Zwischen Wirbel und Wirkung: Journalismus muss zeigen, dass er Gutes schafft

Journalisten denken üblicherweise, dass sie mit ihrer Arbeit die Welt verändern. Das sieht nicht jeder so. Kürzlich berichtete die Leiterin eines renommierten Ausbildungsprogramms für Journalisten an einer amerikanischen Universität von einem Dilemma. Sie sei auf der Suche nach Geldgebern für Trainings im Klimajournalismus, erzählte sie. Dabei erlebe sie Folgendes: Stiftungen, die Journalismusprogramme finanzierten, fänden Klimajournalismus nicht wichtig genug. Stiftungen wiederum, die viel Geld in Klimaprojekte investierten, fänden Journalismusförderung nicht wichtig genug. „Wir als Branche schaffen es offenbar nicht, unsere Wirkung ausreichend zu dokumentieren“, sagte sie. Aber womöglich ist es mehr als das: Bei vielen großen gesellschaftlichen Aufgaben steht der Beweis aus, dass Journalismus etwas zu deren Lösung beigetragen hat.

Tatsächlich setzen sich Journalisten ungern mit der Wirkung ihrer Arbeit auseinander. Ihr Job sei es, die Fakten zu recherchieren und zu berichten, sagen viele von ihnen. Die Konsequenzen müssten dann andere ziehen. Man braucht allerdings kein Psychologiestudium, um zu wissen: Mehr Faktenwissen trägt nicht unbedingt dazu bei, dass Menschen ihr Verhalten oder Politiker und Institutionen die Regeln ändern. Ärzte würden sonst nicht rauchen, Eltern ihre Kinder nicht anbrüllen, FDP-Politiker sich nicht gegen ein Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen sperren. Emotionen, Werte und tiefe Bedürfnisse wie jenes nach Zugehörigkeit bestimmen in bedeutendem Maße, wie Fakten auf diejenigen wirken, bei denen sie etwas auslösen sollen. 

Journalismus ist kein Selbstgespräch

Journalisten möchten aber üblicherweise etwas bewirken. Diejenigen, die ihren Beruf und Auftrag ernst nehmen, müssen sich deshalb mit ihrem Publikum beschäftigen, und zwar lange bevor die ersten Online-Kommentare eintrudeln. Die Wahl des Themas, des Formats, der Ausspiel-Plattform, der Sprache, der Protagonisten und Quellen – alles hat einen Einfluss darauf, wie Journalismus wirkt und vor allem, auf wen er wirkt. Es gibt Kollegen, die das irgendwie anstößig finden. Schließlich sei man nicht in der Werbebranche, die darauf ziele, Menschen möglichst effektiv zu beeinflussen und damit womöglich zu manipulieren. Dabei verdrängen viele von ihnen, dass sie oft durchaus jemanden beeinflussen oder zumindest beeindrucken wollen. Dazu zählen womöglich ihre Kollegen, ihre Chefs, die Konkurrenz – vielleicht sogar sich selbst. Guter Journalismus entsteht durchaus, weil jemand von seiner eigenen Idee besoffen ist. Aber oft wirken solche Projekte wie ein großes Selbstgespräch, bei dem das Publikum maximal auf den Zuschauerplätzen zugelassen ist. Es gibt ausreichend Beispiele für prämierte journalistische Leistungen, die außer einer Jury nichts und niemanden bewegt haben.

Wie misst man den Impact von gutem Journalismus?

Gerade Geldgebern ist dies meistens zu wenig. In der Regel sind sie jemandem Rechenschaft schuldig, vor allem, wenn sie nicht auf Gewinne zielen, sondern einen gesellschaftlichen Zweck erfüllen müssen. Wer sich Projekte von Stiftungen finanzieren lassen möchte, muss sich darauf einstellen, einer gewissen Erfolgskontrolle ausgesetzt zu sein. Meistens werden harte Zahlen dazu verlangt, welche Wirkung das eingesetzte Geld hat. Aber wie misst man die Wirkung von Journalismus oder gar von Journalistenausbildung? 

Auf dem diesjährigen International Journalism Festival in Perugia hatte sich ein Panel damit beschäftigt, wie man den gesellschaftlichen Wert von Journalismus misst. Richard Addy hatte dort ein „Impact Wheel“ vorgestellt. Addy ist Mitgründer der Londoner Beratung AKAS, die unter anderem Medienunternehmen wie dem Guardian dabei hilft, Projekte aufzusetzen, die eine gesellschaftspolitische Wirkung haben und diese Wirkung messbar zu machen. Das „Impact Wheel“ ist ein Diagramm, mit dessen Hilfe Redaktionen beispielsweise systematisch erfassen können, welche Wirkung sie bei welchem Publikum erzielen möchten, wie viele entsprechende Recherchen sie dazu aufgesetzt haben, welche Influencer und Entscheider sich mit jeweiligen journalistischen Inhalten beschäftigt haben, welches die kurzfristigen und welches die langfristigen Wirkungen waren. 

Es ist kein Wunder-Werkzeug, jede Organisation kann sich entsprechende Tools selbst basteln. Und das sollten Medienhäuser zumindest versuchen, auch wenn sie nicht beabsichtigen, sich Projekte über externe Geldgeber finanzieren zu lassen. Es sollte Redaktionen ein Bedürfnis sein, sich nicht nur mit dem wirtschaftlichen Erfolg ihrer Produkte zu beschäftigen und zum Beispiel Abo-Zahlen und Nutzerloyalität zu messen, sondern auch die gesellschaftliche Wirkung ihres Tuns auszuleuchten. Denn es ist genau diese Wirkung, aus der Journalismus seine Daseinsberechtigung zieht und mit der er seine besondere Schutzbedürftigkeit begründet.

Außerdem liefert ein solcher Wirkungscheck eine Kontrolle darüber mit, ob die Redaktion an wichtigen Themen lange genug „drangeblieben“ ist, oder ob eine (teure) Recherche verpufft ist, bevor eine Wirkung einsetzen konnte. Und natürlich müssen sich Journalisten auch mit den negativen Wirkungen ihres Tuns beschäftigen: Treiben Debatten, wenn sie in einem bestimmten Ton geführt werden, womöglich sinnvolle politische oder gesellschaftliche Projekte ins Aus, bevor sie jemand wirklich verstanden und durchdrungen hat? Man denke an den „Heiz-Hammer“. Zuweilen trägt Journalismus eher dazu bei, schnell aufzuzeigen, was nicht funktioniert, als auf das zu verweisen, was funktionieren könnte oder anderswo schon funktioniert.     

Auch kann der Tag nahen, an dem man für ein besonderes Projekt eine spezielle Finanzierung braucht. Schließlich kommt heute kaum noch ein Medienhaus mit einem einzigen Geschäftsmodell aus. Erst ein Mix verschiedenster Ansätze macht ein Unternehmen robust – ob das Abo- oder Anzeigenfinanzierung, Mitgliedschaften oder Events sind, oder eben stiftungsfinanzierte Sonderprojekte, wie es sie insbesondere auf den Gebieten Gesundheit, Klima und Umwelt oder Wissenschaft gibt und zunehmend geben wird. Wer dann einen Wirkungsnachweis parat hat, sichert sich einen Vorteil im Ringen um potenzielle Investoren. 

Allerdings täte es auch Stiftungen zuweilen gut, sich damit zu beschäftigen, was die Empfänger ihrer Gelder wirklich brauchen. Ritu Kapur, die Gründerin und Geschäftsführerin des indischen Medienhauses The Quint, sagt, oft definiere eine westliche Perspektive die Bedingungen dafür, für welche Projekte es Geld gebe. Zum Beispiel seien viele externe Finanzierungen für Klimajournalismus dem Kampf gegen „Fake News“ gewidmet, so Kapur im EBU News Report „Climate Journalism That Works“. Aber das sei nicht relevant in einem Land wie Indien. Dort müsse es das Thema Klimaschutz überhaupt erst einmal in die öffentliche Debatte schaffen. Wenn aus gut gemeint gut gemacht werden soll, muss auf beiden Seiten etwas passieren: beim Sender und beim Empfänger.  

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 22. August 2023. Für aktuelle Kolumnen brauchen Sie ein Abo. 


Excel statt Prosa: Was Journalisten künftig können sollten

Man kann es traurig finden, dass Dirk Kurbjuweit nun Chefredakteur des Spiegel ist, selbst wenn man in der jüngsten Personalrochade keine Loyalitäten zu beachten hat. Immerhin geht dem Magazin ein überragender Beobachter und Schreiber verloren, der sich nun in strategischer Arbeit und Machtkämpfen aufreiben muss, statt das zu fabrizieren, was die Marke ebenso dringend braucht: erstklassigen Journalismus. Vor allem aber ist man als Unbeteiligte – womöglich zu Unrecht – verwirrt. Wird nicht seit Jahren auf ziemlich allen Branchen-Konferenzen gepredigt, dass es eine der größten Sünden bei Beförderungen ist, auf die exzellente Fachkraft zu setzen statt auf jene Kolleginnen und Kollegen mit dem größtmöglichen Führungspotenzial? Schließlich brauchen Medienhäuser in diesen Tagen vor allem versierte Strategen, die es zudem schaffen, Talente zu binden. 

Die Signalwirkung der Entscheidung, die Schreibkraft Nummer eins zum Chef von Deutschlands wichtigstem Nachrichtenmagazin zu machen, ist nicht zu unterschätzen. Junge Journalistinnen und Journalisten beobachten das und ziehen daraus ihre Schlüsse. Und damit stellen sie womöglich ihre beruflichen Weichen in eine ungünstige Richtung. Müssen die Medienschaffenden der Zukunft doch viele neue Dinge trainieren, die erst langsam in die Ausbildungspläne der Branche einsickern. Recherche und Schreiben gehören dazu, bilden aber nur noch einen kleinen Teil des Redaktionsalltags ab. Hier sind sieben Fertigkeiten, die auf jeden Fall zu den künftigen Grundkompetenzen gehören:

Verständnis von Geschäftsmodellen und Strategie

Die Entschuldigung, sich als Redaktionsmitglied nicht mit profanen Dingen wie Geldverdienen beschäftigen zu müssen, können sich künftig vielleicht noch ein paar Künstler leisten. Selbst denen hilft es zu wissen, wie ihre Gehälter erwirtschaftet werden. Schon heute haben viele Chefredakteure Ergebnisverantwortung, und das ist gut so. Wer mit seinem Journalismus etwas bewirken will, muss ihn gezielt einsetzen und dessen Erfolge kontrollieren. Ansonsten ist er nicht viel mehr als eine kostspielige Form der Selbstbefriedigung. Medienhäuser werden es sich künftig immer weniger leisten können, Ressourcen zu vergeuden. Im gerade anbrechenden Zeitalter von Künstlicher Intelligenz ist eine Strategie besonders wichtig. Wer da noch rein nach Bauchgefühl agiert und alles macht, nur weil man es machen kann, wird seine Redaktion überfordern und sein Publikum ohnehin. Journalisten, die strategisch denken können, tun sich zudem leichter mit einer Zukunft als Entrepreneure – eine Möglichkeit, die das Fach heute zum Glück eröffnet. 

Wissen über und Erfahrung in der Anwendung von KI

Künstliche Intelligenz eröffnet dem Journalismus große Chancen, birgt aber auch Risiken. Sie ist schon jetzt nützlich sowohl in der Recherche als auch in der Produktion und beim Ausspielen von Journalismus. Man kann damit unter anderem Quellen aufspüren, Interviews vorbereiten, datenjournalistisch arbeiten, Inhalte zielgruppengerecht entwickeln und personalisiert verteilen. „Journalisten aller Ressorts sollten sich mit KI beschäftigen“, sagte Garance Burke, Investigativ-Journalistin der Nachrichtenagentur AP in der vergangenen Woche auf dem IPI World Congress in Wien. Es ist aber auch wichtig, die Grenzen und Gefahren von KI zu kennen. Gibt es keine Kontrolle, kann sie dazu beitragen, Stereotype und Fehler zu potenzieren. Jede künstliche Intelligenz ist immer nur so gut wie der Datensatz, auf dem sie aufbaut.  

Kompetenz im Umgang mit Zahlen und Daten

Es soll noch heute Journalisten geben, die sich damit brüsten, in Mathe immer versagt zu haben. Möglicherweise gehören dazu einige derjenigen, die in der Wahlberichterstattung regelmäßig Prozent und Prozentpunkte verwechseln. Allerdings wird Datenjournalismus immer wichtiger werden, allein weil es immer mehr Daten gibt. Außerdem hilft Datenanalyse dabei, auf der Basis von Fakten ab und an mal die Agenda zu setzen, statt der Agenda anderer hinterher zu jagen. Gefragt, wie sich die Journalistenausbildung ändern müsse, riet Florencia Coelho, Ausbildungsredakteurin bei der argentinischen Zeitung La Nacion, auf dem IPI Congress vor allem eines: „Alle müssen lernen, mit Excel Tabellen zu arbeiten“.

Abgesehen von der Inhalte-Produktion kommt Datenverständnis auch in der Redaktion gelegen, wenn es darum geht, Nutzerzahlen zu analysieren und zu interpretieren. Je nach Strategie zeigen verschiedene Metriken, welche Inhalte erfolgreich sind und welche Mühe man sich sparen kann. Im Vorteil ist, wer solche Daten lesen und – noch besser – die Vorgaben entsprechend anpassen kann. 

Freude an kurzen oder spielerischen Formaten 

Im Journalismus sind in den vergangenen Jahren rund um Social Media und Datenanalyse viele neue Jobs entstanden. Dennoch ist der Traum vieler angehender Journalisten gleich geblieben: einmal eine Seite Drei schreiben. Das ist schade. Denn mit kurzen Formaten – insbesondere Video – spricht man Zielgruppen an, die der Journalismus früher eher ignoriert hat. Viele Menschen lassen sich zudem lieber auf komplexe Themen ein, wenn sie dies spielerisch tun können. Ein Beispiele dafür ist das von der Financial Times mit großem Aufwand produzierte Climate Game. Gerade junge Menschen nähern sich Nachrichten besonders gerne, wenn es lustig zugeht. Comedy-Formate sind gefragt. Das hunderte Zeilen lange Feature wird weiterhin Aufmerksamkeit finden, wenn es entsprechend erzählt ist. Aber mit der Vielzahl der Plattformen steigen die Möglichkeiten, Inhalte anders zu vermitteln. Gut für junge Absolventen ist: Wer neue Formen beherrscht, hat weniger Konkurrenz. Viele Redaktionen sind gut gefüllt mit versierten Schreibern. Wer Neues einbringen kann, ist gefragt.     

Faktenwissen zu Klimawandel und Nachhaltigkeit 

Der Klimawandel ist das größte vorhersehbare Risiko für die Menschheit. Redaktionen haben deshalb die Pflicht, ihr Publikum dabei zu unterstützen, zukunftsorientierte Entscheidungen für sich, ihre Kinder und ihr Umfeld zu treffen. Jede Journalistin, jeder Journalist braucht ein Basiswissen in diesem Feld, das sämtliche Ressorts durchzieht und nach Einordnung ruft. Redaktionen wie Radio France haben deshalb damit begonnen, sämtliche Mitarbeitende in Sachen Klimafakten zu schulen. In der Journalistenausbildung sollte die Wissensvermittlung zum Thema Nachhaltigkeit eine Selbstverständlichkeit werden.   

Kenntnisse im Projekt- und Change-Management

Man mag argumentieren, dass das Managen von Veränderungen Chefsache ist, und Journalistenschüler sind noch keine Chefinnen oder Chefs. Aber auch Berufsanfänger werden heute oft schon mit Projekten betraut, auch, weil sie sich Verantwortung wünschen. Bei der zum britischen Konzern Reach gehörenden Marke Birmingham Live war es zum Beispiel eine Volontärin, die den überaus erfolgreichen Newsletter Brummie Muslims entwickelte, der sich an die muslimische Bevölkerung richtet. Es ist deshalb nützlich, wenn schon junge Mitarbeitende wissen, wie man Projekte managt, Koalitionen schmiedet, Befürworter auf seine Seite zieht, Ergebnisse nachhält und mit Fehlern umgeht. All das ist kein Hexenwerk, es gibt Werkzeuge dafür, die sich immer wieder auspacken lassen. Je früher man sie beherrscht, umso selbstverständlicher wendet man sie an.     

Kenntnisse aus Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Neurowissenschaften

Es gibt zahlreiche akademische Disziplinen, die dem Journalismus viel zu sagen hätten. Nur halten sich beide Seiten gerne auf Distanz. Man wirft sich gegenseitig Praxisferne beziehungsweise Oberflächlichkeit vor. Dabei könnten Praktiker und Forscher viel voneinander lernen. Für Journalisten ist es wichtig zu wissen, wie Menschen Informationen aufnehmen und verarbeiten, welche Reize wirken und welche überfordern. Schon lange forschen Wissenschaftler zum Beispiel zum Thema Nachrichtenvermeidung, erst seit kurzem wird dies von Redaktionen ernsthaft diskutiert. Journalisten fordern von anderen oft, dass sie sich mit der Wirkung ihres Tuns auseinandersetzen müssen, in Kommentaren verlangen sie dies zum Beispiel regelmäßig von den großen Tech-Konzernen. Es wird Zeit, dass sie diesen Rat auch selbst beherzigen.       

Diese Kolumne erschien am 31. Mai 2023 bei Medieninsider.


Journalismus ist kein Geschäftsmodell

Eine der großen Schwierigkeiten der Medienbranche gründet darauf, dass sich Journalist:innen viel zu häufig in ihre Inhalte verlieben – und Liebe macht bekanntlich blind. Warum nur, fragen sie sich dann, erwidern die Leser, Hörerinnen oder Zuschauer diese Liebe nicht und verweigern die Zahlung für etwas, in das so viel Mühe geflossen ist? Immerhin geben selbst Menschen mit wenig Einkommen Geld für allerlei Dinge aus, die bei flüchtiger Betrachtung einen deutlich geringeren Wert versprechen als ein Digital-Abo. Während letzteres stundenlangen Lesegenuss verspricht, ist zum Beispiel der Kaffee zum Mitnehmen in fünf Minuten getrunken. 

Andere wiederum, darunter viele mit Gründungsambitionen, hängen ihr Herz so sehr an ihre Produkte, dass sie sich gar nicht erst trauen, dafür Geld zu nehmen. Sei es nicht nahezu unverschämt, der Welt etwas so Wichtiges vorzuenthalten wie Aufklärung, argumentieren sie dann? Auch Anzeigenerlöse sind ihnen oft nicht geheuer. Diese Kunden könnten schließlich – um Himmels Willen – kommerzielle Interessen verfolgen. Nach potenziellen Geldgebern gefragt, fallen solchen Entrepreneuren in spe allein Stiftungen ein. Willkommen im Spiel „Eine Branche sucht ein Geschäftsmodell“.

Verlagsleute, die den Zeiten der nahezu von selbst sprudelnden Einnahmen nachtrauern, spielen es seit Jahren einigermaßen lust- und fantasielos, während es die vom Selbstverständnis her Kreativen aus den Redaktionen immer noch als ein wenig unter ihrer Würde betrachten, Kunst und Kommerz zusammenzudenken. Ausnahmen gibt es natürlich. In der Branche arbeiten mittlerweile einige, die sich ernsthaft mit Produktentwicklung beschäftigen. Sie spüren potenziellen Bedürfnissen von Nutzern und Geldgebern nach – und haben sogar Spaß daran.

Schnell gelangen die meisten von ihnen zu der unbequemen Erkenntnis: Ein für (fast) alle gültiges Geschäftsmodell wie jenes, von dem weite Teile der Medienbranche lange profitiert haben, wird es so nicht mehr geben. Jedes journalistische Unternehmen muss sich Gedanken über seinen Platz im Medien-Universum machen und daraus ein Modell oder idealerweise eine ganze Reihe von ihnen ableiten. Bei großen Unternehmen können das schon mal zwischen fünf und zehn unterschiedliche Einnahmequellen sein, die sich an verschiedene Zielgruppen richten und unterschiedliche Zwecke erfüllen. Finanzierung durch Abos, Anzeigen, Veranstaltungen, Mitgliedschaften, Spenden, Patenschaften, Merchandise, B2B-Services, Beratungsdienste – es gibt einen Strauß an Möglichkeiten, aber nicht jede passt für jeden zu jeder Zeit.

Um herauszufinden, welche Modelle für das eigene Unternehmen in Frage kommen, hilft eine Analyse, wie sie Profigründer Sebastian Esser vorschlägt. Er hat unter anderem die Medienmarke Krautreporter und die bei kleinen und Kleinst-Redaktionen beliebte Membership-Plattform Steady entwickelt. Er nutzt eine Nähe/Nutzen-Matrix, um die Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden auszuloten. Auf der einen Achse geht es darum, wie hoch die Kunden den Nutzen von Produkten einschätzen, auf der anderen Achse wird die potenzielle emotionale Nähe zur Marke bewertet. Für Produkte oder Dienstleistungen, die sehr nützlich sind, aber wenig Verbundenheit mit dem Anbieter auslösen, bieten sich Modelle an, die auf purer Transaktion basieren. Also zum Beispiel Abo oder Einzelverkauf. Spüren die Kunden hingegen viel Nähe, aber sehen für sich einen geringen Nutzen, können Spenden oder Solidaritätsbeiträge das Richtige sein. Punktet das Produkt in keiner der beiden Kategorien, wird ein Drittanbieter für die Finanzierung nötig sein – beispielsweise der Anzeigenkunde. Ideal ist natürlich eine Kombination aus hohem Nutzen und großer Nähe – dann könnten Mitgliedschaften die beste Wahl sein.  

Gewohnheit und Verbundenheit verkaufen Abos

Journalist:innen gehen oft davon aus, dass Menschen für gute Geschichten zahlen, aber so klar ist der Zusammenhang nicht. Wer zum Beispiel ein Abo abschließt, tut dies aus unterschiedlichen Motiven, die oft mehr mit Gewohnheit, dem Gefühl von Zugehörigkeit oder guten Vorsätzen zu tun haben als mit der journalistischen Qualität einzelner Stücke. Man abonniert die Zeitung, weil man sie morgens beim Frühstück durchblättern oder durch die App scrollen möchte. Mit dem Economist-Abo fühlt man sich klüger, auch wenn man vielleicht nur eine Geschichte pro Monat zu Ende liest (so wie man sich mit der Fitnessclub-Mitgliedschaft irgendwie aktiver fühlt). Man zahlt für die Lokalzeitung, weil man ein ortsverbundener Mensch ist oder die Fachzeitschrift, weil man einer bestimmten Berufsgruppe angehört. Man möchte mitreden können, wenn sich die Freunde, Kumpels, Kollegen oder Chefs unterhalten. Einzelverkäufe von Texten funktionieren deshalb schlecht bis gar nicht – auch, weil die Konkurrenz an kostenloser Information und guten Inhalten so groß ist, dass das nächste spannende Stück meist nur ein, zwei Klicks entfernt liegt. 

Kundenbindung erreicht man also, indem man Menschen in Gewohnheiten treibt oder sich einen Platz darin erobert (siehe Frühstück). Es gilt, in seine Marke zu investieren und deren Versprechen einzulösen, also Vertrauen aufzubauen. Manchmal muss man einfach nur nerven. Nach der 50. Aufforderung, man könne das New York Times Abo für zwei Euro pro Woche haben und sofort wieder kündigen, wird dann doch noch die eine oder der andere schwach. Guter Journalismus gehört zum Kern dieses Gesamtpakets, aber ohne das Drumherum reicht er üblicherweise nicht aus. Auch Zeitungsabos werden häufiger wegen unpünktlicher Zustellung gekündigt als wegen der Schwächen im redaktionellen Angebot.  

Weshalb spenden- oder stiftungsfinanzierter Journalismus nicht immer zielführend ist 

Manchmal muss man auf der Suche nach einem Geschäftsmodell auch um die Ecke denken. Anna Bateson, CEO des britischen Guardian, erzählte zum Beispiel kürzlich, dass viele Leser:innen wegen der exzellenten Klimaberichterstattung für das Angebot zahlen – der Guardian baut auf freiwillige Zahlungen. Als Grund gäben sie allerdings nicht an, dass sie die entsprechenden Texte selbst lesen. Nein, sie möchten, dass sich andere Menschen kostenfrei über die Klimakatastrophe informieren können. Es verschafft Menschen offensichtlich ein gutes Gefühl, anderen etwas – aus ihrer Sicht – Gutes zu tun. 

Solche Großzügigkeit kann durchaus rationale Gründe haben. Wenn Firmen zum Beispiel in Kinderbetreuung investieren, tun sie das nicht nur aus Familienfreundlichkeit, sondern weil sie damit Mitarbeitende binden und deren Verfügbarkeit erhöhen möchten. Wer ein journalistisches Produkt entwickelt, das Menschen konkret bei der Bewältigung ihres Alltags hilft oder sie weiterbildet, findet womöglich Resonanz bei Unternehmen, die ihren Angestellten diesen Service bieten möchten. Wirtschaftsmedien profitierten lange davon, dass Unternehmen Zeitungen für ihre Mitarbeitenden abonnierten – auch wenn die dann in Stapeln ungelesen im Foyer herumlagen. 

Wer Geldgeber von dritter Seite sucht, muss deshalb nicht nur nach Stiftungen schauen. Die können interessant sein, wenn sich ein Medium einem bestimmten Thema verschrieben hat. Man sollte sich aber nicht täuschen: Stiftungen haben einen bestimmten Zweck. Gründer:innen müssen deshalb regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, was sie tun. Wer mehr journalistische Freiheit braucht, tut sich mit anzeigenfinanzierten Modellen womöglich leichter. 

Ritu Kapur, CEO der indischen Medienmarke The Quint, beklagt dies zum Beispiel beim Thema Klimajournalismus. Internationale Geldgeber böten viel Geld für das Aufdecken von Klima-Desinformation, erzählte sie in einem Interview für den Report Climate Journalism that Works (Disclaimer: Ich bin Lead-Autorin). Aber in Indien gäbe es nicht viel Klima-Desinformation, weil das Thema noch nicht einmal die politische Debatte erreicht habe. Es sei schwer, Investoren für Klimajournalismus zu finden, der zunächst vor allem informiere.

Bei allen potenziellen Modellen gilt: Ohne ausprobieren geht nichts. Zahlungsbereitschaft kann und sollte man austesten – und entsprechende Angebote immer wieder weiterentwickeln. Dass Kund:innen oft strapazierfähiger sind als man denkt, zeigen Modelle dynamischer Bezahlschranken oder Preise. Wie gut das funktioniert, wenn der Nutzen groß ist, machen die Airline- und Touristik-Branchen seit langem vor. Das bedeutet aber auch: Die Suche nach dem Geschäftsmodell fängt mit den Bedürfnissen potenzieller Kunden an. Die Lust auf starken Journalismus kann eines davon sein. Es ist aber höchstwahrscheinlich nicht das einzige.   

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 4. April 2023. Aktuelle Kolumnen kannst du mit einem Abo lesen.

Optimismus wird unterschätzt – Was von Marty Baron bleibt

Auf dieser Seite des Atlantiks dürfte Marty Baron einigen auch außerhalb des journalistischen Mikrokosmos ein Begriff sein, der Grund dafür ist „Spotlight“. In dem 2015 mit einem Oscar gekrönten Film treibt ein junger, neuer Chefredakteur ein Recherche-Team bei der Tageszeitung Boston Globe zu Höchstleistungen an. Den Reporter*innen gelingt es schließlich, einen riesigen Missbrauchs-Skandal in der Katholischen Kirche aufzudecken. Der Chefredakteur heißt im wirklichen Leben Martin Baron, und der Schauspieler Liev Schreiber, der ihn spielte, sah ihm im Film tatsächlich ziemlich ähnlich. Zu der Zeit war Baron allerdings schon zur Washington Post (WaPo) abgeschwirrt, wo er 2013 Chefredakteur wurde, kurz bevor Amazon-Chef Jeff Bezos die Zeitung kaufte. Dort hat der @PostBaron, wie er sich auf Twitter nennt, nun genug. 66 Jahre alt ist er, in dieser Woche gab er bekannt, er werde Ende Februar seinen Posten aufgeben.

In mancher Redaktion dürften sich Reporter*innen darüber gerangelt haben, wer Baron zum Abschied würdigen darf. Klar, mit einem solchen gestandenen Journalisten, der in seiner Zeit als Chefredakteur die Redaktion von 500 auf 1.000 Leute vergrößerte, mit ihnen zehn Pulitzer-Preise hereinholte und das mit der Digitalisierung trotzdem erstklassig hinbekam, macht sich jeder gerne gemein. „Democracy dies in darkness“ – der Claim der WaPo wird in kaum einem Artikel fehlen. Und wer es lustiger mag, integriert den Ausdruck „swashbuckling“ in seinen Englisch-Wortschatz. Den benutzte Jeff Bezos, um seinem Geschäftspartner zum Abschied zuzurufen: „Du bist verwegen (swashbuckling) und vorsichtig, du bist diszipliniert und empathisch.“ Anstrengend sei es mit ihm allerdings auch oft gewesen, gab Bezos zu.

Man könnte also viel sagen über diesen Marty, der sich seiner Bedeutung durchaus bewusst war. Allerdings nicht so bewusst, dass er nicht auch immer wieder im kleinen Kreis jungen und erfahrenen Journalist*innen von seiner Arbeit erzählt hätte, wie er das regelmäßig am Reuters Institute for the Study of Journalism getan hat, wo er im Beirat sitzt. Er machte das gerne, auch in der Hoffnung, dass ein paar seiner Botschaften den Weg zurück über den Atlantik finden würden. Erst, wenn er etwas öffentlich gesagt habe, nehme seine Redaktion ihm ab, dass ihm die Sache ernst sei, sagte er einmal. Eines war ihm offenbar ernst, denn er wiederholte das, und es ist hängengeblieben: „Ich stelle nur Optimisten ein.“ Ein Gespür für diejenigen Kolleg*innen, die mit Hartnäckigkeit und Erfolgsglauben Dinge vorantreiben, ob investigative Recherchen oder Produktentwicklung, könnte ein Teil seines Erfolgsrezepts für die digitale Transformation gewesen sein (das andere trug den Vornamen Jeff).

Als pragmatisch-zuversichtliche Optimistin kann man dem nur folgen. Wie schön ist es doch auch als Chefin, Alltag und gerne Bürofluchten mit Kolleginnen und Kollegen zu teilen, die bei jeder kleinen und größeren Krise einmal tief durchatmen und einem dann mit verzweifelt-hoffnungsvollem Lächeln versichern: „Das kriegen wir schon hin.“ Wie schätzt man sie, diejenigen, die immer wieder experimentieren, nachhaken, durchrechnen und letztlich mit der Botschaft um die Ecke biegen: „Das klappt.“

In der Medienbranche allgemein ist der Optimismus als Konzept dagegen wenig beliebt. Das liegt einerseits an den Kennzahlen und den bröckelnden Geschäftsmodellen. Andererseits steht dem aber auch das Selbstverständnis eines Berufsstands entgegen, der oft dem Reflex erliegt, jeder Aufgabe das Wort Krise anzuhängen und sie damit noch ein wenig unlösbarer erscheinen zu lassen, man denke an Corona-Krise, Flüchtlings-Krise, Klima-Krise, Impfstoff-Krise und, ja, Medien-Krise. Optimismus wird in dieser Lesart oft als Schönfärberei missverstanden. Journalisten sollen schließlich kritisch sein und Schweinereien aufklären. Die Welt in Zuversicht zu tauchen, das möge bitte die PR übernehmen. Aus diesem Grund hat auch derjenige Journalismus zuweilen kommunikativ einen schweren Stand, der sich konstruktiv oder lösungsorientiert nennt.

Das Publikum allerdings ist davon zunehmend genervt. Mehr als ein Drittel der Nutzer*innen finden Journalismus zu negativ und schalten deshalb immer wieder mal ab, wie im Digital News Report ein ums andere Jahr zu lesen ist. Nicht unbedingt, weil sie keine schlechten Nachrichten mehr hören mögen, sondern weil viele die Welt um sie herum ganz anders wahrnehmen – zumindest, wenn nicht gerade Pandemie herrscht. Sie machen oft ziemlich positive Erfahrungen mit Kolleg*innen, Freund*innen, Nachbar*innen und wildfremden Menschen im Supermarkt oder am Bahnhof, und haben deshalb das Gefühl, selbst etwas erreichen zu können, wenn sie sich zusammentun und die Dinge anpacken. Herausforderungen müssen bewältigt werden, hilft ja nichts.

Und das ist tatsächlich der Kern des Optimismus: nicht etwa ein rosarotes Weltbild, ein Verleugnen der Tatsachen, ein von Euphorie getränktes Aufspringen auf jeden noch so durchsichtigen Trend. Aber die Zuversicht, dass man mit ordentlichem Einsatz von Gehirnzellen, Fleiß und Kooperation schon irgendwie weiterkommt auf dem Weg zu einer besseren Zukunft, so weit das Ziel auch noch entfernt sein mag. Es geht nicht immer für alle gut aus, manch eine Generation trägt Lasten, die kaum zu schultern sind. Aber wer Max Rosers Langzeit-Datenreihen in Ourworldindata.org folgt, weiß, dass Fortschritt Realität und keine Fiktion ist.

Nun wäre es falsch zu behaupten, dass Fortschritt allein von Optimist*innen gebaut wird. In jedem Team muss es Zweifler*innen geben, die Details und Nuancen sehen, auf Risiken und Gefahren hinweisen und sich nicht von Chef*innen zum Schweigen bringen lassen, die die Welt in „Trouble Shooter und Trouble Maker“ einteilen, auf Deutsch wird das Wort Bedenkenträger sehr abfällig verwendet. So manch ein Unglück hätte verhindert, manch eine Gefahr abgewendet werden können, hätte man rechtzeitig Bedenkenträger*innen Gehör geschenkt. Aber die Kraft steckt im Optimismus, dem Glauben, dass etwas Gutes entstehen kann, wenn man die Sorgen und Zweifel nur ernst genug nimmt.

Ganz sicher haben sie auch Martin Baron beschwert, den großen Investigativ-Journalisten, als er sich vor acht Jahren mit Jeff Bezos traf, um über die Zukunft der WaPo zu sprechen. Werde die Redaktion unabhängig bleiben können unter den Augen eines Mannes, für den die WaPo eher Spielzeug als Berufung zu sein schien, und dessen Unternehmens-Imperium in der Abteilung Menschlichkeit deutlich weniger Sterne verdient als in der Kategorie „Customer Obsession“? Der Chefredakteur war jedenfalls zufrieden mit dem Eigentümer, das hat er eins ums andere Mal betont. Womöglich hätte sich Marty Baron sogar selbst eingestellt.

Dieser Beitrag erschien für den Newsletter des Digital Journalism Fellowship am 28. Januar im Blog der Hamburg Media School

Aufpasser von nebenan: Der Lokaljournalismus braucht eine digitale Zukunft

Die Hackordnung im Journalismus war über die längste Zeit klar: Man begann vielleicht im Lokalen, weil sich da schnell viel recherchieren, aufdecken, aufschreiben und gestalten ließ. Aber wer in den Augen der Kolleg_innen etwas gelten wollte, musste irgendwann den Sprung in die nationale Berichterstattung schaffen – ob bei Zeitungshäusern, im Radio oder Fernsehen spielte keine Rolle. Die Metriken, mit denen Prestige und Gehälter stiegen, hießen Sichtbarkeit oder Reichweite. Das hat sich nicht grundlegend geändert, was die Binnensicht angeht. Aber mit Blick auf den Journalismus als vierte Gewalt und Säule der Demokratie sieht die Sache ganz anders aus. Da heißt die wichtigste Metrik Vertrauen. Und was das angeht, schneidet der Lokaljournalismus in so gut wie allen Umfragen am besten ab.

Das war auch schon vor der Corona-Krise so. Ob das die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen ist, amerikanische Umfragen der Marktforscher von Pew Research oder der Digital News Reportdes Reuters Institutes in Oxford, Bürger_innen trauen ihren lokalen Zeitungen und Fernsehstationen mehr als den überregionalen Medieninstitutionen. Nur öffentlich-rechtlichen Sendern, die im Lokalen meist auch recht präsent sind, geben sie bessere Noten. Und was den Wert für die Demokratie angeht, ist der Zusammenhang zwischen gutem Lokaljournalismus und bürgerlichem Engagement eindeutig. Bürger gehen häufiger wählen, kandidieren öfter für politische Ämter, Gemeindefinanzen sind gesünder und die Korruption ist dort niedriger, wo Journalisten den Institutionen vor Ort in die Bücher schauen.[1]

Dass sich so etwas überhaupt belegen lässt, hat einen traurigen Grund: Vor allem in den USA, wo der Kapitalismus ein Stück gnadenloser arbeitet als hierzulande, gibt es bereits weit über tausend Orte und sogar Kleinstädte, in denen keine Lokalredaktionen mehr an der Aufklärung der Bürger_innen arbeiten. Medienwissenschaftler dokumentieren sie als News Deserts. Und man kann die Daten solcher Nachrichtenwüsten gut mit denen jener Orte vergleichen, in denen Journalist_innen den Mächtigen noch auf die Finger schauen und Debatten von örtlichem Interesse initiieren und abbilden.

Wer wissen möchte, was dem Lokaljournalismus womöglich auch hierzulande bevorsteht, dem sei die Lektüre von Margaret Sullivans neuem Buch „Ghosting the News“ ans Herz gelegt.[2] Sullivan ist Medienkorrespondentin der Washington Post, davor hatte sie als Public Editor die Interessen der Leser_innen der New York Times
vertreten. Und davor wirkte sie 13 Jahre lang als Chefredakteurin der Buffalo News, der größten Regionalzeitung im US-Bundesstaat New York außerhalb von New York City. Heute sei die Redaktion dort nur noch halb so groß wie zu ihrer Zeit, schreibt sie, und damit schneide die Buffalo News sogar recht gut ab. Unter dem Druck von Investoren hätten die Redaktionen amerikanischer Zeitungen zwischen 2008 und 2017 schon 45 Prozent der Stellen gestrichen, danach sei der Kahlschlag noch massiver vorangetrieben worden. Zwischen 2004 und 2015 seien 1800 amerikanische Zeitungen komplett vom Markt verschwunden. Und in diesem Jahr hat sogar Groß-Investor Warren Buffett aufgegeben. Lokalzeitungen würden verschwinden, hatte er 2019 in einem Interview prophezeit.

Man merkt Sullivan an, wie sehr sie darum ringt, Perspektiven für den Lokaljournalismus zu entwickeln, und wie wenige Möglichkeiten sie dennoch ausfindig macht. Denn solche Projekte wie das von Alice Dreger in East Lansing im Staat Michigan hören sich ehrenwert, aber nicht nach gesundem Geschäftsmodell an: Dreger hat ein Team von 140 Leuten zusammengestellt, die sich im Nebenberuf mit dem Wohlergehen der Region beschäftigen. Es sind vor allem Studierende, Rentner und andere Freiwillige, die das Zusammentragen, was in der Gemeinde wichtig ist – für 50 Dollar Lohn pro Artikel. Das ist Journalismus als Passion, nicht als Beruf.

Dabei ist Lokaljournalismus für die Bürger wichtiger denn je. Überregionale News finden sie schließlich im Internet überall, wer des Englischen mächtig ist, kann sich über verschiedenste Quellen weltweit auf dem Laufenden halten. Die Branchengrößen wie die New York Times, die Washington Post oder der Guardian greifen das globale Bildungs-Publikum ab. Aber wie das Verkehrskonzept für die eigene Region ausschaut, was hinter den Türen des Rathauses geschieht, und was den Ort sonst noch bewegt, darauf hat Google selten Antworten.

Lokalzeitungen haben sie leider auch nicht immer. Man sollte hier nichts verklären, Lokaljournalismus war nicht immer und überall investigativ und unabhängig. So manch ein Blatt vermischte redaktionelle Inhalte und Werbung, berichtete allzu wohlwollend über die örtliche Prominenz, schrieb die Spalten mit nutzlosem oder unverständlichen Stoff aus dem Gemeinderat voll, nur weil sich dort ein Reporter den Abend um die Ohren geschlagen hatte und füllte Seiten über Seiten mit mittelprächtigen Fotos, weil die Budgets für Recherchen nicht reichten.

Die Digitalisierung kann helfen. Nicht nur, weil das Publizieren technisch einfacher und günstiger wird. Die Denke ist eine neue. Wer möchte, dass Abonnenten für ein Produkt bezahlen, muss sich mehr als früher mit ihren Interessen und Bedürfnissen beschäftigen, Stichwort „Audience first“. Nur wer sein Publikum ernst nimmt, erweist ihm eine echte Dienstleistung, auf die er oder sie nicht verzichten möchte – und für die er/sie dann auch zu zahlen bereit ist. Das können ausführliche Recherchen sein, aber auch datenjournalistische Angebote, die sich mit künstlicher Intelligenz künftig billiger und schneller erstellen lassen werden. Über Geotags haben lokale Anzeigenkunden einen zielgenaueren Zugang zu ihrem Publikum. Und Redaktionen können das Wissen ihrer Leser_innen über digitale Kanäle besser anzapfen und Kommunikation initiieren.

Das alles löst das Finanzierungsproblem noch nicht gänzlich. In den meisten Fällen werden potente Geldgeber nötig sein, denen das Schicksal ihrer Gemeinde am Herzen liegt. Aber auch auf der Suche nach Investoren gilt: Ein starkes journalistisches Produkt ist immer ein gutes Argument.

[1] Siehe Alexandra Borchardt, „Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“, Dudenverlag 2020.
[2] Margaret Sullivan„Ghosting the News – Local Journalism and the Crisis of American Democracy“, Columbia University Press 2020

Dieser Text erschien am 7. August im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School. 

Journalismus darf etwas kosten!

Das Angebot an Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen ist zu einem Über­an­ge­bot gewor­den. Der Preis für viele jour­na­lis­ti­sche Pro­dukte ten­diert gegen Null. Deshalb müssen Zei­tungs­häu­ser und Medi­en­kon­zerne die Bedürf­nisse ihres Publi­kums ergrün­den. Bezahl­mo­delle funk­tio­nie­ren im Lokal­jour­na­lis­mus beson­ders gut.

Wenn es um ihre eigenen Pro­dukte geht, geben sich manche Jour­na­lis­ten erstaun­lich wenig selbst­be­wusst. „Leider, leider steht dieser Text hinter einer Bezahl­schranke“, kann man zuwei­len in den sozia­len Netz­wer­ken lesen, wenn eine Autorin oder ein Autor ihr eigenes Werk anpreist. Beim Bäcker zum Bei­spiel käme so etwas nie­man­dem in den Sinn. „Leider, leider muss ich für dieses Kür­bis­kern-Bröt­chen Geld ver­lan­gen“ – schon mal gehört? Okay, man kann das nicht direkt ver­glei­chen. Denn ein Bröt­chen gibt es nicht so ohne wei­te­res geschenkt. Um hin­ge­gen Jour­na­lis­mus zu bekom­men, der nichts kostet, reicht meist ein ein­zi­ger Scroll oder Klick. In der Infor­ma­ti­ons- und Auf­klä­rungs­bran­che hat die Digi­ta­li­sie­rung zu einem Markt­ver­sa­gen geführt.

Aller­dings sind sich viele Repor­ter und Redak­teure selbst nicht so sicher, ob sie für ihre Pro­dukte etwas ver­lan­gen dürfen. Schließ­lich sei die Auf­klä­rung der Bürger auch ein öffent­li­ches Gut, von dem alle pro­fi­tie­ren sollten, nicht nur die­je­ni­gen, die es sich leisten könnten, sagen sie. Jour­na­lis­mus, der nichts kostet, sei deshalb ein Dienst an der Demo­kra­tie. Man kann aller­dings auch anders argu­men­tie­ren: Die Demo­kra­tie braucht Medien, die ihre Rolle als Wächter, Welt­erklä­rer und Ver­mitt­ler zwi­schen gesell­schaft­li­chen Gruppen und ein­zel­nen Men­schen ernst nehmen und mit Lei­den­schaft aus­fül­len. Die Bereit­schaft der Bürger, für Jour­na­lis­mus zu zahlen, ist ein Grad­mes­ser dafür, ob ihnen das gut genug gelingt.

Fried­rich Merz: Wir brau­chen Jour­na­lis­ten nicht mehr

Die Situa­tion ist ver­fah­ren, und das hat mehrere Gründe. Einer­seits ist das Angebot an Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen zu einem Über­an­ge­bot gewor­den: Da Men­schen mit­tei­lungs­be­dürf­tig sind, wollen sie mit ihren Bot­schaf­ten vor allem gehört werden. Dafür auch noch Geld zu ver­lan­gen, kommt nur den­je­ni­gen in den Sinn, die davon leben müssen oder eben jene Orga­ni­sa­tio­nen am Laufen halten, die sich der Auf­klä­rung der Bürger ver­schrie­ben haben. Die anderen würden not­falls sogar drauf­zah­len, um gehört zu werden. „Wir brau­chen die nicht mehr“, sagte der von Füh­rungs­am­bi­tio­nen getrie­bene CDU-Poli­ti­ker Fried­rich Merz kürz­lich an die Adresse von Jour­na­lis­ten und sprach damit vor allem eine Wahr­heit aus: Der  immer noch beliebte Jour­na­lis­mus des Typs „der hat gesagt, die hat gesagt“ ist vom Aus­ster­ben bedroht. Auf dem Markt für Infor­ma­tio­nen ten­diert der Preis für viele Arten von Inhal­ten gegen Null.

„Click­bai­ting“ höhlt Ver­trauen aus

Ande­rer­seits hat sich die Medi­en­bran­che die Kos­ten­los-Kultur auch selbst zuzu­schrei­ben. Zu lange hatte sie in dem Irr­glau­ben ver­harrt, das Erfolgs­mo­dell „Werbung finan­ziert Inhalt“, oder zumin­dest einen großen Teil davon, ließe sich von der Welt der gedruck­ten Zeitung eins zu eins in die Online-Welt über­tra­gen. Dass daraus ein Modell „Inhalte finan­zie­ren Daten für Inter­net-Kon­zerne“ werden würde, hatten sie nicht geahnt.

Von der Stra­te­gie, Texte aus Druckerzeug­nis­sen für jeden zugäng­lich online zu stellen, hat aller­dings bislang niemand pro­fi­tiert. Die Medi­en­häu­ser haben damit zwar ihre Reich­wei­ten erhöht, vor allem betraf das aber ver­wech­sel­bare Inhalte – das so genannte Click­bait –, die ihr Profil ver­wäs­sert und Ver­trauen aus­ge­höhlt haben. Einige Jour­na­lis­ten und Blogger konnten sich zwar per­sön­lich als Marke eta­blie­ren und mas­sen­weise Fol­lo­wer um sich scharen, das allein sichert aber selten ihren Lebens­un­ter­halt. Die Platt­form-Kon­zerne haben auch wenig von der Kos­ten­los-Kultur der Medien, denn der Anteil jour­na­lis­ti­scher Inhalte an allem, was rund um die Uhr über das Netz ver­brei­tet wird, liegt im unteren ein­stel­li­gen Bereich. Und nicht einmal der Anspruch auf mehr Demo­kra­tie wurde ein­ge­löst. Nach einer Studie des Reuters Insti­tu­tes for the Study of Jour­na­lism am Bei­spiel Groß­bri­tan­nien ist der Nach­rich­ten­kon­sum in der digi­ta­len Welt noch unglei­cher ver­teilt als offline: Während gebil­dete Schich­ten sich online aus mehr Quellen infor­mie­ren, bekom­men sozial schlech­ter gestellte wegen des Über­an­ge­bots an Unter­hal­tung und anderen Ablen­kun­gen noch sel­te­ner mit Jour­na­lis­mus in Berüh­rung als vorher.

Schreib­tisch­jour­na­lis­mus

Gewin­ner sind einzig die Bil­dungs­eli­ten, die mit der neuen Infor­ma­ti­ons­welt gut umgehen können. Die könnten es sich leisten, für guten Jour­na­lis­mus Geld aus­zu­ge­ben, aber sie tun es selten, wenn sie es nicht müssen. Welt­weit zahlen laut dem Digital News Report, der 38 Länder ana­ly­siert, nur etwa 14 Prozent aller online Nutzer für jour­na­lis­ti­sche Ange­bote. In einigen skan­di­na­vi­schen Ländern, in denen es wenige kos­ten­freie Qua­li­täts­an­ge­bote gibt, sind es immer­hin bis zu 30 Prozent.

In vielen einst pro­spe­rie­ren­den Zei­tungs­häu­sern ran­gie­ren die Stra­te­gien deshalb irgendwo zwi­schen Kürzen und Kahl­schlag. Überall auf der Welt ächzen Medien gleich­zei­tig unter dem Versuch, kos­ten­pflich­tige Ange­bote auf­zu­bauen. Das ist schwie­rig. Denn viele Redak­tio­nen haben sich aus der Not heraus auf eine Art „Copy und Paste“-Journalismus ein­ge­schos­sen, für den man den Schreib­tisch nicht ver­las­sen muss. Für solche Billig-Ware zahlen die Kon­su­men­ten nicht, doch für was dann? Vor lauter Ringen um Klicks und Reich­weite haben viele Medi­en­schaf­fende den Kontakt zu ihrem Publi­kum ver­lo­ren.

Geschäfts­mo­dell Lokal­jour­na­lis­mus

Klar ist: Kon­su­men­ten sind eher nicht geneigt, für ein­zelne Inhalte Geld aus­zu­ge­ben. Es gibt schlicht zu viele davon. Sie zahlen für ein Erleb­nis, zum Bei­spiel für ein Ritual am Morgen oder ein Event am Abend. Sie zahlen für Service und Bera­tung. Und sie zahlen für das Qua­li­täts­ver­spre­chen einer Marke, die es schafft, Ver­trauen auf­zu­bauen und zu pflegen. Men­schen müssen sich vom Jour­na­lis­mus ernst genom­men fühlen, wenn sie ihn unter­stüt­zen sollen. Redak­tio­nen müssen sich deshalb auf ihren Kern zurück­be­sin­nen: Sie müssen sich ihrem spe­zi­el­len Publi­kum zuwen­den, dessen Bedürf­nisse ergrün­den und ihm dienen. Im Lokal­jour­na­lis­mus kann das beson­ders gut gelin­gen.

Nur wer sich unver­zicht­bar oder zum Teil einer lieb­ge­wor­de­nen Routine macht, kann das in Rech­nung stellen. Bürger brau­chen Ori­en­tie­rung. Sie werden nicht für alles zahlen wollen, und wenige können es wirk­lich nicht. Auch für sie muss es Ange­bote geben, ob öffent­lich-recht­lich oder stif­tungs­fi­nan­ziert. Aber noch geben viele Men­schen für den Milch­kaf­fee zum Mit­neh­men mehr Geld aus als für den Jour­na­lis­mus, an dem sie mehr und länger Freude haben sollten. Es liegt in den Händen der Medi­en­häu­ser, das zu ändern. Jour­na­lis­mus, der so viel Spaß macht wie ein „Coffee to go“: Das muss zu schaf­fen sein.

Diese Kolumne erschien am 25. Februar 2020 bei Zentrum Liberale Moderne