„Kein Job für Weicheier“ – Medienmacher sorgen sich viel um andere und wenig um die eigenen Leute

Nicht überall leiden Journalist*innen so wie in Indien. Um die 500 Reporter*innen waren dort Stand Juni 2021 während der Pandemie an einer Covid-19 Erkrankung gestorben, die sie sich bei der Recherche zugezogen hatten. Ihre Familien bekämen weder Unterstützung von den Redaktionen noch von der Regierung, schreibt die indische Journalistin Rachel Chitra in einem Artikel für das Reuters Institute in Oxford. Die Pandemie ist eine vielschichtige Herausforderung für Journalist*innen, nicht nur wegen der Ansteckungsgefahr für sie und ihre Angehörigen, sondern auch wegen erschwerter Arbeitsbedingungen, dauerhaft hoher Belastung bei gleichzeitiger Furcht, in der angespannten wirtschaftlichen Lage den Job zu verlieren. Aber sie ist beileibe nicht die einzige Bürde, die diejenigen tragen, die dort nah herangehen müssen, wo es unangenehm wird. Weltweit riskieren Reporter*innen ihre physische und psychische Gesundheit, manche sogar ihr Leben, weil sie ihren Job machen.

Dabei geht es nicht nur um aufsehenerregende Angriffe auf einzelne Reporter*innen, die einflussreichen Wirtschaftsgrößen oder autoritären Regierenden zu nahe auf die Pelle rücken, wie bei der spektakulären Entführung des belarussischen Bloggers Roman Protasewitsch aus einem Flugzeug auf innereuropäischer Route. Solche Fälle lösen zurecht international Empörung aus. Aber auch die alltäglichen, subtilen oder weniger subtilen Angriffe auf Redakteur*innen, Kommentator*innen und Reporter*innen zehren an den Kräften. Da geht es um Trolle und Hass in den sozialen Netzwerken, den einzelne oder politisch motivierte Gruppen durchaus systematisch und überproportional gegen Frauen einsetzen. Es geht um eine toxische Redaktionskultur, die das Medium-Magazin kürzlich in einer großen Recherche dokumentierte. Es geht aber auch um das Tagesgeschäft: dem Berichten vom Unfallort mit grauenhaft zugerichteten Opfern oder aus dem Gerichtssaal, wenn verstörende Tatbestände detailgenau vorgetragen werden und sich als Bilder im Kopf festsetzen.

Und all das nehmen viele Redaktionen einfach so hin. Rufen sie in Kommentaren nach Unterstützung für Betroffene jeglichen Unglücks und Unrechts, sieht es mit der Fürsorge für die eigenen Leute in der Regel eher mau aus. Die Auslandskorrespondentin schickt man vor dem Einsatz im Krisengebiet noch in ein spezielles Training. Der Lokalreporter allerdings kann sich nicht darauf vorbereiten, wie es ihm bei der Recherche über das Zugunglück mit Toten oder dem Eifersuchts-Mord in der Nachbarschaft gehen wird. Und für ein Debriefing nach anspruchsvollen Recherchen, gefährlichen Einsätzen oder Attacken in den sozialen Netzwerken fehlt meist die Zeit, man ist schon beim nächsten Thema. Auch um ihr Recht müssen viele ohne Hilfe kämpfen, selbst wenn sie online massiv bedroht werden. Das Berufsethos sorgt dann dafür, dass die meisten Kolleg*innen das Leid alleine zu verarbeiten versuchen.

Viele Führungskräfte finden das immer noch in Ordnung so. Ein gewisses Maß an Kaltschnäuzigkeit und innerer Distanz gehöre eben zur Berufsbeschreibung, heißt es dann lapidar. Journalist, das sei eben „kein Job für Weicheier“ – so sagte es einmal ein BBC-Kollege in einem Leadership-Seminar. Wer die Hitze nicht möge, solle eben die Küche meiden. Die Tatsache, dass Redaktionen eher von Journalist*innen geführt werden, von denen die meisten nicht in Management-Techniken geschult sind, macht es nicht leichter.

Noch gibt es wenig Forschung zu Belastung und Trauma in Redaktionen, vor allem mit Blick auf das vermeintlich so routinierte Tagesgeschäft. Aber eine zunehmende Zahl von Redaktionsleiter*innen nimmt sich des Themas an, ebenso Wissenschaftler*innen und Verbände. Organisationen wie die Unesco beschäftigen sichmit der Sicherheit von Medienschaffenden. Die Bild-Zeitung hat ihre Mitarbeiter jüngst in einer großen Umfrage nach ihrem Befinden gefragt. Gerade die Pandemie hat viele Führungskräfte erkennen lassen, wie fragil das Gerüst ist, auf dem das tägliche Geschäft ruht. Persönliche Gespräche mit Kolleg*innen, denen man nicht mehr wie sonst im Flur begegnet, hätten ihn während des Lockdowns viel beschäftigt, erzählt der CEO eines regionalen Medienhauses.

Neben menschlichen Motiven treiben auch wirtschaftliche die Leitenden an. Es wird immer schwerer, junge Menschen für den Journalistenberuf zu begeistern. Die Aussicht, dass sie bei vergleichsweise mäßigem Einkommen, hohem zeitlichen und emotionalen Einsatz und unsicheren Perspektiven in Kauf nehmen müssen, angegriffen oder mit Belastungen alleingelassen zu werden, macht ihnen die Entscheidung für den Job nicht leichter. Psychologische und juristische Hilfe ist das Mindeste, was Redaktionen ihren Mitarbeiter*innen bieten müssen.

Manchmal allerdings sind gerade die das Problem, die an der Spitze stehen, Stichwort toxische Redaktionskultur. Da allerdings kann man rangehen. So erzählte die Kollegin einer großen Zeitung an der amerikanischen Westküste im Frühjahr in einem Webinar vom Rücktritt eines Star-Reporters, den sie so erklärte: Man habe jetzt eine „no asshole policy“, da passe nicht mehr jeder rein. Verlage, die gegen solche Klima-Vergifter konsequent vorgehen, sparen dabei manchmal weit mehr als nur ein Gehalt.  

Diese Kolumne erschien am 3. Juni 2021 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School. 

 

Medienoasen in der Nachrichtenwüste – Worauf Entrepreneure im Journalismus achten sollten

Von Deutschland aus auf die USA schauen, das ist häufig, als benutze man ein Vergrößerungsglas. Nicht nur Getränkebecher, Jeans und Überland-Trucks gibt es dort im XXL-Format. Auch gesellschaftliche Entwicklungen kommen meist krasser daher als hierzulande, Achterbahn-artige Bewegungen eingeschlossen. Bei Häme ist deshalb Vorsicht geboten, siehe Pandemie: Lästerte man gerade noch über amerikanisches Staatsversagen, sind drüben plötzlich alle durchgeimpft, während hier weiter über Reihenfolgen und Vakzine gestritten wird. Ähnlich drastisch geht es in der Medienbranche zu. So zählte man drüben schon Nachrichtenwüsten (news deserts) ohne lokaljournalistische Grundversorgung, als Regionalverlage hier noch ihre Print-Auflage feierten. Umgekehrt blicken amerikanische Medienschaffende nun auf ein ganzes Ökosystem digitaler Neugründungen, während Redaktionen diesseits des Atlantiks noch lernen, „digital first“ zu buchstabieren. Man kann das misslich finden, oder schleunigst das – in diesem Fall – Fernglas zur Hand nehmen. Ein Blick nach drüben lohnt sich, wenn man nicht nur aus eigenen Fehlern lernen, sondern ein paar lieber von vornherein vermeiden möchte.

Die amerikanische Lesart ist unmissverständlich: Wo es Nachrichtenwüsten gibt, müssen dringend Oasen her. Oasis heißt deshalb ein Gemeinschafts-Projekt, das sich an Gründer*innen von Medienmarken in den USA und Kanada richtet und ihnen mit Statistiken, Fallstudien, Rat und Benchmarks zur Seite stehen möchte. In dieser Woche nun hat Oasis den ersten Reportveröffentlicht, angeblich die größte Studie über „digital native“ Medienhäuser und -häuschen in dieser Dekade. 255 von mehr als 700 rein digitalen Medien-Unternehmen haben sich dafür an einer Umfrage beteiligt. Sie hat ein paar spannende Fakten zutage gefördert.

Die erfreulichen zuerst: Das Wachstum ist rasant, in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Medien-Gründungen mehr als versechsfacht. Immerhin gibt bereits jede fünfte Firma an, finanziell über den Berg zu sein, eine ganze Reihe weiterer sieht sich auf dem Weg dorthin. Zwei Drittel haben die wilde Startup-Phase hinter sich gelassen und bewegen sich in ruhigerem Fahrwasser, 22 Prozent (über)leben schon länger als zehn Jahre.

Eine ganze Menge Fakten stimmen allerdings nachdenklich, vor allem diese: Viele Organisationen leben von der Selbstausbeutung ihrer Gründer*innen (Frauen sind, was die Jobs angeht, in der Überzahl). Sie verlassen sich stark auf ehrenamtliches Engagement und können wenige Vollzeit-Arbeitsplätze sichern. Nur zehn Prozent fahren Jahresumsätze von über einer Million Dollar ein. Die Abhängigkeit vom lokalen Anzeigenmarkt ist groß und für die meisten die wichtigste Einnahmequelle, andere hängen gänzlich am Tropf von wohltätigen Geldgeber*innen. Abo- oder Mitgliedermodelle trauen sich die wenigsten zu.

Eine der Hauptursachen für diese zum Teil prekären Zustände ist, dass Medien-Startups überwiegend von Journalist*innen gegründet werden. Hier rächt sich die einst so wichtige strikte Trennung von Redaktion und Verlag. Sie hat Redakteur*innen und Reporter*innen jahrzehntelang davor „bewahrt“, sich damit auseinandersetzen zu müssen, wie ihr Medienhaus eigentlich Geld verdient. Bei der Entwicklung ihrer jungen Unternehmen beginnen die Gründer*innen deshalb in der Regel mit einer Mission, nicht mit einem Geschäftsmodell. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden, wenn sie denn ihre Teams um entsprechendes Knowhow bereichern würden. Dies aber ist zu selten der Fall.

Gründer*innen in anderen Branchen arbeiten sehr häufig andersherum. Viele berichten, dass nicht die berühmte Idee oder das coole Produkt an erster Stelle standen, sondern man zunächst mit einem engagierten Team und eher vagen Vorstellungen vom Inhalt an den Start gegangen sei. Sobald man Geldgeber*innen und erste Kund*innen gefunden hatte, entwickelte sich die Idee von dort aus weiter. Auch bei Journalismus-Start-ups ist Offenheit und Anpassungsfähigkeit wichtig, wollen sie nicht nur irgendwie überleben, sondern mittelfristig gut davon leben und eine stabile Größe für ihr Publikum werden. Was ist das Geschäftsmodell, welche Zielgruppen (Audiences) kann man wie gut bedienen und wie bindet man sie, wie diversifiziert man Einnahmequellen, welche Partner*innen könnte man begeistern – und, ganz wichtig, was sollte man auf jeden Fall sein lassen? All diese Fragen müssen sich Gründer*innen immer wieder stellen und entsprechend nachjustieren.

All das würde deutlich besser funktionieren, gäbe es eine gute Infrastruktur, bei der sich Medien-Start-ups Rat und Unterstützung holen können. Das finden auch die Oasis-Autor*innen. Ob es um Training, Ausbildung und Personalführung geht, Beratung zu Geschäftsmodellen oder technische Infrastruktur gefragt ist: Junge Unternehmen sind mit vielem überfordert. Dazu ist es weder sinnvoll noch effizient, wenn jede Neugründung auf diesen skalierbaren Gebieten bei null anfängt. Für die USA können sich ambitionierte Medien-Unternehmer*innen künftig an das Oasis-Projekt wenden. In Deutschland warten potenzielle Geldgeber*innen hoffentlich nicht darauf, dass es erst einmal Nachrichtenwüsten gibt.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 19. März 2021. 

Die Vertrauensfrage ist offen – über das Verhältnis zwischen Journalisten und ihrem Publikum

Den Hollywood-Film „Field of Dreams“ haben vermutlich nur diejenigen in Erinnerung, die 1989 entweder für Baseball oder für Kevin Costner geschwärmt haben (was damals eine ganze Menge gewesen sein dürften). Aus diesem Film wiederum blieb vielen nur eine einzige Zeile in Erinnerung, die allerdings so populär wurde, dass manche sie heute für einen Bibel-Spruch halten: „If you build it, he will come.“ Es geht um einen Mais-Farmer aus Iowa, seinem Traum von einem Baseball-Feld auf dem eigenen Acker und eine Versammlung von längst verschiedenen Sportler-Legenden, die sich dort vergnügen, nachdem der Bauer vom Traum zur Tat geschritten war. Mit der Medienbranche hat der Film nichts zu tun, aber tatsächlich denken viele Journalist*innen sehr ähnlich wie der Farmer Ray alias Kevin Costner: Wenn nur ihr Journalismus gut genug sei, dann kämen sie schon, die Leser*innen. Qualität schaffe Vertrauen.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford hat gerade die erste Studie eines Forschungsprojekts veröffentlicht, das sich dem Thema „Vertrauen in den Journalismus“ widmet. Und die Ergebnisse werfen mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten geben. Denn die Gründe, warum Menschen Medien vertrauen oder eben nicht, sind vielschichtig und ebenso vielfältig wie das Publikum selbst. Das macht es Redaktionen schwer. Sie wissen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Nutzer*innen aufbauen. Aber wie das geht, dafür gibt es kein Rezept.

Für die Studie haben die Wissenschaftler*innen über 80 Interviews mit leitenden Journalist*innen und Medienmanager*innen in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien geführt. Sie machen immer wieder deutlich, dass es noch viel zu erforschen gibt, aber ein paar Dinge haben sich herauskristallisiert. Zunächst einmal – siehe oben – hängt Vertrauen nicht nur von Faktentreue und journalistischer Präzision und Aufwand ab, sondern oft auch davon, ob das Publikum und das Medium ähnliche Werte vertreten. In politisch polarisierten Gesellschaften wird es deshalb keiner Publikation gelingen, flächendeckend Vertrauen zu gewinnen. Jeder glaubt und vertraut der Marke, die das eigene Weltbild am ehesten widerspiegelt. Auch wenn sich Leser*innen in Umfragen überwiegend neutrale, faktenbasierte Berichterstattung wünschen, glauben sie dann doch am ehesten denjenigen, die überwiegend über Fakten berichten, die ihnen zusagen. Starke Medien-Marken haben es dabei leichter, als vertrauenswürdig durchzugehen.

Für manche gesellschaftliche Gruppen ist Vertrauen eine Frage der Repräsentation. Wenn Medien nie jemanden zitieren oder abbilden, der ihre Lebenswirklichkeit teilt, fühlen sie sich missachtet. Je weiter sich Redaktionen ihrem Publikum öffnen, desto offensichtlicher wird, dass deren Belegschaften und vor allem deren Führungsteams meist sehr homogene Gruppen sind. Die (überfällige) Debatte um Vielfalt in den Verlagshäusern ist eine Folge davon. Medien leiden unter der Vertrauenskrise wie alle Institutionen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben nicht zuletzt mit der Aufmerksamkeits-Ökonomie der sozialen Netzwerke zu tun. Kaum jemand hat das so gut beschrieben wie Rachel Botsman in ihrem 2017 erschienenen Buch „Who can you trust: How technology brought us together and why it might drive us apart“. Die Forschung des Reuters Institutes zeigt, dass man dabei Politik und Medien als Schicksalsgemeinschaft verstehen muss. Der Digital News Report von 2020 belegt einen eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo in der Politik mit harten Bandagen gekämpft und gestritten wird, sinkt auch das Vertrauen in die Medien.

Eine Vertrauenslücke gibt es auch, weil viele Menschen zu wenig darüber wissen, wie Journalismus entsteht, welchen Prinzipien, Standards und Regeln Journalist*innen folgen. Es hilft oft, das zu erklären. Aber wird zu viel offenbart und erklärt, kann das auch das Gegenteil bewirken. Journalismus sei letztlich wie Wurst herstellen, sagte einer der für die neue Studie Interviewten: Niemand wolle ganz genau wissen, wie Wurst hergestellt werde. Sprich, zu viel Transparenz zeigt auch, wie viel im medialen Tagesgeschäft letztlich improvisiert werden muss und wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Manch ein Erzeugnis verliert dann die Aura des Besonderen, mit dem man Vertrauen erwirbt.

Welche Erkenntnisse also sollten Journalist*innen in ihren Alltag mitnehmen, was müssen sie über Medienvertrauen wissen? Erstens und zur Beruhigung: So dramatisch, wie dies oft dargestellt wird, ist der Vertrauensverlust in die Medien nicht. In Deutschland zum Beispiel zeigt die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz erstaunlich stabile Werte, vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für Lokalzeitungen. Und auch in anderen Ländern, wo zum Beispiel polarisierende Wahlkämpfe am Vertrauen gekratzt haben, entspannt sich die Lage meist wieder, wenn es politisch ruhiger wird. Zweitens: Journalistische Qualität mag nicht jeden überzeugen, aber schlechter Journalismus schreckt auf jeden Fall ab. Schon vermeintliche Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler können Vertrauen aushöhlen, auch Überschriften, die nicht zum Text passen, kratzen an der Glaubwürdigkeit. Drittens: Journalismus sollte seinem Publikum respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, ebenso sollten es die Journalist*innen in der Kommunikation mit ihren Gegenübern halten. Gerade jüngere Generationen können mit dem zuweilen leicht herablassenden Habitus des traditionellen Journalismus nichts anfangen. Wer sich als Oberlehrer*in statt als Verbündete*r geriert, muss sich über Misstrauen nicht wundern. Viertens: Repräsentation schafft Vertrauen. Redaktionen sollten Vielfalt in der Belegschaft und im Inhalt pflegen. Fünftens: Autor*innen und Marken sollte transparenter mit den Bedingungen umgehen, unter denen ihr Journalismus entsteht. Welche ethischen Regeln gelten, wie werden Fakten überprüft, wo wird Automatisierung eingesetzt, wem gehört der Verlag, wieviel Diversität gibt es in der Redaktion, was tut man für den Datenschutz? Solche Angaben erklären nicht immer alles aber manchmal manches.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber: Vertrauen ist kein statischer Zustand, sondern entsteht in Beziehungen, die stets gepflegt werden müssen. Nachlässigkeit und Fehler können es aushöhlen oder mit einem Schlag zunichte machen. In einer Welt des Überangebots an Quellen und Informationen kann sich deshalb niemand mehr hinter einer starken Marke verstecken. Redaktionen und ihre Journalist*innen müssen aus der Deckung kommen und sich Vertrauen immer wieder neu erarbeiten. Es hilft den Nutzer*innen, wenn sie diejenigen besser einschätzen können, die hinter den Nachrichten stecken, wenn sie spüren: Da ist jemand auf meiner Seite. Der Siegeszug der Podcasts hat auch etwas damit zu tun, dass Menschen – und eben auch Reporter*innen – in Gesprächsformaten glaubwürdiger wirken. Sie versprechen sich mal, zögern, lachen, sind verblüfft und das alles ohne Schminke und Schönheits-OP.

Es ist wichtig, sich über sinkende Vertrauenswerte den Kopf zu zerbrechen. Aber es gibt einen Trost: Gesunde Skepsis ist nicht nur ein Ausweis von Medienkompetenz, es ist die Grundhaltung aufgeklärter Bürger*innen in der Demokratie. Manchmal wird man heute die Geister nicht mehr los, die man gestern noch herbeigeschrieben hat.

Dieser Text erschien am 4. Dezember im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School. 

 

Empört, empörter, am empörtesten – Wider den Kommentar-Reflex

Journalist*innen sind leidenschaftlich, das gehört zur Berufsbeschreibung. Menschen, deren Job-Profil es zuweilen verlangt, in kürzester Zeit Meinungen zu entwickeln, aus denen in nicht wesentlich längerer Zeit Kommentare oder Leitartikel werden sollen, trainieren genau das gerne: zackig und auf den Punkt urteilen. Auch deshalb ist Twitter bei Journalist*innen so beliebt. Nicht nur, weil man sich dort besser als anderswo über Branchentrends, neue Erkenntnisse aus der Medienforschung, die Karriereschritte der Kolleg*innen und Job-Angebote informieren kann. Auch nicht nur, weil sich dort allerlei Berufsgruppen mit erhöhtem Ausdrucks- und Geltungsdrang treffen, sodass man vielerlei Stoff zur Berichterstattung findet. Sondern auch, weil es reizvoll ist, die Kunst des 280-Zeichen-Kommentars zu perfektionieren, der meist daherkommt wie ein Instant-Gericht, das man allein mit heißem Wasser zum Leben erweckt: dampfend, bunt, aber wenig gehaltvoll.

Manche solcher Tweets quellen im Umlauf der sozialen Netzwerke ähnlich auf wie eine Trocken-Mahlzeit aus der Tüte. Ähnlich schnell hat man sie satt. Aber man bekommt sie nicht mehr in die Tüte hinein.

Die Aufregung über die in der taz veröffentlichten Anti-Polizei-Kolumne
der Autor*in Hengameh Yaghoobifarah kann man getrost in die Kategorie Tütensuppe zählen. Es ist wenig vorstellbar, dass die Berichterstattung über diesen geschmacklich einigermaßen missglückten Satire-Versuch ohne Twitter ein solches Volumen bekommen hätte. Empört, empörter, am empörtesten – kaum ein Journalist, der nicht meinte, dazu etwas meinen zu müssen. Und die Politik war mit dabei. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte sogar laut über eine Anzeige nachgedacht. Beim Deutschen Presserat gingen 382 Beschwerden ein.

Wochen später, die Branche arbeitete sich mittlerweile längst an anderen Themen ab, veröffentlichte der nun seine Entscheidung: Die Satire verstoße nicht gegen den Pressekodex, sie sei vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Es lohnt sich, die Begründung nachzulesen, denn anhand der Argumentation lässt sich manch anderer Konflikt bewerten. Im Groben geht sie so: Erstens verletze der Text nicht die Würde einzelner Personen, sondern richte sich pauschal gegen eine Berufsgruppe. Zweitens müsse sich die Polizei als Organ der Exekutive harte Kritik gefallen lassen. Drittens sei die Polizei eine gesellschaftlich anerkannte Berufsgruppe und verdiene deshalb keinen besonderen Schutz, anders als zum Beispiel ethnische und religiöse Minderheiten. Das Stück sei zwar ein „drastisches Gedankenspiel“, ließe aber Raum für Interpretationen. Die Meinungsfreiheit einer einzelnen Autor*in ist also schützenswerter, als es die Gefühle einer Gruppe sind, die in Deutschland in weiten Teilen der Bevölkerung vom Image „Freund und Helfer“ getragen wird.

Die Kolumne kann nun hoffentlich dort ruhen, wo sie hingehört hätte: auf den Friedhof der Stücke, die sich, bevor es Twitter gab, aus Mangel an Qualität, Originalität, Aussagekraft und Geschmack klanglos versendet hätten. Aber leider bietet sich das soziale Netzwerk als Tummelplatz für Besserwisser und Schneller-Merker genau dafür an, solche Stücke ans Licht zu zerren und, um im Bild zu bleiben, heißes Wasser darauf zu gießen. Das wäre nicht weiter problematisch, blieben all die findigen Kommentator*innen dort unter sich – man kann das ja ignorieren und sich wieder dem klugen Twitter-Stoff zuwenden (auch der Presserat hatte seine Begründung getwittert).

Nur hat das Ganze mindestens zwei Probleme: Erstens werden manche Dinge so unverhältnismäßig aufgeblasen, dass plötzlich ein Individuum im Shitstorm-Feuer steht, dessen Würde, psychische und womöglich auch physische Gesundheit dann tatsächlich in Gefahr ist. Wer sich mit dem Thema Mobbing im Netz beschäftigen möchte, dem sei Jon Ronsons Buch „So you have been publicly shamed“ ans Herz gelegt. Yaghoobifarah zum Beispiel bekam Morddrohungen. Und zweitens haben solche Empörungszyklen keinerlei Mehrwert für das Publikum, für das man den Journalismus doch eigentlich produziert. Abgesehen davon, dass eine gelegentliche Auseinandersetzung damit nicht schadet, was die Meinungsfreiheit in der Demokratie ihren Bürgern wert sein sollte.

Der größte Teil des Publikums ist nämlich klug genug, um solche Texte a) zu ignorieren, b) zu lesen und zu vergessen und c) seine Zeit für wichtigere Themen zu nutzen. Dazu gehört durchaus das Thema rechte Tendenzen in der Polizei, aber darüber möchten die meisten Bürger*innen lieber Fakten lesen als unbeholfene Gedanken-Spielereien. Nur werden wirklich wichtige Stoffe, aufschlussreiche Recherchen und mühevoll zusammengestellte Informationen nur zu häufig von Themen überlagert, die sich bei näherem Hinsehen als Meinungs-Eintopf aus der Tüte erweisen. Kein Wunder, dass nicht einmal ein Drittel (29 Prozent) der Leser*innen im Digital News Report 2019 der Aussage zustimmte, die Themen, die Medien aufgriffen, seien für sie relevant.

Das heißt nicht, dass man sich nicht empören darf. Aufreger-Themen regen zum Nachdenken an, beleben die Debatte am Familien- und Stammtisch, manche werden sogar zu Abitur-Aufgaben. Aber Aufmerksamkeit ist begrenzt. Guter Journalismus respektiert die Zeit seines Publikums. Man möchte sich schließlich öfter begegnen.

Dieser Text erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School am 10. #September 2020.

Wie viel Meinung verträgt der Journalismus?

Jour­na­lis­ten haben Pri­vi­le­gien, die anderen Bürgern in dem Umfang nicht zuste­hen. Umso stärker stehen sie in der Pflicht. Nur wer gut und unab­hän­gig infor­miert ist, kann als Bürger frei ent­schei­den.

So viel Empö­rung hat Jour­na­lis­mus schon lange nicht mehr ver­ur­sacht. Erst trat Anfang Juni der Leiter des Mei­nungs­res­sorts der New York Times zurück. Er hatte den Gast­bei­trag eines repu­bli­ka­ni­schen Sena­tors durch­ge­hen lassen, der in den Augen vieler Mit­ar­bei­ter zu Gewalt gegen Pro­tes­tie­rende der Black Lives Matter Bewe­gung auf­ge­ru­fen hatte. Welt­weit wurde dar­auf­hin durch­aus auch außer­halb der Medi­en­bran­che darüber debat­tiert, ob bei dem publi­zis­ti­schen Flagg­schiff nun der Mei­nungs­plu­ra­lis­mus durch die Into­le­ranz der „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“ abge­löst wurde, oder ob es legi­time Inter­es­sen der Beleg­schaft zu ver­tei­di­gen galt. In Deutsch­land schlug kurz darauf eine Kolumne in der taz Wellen, die bis ins Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium und letzt­lich ins Kanz­ler­amt schwapp­ten. Worum es ging, dürfte kaum jeman­dem ent­gan­gen sein: Die Autorin Hen­g­ameh Yag­hoo­bi­fa­rah hatte anläss­lich der Debatte um Poli­zei­ge­walt geschrie­ben, Poli­zis­ten seien für nichts taug­lich als für die Müll­kippe. Seitdem tobt selbst in der taz-Redak­tion ein Streit darüber, ob das Stück legi­ti­mer Jour­na­lis­mus war. Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Horst See­hofer hatte sogar laut über eine Straf­an­zeige nach­ge­dacht, Pres­se­frei­heit hin oder her. Und dann folgte im Juli auch noch der von zahl­rei­chen pro­mi­nen­ten Autoren unter­zeich­nete offene Brief in Harper’s, der sich wort­ge­wal­tig gegen die ver­meint­lich vor­herr­schende „Cancel Culture“ aus­sprach, also in etwa eine Kultur der gut­ge­mein­ten Zensur.

Über das Richtig und Falsch in all diesen Fällen ist schon anderswo aus­rei­chend gestrit­ten worden. Die auf­ge­heizte Debatte um beide Ereig­nisse zeigt aber eins: Der Jour­na­lis­mus als solcher muss sich neu posi­tio­nie­ren in einer Welt der sozia­len Netz­werke und digi­ta­len Medien, die vor Mei­nun­gen, Behaup­tun­gen, Inter­pre­ta­tio­nen und Pro­vo­ka­tio­nen nur so strotzt. Dabei stellen sich einige Fragen. Will er ein­stim­men in das Konzert – oder besser: die Kako­pho­nie – der Stimmen in der Über­zeu­gung, dass auf­ge­klärte Bürger selbst in der Lage sind, sich aus der Viel­falt des Ange­bots ihre Meinung zu bilden? Bemüht er sich soweit dies geht um Neu­tra­li­tät der Bericht­erstat­tung, um mit seinem Qua­li­täts­ver­spre­chen als Fels in der Bran­dung der Auf­merk­sam­keits-Öko­no­mie zu bestehen? Oder muss er gerade diesen Anspruch sogar in Frage stellen, weil die ver­meint­li­che Neu­tra­li­tät einem Ver­ständ­nis von Jour­na­lis­mus ent­springt, das auf dem Bes­ser­wis­ser­tum der gebil­de­ten, zumeist männ­lich gepräg­ten Mehr­heits­kul­tur auf­setzt?

Glaubt man dem jüngst ver­öf­fent­li­chen Digital News Report des Reuters Insti­tu­tes in Oxford, der welt­weit größten fort­lau­fen­den Studie zum digi­ta­len Medi­en­kon­sum, wünscht sich die Mehr­heit der Befrag­ten eine zumin­dest um Objek­ti­vi­tät bemühte Bericht­erstat­tung. In Deutsch­land gaben dies sogar 80 Prozent der Teil­neh­men­den zu Pro­to­koll. Ent­spre­chend gering ist hier­zu­lande der Anteil der­je­ni­gen, die in den Medien ihre eigenen Mei­nun­gen bestä­tigt finden oder mit anderen Per­spek­ti­ven aus der Reserve gelockt werden wollen. Der Slogan „Fakten, Fakten, Fakten“ kommt einem in den Sinn, mit dem der Focus einst gegen den Spiegel antre­ten wollte. In Ländern mit starken öffent­lich-recht­li­chen Sen­de­an­stal­ten sind diese Vor­lie­ben übri­gens ähnlich ver­teilt, wohin­ge­gen in stärker pri­vat­wirt­schaft­lich gepräg­ten Medien-Land­schaf­ten Mei­nungs­plu­ra­lis­mus stärker gefragt ist.

Lese­rin­nen und Leser wün­schen sich zudem immer wieder, dass Kom­men­tare klar als solche gekenn­zeich­net werden. Das ist beson­ders wichtig in den sozia­len Netz­wer­ken, wo Mei­nungs­stü­cke ohne Bindung an eine spe­zi­elle Seite im Nach­rich­ten­fluss auf­tau­chen und das dazu­ge­hö­rige Fak­ten­stück eher selten zusätz­lich ser­viert wird. „Jour­na­lis­ten wissen, das Nach­rich­ten und Kom­men­tare getrennt sind, aber Leser können das oft nicht aus­ein­an­der­hal­ten“, schreibt der Jour­na­lis­mus-Pro­fes­sor Kevin Lerner in einem vom Nieman Lab der Harvard Uni­ver­sity ver­öf­fent­lich­ten Beitrag. Dabei sind in der angel­säch­si­schen Tra­di­tion die Rollen von Repor­tern und Kom­men­ta­to­ren sogar strikt getrennt, wohin­ge­gen Jour­na­lis­ten in Deutsch­land sehr oft beides tun: berich­ten und kom­men­tie­ren. Das schafft eher noch mehr Ver­wir­rung.

Es spricht also einiges für das Modell „Fels in der Bran­dung“: Qua­li­täts­jour­na­lis­mus sollte sich gerade dadurch aus­zeich­nen, dass er anhand von Fakten und Daten Ori­en­tie­rung bietet, Situa­tio­nen und Akti­vi­tä­ten genau beschreibt und sich damit zurück­hält, alles sofort zu bewer­ten. Damit dient er einem Publi­kum, das zuneh­mend ver­un­si­chert ist und Ori­en­tie­rung ver­misst inmit­ten der Mei­nun­gen von Betrof­fe­nen, Exper­ten und der­je­ni­gen, die sich für Exper­ten halten. So viel Plu­ra­lis­mus war schließ­lich nie. Dafür spricht auch, dass das Ver­trauen in die Medien laut Digital News Report weiter gesun­ken ist. Nur noch 38 Prozent der Befrag­ten in den unter­such­ten 40 Ländern und Märkten ver­trauen dem Jour­na­lis­mus gene­rell, das sind vier Pro­zent­punkte weniger als im ver­gan­ge­nen Jahr. Selbst den Marken, die er oder sie selbst regel­mä­ßig nutzt, ver­traut nicht einmal jeder Zweite. Auf­klä­rung durch Fakten klingt da nach einer guten Idee.

Bei näherem Hin­schauen ist die Sache kom­pli­zier­ter. Zunächst einmal hat das, was Lese­rin­nen und Leser über ihre Bedürf­nisse sagen, nicht unbe­dingt etwas mit dem zu tun, was sie tat­säch­lich lesen. Sie mögen sich Neu­tra­li­tät wün­schen, aber sie klicken dann doch viel lieber auf den poin­tier­ten Kom­men­tar. Redak­tio­nen wissen anhand von Daten, dass sie damit eher Reich­weite erzie­len als mit so manch einem fak­ten­ge­tränk­ten Stück. Das gelingt vor allem mit Texten, an denen sich die Gemüter erhit­zen. Und Reich­weite ist nicht nur gut für Anzei­gen­kun­den, sondern auch will­kom­me­nes Mar­ke­ting in einer Zeit, in der viele Medi­en­häu­ser um ihr wirt­schaft­li­ches Über­le­ben kämpfen. Zumal Kom­men­tare deut­lich bil­li­ger zu pro­du­zie­ren sind als auf­wän­dige Recher­chen. Man braucht dazu ledig­lich Mit­ar­bei­ter mit Meinung und Schreib­ge­rät, los geht’s. Die Algo­rith­men der Platt­form-Kon­zerne tun ihr übriges, indem sie Stoffe nach oben spülen, an denen sich viele Men­schen reiben.

Ein wei­te­rer Grund ist kom­ple­xer. Genera­tio­nen von Jour­na­lis­ten haben das Credo der Objek­ti­vi­tät hoch­ge­hal­ten, noch heute zitiert manch einer von ihnen das Bonmot des ehe­ma­li­gen Tages­the­men Mode­ra­tors Hanns Joachim Fried­rich, dass sich ein Jour­na­list niemals mit einer Sache gemein machen solle, nicht einmal mit einer guten. Natür­lich machten sich Jour­na­lis­ten schon damals mit aller­lei Sachen gemein. Eine der Kern­auf­ga­ben des Jour­na­lis­mus ist es ja, denen eine Stimme zu geben, die sonst niemand hören würde. Aber indem man andere spre­chen ließ, trat man als Kom­po­nist des Stücks schein­bar in den Hin­ter­grund – auch wenn man genau das war: die Schöp­fe­rin, die einem Text Struk­tur, Klang und Emotion verlieh und ihn auf diese Weise sehr sub­jek­tiv prägte. Jüngere Jour­na­lis­ten finden die Debatte um Objek­ti­vi­tät deshalb ver­lo­gen. Jede und jeder bringe ohnehin seine eigene Per­spek­tive mit, argu­men­tie­ren sie, und das sei auch gut so. Ein Genera­tio­nen­kon­flikt schwelt.

In dem Argu­ment steckt Wahr­heit. Schwie­rig wird es aber dann, wenn mit der Begrün­dung von Viel­falt jedes jour­na­lis­ti­sche Produkt eine Daseins­be­rech­ti­gung erhält – eine miss­ra­te­nen Kolumne ebenso wie ein Gewalt sank­tio­nie­ren­den Gast­bei­trag. Die Pres­se­frei­heit ist ein von der Ver­fas­sung geschütz­tes Gut. Aber Frei­heits­rechte gehen immer mit einer beson­de­ren Ver­ant­wor­tung einher. Die Frei­heit des einen hört immer dort auf, wo die des anderen beginnt. Die Grenzen müssen demo­kra­tisch aus­ge­han­delt werden. Respekt, Anstand und Rück­sicht­nahme sind Bau­steine der Frei­heit. Je weniger davon vor­han­den ist, umso mehr Regeln werden gebraucht.

Jour­na­lis­ten haben Pri­vi­le­gien, die anderen Bürgern in dem Umfang nicht zuste­hen. Umso stärker stehen sie in der Pflicht. Anders als die­je­ni­gen, die in den sozia­len Netz­wer­ken einfach mal flapsig vor sich hin mut­ma­ßen und meinen, gilt für Repor­te­rin­nen und Kom­men­ta­to­ren der Pres­se­ko­dex. Und ein gene­rel­les Bewusst­sein dafür, was man mit der Macht, die einem ver­lie­hen ist, anrich­ten kann, sollte bei der Berufs­wahl zur Grund­aus­stat­tung gehören. Ebenso wie es in Redak­tio­nen eine Sorg­falts­pflicht gibt, die mög­li­chen Wir­kun­gen von Reich­weite vor einer Ver­öf­fent­li­chung abzu­schät­zen. Wird diese Sorg­falt nicht ange­wandt, schadet das nicht nur den Redak­teu­rin­nen und Repor­tern, die ihre Ver­ant­wor­tung ernst nehmen, sondern dem Jour­na­lis­mus als Ganzem. Und wer das Ansehen des Jour­na­lis­mus beschä­digt, schränkt die Frei­heits­rechte der Gesell­schaft ein. Denn nur wer gut und unab­hän­gig infor­miert ist, kann als Bürger frei ent­schei­den.

Diese Kolumne erschien am 4. August 2020 bei Zentrum Liberale Moderne. 

Digitale Meisterprüfung: Was JournalistInnen von Maria Ressa lernen können

 

Maria Ressa als Rockstar des globalen Journalismus zu beschreiben, wäre untertrieben. Als das Reisen noch möglich war, schien die philippinisch-amerikanische Star-Journalistin alle Bühnen der Welt gleichzeitig zu bespielen. Ehemalige CNN-Büroleiterin und Investigativ-Reporterin mit Schwerpunkt Terrorismus, Gründerin von Rappler.com, im Clinch mit dem philippinischen Präsidenten Duterte und dessen diktatorischem Regime, ständig mit einem Bein im Gefängnis und Time Magazine Person of the Year 2018: Praktisch jede Medienorganisation wollte sich von Ressa ihre Konferenz eröffnen lassen. Jetzt, in Covid-19-Zeiten, zoomt sie von einem Webinar zum nächsten, als kämpfe sie um ihr Leben – und das trifft es ziemlich gut. Seitdem sie und ein Rappler-Mitarbeiter am 15. Juni in ihrer Heimat Manila wegen Cyber Verleumdung verurteilt wurden, ist internationale Sichtbarkeit ihre wichtigste Strategie. Das Urteil ist Teil einer Schikane gegen die freie Presse, zu den Tricks gehören auch Anklagen wegen Steuerhinterziehung. Derzeit ist Ressa nur auf Kaution frei. Sollte sie in Haft gehen müssen, wird ihre Anwältin Amal Clooney für sie weiterkämpfen.

Ressa ist für viele Journalistinnen und Journalisten heute, was Bob Woodward und Carl Bernstein zu ihrer Zeit waren, aber nicht nur das: Sie steht auch als Vorbild für den digitalen Journalismus. Das ist nicht ganz selbstverständlich für eine Frau von 56 Jahren in einer Branche, in der sich CEOs damit rühmen, fürs Digitale nur noch bei den „digital Natives“ zu rekrutieren, weshalb manch einer per Hoodie versucht, noch für maximal Ende 30 durchzugehen. Aber Ressa, die mit charismatischem Lächeln, Leidenschaft und Eloquenz regelmäßig stehende Ovationen auslöst, lässt gar keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie schon ganz andere Dinge bezwungen hat als das bisschen digitale Transformation.

Rappler, vor sechs Jahren gegründet, ist als reine Online-Plattform zu einer der wichtigsten Medienmarken auf den Philippinen geworden. Auf Konferenzen sieht man die Chefin häufig selbst mit dem Smartphone live streamen. Und die Mitarbeiter_innen – der Anteil der Frauen liegt bei über der Hälfte – sind auch sonst absolut technikaffin. „Du musst sie mit ihren eigenen Waffen schlagen“, betont Ressa oft. Und dann demonstriert sie gleich dazu, wie sie das meint. Denn Duterte und seine Unterstützer_innen hetzen pausenlos mit Cyber-Trollen gegen Ressa und ihr Team. Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die Reporter_innen und deren Familiengehören zum Standard-Repertoire. Aber Rappler schafft es, diese Netzwerke mit Hilfe von Datenjournalismus sichtbar zu machen, zum Beispiel in der „Weaponizing the internet“-Serie. Gäbe es einen digitalen Meisterbrief, die Rappler-Kolleg_innen könnten ihn vorlegen. Oder vielleicht sollte man gleich von einem digitalen Waffenschein sprechen.

Aber Rappler ist auch ein Beispiel dafür, wie dicht Böse und Gut im Netz zusammenliegen. Ressa gehört zu einer der schärfsten Kritiker_innen von Facebook. Nur durch das soziale Netzwerk gelänge es Diktatoren wie Duterte, ihre Propaganda zu verbreiten, die Presse und Opposition plattzumachen versucht. Die Plattform um Mark Zuckerberg habe es bislang versäumt, an den Mechanismen zu drehen, die Hass und Hetze wie Brandbeschleuniger im Netz verbreiten. Gleichzeitig weiß Ressa, dass das Netzwerk vor allem in Regionen wie Südostasien der wichtigste Kanal dafür ist, aufklärerische Ideen und Wissen unter die Menschen zu bringen. Als „Frenemy“ – eine Mischung aus den englischen Wörtern für Freund und Feind – bezeichne sie die Plattformen oft, schreibt die Wissenschaftlerin Julie Posetti, die Ressa seit Jahren eng begleitet, in einem Meinungsstück für CNN.

Genau in diesem Zwiespalt bewegen sich Journalist_innen unablässig dieser Tage. So sehr, wie die Plattformen den Medienhäusern Werbeeinnahmen streitig machen, eröffnen sie auch Möglichkeiten, Inhalte in unterschiedlichsten Formen und auf unterschiedlichsten Wegen zu verbreiten. Digitale Hass-Attacken auf Kommentator_innen und Reporter_innen erschweren den Beruf. Die Möglichkeit, unkompliziert mit dem Publikum ins Gespräch zu gehen und sich dessen Wissen für Recherchen nutzbar zu machen, erleichtern ihn und erweitern seine Möglichkeiten. In der Beziehung zwischen den Tech-Konzernen und Medienmarken ist diese Hass-Liebe Tagesgeschäft. Die „Frenemies“ scheitern kläglich im Kampf gegen Hass und Hetze, machen aber gleichzeitig Geschenke: Google und Facebook fördern Redaktionen und journalistische Projekte mit Hunderten Millionen Dollar – auch das von Facebook gesponserte Digital Journalism Fellowship profitiert davon.

Die Leiterin des Tow Center for Digital Journalism an der Columbia University, Emily Bell, beleuchtet den Gewissenskonflikt der Branche im jüngsten Newsletter des Centers. Anders als für große Konsumgütermarken, die aus Protest gegen Facebooks nachlässigen Umgang mit Hassrede vorerst keine Anzeigen mehr auf der Plattform schalten, könnten sich dies viele Medienmarken gar nicht leisten. Die Reichweite sei für sie eine Überlebensfrage. „Auf Facebook zu werben ist (für diese Marken) wie Lastwagen dafür zu bezahlen, Zeitungen zu Kiosken zu transportieren“, schreibt Bell, es gehe um den Marktzugang.

Von Maria Ressa lässt sich in diesem Zusammenhang lernen: Man kann wie Ressa bei Facebook vorstellig werden und seine Praktiken anprangern. Und man kann die Möglichkeiten digitaler Technologien trotzdem für sich und eine gute Sache nutzen. #HoldTheLine ist Ressas berühmter Hashtag-Schlachtruf. Das gelingt aber nur, wenn man versiert genug ist, mit den Möglichkeiten von Daten und Netz umzugehen. Spätestens mit Blick auf Ressa weiß nun jeder: Nicht einmal das Alter ist eine Entschuldigung dafür, es nicht zu versuchen.

Dieser Text erschien zuerst am 9. Juli 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.

Information jetzt – In der Corona-Krise rettet Qualitätsjournalismus Leben

In der Coro­na­krise sind akku­rate, ver­ständ­li­che, fak­ten­treue Medien ent­schei­dend dafür, wie Ein­zelne handeln und damit wie Gesell­schaft und Wirt­schaft funk­tio­nie­ren. Nur Qua­li­täts­me­dien mit ihrer Reich­weite quer durch alle sozia­len Schich­ten können diese Aufgabe über­neh­men.

Kri­sen­zei­ten sind keine Zeiten für Bes­ser­wis­ser. Es sind die Stunden der­je­ni­gen, die es besser wissen. Dies sollten sich alle zu Herzen nehmen in diesen Tagen, Wochen und abseh­bar Monaten, in denen das Corona-Virus die Gesund­heit von Men­schen rund um den Globus und in der Folge die Welt­wirt­schaft bedroht. Gefühls­aus­brü­che auch von Exper­ten sind in dieser ange­spann­ten Lage zwar ver­ständ­lich. Aber vor allem die­je­ni­gen, die dies als Gele­gen­heit betrach­ten, mit „den Medien“ im All­ge­mei­nen und den öffent­lich-recht­li­chen Sendern im Beson­de­ren abzu­rech­nen, sollten sich diese Emo­tio­nen ver­knei­fen. Denn im Zweifel gefähr­den sie damit Leben.

In der Krise ist eine ver­läss­li­che, akku­rate, ver­ständ­li­che, unab­hän­gige und ebenso tief­ge­hende wie reak­ti­ons­schnelle Infor­ma­tion ent­schei­dend dafür, wie Ein­zelne Handeln und damit wie Gesell­schaft und Wirt­schaft funk­tio­nie­ren. Nur Qua­li­täts­me­dien mit ihrer Reich­weite quer durch alle sozia­len Schich­ten können sie liefern.

Zum Glück ist die all­ge­meine Öffent­lich­keit in den meisten Ländern klüger als so manch eine Chat-Runde in den sozia­len Medien. Die eta­blier­ten Medi­en­häu­ser berich­ten davon, wie Ihnen das Publi­kum sämt­li­che Ange­bote zum Thema Covid-19 förm­lich aus dem Netz saugt. News­let­ter werden so stark geöff­net wie nie, Bei­träge abge­ru­fen, Links geklickt. Manch eine Publi­ka­tion öffnet ihre Bezahl­schranke für Corona-Berichte oder nutzt den Infor­ma­ti­ons­hun­ger fürs Abo-Mar­ke­ting. Die Men­schen wissen, wohin sie sich in unsi­che­ren Zeiten wenden müssen: zu den Medien ihres Ver­trau­ens. Und auch die Ent­schei­dungs­trä­ger infor­mie­ren sich dort. So manch eine kluge Info­gra­fik über ver­schie­dene Sze­na­rien zur Aus­brei­tung der Pan­de­mie hat auch Zau­de­rer in Politik und Unter­neh­men davon über­zeugt, dass jetzt dras­ti­sche Ein­schnitte nötig sind, um das Gesund­heits­sys­tem am Laufen zu halten.

Ein Problem ent­steht überall dort, wo der Medi­en­kon­sum entlang poli­ti­scher Über­zeu­gun­gen hoch pola­ri­siert ist und es die Ange­bote nicht oder nicht mehr flä­chen­de­ckend gibt, denen die Men­schen allen Studien zufolge am meisten ver­trauen: Lokal­zei­tun­gen und öffent­lich-recht­li­che Sender. Dies ist zum Bei­spiel in den USA der Fall. Lokal­zei­tun­gen gibt es an einigen Orten nicht mehr, das Natio­nal Public Radio fristet ein Nischen­da­sein. Weil viele Bürger, vor allem aus dem Lager der Trump-Wähler, den großen über­re­gio­na­len Qua­li­täts­me­dien nicht ver­trauen, sind sie beson­ders anfäl­lig für Ver­schwö­rungs­theo­rien aller Art. In Frank­reich, wo die Gelb­wes­ten-Bewe­gung ein tiefes Miss­trauen gegen „die Presse“ hegt und sie auf Seiten der Elite ver­or­tet, gab es sogar eine Protest-Demons­tra­tion gegen die Ein­schrän­kun­gen des öffent­li­chen Lebens. Beides ist brand­ge­fähr­lich.

So manch ein Experte, der in den sozia­len Medien schimpft, auf Twitter finde er oder sie viel bessere Infor­ma­tio­nen als in den Qua­li­täts­me­dien, mag damit punk­tu­ell recht haben. Aller­dings liegt ein großes Problem dieser Zeit in der Asym­me­trie der öffent­li­chen Infor­ma­tion. Während Gebil­dete keine Mühe damit haben, die sozia­len Netz­werke zu navi­gie­ren und darin schnel­ler mehr und bessere Aus­künfte zu finden, als dies bei­spiels­weise noch vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre, zir­ku­lie­ren andere in weniger auf­ge­klär­ten Kreisen. Sie sehen dann über­wie­gend Bilder von leeren Regalen und stürmen die Dro­ge­rie­märkte auf der Suche nach Klo­pa­pier, wenn sie nicht gleich selt­sa­men, gerne über geschlos­sene Whats­App-Gruppen geteil­ten Tipps und Spe­ku­la­tio­nen anheim­fal­len. Jour­na­lis­ten sind die­je­ni­gen, die all diese Infor­ma­tio­nen sichten, sor­tie­ren, über­prü­fen, die ent­spre­chen­den Exper­ten aus­fra­gen und damit ver­ständ­lich für alle machen. Ohne Qua­li­täts-Jour­na­lis­mus würde sich die Infor­ma­ti­ons-Ungleich­heit massiv ver­schär­fen. Den Schaden hätten alle.

Wer aber sind nun die­je­ni­gen, die es besser wissen, und wie iden­ti­fi­ziert man sie? Tat­säch­lich lässt sich das nur in der Koope­ra­tion und im Aus­tausch von Ideen her­aus­fin­den, denn die Lage kann sich schnell ändern. Es ist deshalb wenig hilf­reich, ein­zelne Pro­fes­so­ren (sel­te­ner: Pro­fes­so­rin­nen) zu Medi­en­hel­den zu sti­li­sie­ren, so bril­lant sie auch sein mögen. Erstens können sie nur gut bleiben, wenn sie sich ständig über neueste Ent­wick­lun­gen infor­mie­ren und mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus­tau­schen. Dazu brau­chen sie Zeit. Und zwei­tens führt solch ein Star-Dasein schnell zu einer Hybris, die der ehr­li­chen Suche nach dem neu­es­ten Stand des Wissens abträg­lich ist. Wis­sen­schaft ist ein stän­di­ger Prozess, sie liefert nur selten letzt­gül­tige Ant­wor­ten.

Recht­ha­ber sollten es sich deshalb auch ver­knei­fen, ältere Aus­sa­gen endlos her­vor­zu­kra­men und die Bot­schaf­ter vor­zu­füh­ren. Für die Medien gilt: Der Reflex des Politik-Jour­na­lis­mus, nach Schul­di­gen zu suchen, ist hier weniger gefragt als die ergeb­nis­of­fene Suche des Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus.

Noch stärker als sonst ist in Kri­sen­zei­ten Lernen bei lau­fen­dem Betrieb ein 24-Stunden-Geschäft. Und Lernen können bei so einer Groß­krise nur alle gemein­sam: Exper­ten, Poli­ti­ker und Jour­na­lis­ten ebenso wie die Bürger – und das welt­weit über Län­der­gren­zen hinweg.

Diese Kolumne erschien am 17. März 2020 bei Zentrum Liberale Moderne