Was kostet die Freiheit?

Algorithmen können Gleichberechtigung fördern, Social Media kann zum Wählen motivieren: Technologie ermöglicht den Menschen, ihre Rechte zu verteidigen. Aber sie liefert autoritaeren Staaten auch die Mittel, durch Überwachung und Zensur genau diese Freiheit zu beschneiden. Über ein Dilemma und das, was zu tun ist.

In der Redaktion der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter ist man ziemlich stolz auf dieses Ding: den Gender Bot. Das Programm wertet für jeden einzelnen Text aus, wie hoch der Anteil männlicher und weiblicher Gesprächspartner oder Protagonisten darin ist, die Autoren bekommen ihre Bilanz dann einmal im Monat per Mail zugestellt, ganz unverbindlich, wie der Nachrichtenchef betont. Und trotzdem dürfte so manch ein Textfabrikant zusammenzucken. Schon wieder zu 90 Prozent Männer zitiert? Spätestens bis zum nächsten Jahresgespräch muss das wohl anders werden.

Man selbst findet das zunächst ziemlich genial. Endlich einmal wird Software dazu genutzt, auf simple Art gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Allerdings fallen einem sofort jene Kollegen ein, die hier an Bevormundung denken würden. Das Fachwort dafür ist aber ­„Nudging“. Das ist jene sanfte Form der Beeinflussung, bei der man denkt, aus freien Stücken zu handeln, dabei hat einem irgendjemand schon die gefälligen Alternativen vorsortiert, meistens ein Algorithmus. Der Schrittzähler animiert ­einen zu mehr Bewegung, die Likes der Freunde unter den Facebook-Posts spornen einen dazu an, noch mehr von sich preiszugeben, und das bequeme One-Click-Shopping lässt einen zusätzlich dies und das in den Einkaufswagen schaufeln, obwohl man eigentlich nur schnell was nachschauen wollte. In der von Software gesteuerten Welt wird „genudged“, dass es nur so säuselt.

Und das Prinzip dahinter ist ja schlau. Statt überall mit Regeln, Verboten, Gesetzen, Vorschriften zu kommen, vertraut es darauf, dass der Mensch schon einsehen wird, wie er sich per digitalem Stupser zu einem besseren Selbst entwickeln kann. Ist das Bewusst­sein erst einmal geschaffen, kommt das Handeln ganz von selbst. Jetzt gilt es nur noch zu definieren, was dieses bessere Selbst ist – also zum Beispiel jemand, der seine Stereotype bekämpft und auf Gleichstellung achtet, seinen Körper fit hält und brav zur Wahl geht, wenn er daran erinnert wird. Facebook hatte vor Jahren ein entsprechendes Experiment initiiert, als noch gar nicht die Rede von Russlands Rolle im amerikanischen Wahlkampf war. Ergebnis: Bürger, die auf Facebook gesehen hatten, dass ihre Freunde schon im Wahllokal waren, machten sich häufiger auf den Weg dorthin als die Vergleichsgruppe. Ein Nörgler ist, wer Böses dabei denkt.

Man kann aber auch ins Grübeln kommen. China zum Beispiel treibt die Digitalisierung massiv voran mit dem Ziel, den angepassten, produktiven, anständigen Bürger zu kreieren. Einen Bürger, der die Regeln nicht nur aus freien Stücken beachtet, sondern in Konkurrenz mit seinen Nachbarn übererfüllt voller Hoffnung auf Vergünstigungen. Nun spricht nichts gegen angenehme Nachbarn. Der Nebeneffekt ist aber: Wer sich widersetzt, lässt sich schnell identifizieren und sanktionieren.

Denn das ist der Haken an dieser digitalen Welt und der Freiheit, die darin wohnt: Man kann arbeiten, wann und von wo aus man will, man kann rund um die Uhr einkaufen, online einen Partner suchen, und wenn man sich traut, seinen Staatspräsidenten elektronisch beschimpfen. Aber man muss damit rechnen, dabei beobachtet zu werden. Von Vorgesetzten, die Arbeitsleistungen kontrollieren und auswerten, von Konzernen, die analysieren, welche Produkte sie einem noch unterjubeln könnten, von Versicherungen, die unser Lebenswandel interessiert, oder von irgendeiner Staatsmacht, die einem unangenehm auf die Pelle rücken kann, wenn der politische Wind plötzlich aus einer anderen Richtung bläst. Hat einem bislang allein das schlechte Gewissen zu schaffen gemacht, wenn man mal während der Arbeitszeit shoppen gegangen ist oder halb öffentlich über die Chefin gelästert hat, bekommt man es künftig womöglich mit ganz anderen Instanzen zu tun.

Wer sich online widersetzt, lässt sich schnell identifizieren Deshalb kommt jetzt der Warnhinweis: Wir müssen um den Schutz unserer Daten ringen. Das gelingt nur bedingt, wenn wir uns der digitalen Auswertung zuweilen aktiv und individuell entziehen, die Geräte mal abschalten, Vorlieben für uns behalten, nicht rund um die Uhr auf jedes rote Lämpchen reagieren, das uns das Smartphone hinwirft. Bürgerrechte wie der Schutz der Privatsphäre, der Wohnung, der freien Meinungsäußerung, ja der menschlichen Würde und körperlichen Unversehrtheit lassen sich nur politisch absichern. Dafür müssen wir streiten. Die Politik muss den Tech-Konzernen Regeln setzen, wie all jene Geräte gestaltet werden, denen wir unbedarft unsere Wünsche, Fragen, Vorlieben, Leistungsdaten und Gedanken anvertrauen, und es muss ebensolche Regeln dazu geben, was mit unseren Daten passiert – zum Beispiel wer darauf zugreifen darf und wann sie gelöscht werden. Das wird das digitale­ Leben womöglich etwas unbequemer machen. Aber auf lange­ Sicht werden wir freier sein. Frei genug, um die Welt nach unseren demokratisch vereinbarten Werten zu gestalten, beispielsweise per Gender Bot.

Dieser Text erschien zuerst in Sueddeutsche Zeitung Plan W – Frauen veraendern Wirtschaft, am 22. September 2018