen. So begründete Joshua Benton vom Nieman Lab der Harvard University kürzlich, warum Facebook das Nachrichtenangebot im Newsfeed womöglich einstellen werde: Die Nutzer schätzen es nicht, und es schafft Probleme. 

Drittens, immer mehr Menschen vermeiden Journalismus bewusst, besonders junge Leute

Redaktionen reden zwar mittlerweile viel über Nutzerorientierung, sie ziehen daraus aber offenbar keine Konsequenzen. Fast jeder zweite Befragte gab als Grund für die Zurückhaltung an, dass die Medien zu viel über Politik und zu viel über die Pandemie berichteten. 36 Prozent bestätigten, Journalismus mache ihnen schlechte Laune, 29 Prozent beklagten das Überangebot oder fanden die Nachrichten voreingenommen. Die Generationen, die nicht mit regelmäßigem Medienkonsum aufgewachsen sind und viele Möglichkeiten zur Ablenkung haben, wenden sich besonders schnell ab.

Viertens: Zahlungsbereitschaft steigt – vor allem geben aber Ältere das Geld aus

Das Durchschnittsalter derjenigen, die ein digitales Abo oder eine Mitgliedschaft bei einer Medienmarke abgeschlossen haben, liegt bei 47 Jahren. Für Verlagshäuser oder öffentlich-rechtliche Fernsehsender mag dies eine gute Nachricht sein: Haben sie es doch im Durchschnitt mit Print-Abonnenten oder TV-Zuschauern zu tun, die das Renteneintrittsalter schon deutlich überschritten haben. Allerdings zerschlagen sich so auch Hoffnungen aus früheren Reports, dass die Spotify- und Netflix-Generation die Branche retten könnte. Eine gute Nachricht gerade für die hiesigen Regionen ist, dass viele Befragte vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Bereitschaft dokumentiert haben, zusätzliche Abos auch unabhängig der Inflationssorgen abzuschließen. Dies ging auch aus Gesprächen in Fokus-Gruppen hervor, die die Oxford-Forscher in ihre Analysen einfließen lassen. Gerade in diesen Zeiten von besonderen Krisen und Belastungen sei es notwendig, gut informiert zu sein, so einige Stimmen. 

Fünftens: Jene Formate, die Loyalität schaffen, wie zum Beispiel E-Mail-Newsletter, werden vor allem von älteren, finanzkräftigen und gebildeten Lesern genutzt, die ohnehin schon ein hohes Interesse an Journalismus haben

Während zum Beispiel in den USA 15  Prozent der über 55-Jährigen angeben, Newsletter seien ihre wichtigste Nachrichtenquelle – allein die New York Times produziert 50 verschiedene, die wöchentlich von 15 Millionen Menschen gelesen werden –, sind es nur drei Prozent der 18- bis 24-Jährigen. Newsletter sind so etwas wie das neue Print statt das erhoffte Wundermittel.   

Die Schlussfolgerung

Ob man das mag oder nicht: Aus all diesen Daten folgt, dass sich die Verlage auf ältere und finanziell besser gestellte Gruppen konzentrieren müssen, wenn sie ihr eigenes Überleben sichern wollen. Von diesen sind die höchste Zahlungsbereitschaft und Loyalität zu erwarten. Fragt man in Medienhäusern nach, wen sie genau meinen, wenn sie von jüngeren Nutzern sprechen, bestätigt sich dieses Bild. Verlage verstehen unter „jung“ eher die Altersgruppe ab 35 Jahren aufwärts. Von noch Jüngeren sei nicht viel zu erwarten, heißt es dann. 

Anders sieht das in den öffentlich-rechtlichen Häusern aus. Ihr Fortbestand ist davon abhängig, dass sie von allen wahlberechtigten Altersgruppen als wichtig und unterstützenswert empfunden werden. Deshalb ist ihre Sorge besonders groß, wenn sie bei den unter 25-Jährigen nicht punkten.

Die Sender haben zwar den Vorteil, dass sie unbeschwerter als die kommerziellen Anbieter digitale Formate für soziale Netzwerke entwickeln können, weil sich nicht jedes ihrer Angebot auf TikTok oder Instagram umgehend in Abos auszahlen muss. Allerdings spüren sie den Reichweiten-Verlust besonders drastisch. Es ist deutlich herausfordernder, auf den von Smartphone-Nutzung dominierten digitalen Plattformen Gewohnheitsonsumenten heranzuziehen, als dies in der alten Welt von Fernsehen und Radio der Fall war. „Die jüngsten Kohorten sind eher gelegentliche und weniger loyale Nachrichtenkonsumenten. Es fällt Medienhäusern sehr schwer, sie zu gewinnen, weil sich die Jungen auf soziale Netzwerke verlassen und nur schwach an Marken gebunden sind“, schreibt die Oxford-Forscherin Kirsten Eddy. 

Was heißt all das für die Demokratie, die aufgeklärte, informierte und engagierte Bürger braucht? Soll der mediale Graben zumindest teilweise überbrückt werden, haben die öffentlich-rechtlichen und alle anderen nicht-kommerziellen Anbieter eine herausragende Verantwortung vor allem jungen Generationen gegenüber. Aber auch diejenigen Redaktionen, die von Abo-Einnahmen abhängig sind, können etwas tun. Sie sollten sich mehr mit den Bedürfnissen potenzieller Nutzer beschäftigen, und zwar auch mit denen jener, die sie früher nur zu gerne ignoriert haben. Das sind zum Beispiel Frauen oder Menschen aus Einwanderer-Familien, die sich in der Standard-Nachrichtenwelt nicht repräsentiert gefühlt haben. Sie sollten die seit vielen Jahren vorliegenden Erkenntnisse zu den Journalismus-Vermeidern endlich ernst nehmen und die traditionelle, Zitate-getriebene Politik-Berichterstattung zugunsten anderer Inhalte produzieren – am besten konstruktiv und investigativ. Und sie sollten ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten und leicht verständliche Erklär-Formate entwickeln, die kostenfrei zugänglich und auf den Konsum in sozialen Netzwerken ausgerichtet sind.

Übrigens ahnen die Nutzer, dass dem Journalismus eine weitere Kommerzialisierung bevorsteht. Laut DNR traut nur etwa jeder Fünfte (19 Prozent) den Redaktionen zu, als allererstes im Interesse der Gesellschaft zu arbeiten. 42 Prozent beziehungsweise 40 Prozent gaben dagegen an, die Verlage stellten ihre finanziellen oder politischen Interessen in den Mittelpunkt ihrer Strategie. Es ist an den Medienhäusern, diese Skeptiker vom Gegenteil zu überzeugen.   

Diese Kolumne erschien am 21. Juni 2022 bei Medieninsider. Dort schreibt Alexandra regelmäßig zu aktuellen Branchen-Themen.  

Journalismus ist ohne Haltung undenkbar – Medien stecken dennoch in einem Dilemma

Neutralität, Haltung, Meinung: Auch wenn die eigentlich klar sind, sind die Übergänge im Journalismus oft fließend. Wie viel Haltung und Meinung braucht Journalismus, und wie neutral kann er sein? Die Fragen zu beantworten ist für keine Redaktion leicht – und die Nutzerschaft alles andere als eine Hilfe.

Man könnte der laufenden Debatte über Journalismus und Haltung einiges abgewinnen, würde sie sich nicht hinziehen wie ein Fußballspiel in der Verlängerung. Unter Medienschaffenden haben sich die Teams positioniert: Die einen klagen, der gute alte Journalismus à la Hanns Joachim Friedrichs (nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht einer guten) sei zum Haltungsjournalismus mutiert. Die anderen – überwiegend Jüngere – quälen ihre Vorgesetzten mit Thesen, die sie auch gerne als Master-Thesis einreichen: „Warum es Objektivität im Journalismus nicht gibt“. 

Die Adressaten der Mühen hingegen sind schwer zu durchschauen. In Umfragen wünscht sich das Publikum von Journalisten Neutralität, Ausgewogenheit und Fakten, als Leserinnen und Leser hingegen demonstrieren sie digital nachvollziehbar, dass sie Meinungsstücke durchaus schätzen. Wie lassen sich diese Widersprüche entwirren? Und wichtiger: Was bedeutet dies für Redaktionen?

Folgt man dem neuen Digital News Report, der vom Reuters Institute in Oxford erstellten weltweit größten fortlaufenden Befragung zum digitalen Nachrichtenkonsum, sieht die Sache zunächst eindeutig aus: 

► Ungefähr drei Viertel der 92.000 Befragten in 46 Ländern gaben zu Protokoll, die Medien sollten verschiedene Standpunkte abbilden und ihren Nutzern die Meinungsbildung selbst überlassen, in Deutschland waren es ähnlich wie im Vorjahr 77 Prozent. 

► Nur 15 Prozent (Deutschland: neun) sagten, Journalisten sollten klar Position beziehen. Auch jüngere Befragte wünschten sich in großer Mehrheit Neutralität. Dies sollte für alle Themen gelten, wenngleich einige Teilnehmende sich für rote Linien aussprachen:

► Wo Menschen- oder Grundrechte tangiert seien – zum Beispiel beim Klimawandel, häuslicher Gewalt oder Rassismus – mache Unparteilichkeit keinen Sinn. 

So argumentierten vor allem jüngere Befragte und jene, die sich politisch eher links verorteten. Allerdings riefen auch sie nicht nach dem flammenden Leitartikel: Journalisten sollten in solchen Fällen eher Experten Raum lassen und nicht selbst argumentieren. 

Die Idealvorstellung vom Journalismus als Schiedsrichter beißt sich mit den Nutzungsgewohnheiten des Publikums. In Fokusgruppen gaben die Teilnehmenden nämlich auch eine heimliche Vorliebe für parteiliche Beiträge zu. Sie fühlten sich davon besser unterhalten und emotional angesprochen. Dies erklärt auch die Begeisterung für Podcasts, die von der Subjektivität und Persönlichkeit ihrer Gastgeber leben und für sehr persönliche Essays, die manch ein gestandener Reporter als Befindlichkeits-Journalismus abtut. 

Die Krux ist: Nach Ansicht der Nutzerinnen und Nutzer sollten sich die klassischen Medien aus diesen Genres eher heraushalten. Persönlich gefärbte Inhalte und Meinungen finden sie schließlich ausreichend in den sozialen Netzwerken, Journalismus brauchen sie für die Fakten.

Das besondere Dilemma der privaten Medien

Vor allem privatwirtschaftlich operierende Medienhäuser befinden sich mitten in einem Dilemma: Sie leben zunehmend vom Verkauf von Digital-Abos. Und jeder mit etwas Verständnis für Marketing und Konsumgewohnheiten weiß: Menschen entscheiden sich eher emotional als rational für einen Kauf. Sie zahlen für ein Erlebnis, für ein Gefühl von Zugehörigkeit oder gutem Gewissen, für ein Produkt, das ihnen Mehrwert liefert. Die nackten, neutralen oft auch unbequemen Fakten verkaufen sich nicht. Laut Digital News Report liegt die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus weltweit bei etwa 15 Prozent, in Deutschland mag nicht einmal jeder Zehnte dafür Geld ausgeben.

Sehr oft abonnieren Menschen ein Medienprodukt, weil sie sich politisch damit identifizieren. Sie setzen eine gewissen Parteilichkeit voraus und nehmen „ihrem“ Medium Abweichungen nach der einen oder anderen Seite übel. Redaktionen wissen das. Die Schweizer NZZ zum Beispiel wirbt bei ihrer Deutschland-Expansion zwar mit „nüchtern, sachlich, unabhängig“. Aber man muss nicht lange lesen, um zu erkennen, dass sie den Nutzerinnen und Nutzern unter dem Mantel der Neutralität eine Alternative rechts der gefühlten journalistischen Mehrheitsmeinung bieten will. Ein ordentlicher Schuss Meinung gehört für viele Medienmarken zur Überlebens-, sogar zur Wachstums-Strategie.

Die öffentlich-rechtlichen Sender können dem hehren Ideal der Neutralität zwar eher folgen. So bietet Schwedens Sveriges Radio schlicht keine Kommentare an, Intendantin Cilla Benkö steht für diese harte Linie. Die BBC hat ihre ohnehin seitenfüllenden Grundsätze zur Neutralität noch einmal verschärft. Aber auch bei den Bastionen des überparteilichen Journalismus stößt das Konzept an Grenzen, wenn es um das Binden junger Menschen an die alten Marken geht. 

Für viele junge Leute sind bestimmte Themen nicht verhandelbar. „Both sides journalism“ funktioniere nur dort, wo die andere Seite Positionen vertrete, die mit Grund- und Menschenrechten vereinbar seien, argumentieren sie. Und genau an dieser empfindlichen Stelle fängt die Schwierigkeit an. Wo liegt die Grenze zwischen einer Meinung, die zur Debatte stehen kann, und einer Haltung, die per Definition eine stabile Ausrichtung erfordert? 

Konsens und kleinster gemeinsamer Nenner einer unverrückbaren Haltung sollte das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung inklusive Meinungs- und Pressefreiheit sein. Journalisten, die dies zur Verhandlungsmasse machen und zum Beispiel erklärten Demokratie-Gegnern eine Bühne bieten, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Journalismus braucht ein Mindestmaß an Haltung, wenn er sich so nennen möchte. 

Es braucht innerhalb von Redaktionen eine neue Haltungsdebatte

Aber selbst an diesem Punkt fängt das Gezerre an. Wie viel Meinung darf wer wo verbreiten, und hat jeder das Recht auf ein Megafon für jeden Blödsinn? Wie sieht es bei anderen großen Themen wie Klimaschutz oder Rassismus aus? Wo kollidieren Meinungsfreiheit und das unveräußerliche Recht auf Menschenwürde? Die Antworten variieren je nachdem, wen man fragt. Geht es um den Erhalt der Lebensgrundlagen auf dem Planeten, ist das Ob in den meisten Redaktionen erst kürzlich zur unverrückbaren Haltung geworden, das Wie hingegen bleibt verhandelbar. Es hilft nichts, über all das müssen Redaktionen diskutieren.

Jede Journalistin, jeder Journalist braucht eine Haltung: ein Bekenntnis zur Suche nach Fakten, zu Unabhängigkeit, zu Grundrechten, zur Demokratie. Das hat etwas mit Werten zu tun, nicht mit Aktivismus. Wie sollten sie auch sonst einen guten Job machen in einem Umfeld, in dem es vielen Meinungen und Interessen zu widerstehen gilt, sei es aus der Wirtschaft, der Politik oder der eigenen Chefetage. Kolleginnen und Kollegen in Osteuropa hätten derzeit besonders viel zu dieser Debatte beizutragen.

Ganz anders sieht es mit Meinungen aus. Natürlich darf jeder Medienschaffende eine haben. Aber wer sie äußert, sollte das deutlich kennzeichnen. So viel Dienstleistung muss sein. Diejenigen, die Subjektivität zum allgemeinen Credo erheben, sollten bedenken: Journalisten, die den Wunsch des Publikums nach Neutralität missachten, arbeiten kräftig daran, ihren Berufsstand überflüssig zu machen. Menschen brauchen geprüfte Fakten, unabhängige und verständlich aufbereitete Informationen, um gute Entscheidungen zu treffen. Sie suchen danach in den Medien, denn Gefühliges und Meinung finden sie in der großen digitalen Quatschbude überall. Den anderen, die den Untergang des Journalismus wie sie ihn kennen beobachten, sei gesagt, für Panik ist es zu früh. Das Vertrauen in Medien ist während der Pandemie in etlichen Ländern deutlich gestiegen. Der Journalismus hat in diesem langen Jahr gezeigt, was er kann.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Juli 2021. Aktuelle Kolumnen und spannende News aus der Branche gibt es für Abonnenten. 


Zu gut gemeint – Moderner Journalismus braucht mehr Recherche und weniger Kommentar

Die Intendantin des schwedischen Senders Sveriges Radio, Cilla Benkö, ist in der internationalen Medienszene für ihre Meinungsfreude bekannt. Und genau zu dem Thema bezieht sie so klar Position, wie sonst kaum jemand in ihrer Liga: Kommentare hätten in öffentlich-rechtlichen Programmen nichts zu suchen, sagt Benkö, diese Häuser seien für die Fakten da. Treffer versenkt.

In Deutschlands Groß-Sendern sieht man das bekanntlich anders, wenngleich es durchaus Diskussionen gibt. Immerhin hat ARD Aktuell den Tagesthemen-„Kommentar“ im vergangenen Jahr in „Meinung“ umbenannt. Damit wollte man unterstreichen, dass es sich bei der abendlichen Gardinenpredigt um Meinungen einzelner Kolleg*innen handelt, nicht etwa um die des Hauses. Dem größten Teil des Publikums mag diese Nuance nicht aufgefallen sein, aber man ahnt, was der kleine Schritt intern bedeutet haben muss. Er hätte als Auftakt einer Debatte getaugt, die in der Branche dringend ausführlicher geführt werden müsste: Wie viel Meinung verträgt der Journalismus?

Klar ist, in den digitalen Kanälen ist Meinung ein Ding. Die sozialen Netzwerke leben davon und deshalb auch die Redaktionen, die auf ein paar schnelle Klicks angewiesen sind. Ein pointierter Kommentar bekommt Aufmerksamkeit, und das ist die Währung des Internets. Redaktionen schmücken sich gerne mit Autor*innen, die sich als meinungsstarke Personen-Marken etabliert haben. Sie binden Kund*innen und halten damit die Abonnent*innen bei Laune. Meinung ist billig, denn dazu braucht man nur einen Kopf und einen Computer. Recherche hingegen kostet: Zeit, Geld, Abstimmung, juristisches Risiko. Ohne Meinung also weniger Geschäft.

Und natürlich hat der Kommentar im Journalismus Tradition. In den großen Zeitungsredaktionen gehörte das Verfassen von Meinungsstücken früher zu den vornehmsten Aufgaben von Journalist*innen, zumindest in Deutschland. Wer den Leitartikel schrieb, durfte nicht gestört werden und musste für den Rest des Tages nichts mehr tun. In angelsächsischen Medien gab (und gibt) es spezielle Kommentator*innen-Teams. Sie diskutieren die Position des Hauses, bevor sie jemand im Namen der Redaktion aufschreiben darf. Vor Wahlen legen sie sogar fest, welche Kandidat*innen sie ihren Leser*innen als die geeigneteren ans Herz legen.

Heute allerdings ist Meinung überall – auch in dieser Kolumne. Jeder mit Internetzugang kann nicht nur eine haben, sondern sie auch posten, gerne länglich und regelmäßig, das heißt dann Blog. Privatleute führen solche genauso wie Firmen oder Politiker*innen. Wer nicht meint, findet nicht statt. War im Journalismus früher das Streben nach Neutralität die Default-Einstellung, ist es heute die Meinung.

Unter Journalist*innen haben sich insbesondere die jüngeren die recht bequeme These zurecht gelegt, dass es so etwas wie Objektivität überhaupt nicht gäbe. Das Beharren darauf zementiere lediglich vorhandene Machtstrukturen, weshalb das Meinen die ehrlichere Lösung sei. Im vermeintlich modernen Journalismus ist deshalb das Ich überall, die eigene Erfahrung gilt als Maß der Dinge. Sollen die anderen doch widersprechen.

Nur das Publikum ist sich da nicht so sicher. Laut Digital News Report 2020 wünscht sich der weit überwiegende Teil der Leser*innen, dass sich Medien um Neutralität wenigstens bemühen, in Deutschland lag der Wert bei 80 Prozent und damit an der Spitze der untersuchten Länder. Zumindest laut der Umfrage mögen die Nutzer*innen beides nicht: Meinungen, die ihrer eigenen Position entsprechen und solche, die ihr widersprechen. Sie möchten sich lieber die Fakten anschauen und sich dann selbst eine bilden. Dieses Bedürfnis ist übrigens in jenen Ländern besonders ausgeprägt, die starke öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten haben, denen Unparteilichkeit zumindest immer einen Versuch wert ist. Der diesjährige Digital News Report, der am 23. Juni veröffentlicht wird, wird sich dieses Themas in einem Schwerpunkt widmen.

Redaktionen stellt dies vor Herausforderungen. Der Wunsch der Leser*innen ist schließlich nachvollziehbar. Wenn Meinung überall ist, sind Fakten kostbare Ware. Nur mit gut recherchierten Geschichten kann man sich abheben vom allgemeinen Befindlichkeits-Gebrumm. Kommentare mögen zwar gut sein für Klicks, aber Abos generieren dann doch eher jene Geschichten mit hohem Informationsgehalt – von denen der starken Personenmarken (siehe oben) mal abgesehen. Anders als in der Zeitung ist im Newsfeed der sozialen Netzwerke zudem kaum ersichtlich, hinter welcher Überschrift sich eine Nachricht und hinter welcher sich eine Meinung verbirgt. Zumal ein Kommentar ohne Fakten recht nackt dasteht, weshalb im Netz ohnehin nur eine Mischform funktioniert. Also lieber ganz weg mit der Meinung?

Evan Smith, Gründer und CEO der vielfach preisgekrönten, auf Politikberichterstattung spezialisierten amerikanischen Regionalzeitung The Texas Tribune, kommentiert dies mit einem eindeutigen Ja. In seiner Redaktion dürfen Politikredakteur*innen keiner Partei angehören, keine Wahlplakate in ihre Vorgärten stellen, ja nicht einmal zur Wahl gehen. „Wir sind unparteiisch wie ein Herzinfarkt“, sagte er einmal auf einer Konferenz in Oxford, dies sei die Tribune ihrem Publikum schuldig.

Ganz so weit werden wohl die wenigsten Redaktionen gehen. Aber wirklich moderner Journalismus täte gut daran, die Recherche rauf- und die Meinung runterzufahren, wenn er sich unverzichtbar machen will. Dies wäre ein Dienst an einem Publikum, das der haltenden Hand der Meinungsjournalist*innen längst entwachsen ist. Nur haben einige von ihnen dies noch nicht gemerkt.

Sie könnten sich bei Hillary Clinton erkundigen. Kaum eine amerikanische Redaktion hatte die Kandidatin der Demokraten 2016 nicht empfohlen, gewählt wurde bekanntlich ein anderer. Das hatte Clinton viel Kummer, der Welt viel Stress und den Medien viel Arbeit gebracht. Geblieben ist hoffentlich eine Erkenntnis, die jede Redaktion an jedem Tag leiten sollte: nie das Publikum unterschätzen.

Diese Kolumne erschien am 6. Mai 2021 im Newsletter des Digital Journalism Fellowships der Hamburg Media School. 

Von wegen Troll-Farmen – „Fake News” sind ein Problem, aber anders, als viele denken

Gefälschte Videos, fingierte Posts, Lügengeschichten und das alles massenhaft verbreitet von Bots über soziale Netzwerke: „Fake News“ werden häufig als ähnlich ansteckend beschrieben wie das Corona-Virus. So hatte die Weltgesundheitsorganisation die „Infodemic“ lange vor der Pandemie ausgerufen. Am 2. Februar war das, weltweit gab es damals noch nicht einmal 15.000 bestätigte Fälle von Covid-19. Allerdings verhält es sich mit dem Begriff „Fake News“ eher wie mit einigen anderen, wenn man sie unter das Vergrößerungsglas der Forschung legt: Die Fakten dazu unterscheiden sich nicht unwesentlich von dem, was gemeinhin darunter verstanden wird.

In der öffentlichen Debatte, wie sie auch von besorgten Politiker*innen geführt wird, insinuiert das Schlagwort in erster Linie die Manipulation von Bild, Ton und Text. Oft spielen darin feindliche politische Kräfte, geldgierige Hacker*innen oder zumindest Spaßvögel eine Rolle, die ihr gefälschtes Material über Facebook und Co. auf nichtsahnende Bürger*innen abwerfen. Eine ganze Fact-Checking-Industrie ist um diese Annahmen herum entstanden.

Nun ist es wichtig, Informationen zu verifizieren – es gehört zum Beispiel zur Job-Beschreibung von Journalist*innen. Allerdings tragen genau diese eine ordentliche Portion Mitschuld am Dilemma. Dies hat jetzt eine großangelegte Studie des Berkman Klein Center for Internet and Society an der Universität Harvard bestätigt, acht Autor*innen waren daran beteiligt. Anders als oft angenommen tragen der Untersuchung zufolge falsche Aussagen von Politiker*innen, die dann von traditionellen Medien wiedergegeben werden, am stärksten zur Verbreitung von Fehlinformation bei. Soziale Netzwerke hingegen spielten eine untergeordnete Rolle.

Das Problem werde von Eliten verursacht und von den Massenmedien getrieben, so die Harvard-Studie. Politiker*innen beuteten dabei gnadenlos drei Standard-Praktiken des klassischen Journalismus aus: den Fokus auf Institutionen und Eliten (wenn es der Präsident sagt, ist es eine Nachricht), die Suche nach der Schlagzeile (je krawalliger, desto besser) und das Streben nach Neutralität (nur nicht so wirken, als würde man sich auf eine Seite schlagen). Zwar haben die Wissenschaftler*innen dies nur für die USA untersucht, aber die Dynamiken sind überall ähnlich.

Neu ist diese Erkenntnis nicht. Auch andere Forscher*innen haben schon belegt, dass die Reichweite traditioneller Medien einen großen Einfluss auf die Verbreitung von Fehlinformationen hat. Und selbst die Bürger*innen wissen es besser. Sie betrachten Falschaussagen von Politiker*innen als mit Abstand wichtigste Quelle von „Fake News“, rund 40 Prozent der Befragten äußerten sich entsprechend im diesjährigen Digital News Report. Nur zwischen 10 und 14 Prozent dagegen schoben die Verantwortung ausländischen Geheimdiensten, gewöhnlichen Bürger*innen, den Medien (13 Prozent) oder Aktivist*innen zu. Auch schon in früheren Ausgaben der Groß-Studie, zum Beispiel 2018, dachten die Befragten bei „Fake News“ nicht zuallererst an Lügengeschichten. Viel eher kam ihnen schlechter, fehlerhafter oder tendenziöser Journalismus in den Sinn.

Was folgt daraus? Zunächst einmal ist das eine gute Nachricht für die Medien. Sie haben es in der Hand. Sie können abwägen, zum Beispiel welchen präsidentiellen Narrativ sie wiedergeben, wie sie eine Aussage einordnen oder ob sie ein Zitat mit Märchenstunden-Charakter womöglich am besten gleich weglassen. Sie können den Verbreiter*innen von Falschinformationen damit die von ihnen so begehrte Bühne verweigern. Um in der Corona-Virus-Begrifflichkeit zu bleiben: Superspreader von „Fake News“ kann man nur mit Quarantäne unschädlich machen. Auch gegen schlechten Journalismus oder politische Schlagseite in der Einordnung können Redaktionen deutlich leichter vorgehen als gegen Troll-Farmen in fernen Ländern oder russische „information operations“. Und dass viele Bürger*innen dies so klarsehen, sollte die ganze Sache erleichtern.

Einfach ist dies dennoch nicht. Denn der Reflex des klassischen Journalismus sitzt tief, Amtsträger*innen damit zu entzaubern, dass man sie beim Wort nimmt. Und die Wähler*innen haben natürlich ein Recht darauf zu erfahren, was für einen Blödsinn manch ein von ihnen gewählter Repräsentant zumindest verbal verzapft. Gefährlich wird es allerdings, wenn der Faktencheck allzu viel Energien absorbiert. Redaktionen, die einen Großteil ihrer Zeit damit verbringen, die Aussagen von Politiker*innen zu überprüfen, werden nicht mehr genügend Ressourcen für eigene Recherchen haben. Statt selbst die Agenda zu setzen und Institutionen in Zugzwang zu setzen, sind sie Gejagte des nie versiegenden Zitate-Betriebs. Selbstbewusstes Weglassen kann also durchaus eine Strategie sein, um sich die Hoheit über die Tagesordnung zurückzuerobern.

Was all das nicht heißt: Facebook und andere soziale Netzwerke aus der Verantwortung zu entlassen. So wie auch die traditionellen Medien haben es die Plattformen in der Hand, schädliche Inhalte nicht oder zumindest nur mit geringer Priorität weiterzuverbreiten. Im Fall von Covid-19 gehören dazu zum Beispiel von Politiker*innen proklamierte Therapien, die womöglich lebensgefährlich sind. Der Fakten-Check sollte bei den Plattform-Konzernen zum Standard-Repertoire gehören. Und mit der Hoheit über Algorithmen haben sie einen kraftvollen Hebel in der Hand, der Redaktionen so nicht zur Verfügung steht.

Bürger*innen sind mehr denn je aufgerufen, nicht alles zu glauben, skurrile Aussagen selbst zu überprüfen. Eine solche generell skeptischere Grundhaltung tut der Gesellschaft nicht immer gut, auch die Medien leiden unter dem gestiegenen Misstrauen Institutionen gegenüber. Aber es gehört zum Erwachsensein, Verantwortung dafür zu übernehmen, welchen Informationen man folgt. In dem Fall hat die junge Generation der älteren übrigens etwas voraus. Junge Leute sitzen Studien zufolge deutlich seltener Falschinformationen auf als ihre Eltern und Großeltern, weil sie im Zweifel eher mal googeln. Auch das sollte in der Debatte Hoffnung machen.

Dieser Text erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School am 9. Oktober 2020