Die Transparenz-Illusion: Wie Journalisten wirklich Vertrauen schaffen

Vertrauen ist ein großes Wort – und ein ebenso schwammiges Konzept. Was bedeutet das, wenn Menschen in Umfragen die Frage verneinen, ob sie Medien vertrauen? Kann man tatsächlich von einer Vertrauenskrise in den Journalismus sprechen, wie das beide Seiten gerne tun: diejenigen, die Alarm schlagen, um sich davon Unterstützung zu erhoffen, sowie auch die anderen, die nicht viel von der Zunft und ihren Praktiken halten? 

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Die wohl umfangreichste Arbeit dazu leistet das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford. Es legt mit dem Digital News Report nicht nur seit zehn Jahren die weltweit größte, überwiegend quantitative Studie über Mediennutzungsverhalten vor – der Deutschland-Teil wird vom Hans Bredow Institut betreut –, sondern leitet auch ein tiefgreifendes Forschungsprojekt zu Vertrauen in Medien. In Deutschland befasst sich seit 2015 auch die Johannes Gutenberg Universität in der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen mit dem Thema. An der TU Dortmund gibt es seit 2018 im Forschungsprojekt Journalismus und Demokratie Erkenntnisse zur Glaubwürdigkeit des Journalismus und Vertrauen in die Medien.   

Auf den ersten Blick mögen sich ein paar Erkenntnisse der verschiedenen Studien widersprechen. Zum Beispiel hatten die Dortmunder im Frühjahr gemeldet, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus während der Pandemie gelitten habe, während sowohl der Digital News Report als auch die Uni Mainz zumindest für 2020 und 2021 einen deutlichen Zuwachs an Vertrauen in die Medien registriert hatten. Steigt man aber etwas tiefer in das Material ein, ergeben sich Gemeinsamkeiten – ganz unabhängig von der immer gültigen Erkenntnis, dass der Wortlaut der Fragestellung die Antworten prägt, weshalb sich die verschiedenen Untersuchungen im Detail schwer miteinander vergleichen lassen. Was sich ableiten lässt:

Erstens: Journalisten verstehen unter Vertrauen in Medien überwiegend etwas anderes, als dies die Konsumenten von Journalismus tun

Journalisten meinten oft, Transparenz über ihre Arbeit oder der Austausch mit den Lesern, Hörern oder Zuschauern prägten Vertrauen, so Rasmus Nielsen, Direktor des Reuters Institutes, kürzlich auf dem World News Media Congress. Das Publikum hingegen sei viel pragmatischer. „Die Menschen wollen wissen, ob die Medien für sie da sind“, sagte er. Ihnen sei wichtig, dass sich Journalisten mit den Themen beschäftigten, die für sie und ihr tägliches Leben relevant seien (s. Word Cloud). Nutzer stünden dem Journalismus zu großen Teilen nicht etwa feindselig, sondern eher gleichgültig gegenüber. Nielsen: „Sie glauben, dass sie Journalismus nicht brauchen oder finden ihn deprimierend.“ Aus diesem Grund ist die leider erst in diesem Jahr so populär gewordene Debatte über Nachrichtenmüdigkeit so wichtig. Denn wer keinen Journalismus mehr konsumiert, kann auch kein Vertrauen zu entsprechenden Marken aufbauen.  

Zweitens: Die Menschen sind überwiegend nicht anti Journalismus, oft aber anti Journalisten

Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie – dies bestätigten in der Dortmunder Studie vom April 87 Prozent, also etwa neun von zehn Befragten. Damit lässt sich arbeiten. Allerdings äußerten sie viel Kritik daran, wie Journalismus oft betrieben werde: der Einfluss von Politik und Wirtschaft sei zu stark, die Themen zu wenig relevant (siehe oben), die Sensationslust zu ausgeprägt. 43 Prozent bestätigten die Aussage, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Das Gleiche sagen übrigens viele Journalisten über die eigene Branche.

Niederschmetternd fiel das Urteil der Nutzer in der jüngsten Studie des Vertrauens-Projekts des Reuters Institutes aus: Viele Journalisten seien Manipulatoren, die vor allem selbst groß herauskommen oder die Botschaften von bestimmten Politikern verstärken wollten, hieß es dort auf der Basis von Nutzer-Interviews in den USA, Großbritannien, Indien und Brasilien. Hier befinden sich die Verlage und Sender im Zwiespalt: Bauen sie bestimmte Kolleginnen und Kollegen als starke Einzelmarken auf, die auch in den Talkshows und in den sozialen Netzwerken funktionieren, kann dies zwar vertrauensbildend (und lukrativ) sein. Dieser Effekt verkehrt sich aber schnell ins Gegenteil, wenn die Person als zu eitel wahrgenommen wird, sich mit den „falschen“ Experten oder Politikern assoziiert oder gar selbst in eine Affäre verstrickt ist. Es bleibt deshalb wichtig, allen Personalisierungstendenzen zum Trotz auch die Medienmarke selbst zu pflegen, die den einen oder anderen personellen Abgang hoffentlich unbeschädigt übersteht.      

Drittens: Das geringe Vertrauen in digitale Plattformen prägt das angeknackste Vertrauen in den Journalismus

Von einem „Trust Gap“, einer Vertrauenslücke, sprechen die Forscher des Reuters Institutes, und sie meinen damit den unterschiedlichen Vertrauensvorschuss, den die Nutzer den traditionellen Medien einerseits und den digitalen Plattformen andererseits entgegenbringen. Den etablierten Medienmarken vertrauen laut Digital News Report im Schnitt gut 40 Prozent der Menschen, für die Suchmaschinen und sozialen Netzwerke gibt dies dagegen nur jeder Vierte zu Protokoll. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten für jene, die ihre Kunden direkt auf ihre Homepage locken oder an ein gedrucktes Produkt, eine linear ausgestrahlte Sendung binden können. Da nun aber vor allem jüngere Generationen ihren Journalismus hauptsächlich aus den Netzwerken beziehen, nimmt das Vertrauen in Medienmarken schon strukturell bedingt ab. Oft wissen die Konsumenten von Nachrichten schließlich nicht einmal, wer der Urheber eines Beitrags war, den sie im Netz gefunden haben. 

Nach Ansicht von Nic Newman, Hauptautor des Digital News Reports, ist dies einer der Gründe, warum jüngere Nutzer mit Journalismus oft nichts anfangen können. Früher erklärten sich viele Stücke aus dem Zusammenhang einer Zeitungsseite oder einer Sendung heraus, heute erscheinen sie digital oft ohne Einordnung im Strom von anderen Inhalten. Redaktionen müssen deshalb darauf achten, dass jedes Stück für sich stehen kann, ausreichend gekennzeichnet ist und klar für die Marke steht. Sinkendes Vertrauen kann übrigens auch ein unbeabsichtigter Effekt von digitaler Bildung sein: Immerhin wird die jüngere Generation zurecht dazu angehalten, Inhalten im Netz mit Skepsis zu begegnen – sie könnten schließlich manipuliert sein. So betrachtet wäre der kritische Blick des Publikums ein gutes Zeichen.          

Viertens: Das Vertrauen in den Journalismus wird unmittelbar vom Vertrauen in die Politik beeinflusst 

Im Digital News Report ist dies Jahr um Jahr belegt: Dort, wo es polarisierende Wahlen, Entscheidungen wie den Brexit oder Bewegungen wie die Gelbwesten-Proteste in Frankreich gibt, leidet das Vertrauen in die Medien massiv. Journalisten werden dafür bestraft, dass sie sich in die Tiefen des politischen Streits hineinbegeben. Man verortet sie allzu oft auf der Seite der Mächtigen, statt sie als Verbündete wahrzunehmen. Hier hilft es, mehr auf Themen als auf Zitat-Schlachten zu setzen, Distanz zu wahren und zu akzeptieren, dass der Journalismus oft eben auch nicht besser sein kann als die Welt, die er abbildet. 

Dies könnte auch den negativen Ton in der Dortmunder Studie erklären, deren Befragte sich deutlich skeptischer zur Corona-Berichterstattung äußern als beispielsweise jene der Untersuchung, die von der Münchner LMU und der Universität Mainz im Auftrag der Augstein-Stiftung erarbeitet wurde. Die Dortmunder hatten ihre Stichprobe im Februar dieses Jahres erheben lassen, der Regel-Flickenteppich und die Impfpflicht wurden da kontrovers diskutiert. Die Augstein-Studie, in der die Menschen den Medien ein recht gutes Zeugnis ausstellten, basierte dagegen auf Befragungen im April 2020 und Februar 2021, als eine Mehrheit noch der Meinung war, die Regierung gehe mit der Pandemie vergleichsweise vernünftig um. Auch die Hoffnung auf eine Impfung mag zu dem Zeitpunkt eine Rolle gespielt haben.  

Fünftens: Mehr Transparenz führt nicht unbedingt zu mehr Vertrauen – sie dient aber der Qualität 

Es ist ein landläufiger Irrtum, der auch in der Branche kursiert, dass die Offenlegung aller Arbeitsweisen und vor allem Fehler mehr Vertrauen schafft. Für die genauen Arbeitsweisen interessieren sich die meisten Menschen genauso wenig wie dafür, wie genau der Fernseher funktioniert oder mit welchem Werkzeug der Installateur die Heizung repariert – beide sollen nur ihren Job erledigen. Legt man jeden Fehler offen, kann dies sogar nach hinten losgehen. Man stelle sich ein Krankenhaus vor, das auf einem Monitor am Eingang exakt alle Fehldiagnosen der vergangenen Monate protokolliert. Womöglich würde sich niemand mehr dort operieren lassen. Transparenz ist dennoch wichtig. Erstens ist sie die Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur, die dafür sorgen sollte, dass permanent aus Fehlern gelernt wird. Zweitens diszipliniert sie. Müssen Journalisten die Quellen aller Studien angeben, die sie zitieren, werden sie sich überlegen, ob sie für ein Zitat zum zehnten Mal auf denselben Studienkumpel zurückgreifen oder doch mal nach aktuellen Veröffentlichungen suchen. Transparenz steigert also die Qualität – und sollte auf diese Weise indirekt zu mehr Vertrauen beitragen. 

Ohnehin ist dies womöglich die wichtigste Botschaft, die sich Redaktion immer wieder vergegenwärtigen sollten: In einer Zeit, in der – zurecht und aus Notwendigkeit heraus – viel Energie darauf verwendet wird, Überschriften für Suchmaschinen zu optimieren, Nutzer gezielt und unablässig mit Botschaften zu füttern, um ihre Aufmerksamkeit zu halten, Preismodelle zu optimieren und Verkaufspakete zu schnüren, bleiben die Relevanz, Tiefe und Faktentreue der Inhalte überragend wichtig. Ohne journalistische Qualität ist alles nichts. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 12. Oktober 2022. 

Was Medien aus der Corona-Berichterstattung für den Klimajournalismus lernen können

Viele Redaktionen hatten es schon geahnt, denn der große Zuspruch ihres Publikums muss etwas bedeutet haben: Die Medien-Nutzer haben der Corona-Berichterstattung im ersten Jahr der Pandemie ein überwiegend gutes Zeugnis ausgestellt. Dies geht aus einer umfangreichen, gemeinsamen Studie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Ludwig-Maximilians-Universität München hervor, die von der Rudolf-Augstein-Stiftung beauftragt und Ende 2021 vorgestellt wurde.

Verständlich, vollständig, glaubwürdig, sachlich – zwischen 60 und 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger schätzten die Corona-Berichterstattung jeweils so ein, nur maximal 20 Prozent outeten sich in der einen oder anderen Kategorie als unzufrieden. Waren bislang vor allem Kritiker durchgedrungen, die den Medien zu viel Regierungsnähe und Einseitigkeit vorgeworfen hatten, kam die Berichterstattung sogar in Sachen Vielfalt der Perspektiven recht gut weg.

Nach allerlei schlagzeilenträchtigem Getöse („Medien haben in der Pandemie versagt!“) kann man für eine so sachliche Annäherung dankbar sein, die nicht nur auf Befragungen, sondern auch auf einer Inhaltsanalyse der tatsächlichen Berichterstattung basiert und auf 60 Seiten ausgewertet wird. Die Ergebnisse entsprechen auch den deutlich gestiegenen Vertrauenswerten, über die sich Medien weltweit im Vergleich zum Vorjahr freuen konnten. Sowohl der Digital News Report aus Oxford als auch andere Untersuchungen wie das Edelman Trust Barometer hatten dies den Nachrichtenmachern attestiert – allen voran den öffentlich-rechtlichen Sendern und den Regionalmedien. Medienmacher sollten es sich dennoch nicht zu gemütlich machen, denn die Untersuchung legt auch einige Schwächen des Journalismus offen. Gerade mit Blick auf die Berichterstattung zum Klimawandel und dem Ringen um Lösungen wäre es fahrlässig, daran nicht zu arbeiten.

Hier sind fünf Studienerkenntnisse, aus denen Journalisten lernen können

Erstens: Journalismus fokussiert sich zu eng auf bestimmte Funktionsträger

Dass Journalisten im Übermaß Politikern an den Lippen hängen, ist eine altbekannte Schwäche der Branche, die sich aus dem Einfluss der Politik-Redaktionen in der internen Hackordnung der meisten Häuser erklärt. In der Pandemie war das nicht anders. Allerdings hatten sich die Scheinwerfer nun zusätzlich auf Wissenschaftler gerichtet. Wie die Studie ermittelt hat, kamen allerdings vor allem Mediziner zu Wort, seltener – aber dafür im Einzelfall prominent – Virologen. Forscherinnen und Forscher anderer Disziplinen wurden hingegen kaum zu Rate gezogen. Dabei haben sich die Maßnahmen im Kampf gegen die Seuche – vom Ladenschließungen und Fernunterricht bis Ausgangssperren – auf weite Teile des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ausgewirkt. Hierzu hätte nach der Datenlage durchaus mehr Forschung und weniger Mutmaßung geliefert werden können. Beim Thema Klimawandel läuft die Branche in eine ähnliche Situation hinein. Werden allein Klimaexperten um Einschätzungen gebeten, werden der Bevölkerung viele Fakten vorenthalten, die sich aus der Klimaschutzpolitik ergeben und ergeben werden. Wenn sich Menschen eine Meinung bilden sollen, brauchen sie viele fundierte Perspektiven. Und auch der Klimaschutz wird in praktisch jeden Lebensbereich eingreifen.  

Zweitens: Wenn es zu kompliziert wird, steigen viele Journalisten aus – vor allem bei naturwissenschaftlichen Zusammenhängen

Die Berichterstattung hat sich nach den Erkenntnissen der Forscher relativ wenig darum bemüht zu erklären, wie das Virus wirkt, sich verbreitet und was es im Körper anrichtet, zum Beispiel auch im Vergleich mit dem Grippevirus. Der Auswertung zufolge ging es viel häufiger um Fallzahlen, Handlungsempfehlungen und politische Maßnahmen. Das wundert kaum, denn die wenigsten Journalisten verfügen über ausreichendes naturwissenschaftliches Grundwissen. Sie können Entwicklungen häufig nicht einordnen oder vermeiden es – zumal sich das Wissen über das Virus im Fall Covid auch erst entwickelt hat. Beim Klimaschutz gibt es ein ähnliches Problem. Der Journalist Wolfgang Blau, der jüngst das Oxford Climate Journalism Network mitgegründet hat, betont wieder und wieder, wie wichtig eine Grundbildung zum Thema Klima für Journalisten aller Disziplinen ist. Manch einem Reporter mag das zu kompliziert oder anstrengend sein, aber wer mehr machen möchte als den klassischen „der hat gesagt …, die hat gesagt …“-Journalismus, kommt darum nicht herum.

Drittens, Statistiken werden oft phantasielos aufbereitet

In vielen Redaktionen sind die Kenntnisse in diesem Fach unterentwickelt, und das wirkt sich auf die Aussagekraft und Vielfalt der Berichterstattung aus. Zwar kam kaum ein Medium in der Pandemie ohne die Kurve der Fallzahlen oder Inzidenzen aus, aber vergleichende Analysen gab es der Studie zufolge eher selten. Auch die Folgen zum Beispiel für das Wirtschaftsleben hätte man gut mit Grafiken oder Statistiken aufbereiten können, zum Beispiel in Relation zu anderen Wirtschafts-Schocks wie der Lehman-Brothers-Pleite 2008. Auch beim Thema Klimawandel und den Auswirkungen entsprechender Politik müssen Redaktionen Einordnung bieten, die über das Erwartbare hinaus gehen. Menschen möchten zum Beispiel wissen, welche persönliche Einschränkung wie viel zum Klimaschutz beiträgt, ob der Verzicht auf Fleisch, Autofahrten oder Flüge mehr bringt. Viele Bürgerinnen und Bürger sind durchaus bereit, ihren Teil zu leisten. Nur dazu müssen sie es verstehen. Journalisten sollten dazu nicht nur selbst Statistiken lesen, sondern es anderen auch vermitteln können. Hier ist vor allem die Journalisten Aus- und Weiterbildung gefragt.

Viertens, das Volumen der Berichterstattung hat oft wenig mit der Bedrohungslage zu tun

Es ist eine Stärke und Schwäche des Journalismus, dass er sich stets auf das Neue fokussiert. Dies hat den Daten zufolge in der Corona-Pandemie dazu geführt, dass in der ersten Welle mehr berichtet wurde als in der zweiten, obwohl die Zahlen der Erkrankten und Toten später weit höher lagen. Offenbar hatten Vorwürfe, die Berichterstattung sei hysterisch (in der ersten Welle erhoben von 30 Prozent der Befragten) ihre Spuren hinterlassen. In der zweiten Welle kam nur noch ein Fünftel mit diesem Vorwurf. Die hohe Schlagzahl im April 2020 war allerdings auch davon geprägt, dass in der ersten Welle das gesellschaftliche Leben praktisch zum Erliegen gekommen war. Fast jeder Journalist wurde damals zum Corona-Reporter, wollte er nicht untätig daheim sitzen. Für das Thema Klimaschutz sind Abnutzungseffekte ein noch größeres Problem. Denn weder das Phänomen selbst noch viele der Lösungen haben großen Neuigkeitswert, wenn nicht gerade Brände, Überschwemmungen oder spektakulär schmelzende Gletscher Aufmerksamkeit schaffen. Es wird eine Kunst sein, das Thema dem Ernst der Lage angemessen mit immer neuen, interessanten und lehrreichen Facetten abzudecken. Außerdem gilt, was Kommunikationsstrategen schon immer empfohlen haben: „Sag es, sag es wieder, und sag es dann noch einmal.“ Wiederholungen mögen Journalisten langweilen, das Publikum braucht sie, um Dringlichkeit zu verstehen.

Fünftens, sachlich ist gut, emotional auch

Nahe an den Menschen zu sein, das heißt übrigens vor allem, sie ernst zu Die Studie hat dem Journalismus in der Pandemie eine große Sachlichkeit attestiert. Mit dem Fortschreiten der Seuche habe die Berichterstattung immer stärker auf Statistiken zurückgegriffen als auf Einzelfälle, schreiben die Autoren: „Zu keinem Zeitpunkt überwogen emotionale Beiträge auch nur annähernd die sachlichen.“ Grundsätzlich sind die Medien damit ihrem Auftrag gerecht geworden, vor allem Fakten zu präsentieren. Allerdings brauchen Menschen Emotionen, um Empathie zu bilden. Eine einzige Geschichte über einen besonders geplagten Covid-Patienten bewegt womöglich mehr Menschen dazu, sich impfen zu lassen, als die bestgemachte Grafik zu Risiken und Nebenwirkungen. Redaktionen sollten dies beherzigen, auch für die Berichterstattung über den Zustand von Natur und Umwelt. Die klug aufbereitete Statistik appelliert an den Verstand, die packende Geschichte ans Gefühl. Um tätig zu werden, brauchen Menschen beides.

Diese Kolumne erschien zuerst am 10. November 2021 in Medieninsider. Dort publiziere ich regelmäßig, aktuelle Stücke lassen sich mit Abo lesen.     


„Kein Job für Weicheier“ – Medienmacher sorgen sich viel um andere und wenig um die eigenen Leute

Nicht überall leiden Journalist*innen so wie in Indien. Um die 500 Reporter*innen waren dort Stand Juni 2021 während der Pandemie an einer Covid-19 Erkrankung gestorben, die sie sich bei der Recherche zugezogen hatten. Ihre Familien bekämen weder Unterstützung von den Redaktionen noch von der Regierung, schreibt die indische Journalistin Rachel Chitra in einem Artikel für das Reuters Institute in Oxford. Die Pandemie ist eine vielschichtige Herausforderung für Journalist*innen, nicht nur wegen der Ansteckungsgefahr für sie und ihre Angehörigen, sondern auch wegen erschwerter Arbeitsbedingungen, dauerhaft hoher Belastung bei gleichzeitiger Furcht, in der angespannten wirtschaftlichen Lage den Job zu verlieren. Aber sie ist beileibe nicht die einzige Bürde, die diejenigen tragen, die dort nah herangehen müssen, wo es unangenehm wird. Weltweit riskieren Reporter*innen ihre physische und psychische Gesundheit, manche sogar ihr Leben, weil sie ihren Job machen.

Dabei geht es nicht nur um aufsehenerregende Angriffe auf einzelne Reporter*innen, die einflussreichen Wirtschaftsgrößen oder autoritären Regierenden zu nahe auf die Pelle rücken, wie bei der spektakulären Entführung des belarussischen Bloggers Roman Protasewitsch aus einem Flugzeug auf innereuropäischer Route. Solche Fälle lösen zurecht international Empörung aus. Aber auch die alltäglichen, subtilen oder weniger subtilen Angriffe auf Redakteur*innen, Kommentator*innen und Reporter*innen zehren an den Kräften. Da geht es um Trolle und Hass in den sozialen Netzwerken, den einzelne oder politisch motivierte Gruppen durchaus systematisch und überproportional gegen Frauen einsetzen. Es geht um eine toxische Redaktionskultur, die das Medium-Magazin kürzlich in einer großen Recherche dokumentierte. Es geht aber auch um das Tagesgeschäft: dem Berichten vom Unfallort mit grauenhaft zugerichteten Opfern oder aus dem Gerichtssaal, wenn verstörende Tatbestände detailgenau vorgetragen werden und sich als Bilder im Kopf festsetzen.

Und all das nehmen viele Redaktionen einfach so hin. Rufen sie in Kommentaren nach Unterstützung für Betroffene jeglichen Unglücks und Unrechts, sieht es mit der Fürsorge für die eigenen Leute in der Regel eher mau aus. Die Auslandskorrespondentin schickt man vor dem Einsatz im Krisengebiet noch in ein spezielles Training. Der Lokalreporter allerdings kann sich nicht darauf vorbereiten, wie es ihm bei der Recherche über das Zugunglück mit Toten oder dem Eifersuchts-Mord in der Nachbarschaft gehen wird. Und für ein Debriefing nach anspruchsvollen Recherchen, gefährlichen Einsätzen oder Attacken in den sozialen Netzwerken fehlt meist die Zeit, man ist schon beim nächsten Thema. Auch um ihr Recht müssen viele ohne Hilfe kämpfen, selbst wenn sie online massiv bedroht werden. Das Berufsethos sorgt dann dafür, dass die meisten Kolleg*innen das Leid alleine zu verarbeiten versuchen.

Viele Führungskräfte finden das immer noch in Ordnung so. Ein gewisses Maß an Kaltschnäuzigkeit und innerer Distanz gehöre eben zur Berufsbeschreibung, heißt es dann lapidar. Journalist, das sei eben „kein Job für Weicheier“ – so sagte es einmal ein BBC-Kollege in einem Leadership-Seminar. Wer die Hitze nicht möge, solle eben die Küche meiden. Die Tatsache, dass Redaktionen eher von Journalist*innen geführt werden, von denen die meisten nicht in Management-Techniken geschult sind, macht es nicht leichter.

Noch gibt es wenig Forschung zu Belastung und Trauma in Redaktionen, vor allem mit Blick auf das vermeintlich so routinierte Tagesgeschäft. Aber eine zunehmende Zahl von Redaktionsleiter*innen nimmt sich des Themas an, ebenso Wissenschaftler*innen und Verbände. Organisationen wie die Unesco beschäftigen sichmit der Sicherheit von Medienschaffenden. Die Bild-Zeitung hat ihre Mitarbeiter jüngst in einer großen Umfrage nach ihrem Befinden gefragt. Gerade die Pandemie hat viele Führungskräfte erkennen lassen, wie fragil das Gerüst ist, auf dem das tägliche Geschäft ruht. Persönliche Gespräche mit Kolleg*innen, denen man nicht mehr wie sonst im Flur begegnet, hätten ihn während des Lockdowns viel beschäftigt, erzählt der CEO eines regionalen Medienhauses.

Neben menschlichen Motiven treiben auch wirtschaftliche die Leitenden an. Es wird immer schwerer, junge Menschen für den Journalistenberuf zu begeistern. Die Aussicht, dass sie bei vergleichsweise mäßigem Einkommen, hohem zeitlichen und emotionalen Einsatz und unsicheren Perspektiven in Kauf nehmen müssen, angegriffen oder mit Belastungen alleingelassen zu werden, macht ihnen die Entscheidung für den Job nicht leichter. Psychologische und juristische Hilfe ist das Mindeste, was Redaktionen ihren Mitarbeiter*innen bieten müssen.

Manchmal allerdings sind gerade die das Problem, die an der Spitze stehen, Stichwort toxische Redaktionskultur. Da allerdings kann man rangehen. So erzählte die Kollegin einer großen Zeitung an der amerikanischen Westküste im Frühjahr in einem Webinar vom Rücktritt eines Star-Reporters, den sie so erklärte: Man habe jetzt eine „no asshole policy“, da passe nicht mehr jeder rein. Verlage, die gegen solche Klima-Vergifter konsequent vorgehen, sparen dabei manchmal weit mehr als nur ein Gehalt.  

Diese Kolumne erschien am 3. Juni 2021 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School. 

 

Information jetzt – In der Corona-Krise rettet Qualitätsjournalismus Leben

In der Coro­na­krise sind akku­rate, ver­ständ­li­che, fak­ten­treue Medien ent­schei­dend dafür, wie Ein­zelne handeln und damit wie Gesell­schaft und Wirt­schaft funk­tio­nie­ren. Nur Qua­li­täts­me­dien mit ihrer Reich­weite quer durch alle sozia­len Schich­ten können diese Aufgabe über­neh­men.

Kri­sen­zei­ten sind keine Zeiten für Bes­ser­wis­ser. Es sind die Stunden der­je­ni­gen, die es besser wissen. Dies sollten sich alle zu Herzen nehmen in diesen Tagen, Wochen und abseh­bar Monaten, in denen das Corona-Virus die Gesund­heit von Men­schen rund um den Globus und in der Folge die Welt­wirt­schaft bedroht. Gefühls­aus­brü­che auch von Exper­ten sind in dieser ange­spann­ten Lage zwar ver­ständ­lich. Aber vor allem die­je­ni­gen, die dies als Gele­gen­heit betrach­ten, mit „den Medien“ im All­ge­mei­nen und den öffent­lich-recht­li­chen Sendern im Beson­de­ren abzu­rech­nen, sollten sich diese Emo­tio­nen ver­knei­fen. Denn im Zweifel gefähr­den sie damit Leben.

In der Krise ist eine ver­läss­li­che, akku­rate, ver­ständ­li­che, unab­hän­gige und ebenso tief­ge­hende wie reak­ti­ons­schnelle Infor­ma­tion ent­schei­dend dafür, wie Ein­zelne Handeln und damit wie Gesell­schaft und Wirt­schaft funk­tio­nie­ren. Nur Qua­li­täts­me­dien mit ihrer Reich­weite quer durch alle sozia­len Schich­ten können sie liefern.

Zum Glück ist die all­ge­meine Öffent­lich­keit in den meisten Ländern klüger als so manch eine Chat-Runde in den sozia­len Medien. Die eta­blier­ten Medi­en­häu­ser berich­ten davon, wie Ihnen das Publi­kum sämt­li­che Ange­bote zum Thema Covid-19 förm­lich aus dem Netz saugt. News­let­ter werden so stark geöff­net wie nie, Bei­träge abge­ru­fen, Links geklickt. Manch eine Publi­ka­tion öffnet ihre Bezahl­schranke für Corona-Berichte oder nutzt den Infor­ma­ti­ons­hun­ger fürs Abo-Mar­ke­ting. Die Men­schen wissen, wohin sie sich in unsi­che­ren Zeiten wenden müssen: zu den Medien ihres Ver­trau­ens. Und auch die Ent­schei­dungs­trä­ger infor­mie­ren sich dort. So manch eine kluge Info­gra­fik über ver­schie­dene Sze­na­rien zur Aus­brei­tung der Pan­de­mie hat auch Zau­de­rer in Politik und Unter­neh­men davon über­zeugt, dass jetzt dras­ti­sche Ein­schnitte nötig sind, um das Gesund­heits­sys­tem am Laufen zu halten.

Ein Problem ent­steht überall dort, wo der Medi­en­kon­sum entlang poli­ti­scher Über­zeu­gun­gen hoch pola­ri­siert ist und es die Ange­bote nicht oder nicht mehr flä­chen­de­ckend gibt, denen die Men­schen allen Studien zufolge am meisten ver­trauen: Lokal­zei­tun­gen und öffent­lich-recht­li­che Sender. Dies ist zum Bei­spiel in den USA der Fall. Lokal­zei­tun­gen gibt es an einigen Orten nicht mehr, das Natio­nal Public Radio fristet ein Nischen­da­sein. Weil viele Bürger, vor allem aus dem Lager der Trump-Wähler, den großen über­re­gio­na­len Qua­li­täts­me­dien nicht ver­trauen, sind sie beson­ders anfäl­lig für Ver­schwö­rungs­theo­rien aller Art. In Frank­reich, wo die Gelb­wes­ten-Bewe­gung ein tiefes Miss­trauen gegen „die Presse“ hegt und sie auf Seiten der Elite ver­or­tet, gab es sogar eine Protest-Demons­tra­tion gegen die Ein­schrän­kun­gen des öffent­li­chen Lebens. Beides ist brand­ge­fähr­lich.

So manch ein Experte, der in den sozia­len Medien schimpft, auf Twitter finde er oder sie viel bessere Infor­ma­tio­nen als in den Qua­li­täts­me­dien, mag damit punk­tu­ell recht haben. Aller­dings liegt ein großes Problem dieser Zeit in der Asym­me­trie der öffent­li­chen Infor­ma­tion. Während Gebil­dete keine Mühe damit haben, die sozia­len Netz­werke zu navi­gie­ren und darin schnel­ler mehr und bessere Aus­künfte zu finden, als dies bei­spiels­weise noch vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre, zir­ku­lie­ren andere in weniger auf­ge­klär­ten Kreisen. Sie sehen dann über­wie­gend Bilder von leeren Regalen und stürmen die Dro­ge­rie­märkte auf der Suche nach Klo­pa­pier, wenn sie nicht gleich selt­sa­men, gerne über geschlos­sene Whats­App-Gruppen geteil­ten Tipps und Spe­ku­la­tio­nen anheim­fal­len. Jour­na­lis­ten sind die­je­ni­gen, die all diese Infor­ma­tio­nen sichten, sor­tie­ren, über­prü­fen, die ent­spre­chen­den Exper­ten aus­fra­gen und damit ver­ständ­lich für alle machen. Ohne Qua­li­täts-Jour­na­lis­mus würde sich die Infor­ma­ti­ons-Ungleich­heit massiv ver­schär­fen. Den Schaden hätten alle.

Wer aber sind nun die­je­ni­gen, die es besser wissen, und wie iden­ti­fi­ziert man sie? Tat­säch­lich lässt sich das nur in der Koope­ra­tion und im Aus­tausch von Ideen her­aus­fin­den, denn die Lage kann sich schnell ändern. Es ist deshalb wenig hilf­reich, ein­zelne Pro­fes­so­ren (sel­te­ner: Pro­fes­so­rin­nen) zu Medi­en­hel­den zu sti­li­sie­ren, so bril­lant sie auch sein mögen. Erstens können sie nur gut bleiben, wenn sie sich ständig über neueste Ent­wick­lun­gen infor­mie­ren und mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus­tau­schen. Dazu brau­chen sie Zeit. Und zwei­tens führt solch ein Star-Dasein schnell zu einer Hybris, die der ehr­li­chen Suche nach dem neu­es­ten Stand des Wissens abträg­lich ist. Wis­sen­schaft ist ein stän­di­ger Prozess, sie liefert nur selten letzt­gül­tige Ant­wor­ten.

Recht­ha­ber sollten es sich deshalb auch ver­knei­fen, ältere Aus­sa­gen endlos her­vor­zu­kra­men und die Bot­schaf­ter vor­zu­füh­ren. Für die Medien gilt: Der Reflex des Politik-Jour­na­lis­mus, nach Schul­di­gen zu suchen, ist hier weniger gefragt als die ergeb­nis­of­fene Suche des Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus.

Noch stärker als sonst ist in Kri­sen­zei­ten Lernen bei lau­fen­dem Betrieb ein 24-Stunden-Geschäft. Und Lernen können bei so einer Groß­krise nur alle gemein­sam: Exper­ten, Poli­ti­ker und Jour­na­lis­ten ebenso wie die Bürger – und das welt­weit über Län­der­gren­zen hinweg.

Diese Kolumne erschien am 17. März 2020 bei Zentrum Liberale Moderne