Wo die wirklichen Probleme öffentlich-rechtlicher Medien liegen

Wer deutschen Medien Behäbigkeit vorwirft, täte etlichen von ihnen Unrecht – außer, es beträfe die Reflexion über die eigene Branche. Die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ein Beleg dafür. Man kann loben, dass Reporter der Sender daran arbeiten, Missstände in ihren eigenen Häusern aufzudecken. Damit belegen sie die redaktionelle Unabhängigkeit. Unglücklich ist aber, dass dazu erst ein Skandal wie der Machtmissbrauch beim RBB gebraucht wurde. Ohne nachrichtlichen Aufhänger fehlt vielen Journalisten offenbar der Anreiz, eine Debatte in Gang zu setzen. Die Tendenz, stets nur zu reagieren, statt Themen zu setzen, gehört zu den großen Problemen des gegenwärtigen Journalismus. Nicht nur führt dies zu der latenten, oft gescholtenen Kurzatmigkeit der Berichterstattung. Es bedeutet auch, dass andere den Rahmen für die Diskussion definieren – gerne wird dafür das Wort „Framing“ genutzt.

Die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wabert deshalb nun als Diskussion um überzogene Gehälter, falsch verstandene Privilegien und politische Einflussnahme durchs Land. Das ist angesichts der Einzelfälle nötig, verdrängt aber eine Auseinandersetzung, die viel wichtiger wäre: Jene darüber, wie sich die Medien, die von den Bürgern finanziert werden und allen Menschen im Land dienen sollen, in der modernen Informations- und Unterhaltungslandschaft weiterhin unverzichtbar machen können.

Angriffe auf die Öffentlich-Rechtlichen kommen nämlich nicht nur von der politischen Rechten. Auch marktliberale Kräfte und so manch kommerziell geführtes Medienhaus sprechen den großen Sendern gerne ihre Existenzberechtigung ab. Sie argumentieren, dass private Anbieter in der digitalen Welt ausreichend entsprechende Angebote bereitstellen. Aber dies stimmt eben nur teilweise. Privat finanzierte Medien haben schließlich nur eine Metrik: kommerziellen Erfolg. Sie müssen weder alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen noch in der Fläche präsent sein. Auch können sie nicht dazu verpflichtet werden, heikle oder gar überlebenswichtige Themen anzusprechen, wie den Umgang mit dem Klimawandel. All diese Aufgaben fallen den Öffentlich-Rechtlichen zu. 

In der Regel honorieren die Bürger das. Wenn es um Medienvertrauen geht, attestieren Studien wie der Digital News Report des Reuters Instituts in Oxford den großen Sendern international Jahr um Jahr die höchsten Werte aller Anbieter, zumindest dort, wo sie vom Publikum als unabhängig wahrgenommen werden. In der Pandemie informierten sie sich besonders häufig bei den public service media – so der englische Begriff – , das Vertrauen stieg vielerorts deutlich. Und selbst junge Menschen, die sich überwiegend über die sozialen Netzwerke auf dem Laufenden halten, tun dies in Deutschland häufig beim Instagram- oder TikTok-Kanal der Tagesschau, weil sie dort Verlässlichkeit vermuten. Bislang zahlen die Bürger auch weit überwiegend ohne Murren die entsprechenden Gebühren oder Steuern, mit denen sich die Sender finanzieren. In der Schweiz sprachen sich 2018 in einem Referendum mehr als 70 Prozent der Abstimmenden für eine Beibehaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus – die Sender hatten davor einige Reformen versprochen und nach eigenem Bekunden auch umgesetzt. 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht eine Vision

Mit so einem Vertrauensvorschuss lässt es sich leben. Wenn deutsche Journalisten wegen der RBB-Affäre nun ständig von der Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sprechen, ist das verfrüht und eine Art Selbstgeißelung, die sich bei aller berechtigten Kritik nicht dazu eignet, den Tatendrang in Richtung Reformen auf Dauer anzuheizen. Dazu wird eine deutlich konkretere und engagierte Debatte gebraucht, die selbstbewusst thematisiert, welche Rolle der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Demokratien einnehmen und welche Aufgaben dazu dringend angepackt werden sollten. Gefragt ist eine Vision für ein öffentliches Medienangebot in der modernen, fragmentierten und zum Teil überversorgten Informationslandschaft. 

Am drängendsten werden Strategien dafür gebraucht, wie sich die Öffentlich-Rechtlichen auch für junge Generationen unverzichtbar machen. Sonst verlieren sie ihre Daseinsberechtigung und früher oder später auch die gesellschaftliche Unterstützung. Dafür müssen sie, es hilft nichts, in den sozialen Netzwerken sichtbar und attraktiv sein. Das ärgert die Verlage. Allerdings geben die meisten zu, dass junge Menschen unter 25 für sie einigermaßen uninteressant sind, weil sie eher selten Digital-Abos abschließen. Aber sie sind die Mediennutzer der Zukunft. Gewöhnt man sie nicht an guten Journalismus, werden sie die traditionellen Publikationen auch später links liegen lassen.

Ran an Mediennutzer von morgen

Außerdem müssen die Sender in jeglicher Beziehung mehr Vielfalt bieten. Deutschland ist bunter geworden in den vergangenen Jahrzehnten, aber es gibt immer noch genügend gesellschaftliche Gruppen, die sich in den Angeboten der Medien nicht wiederfinden. Dazu müssen die Öffentlich-Rechtlichen Vielfalt nicht nur aus der Beobachterperspektive abbilden, sie müssen sie auch leben – und zwar bis hinauf in die Chefetagen. Diversität ist dabei vielschichtig zu verstehen. Sie reicht von Geschlechtergerechtigkeit und der Repräsentation verschiedener Gruppen bis zur politischen Vielfalt. Die Sender müssen vor allem auch dort präsent sein, wo es sich für private Anbieter nicht lohnt. Das trifft auch auf Regionen zu, die von Lokalzeitungen vernachlässigt werden. Deutschland hat zwar eine deutlich gesündere Regionalpresse als so manch anderes Land. Das könnte sich aber bei fehlender Innovationsfreude und unter wachsendem Kostendruck schnell ändern.

Öffentlich-rechtliche Medien müssen zudem ihre Erfolgskontrolle deutlich ausbauen. Während die meisten Verlage sich mittlerweile daran gewöhnt haben, den Gewohnheiten ihrer Nutzer nachzuspüren, messen die Sender viel seltener, ob sie ihre Ziele erreichen – wenn sie sich überhaupt welche setzen. Was der Öffentlich-Rechtliche gerne mit seinem journalistischen Auftrag begründet, ist oft nur Nachlässigkeit. In der Privatwirtschaft hat man eines viel früher verstanden (wenngleich nicht überall): Veränderungen geschehen nicht von selbst, man muss sie managen. 

Mehr Erfolgskontrolle

Solch eine Erfolgskontrolle ist vor allem dann wichtig, wenn es um die Frage geht, welche Angebote man getrost einstellen könnte. Beim „Stop doing“ gibt es allerdings immer drei Möglichkeiten: Dinge gar nicht mehr machen, Dinge anders machen, Dinge mit anderen gemeinsam machen. Vor allem letzteres geschieht bei den Öffentlich-Rechtlichen noch viel zu selten. Es ließe sich viel erreichen, wenn man Kräfte nicht nur national, sondern auch international bündeln würde. Es ist zum Beispiel unsinnig, wenn jeder kleine Sender jedes Format gänzlich neu entwickelt. Oft genügt es, Ideen anderer dem kulturellen Kontext anzupassen.

Gerade in Deutschland sollten die Sender und ihre Aufsichtsgremien Strukturreformen in Angriff nehmen statt im ewigen „Weiter so“ zu verharren. Sonst besteht die Gefahr, dass andere definieren, wie solche Reformen auszusehen haben. Dort, wo Macht und Einfluss verteilt werden, wird es individuelles Fehlverhalten immer geben. Die perfekte Aufsichtsstruktur, die jeden Fehltritt beleuchtet, kann es nicht geben. Aber je komplexer Hierarchien und Gremien sind, umso mehr Schlupflöcher gibt es und umso schwerer lassen sie sich kontrollieren. Schlanke Strukturen erleichtern Transparenz.

Die Sender werden aber nur dann stark bleiben, wenn sie auf Erfolge verweisen können. Dazu müssen sie Verbündete ihres Publikums bleiben und werden. Ob es um die Zukunft der Demokratie, die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten, die öffentliche Gesundheit oder Krieg und Frieden geht: Es gibt ausreichend Themen, bei denen nur diejenigen Medien punkten können, die über Ressourcen, Werte und den festen Willen verfügen, im Dienst der Gesellschaft zu erklären, aufzuklären und zu debattieren – und dies nicht nur mit Wissen und Information, sondern auch mit Herz und Humor.  

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 14. September 2022. 

Der mediale Graben: Das Internet vergrößert die Kluft zwischen Informierten und weniger Gebildeten

Journalismus wird zunehmend eine Sache für Oldies, auch der digitale. Das wird in der Analyse des Digital News Report 2022 (DNR) deutlich. Das liegt nicht daran, dass jungen Leuten das Nachrichtengeschehen egal ist. Nur konsumieren die allermeisten von ihnen eher solche Formate, die sich perspektivisch nicht zu Geld machen lassen. Gleichzeitig sind die Verlage auch angesichts der Inflation darauf angewiesen, vor allem ein weniger preissensibles Publikum zu bedienen, das durchaus bereit ist, das eine oder andere zusätzliche Digital-Abo abzuschließen, wenn die Qualität stimmt. Medienmanager und Redaktionsleiter mögen sich wortreich zum Journalismus als vierte Gewalt bekennen; dennoch wird die Konzentration auf zahlungskräftige Zielgruppen zumindest bei den kommerziellen Anbietern Investitionen und Inhalte prägen. 

Die neuen Daten zeigen: Der digitale Graben wächst, und er ist auch ein medialer Graben. Dieser verläuft nicht mehr wie früher nur zwischen mehr und weniger Gebildeten, sondern auch zwischen alt und jung. Nur mit einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung wird es gelingen, alle Generationen weiterhin für die Demokratie fit zu machen.

Fünf Beobachtungen, die auf mediale Gräben hinweisen

Der Trend zur journalistischen Klassengesellschaft ist nicht neu, aber er lässt sich anhand des im Juni 2022 erschienenen Zahlenwerks belegen. (Der Report ist die weltweit größte fortlaufende Untersuchung des Medienkonsums, die in diesem Jahr auf einer Online-Befragung von 93 000 Menschen in 46 Ländern beziehungsweise Märkten basiert.) Folgende Erkenntnisse sprechen für die oben dargestellte Interpretation:

Erstens: Die Reichweite von digitalem Journalismus stagniert bestenfalls, der Konsum über Fernsehen, Radio und Zeitung sinkt

Allein in Deutschland ist der Anteil derjenigen, die angaben, in der zurückliegenden Woche eine Zeitung genutzt zu haben, in den vergangenen zehn Jahren von 63 auf 26 Prozent gefallen. Im Fernsehen schauten nur noch 65 Prozent die Nachrichten, 2013 waren es noch 82 Prozent (der deutsche Teil des Reports stammt vom Hans-Bredow-Institut). Gleichzeitig steigt fast überall der Anteil derjenigen, die zu Protokoll gaben, überhaupt keine Nachrichten gelesen oder gehört zu haben. Das bedeutet, dass durch das Internet nicht mehr, sondern eher weniger Menschen mit Journalismus in Berührung kommen. 

Zweitens: Junge Leute konsumieren Journalismus überwiegend in den sozialen Netzwerken

Das wirkt sich auf drei Weisen negativ aus: Erstens gehen Nachrichten und andere journalistische Leistungen im Überangebot an Information und Unterhaltung oft unter. „Der Überfluss an Wahlmöglichkeiten online mag dazu führen, dass sich einige sehr viel seltener mit Nachrichten beschäftigen als in der Vergangenheit“, schreibt Lead-Autor Nic Newman.

Zweitens verstehen die Nutzer die Nachrichten oft nicht, weil sie in der Online-Umgebung aus dem Zusammenhang gerissen sind. Dies ist besonders für diejenigen ein Problem, denen es an Medienbildung mangelt. Aber zusätzlich belegen die Daten eine deutliche Verständnislücke zwischen jüngeren und älteren Nutzern, die sich 2021 auch schon in der deutschen #usethenews Studie abgezeichnet hatte. Der Journalismus verliert also viele, die ihn besonders nötig brauchen.

Drittens, die Medienhäuser sind auf den Plattformen von Meta, Google oder TikTok auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, wieviel Journalismus diese ihren Nutzern in dem algorithmisch getriebenen Angebot überhaupt zumuten wollen. So begründete Joshua Benton vom Nieman Lab der Harvard University kürzlich, warum Facebook das Nachrichtenangebot im Newsfeed womöglich einstellen werde: Die Nutzer schätzen es nicht, und es schafft Probleme. 

Drittens, immer mehr Menschen vermeiden Journalismus bewusst, besonders junge Leute

Redaktionen reden zwar mittlerweile viel über Nutzerorientierung, sie ziehen daraus aber offenbar keine Konsequenzen. Fast jeder zweite Befragte gab als Grund für die Zurückhaltung an, dass die Medien zu viel über Politik und zu viel über die Pandemie berichteten. 36 Prozent bestätigten, Journalismus mache ihnen schlechte Laune, 29 Prozent beklagten das Überangebot oder fanden die Nachrichten voreingenommen. Die Generationen, die nicht mit regelmäßigem Medienkonsum aufgewachsen sind und viele Möglichkeiten zur Ablenkung haben, wenden sich besonders schnell ab.

Viertens: Zahlungsbereitschaft steigt – vor allem geben aber Ältere das Geld aus

Das Durchschnittsalter derjenigen, die ein digitales Abo oder eine Mitgliedschaft bei einer Medienmarke abgeschlossen haben, liegt bei 47 Jahren. Für Verlagshäuser oder öffentlich-rechtliche Fernsehsender mag dies eine gute Nachricht sein: Haben sie es doch im Durchschnitt mit Print-Abonnenten oder TV-Zuschauern zu tun, die das Renteneintrittsalter schon deutlich überschritten haben. Allerdings zerschlagen sich so auch Hoffnungen aus früheren Reports, dass die Spotify- und Netflix-Generation die Branche retten könnte. Eine gute Nachricht gerade für die hiesigen Regionen ist, dass viele Befragte vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Bereitschaft dokumentiert haben, zusätzliche Abos auch unabhängig der Inflationssorgen abzuschließen. Dies ging auch aus Gesprächen in Fokus-Gruppen hervor, die die Oxford-Forscher in ihre Analysen einfließen lassen. Gerade in diesen Zeiten von besonderen Krisen und Belastungen sei es notwendig, gut informiert zu sein, so einige Stimmen. 

Fünftens: Jene Formate, die Loyalität schaffen, wie zum Beispiel E-Mail-Newsletter, werden vor allem von älteren, finanzkräftigen und gebildeten Lesern genutzt, die ohnehin schon ein hohes Interesse an Journalismus haben

Während zum Beispiel in den USA 15  Prozent der über 55-Jährigen angeben, Newsletter seien ihre wichtigste Nachrichtenquelle – allein die New York Times produziert 50 verschiedene, die wöchentlich von 15 Millionen Menschen gelesen werden –, sind es nur drei Prozent der 18- bis 24-Jährigen. Newsletter sind so etwas wie das neue Print statt das erhoffte Wundermittel.   

Die Schlussfolgerung

Ob man das mag oder nicht: Aus all diesen Daten folgt, dass sich die Verlage auf ältere und finanziell besser gestellte Gruppen konzentrieren müssen, wenn sie ihr eigenes Überleben sichern wollen. Von diesen sind die höchste Zahlungsbereitschaft und Loyalität zu erwarten. Fragt man in Medienhäusern nach, wen sie genau meinen, wenn sie von jüngeren Nutzern sprechen, bestätigt sich dieses Bild. Verlage verstehen unter „jung“ eher die Altersgruppe ab 35 Jahren aufwärts. Von noch Jüngeren sei nicht viel zu erwarten, heißt es dann. 

Anders sieht das in den öffentlich-rechtlichen Häusern aus. Ihr Fortbestand ist davon abhängig, dass sie von allen wahlberechtigten Altersgruppen als wichtig und unterstützenswert empfunden werden. Deshalb ist ihre Sorge besonders groß, wenn sie bei den unter 25-Jährigen nicht punkten.

Die Sender haben zwar den Vorteil, dass sie unbeschwerter als die kommerziellen Anbieter digitale Formate für soziale Netzwerke entwickeln können, weil sich nicht jedes ihrer Angebot auf TikTok oder Instagram umgehend in Abos auszahlen muss. Allerdings spüren sie den Reichweiten-Verlust besonders drastisch. Es ist deutlich herausfordernder, auf den von Smartphone-Nutzung dominierten digitalen Plattformen Gewohnheitsonsumenten heranzuziehen, als dies in der alten Welt von Fernsehen und Radio der Fall war. „Die jüngsten Kohorten sind eher gelegentliche und weniger loyale Nachrichtenkonsumenten. Es fällt Medienhäusern sehr schwer, sie zu gewinnen, weil sich die Jungen auf soziale Netzwerke verlassen und nur schwach an Marken gebunden sind“, schreibt die Oxford-Forscherin Kirsten Eddy. 

Was heißt all das für die Demokratie, die aufgeklärte, informierte und engagierte Bürger braucht? Soll der mediale Graben zumindest teilweise überbrückt werden, haben die öffentlich-rechtlichen und alle anderen nicht-kommerziellen Anbieter eine herausragende Verantwortung vor allem jungen Generationen gegenüber. Aber auch diejenigen Redaktionen, die von Abo-Einnahmen abhängig sind, können etwas tun. Sie sollten sich mehr mit den Bedürfnissen potenzieller Nutzer beschäftigen, und zwar auch mit denen jener, die sie früher nur zu gerne ignoriert haben. Das sind zum Beispiel Frauen oder Menschen aus Einwanderer-Familien, die sich in der Standard-Nachrichtenwelt nicht repräsentiert gefühlt haben. Sie sollten die seit vielen Jahren vorliegenden Erkenntnisse zu den Journalismus-Vermeidern endlich ernst nehmen und die traditionelle, Zitate-getriebene Politik-Berichterstattung zugunsten anderer Inhalte produzieren – am besten konstruktiv und investigativ. Und sie sollten ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten und leicht verständliche Erklär-Formate entwickeln, die kostenfrei zugänglich und auf den Konsum in sozialen Netzwerken ausgerichtet sind.

Übrigens ahnen die Nutzer, dass dem Journalismus eine weitere Kommerzialisierung bevorsteht. Laut DNR traut nur etwa jeder Fünfte (19 Prozent) den Redaktionen zu, als allererstes im Interesse der Gesellschaft zu arbeiten. 42 Prozent beziehungsweise 40 Prozent gaben dagegen an, die Verlage stellten ihre finanziellen oder politischen Interessen in den Mittelpunkt ihrer Strategie. Es ist an den Medienhäusern, diese Skeptiker vom Gegenteil zu überzeugen.   

Diese Kolumne erschien am 21. Juni 2022 bei Medieninsider. Dort schreibt Alexandra regelmäßig zu aktuellen Branchen-Themen.  

Loslassen lernen – Nicht Innovation sondern ‚Stop doing‘ ist in den meisten Redaktionen die härteste Disziplin

So kann es gehen, wenn man einfach nur seine Gegner besänftigen will: Als sich das öffentlich-rechtliche Schweizer Medienhaus SRG SSR im März 2018 einer Volksabstimmung über seine Existenz stellen musste, sicherte sich das Management 70 Prozent der Stimmen mit Reformversprechungen. Doch sollte die Intendanz mit Waffenstillstand oder gar Frieden kalkuliert haben, muss sie nun bitter enttäuscht sein: Denn Gegenwind bläst plötzlich von beiden Seiten. Während die Kritiker weiter ätzen und ein neues Referendum ins Spiel bringen, klagen die vormaligen Unterstützer lautstark über das Sparprogramm. 

Dinge sein zu lassen, ist für Sender mit einem gesetzlichen Versorgungsauftrag besonders schwer. Davon kann auch die ARD erzählen, die mit der Ankündigung, Sendungen wie den Weltspiegel im Programm nach hinten und ins Digitale zu verschieben, auf Twitter sogar von Nutzern eins übergebraten bekommt („Qualität geht verloren!“), die sich eher selten mit den Eltern vor den Fernseher setzen. Dabei gehört es zu den wichtigsten Disziplinen des digitalen Wandels, Gewohntes in Frage zu stellen und in die Jahre Gekommenes auszumisten. Nur ist kaum eine Redaktion so richtig gut darin – ja, viele beherrschen sie ausgesprochen schlecht. 

Wer hat den größten Trennungsschmerz?

Anders als bei den genannten Beispielen liegt das meist nicht einmal an Protesten des Publikums. Ausgiebige Beobachtungen zeigen: Es sind die Kolleginnen und Kollegen selbst, die von Gewohnheiten, liebgewonnenen Projekten, Ideen oder Rubriken nicht lassen können. Da ist die Kolumne, die aus der Zeit gefallen ist, während die Kolumnisten hoffen, dass niemand im Haus das merkt. Da gibt es den Newsletter für Opern- und Theaterfreunde, den die Kultur-Redaktion eindeutig mehr schätzt als die Leserschaft. Und dann erscheinen da alle diese Texte, die gar nicht enden wollen – online ist schließlich Platz.

Wer wie Chris Moran, Nutzerdaten-Fuchs beim britischen Guardian, die Redaktion regelmäßig mit ihrer Überproduktion konfrontiert, braucht neben guten people skills auch schlüssige Statistiken, um nicht hochkant rauszufliegen. Leserinnen und Leser mögen noch so oft schreiben, sie könnten die Fülle der Angebote nicht mehr bewältigen (ein gar nicht so seltener Grund für Abo-Kündigungen): Die Produzenten lassen sich davon nicht beirren.

Dabei hat niemand Zeit zu verschenken in Medienhäusern, in denen die Umstellung auf digitale Arbeitsweisen ein Projekt nach dem anderen erfordert und gefühlt alle paar Wochen eine neue Plattform bedient werden muss. „Nicht noch mehr Aufgaben!“, pflegen dann die Kolleginnen und Kollegen zu stöhnen. Burnout in Redaktionen ist nicht nur eine Gefahr sondern sehr real, wie die Medienforscherin Lucy Küng in ihrem Buch „Hearts and Minds“ dokumentiert. Und trotzdem gehört das Ausmisten von weniger effektiven Prozessen, Praktiken und Inhalten zu den besonders unbeliebten Tätigkeiten im Change Management. 

Weglassen hat nichts mit Misstrauen zu tun 

Für Branchenfremde ist das schwer verständlich, selbst für manch eine Medien-Führungskraft. So wollte die Leiterin einer Online-Redaktion ihrem Team etwas Gutes tun, nachdem sie in jedem einzelnen Mitarbeiter-Gespräch vernahm, das Arbeitsvolumen sei kaum zu bewältigen. Ihr ging es um Vorsorge und nachhaltige Arbeitsprozesse, als sie den Output auf „weniger und besser“ trimmen wollte. Doch die Anerkennung der Kolleginnen und Kollegen blieb aus. Offenbar hatten diese den Eindruck, die Chefin traue ihnen das stramme Programm nicht länger zu. Mit der Schlagzahl sank auch die Stimmung. 

Psychologisch lässt sich das einigermaßen erklären. Gerade Journalistinnen und Journalisten ziehen ihr Selbstvertrauen häufig aus schöpferischer Arbeit, aus den Dingen, die ihnen Freude machen – oder Status verleihen. Die sind nicht unbedingt das, was die Nutzerinnen und Nutzer goutieren. Also versuchen viele den Spagat: Das Hobby-Thema bleibt, das notwendige kommt obendrauf. Zudem halten die Belohnungsstrukturen in Redaktionen selten mit neuen Anforderungen schritt. Die wichtigste Zielgruppe für die meisten Journalisten ist nach wie vor die Chefredaktion und kein inhaltlich definiertes „Audience“. Die Innovationsabteilung wiederum berauscht sich so oft an neuen Projekten, dass sie vor Eifer die Erfolgskontrolle vergisst. So manche einst mühsam gezogene Pflanze wird dann weiter bewässert, auch wenn sie längst keine frischen Triebe mehr zeigt. 

In Redaktionen mangelt es sehr häufig nicht an guten Ideen, sondern an Fokus. Ihn zu schärfen, ist Führungsaufgabe.

Dazu werden zunächst einmal Daten benötigt, beispielsweise:

► Wie ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag?

► Welche Aktivitäten honorieren die Kundinnen und Kunden mit Aufmerksamkeit und Loyalität?

► Welche nehmen sie höchstens geschenkt mit, welche ignorieren sie?

Zum Glück gibt es im digitalen Journalismus wenig, was man nicht messen kann. Das bedeutet nicht, dass nur Volumen entscheidet. Ein Newsletter zum Beispiel, der eine kleine aber hoch loyale Zielgruppe begeistert, darf durchaus weiterlaufen – aber vielleicht besser als Bezahlprodukt. Wer von seinem Lieblingsthema partout nicht lassen will, kann daraus vielleicht eine Einnahmequelle kreieren. 

Eine andere Strategie ist das Minimum-Budget. Jeder überlegt, was er oder sie unbedingt bräuchte, würde man ein Angebot von Grund auf und ohne Altlasten neu aufbauen können. Was nicht auf der Positivliste steht, wird in Frage gestellt. Jedes neue Projekt braucht klare Ziele. Verfehlt es sie, war die Zeit meist trotzdem nicht vertan. Höchstwahrscheinlich hat man Dinge gelernt, aus denen sich neue Strategien ableiten lassen. 

Amerikanische Redaktionen haben das „stop doing“ bereits häufiger systematisiert – aus Not. Drastischer Stellenabbau hatte vielen Medienmarken so wenige Kapazitäten gelassen, dass sie zum Umdenken gezwungen waren. „How Newsrooms can do less work but have more impact“ ist nicht nur ein lesenswertes Strategie-Papier, sondern mündete sogar in einem Programm. Mitte August haben vier teilnehmende Redaktionen Bilanz gezogen. Ergebnis: Fast alle begeisterten mit weniger, aber zum Teil anders gestrickten, Inhalten mehr Nutzer. Wichtig in allen Fällen ist, nicht nur gemeinsam auszusieben, sondern neue Erfolgskriterien zu entwickeln. Die ideale Lösung ist gefunden, wenn jeder sein Gesicht wahren kann. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 17. August 2021. Aktuelle Kolumnen und spannende News aus der Medienbranche gibt es für Abonnenten. 

Gar nicht mal so uncool – Warum die öffentlich-rechtlichen Sender in ihrer Innovationskraft unterschätzt werden

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eins mitzugeben, gehört in manchen Kreisen zum guten Ton, selbst wenn sie nicht der AFD nahestehen. Das Publikum: überaltert. Das Programm: nur Krimis und Volksmusik. Die Strukturen: behäbig. Die Kultur: Anzugträger mit Direktorentitel. Die Politik: links-grün. Das Digitale: ach ja, die Tagesschau ist auf Tik Tok. Gleich sieben krankhafte Befunde diagnostizierte kürzlich Media-Pioneer Gabor Steingart in seinem Morning Briefing. Die Sender schmissen zu viel Geld für Fußball raus, kommentierten zu einseitig und böten kaum etwas für junge Leute. Sein Fazit: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk brauche nicht mehr Geld, sondern eine Reform.

Das Bundesverfassungsgericht wird den Teil mit dem Geld wohl anders sehen. Dorthin wendeten sich die Anstalten, nachdem Sachsen-Anhalt die für Januar geplante Erhöhung der Haushaltsabgabe um monatlich 86 Cent blockiert hatte (das klingt nach wenig, beläuft sich aber auf rund 400 Millionen Euro im Jahr). Und wer würde sich schon gegen Reformen aussprechen? Schließlich steckt in jedem der Vorwürfe ein wenig Wahrheit. Aber es ist eben nicht die ganze.

Vor lauter Musikantenstadl, Tatort und Fußball-Bundesliga lässt sich leicht übersehen, dass es in den großen Sendern durchaus Inseln der Innovationskraft gibt, von denen Mitarbeiter*innen anderer Medienhäuser nur träumen können. Man findet sie nur nicht im Hauptprogramm – also dort, wo auch die Kritiker*innen reflexhaft hinschauen, wenn sie sich mal wieder über den Stand der Dinge bei den ÖRs informieren wollen. Das mag übrigens daran liegen, dass sie selbst oft zur von ihnen geschmähten älteren Zielgruppe gehören, die gar nicht mitbekommt, was sich auf anderen Plattformen so tut.

Fragt man die angeblich wegbleibenden jungen Leute selbst, sind viele nämlich gar nicht so unzufrieden mit dem, was ARD und ZDF im Angebot haben, zum Beispiel auf Instagram, YouTube oder, ja, Tik Tok. Sie folgen der Tagesschau, die Nachrichten simpel erklärt, der „News WG“ des Bayerischen Rundfunks, wo politische Themen besprochen werden wie am Küchentisch. Sie schauen Videos auf Funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, oder hören Podcasts wie „Mal angenommen“ oder „180 Grad: Geschichten gegen den Hass“, die im konstruktiven Journalismus zuhause sind, mit dem sich die jüngere Generation tendenziell wohler fühlt, als mit ständiger Alarmstimmung. Und Christian Drosten punktet auch bei den Jungen, die sich gerne mal die Welt erklären lassen, wenn es sie nicht an Schule erinnert.

Hinzu kommen Abteilungen in den Sendern, die sich dem Datenjournalismus und der Anwendung von Künstlicher Intelligenz verschrieben haben. Der Bayerische Rundfunk macht zum Beispiel beim Journalism and AI Projekt der London School of Economics mit, wo Journalist*innen aus aller Welt Anwendungen von KI für den Journalismus entwickeln. Der Südwestfunk hat der Süddeutschen Zeitung Vanessa Wormer abgeworben, die Datenjournalistin, die aus den Panama Papers Sinn machte.

Außerdem stehen die Öffentlich-Rechtlichen auch in Sachen Vielfalt der Belegschaften gar nicht so schlecht da, wie das oft vermutet wird. Immerhin gibt es dort Frauenbeauftragte und eine Debatte über Repräsentation, die in der Privatwirtschaft gar nicht geführt wird. Da geht man einfach davon aus, dass die Netflix-Welt bunt und vielfältig ist – belegt ist das nicht. Und gemessen an der Zahl der verfügbaren Chefposten gibt es deutlich mehr Intendantinnen als Chefredakteurinnen bei deutschen Regionalzeitungen.

Eine gewisse Einseitigkeit bei den politischen Kommentaren mag man beklagen – obwohl die Grundlage derartigen Gejammers empirisch zu belegen wäre. Allerdings sollte man dann auch anerkennen, dass Meinungsstücke bei den Sendern letztlich Minimalprogramm sind. Der weitaus größere Teil besteht aus anderen journalistischen und Bildungs-Formaten und gar nicht zu vergessen: Kultur und Musik. Ohne die Rundfunkchöre und Symphonie-Orchester sähe die deutsche Konzertlandschaft um einiges ärmer aus. Wer ein feuriges Plädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hören will, sollte sich die Keynote anhören, die Björn Ulvaeus im April 2018 auf dem Mediengipfel der European Broadcasting Union gehalten hatte – ja, dem Björn von ABBA. Besser kann man den Zusammenhang zwischen den Sendern und der Demokratie in Europa kaum erklären, man schaut den European Song Contest danach mit anderen Augen.

Das heißt nicht, dass bei ARD und ZDF alles so bleiben sollte, wie es ist. Wie alle anderen Medienhäuser müssen die Sender heute nicht mehr Vollsortimenter sein. Auch das Kaufhaus von einst hat seine Bedeutung eingebüßt, mancherorts sogar seine Daseinsberechtigung verloren. Manch ein Angebot ans Publikum können andere womöglich besser und günstiger auflegen. Und journalistisch sollten die Öffentlichen dort hingehen, wo es sich für private Medien nicht mehr lohnt, zum Beispiel in die Fläche. Unabhängiger Journalismus ist die Grundlage der Demokratie. Anders, als zum Beispiel in den USA, dürfen keine Nachrichtenwüsten entstehen, in denen Bürger*innen sich dann zweifelhaften Portalen zuwenden (müssen). Unabhängigkeit heißt aber auch, dass sich die Anstalten nicht von politischen Querelen in Geiselhaft nehmen lassen dürfen, wie jüngst in Magdeburg geschehen. Die Sache ist zu groß für politisches Klein-Klein.

Dieser Text erschien am 11. Dezember 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.

Rettet den Journalismus für alle! Warum es öffentlich-rechtliche Medien geben muss

Es wird viel bemän­gelt am öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: zu kri­tisch, zu unkri­tisch, zu links, zu behäbig, als Konzept überholt. Aber ohne Sender, die durch öffent­li­che Finan­zie­rung den unmittelbaren Zwängen des Marktes enthoben sind, wäre die Demo­kra­tie in Gefahr.

Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Strei­fen­hemd wirft und dort heute lei­den­schaft­lich für den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk plä­diert, muss die Lage ernst sein. Der Auf­tritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Euro­päi­schen Broad­cas­ting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber ange­sichts dessen, dass die großen Sender welt­weit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womög­lich zu einer Revival-Tour über­re­den. Immer­hin geht es um eine Säule der Demo­kra­tie.

Ulvaeus erzählte sehr per­sön­lich, wie er Schwe­dens öffent­li­ches Radio als Teen­ager zunächst ver­ach­tet hatte, weil dort zu wenig Pop-Musik gespielt wurde, wie er sich später jedoch zuneh­mend gebor­gen fühlte in den Werten, die es ver­mit­telte. Er hatte Fotos von Ausch­witz gesehen und den Schat­ten der Sowjet­union gespürt. Ihm war bewusst gewor­den, dass Frei­heit und Teil­habe nicht selbst­ver­ständ­lich sind. „Der Bil­dungs­auf­trag durch die öffent­lich-recht­li­chen Sender war immer Kern des euro­päi­schen demo­kra­ti­schen Pro­jekts“, sagte Ulvaeus.

Dieser Tage gras­siert viel Ver­ach­tung für die staat­lich finan­zier­ten Sender. Nicht unter Teen­agern, die strafen sie eher mit Nicht­be­ach­tung. Die Atta­cken gegen den „Staats­funk“ kommen viel­mehr aus dem poli­ti­schen Raum, vor allem von rechts. Poli­tisch zu links, zu lang­wei­lig, zu irrele­vant, zu teuer und auf­ge­bläht, zu kri­tisch oder zu unkri­tisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Über­in­for­ma­tion sei das Konzept eines gemein­sa­men öffent­li­chen Infor­ma­ti­ons­raums über­holt.

Und die Debatte wird zuneh­mend schril­ler. Zum Jah­res­wech­sel beschäf­tigte ein etwas unglück­lich umge­tex­te­tes Lied, vor­ge­tra­gen vom Kin­der­chor des WDR, den poli­tisch-media­len Komplex ein­schließ­lich Inten­dan­ten für Wochen. Sogar die stolze BBC, welt­weit Inbe­griff erst­klas­si­ger und unbe­stech­li­cher Infor­ma­tion, ist Angriffs­ziel. Im Wahl­kampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Inter­view in einen Kühl­raum flüch­tete. An einer dem Kli­ma­schutz gewid­me­ten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teil­neh­men, die Redak­tion ersetzte ihn durch einen schmel­zen­den Eis­klotz. Der Premier ließ durch­bli­cken, Bürger könnten künftig straf­frei aus­ge­hen, wenn sie ihre Rund­funk­ge­bühr nicht zahlten.

Zur Unter­ma­lung kürzen aller­or­ten Regie­run­gen den öffent­li­chen Sendern die Etats, in Däne­mark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Mil­lio­nen Pfund ein­spa­ren, einer der Gründe, warum BBC-Inten­dant Tony Hall Rich­tung Natio­nal Gallery ent­schwin­det, deren Chair­man er wird.

Ner­ven­kit­zel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rund­funk- und Fern­seh­an­stalt SRG SSR ihre Daseins­be­rech­ti­gung per Refe­ren­dum bestä­ti­gen lassen musste. Im Land der Volks­be­fra­gun­gen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstim­men­den lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Genera­ti­ons­wech­sel wird dazu führen, dass sich ein immer grö­ße­rer Teil der Bevöl­ke­rung nicht mehr daran erin­nern kann, wozu man die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten braucht. Und die wie­derum geben dem jungen Publi­kum nicht unbe­dingt einen Grund dazu. Das Reuters Insti­tute for the Study of Jour­na­lism beti­telte eine Studie zu den großen Sendern acht euro­päi­scher Länder deshalb mit „Old, edu­ca­ted and poli­ti­cally diverse“, also alt gebil­det und – immer­hin – poli­tisch viel­fäl­tig.

Die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten sind aber kei­nes­wegs ver­zicht­bare Über­bleib­sel aus dem prä­di­gi­ta­len Zeit­al­ter, sondern zentral für die Demo­kra­tie. Dafür gibt es min­des­tens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Ver­trau­ens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publi­kum ihnen immer noch am ehesten zu, die Fak­ten­lage zu über­bli­cken und eine Viel­falt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegen­tei­li­gen Anwür­fen zum Trotz. Dies ergeben Umfra­gen wie der Digital News Report, die Lang­zeit­stu­die Medi­en­ver­trauen der Uni­ver­si­tät Mainz oder Ver­öf­fent­li­chun­gen der EBU.

Zwei­tens, die Sender gehen in die Fläche. Öffent­lich-recht­li­che Anbie­ter sind auch dort präsent, wo sich kom­mer­zi­el­ler Jour­na­lis­mus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischen­da­sein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokal­zei­tun­gen der Begriff Nach­rich­ten­wüste geprägt. In Europa sind solche von Jour­na­lis­mus unver­sorg­ten Gebiete deut­lich sel­te­ner. Man könnte behaup­ten, dies ver­hin­dert eine ähn­li­che poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung. Zumin­dest trägt es aber zu Bildung und Auf­klä­rung bei.

Drit­tens bemühen sich öffent­lich-recht­li­che Medien wie niemand sonst um Viel­falt und Inklu­sion. Dies betrifft die Zusam­men­set­zung der Beleg­schaf­ten und die Inhalte. Die öffent­li­chen Sender müssen die Gesell­schaft abbil­den. Sie sind deshalb in der Regel deut­lich weiter als privat finan­zierte Häuser, was die Gleich­stel­lung von Frauen oder die Beschäf­ti­gung von Min­der­hei­ten angeht. Dies wirkt sich auf den Facet­ten­reich­tum der Pro­gramme aus, die sich an alle sozia­len Schich­ten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine ver­läss­li­che jour­na­lis­ti­sche Grund­ver­sor­gung in einer Zeit, in der kom­mer­zi­elle Anbie­ter zuneh­mend auf Bezahl­mo­delle setzen.

Natür­lich müssen sich die öffent­li­chen Medi­en­häu­ser wandeln, und das ist inmit­ten gewach­se­ner büro­kra­ti­scher Appa­rate eine Her­aus­for­de­rung. Aber die ent­spre­chende Erkennt­nis ist überall da – und dazu viele Jour­na­lis­ten, die dies mit Verve und Über­zeu­gung vor­an­trei­ben.

Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Euro­vi­sion Song Contest der EBU gewon­nen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Men­schen ver­bin­det: „Er ist unter­halt­sam, breit, inklu­siv“. Wer das so poli­tisch sieht, mag dem Spek­ta­kel künftig womög­lich etwas abge­win­nen. Und den dahin­ter­ste­hen­den Bas­tio­nen des Jour­na­lis­mus noch dazu.

Kolumne erschienen bei Zentrum Liberale Moderne am 3. Februar 2020