Job Titel: Managing Roboter

Automatisierung in der Redaktion, für manch einen mag das nach Arbeitsplatzabbau klingen. Tatsächlich kann sie Medienhäusern beim Überleben helfen und den Journalismus verbessern. Es kommt ganz darauf an, was man damit macht.   

Wenn Unternehmen jetzt für Produkte werben, die Corona im Titel tragen, stellt sich zuweilen Misstrauen ein. Schließlich gilt: Keine Krise ohne Krisengewinnler, und nicht jeder hat das Gewinnen verdient. Brauchen Redaktionen also „Corona Watch“? Der Bot wertet automatisch wichtige Quellen zur Krisenlage aus und alarmiert Redakteure und Reporter über einen Slack Channel. Die Redaktion legt vorher Quellen und Kriterien fest.

Die Redaktion der schwedischen Tageszeitung Aftonbladet findet: ja. Chef vom Dienst Michael Poromaa sagt, das Tool entlaste sein Team nicht nur, es verschaffe ihm auch einen Wettbewerbsvorteil. Man hätte sonst 21 Seiten der lokalen Gesundheitsbehörden ständig selbst aktualisieren müssen, so Poromaa. „Vorher waren wir oft maximal die zweiten, die über neue Fälle berichtet hatten, jetzt sind wir die ersten.“

Entwickelt hat „Corona Watch“ die schwedische Firma United Robots, die diverse automatisierte Lösungen für Redaktionen anbietet. Aftonbladet sei mit der Idee gekommen, innerhalb eines Tages habe man sie umgesetzt, sagt Cecilia Campbell. Campbell berät United Robots, zuvor hat die Journalistin Redaktionen für die World Association of News Publishers (Wan-Ifra) beim Aufbau von Bezahlangeboten unterstützt. In Skandinavien hat man wenig Berührungsängste, was den Roboter-Journalismus angeht, im Gegenteil. „Wer es sich noch leisten kann Journalisten einzustellen, setzt sie lieber auf größere Recherchen an“, sagt Campbell. Viele einfache Aufgaben hingegen könne man gut an Roboter auslagern.

Viele Verlage glauben, dass Automatisierung der Branche beim Überleben helfen kann. Stefan Aberg zum Beispiel leitet ein Team von gerade einmal zwei Dutzend JournalistInnen beim schwedischen Medienhaus VK Media. Es sei unmöglich, damit alle Kundenbedürfnisse zu erfüllen, sagte er 2019 auf einer Konferenz. Die Lösung: „Wir bauen eine Armee von Robotern.“ Man habe Bots für alles Mögliche: Wetter, Verkehr, Grundstücksverkäufe, Sportwettkämpfe. Seitdem die Redaktion sie großflächig verwende, sei die Zahl der Digital-Abonnenten um 70 Prozent gestiegen.

Schon heute setzen Redaktionen überall auf der Welt künstliche Intelligenz ein. Die größte Rolle spielt sie bislang im Marketing. Bots machen Leserinnen und Lesern automatisiert Abo-Angebote oder beliefern sie mit personalisierten Inhalten. Manch einer sagt, sie hören dem Publikum besser zu als Journalisten, weil sie Daten entsprechend schnell auswerten können. Einige Redaktionen trauen künstlicher Intelligenz zu, ihre Homepages besser und vorurteilsfreier zu bestücken, als sie das selbst schaffen würden. Die kanadische Globe and Mail zum Beispiel lässt von Software sicherstellen, dass täglich auch Inhalte „vorne“ spielen, die für Minderheiten interessant sind. Auch bei Projekten des Datenjournalismus und bei der Überprüfung von Fakten kommt Automatisierung häufig zum Einsatz. Manch eine Redaktion lässt von Bots feststellen, ob das Geschlechterverhältnis der zitierten Quellen ausgewogen ist.

Deutlich weniger Medienhäuser delegieren das Texte-Schreiben an Roboter. Diese Möglichkeit setzen vor allem Nachrichtenagenturen ein, denn sie müssen eine Grundversorgung bieten und deshalb viele Routine-Arbeiten erledigen. Die amerikanische AP gehörte zu den ersten Anwendern, die Quartalsberichte von Unternehmen automatisch erstellen ließ. Wo Reporter früher ein paar Hundert Firmen abdeckten, kommen Roboter heute auf ein paar Tausend im Vierteljahr. Die Washington Post hat ihre Wahlberichterstattung mit Hilfe von KI-Tools massiv ausgebaut.

Droht den Redaktionen damit ein Kahlschlag? Es sagt viel über den Zustand der Branche aus, dass nicht einmal die Gewerkschaften den Roboter-Journalismus als Teufelszeug verdammen. Job-Abbau und Sparprogramme gibt es schon seit Jahren, jetzt geht es darum zu retten, was zu retten ist. Und das schaffen Redaktionen am besten, indem sie ihre Kunden flächendeckend bedienen – mit exklusiven, von Reportern recherchierten Geschichten und beliebter Standardware gleichermaßen. Zu letzterer Kategorie gehören die lokal angepassten Wetter- und Stauberichte, um sie zu erstellen, muss niemand jahrelang zur Journalistenschule gehen.

Je früher sich Redaktionen mit den Möglichkeiten von KI und Roboter-Journalismus befassen desto besser. Denn wer sich gut auskennt, lässt sich seltener Lösungen andrehen, die kein Mensch braucht. Es geht schließlich darum, den eigenen Journalismus besser zu machen. Und das wird er nicht, wenn man Leserinnen und Leser nur mit Masse erdrückt. Außerdem hilft ein Blick auf eine Ethik-Checkliste, wie sie der ehemalige AP-Journalist und Berater Tom Kent erarbeitet hat. KI-Journalismus ist immer nur so gut, wie die Daten sind, mit denen er gefüttert wird und die Vorgaben, die ihm gemacht werden.     

United Robots bietet übrigens auch ein Tool für Sportredaktionen an. Nach dem Spiel schickt es Trainern automatisch Interview-Fragen, sie orientieren sich am Spielverlauf. Aus den Antworten bastelt der Bot einen Text. Sportreporter müssten sich also gar nicht groß umstellen, sobald es wieder Wettkämpfe gibt. Sie könnten sich weiterhin auf all die hintergründigen Geschichten konzentrieren, die ihnen gegenwärtig so gut gelingen. Den Nach-dem-Spiel-Bericht schriebe Kollege Roboter. Dem Journalismus täte das gut.

Copyright: Alexandra Borchardt 2020, Beitrag für einen Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.

Zum Weiterlesen:

Die andere Papier-Krise – Corona bringt die gedruckte Zeitung in Lebensgefahr

Clayton Christensen hat die Corona-Krise nicht mehr erlebt. Der Professor der Harvard Business School, der das heute so salonfähige Konzept der disruptiven Innovation entwickelt hat, starb im Januar dieses Jahres an Krebs. In seinem Buch „The Innovators Dilemma“ hatte er sich mit den Schwierigkeiten erfolgreicher Unternehmen befasst, neue Technologien nicht nur halbherzig zu integrieren, sondern ihre Geschäftsmodelle danach auszurichten und alte über den Haufen zu werfen. In einem Aufsatz mit dem Titel „Breaking News“hatte er sich auch der Medienbranche angenommen. Das war 2012.

Acht Jahre später konfrontiert die Covid-19 Pandemie die Weltwirtschaft mit einer nie dagewesenen Art der Disruption. Die Seuche, die alles auf den Kopf stellt, beschleunigt den technologischen Wandel und erzwingt Innovationen. Erst im Nachhinein wird sich herausstellen, welche davon im wahren Sinne innovativ sind, also gesellschaftliche Verbesserungen gebracht haben. Aber die Wirtschafts- und Arbeitswelt wird nach dem langsamen Erwachen aus der Krise in jedem Fall eine andere sein.

In der Medienbranche zeichnet sich jetzt schon ab: Die Zeitungshäuser, die den technologischen Wandel beherzt angegangen sind und versucht haben, ihn in ihrer Kultur zu integrieren, sind jetzt im Vorteil. In diesen Tagen, in denen die Zugriffe auf Nachrichtenangebote steigen wie nie zuvor, binden sie Abonnenten über digitale Kanäle an sich – und die Leserinnen und Leser ziehen mit. Die anderen, die die Einnahmen aus den gedruckten Ausgaben gehütet haben wie einen Schatz und deshalb eher vorsichtig beim Vermarkten digitaler Angebote waren, rufen ihre Teams jetzt zur Aufholjagd. Denn es ist absehbar, dass die Tage der gedruckten Zeitung nun noch schneller heruntergezählt werden als vor Beginn der Krise.

Anderswo wird gar nicht mehr gezählt. In Großbritannien, wo die Bürger ihre Zeitungen überwiegend am Kiosk oder im Laden kaufen oder freie Exemplare zum Beispiel in der Londoner U-Bahn mitnehmen, hat die Mediengruppe JPI angekündigt, den Druck von zwölf Titeln einzustellen. Eine Stadt wie Milton Keynes mit mehr als 200 000 Einwohnern hat dann ausgerechnet in der Krisenlage keine Tageszeitung auf Papier mehr, vor allem für alte Leser ohne digitale Verbindungen ist das schlimm. In den USA steht dies einigen Titeln ebenso bevor. Dort sind viele Lokalzeitungen in den Händen von Finanzinvestoren, die nicht lange fackeln, wenn ihnen das Geld ausgeht. Die Zahl der Nachrichtenwüsten wird zunehmen, die gar kein lokales journalistisches Angebot mehr haben.

Viele Verleger weltweit denken schon lange darüber nach, wie viel und wie oft man wirklich noch drucken muss. Nun, da Anzeigen fast komplett ausfallen und Probleme bei Produktion und Zustellung drohen, stellen sich diese Fragen in ungeahnter Brisanz. „The Corona Virus is a Media Extinction Event“, ein Ereignis, das zur Ausrottung vieler Medienmarken führen wird, schrieb Buzzfeed Reporter Craig Silverman. Hiobsbotschaften sind täglich zu erwarten, viele Journalisten wird das ihre Jobs kosten.  

In Deutschland mag das im Moment noch harmloser aussehen als anderswo. Im Gegenteil: Menschen, die daheimbleiben müssen, entdecken das Ritual des morgendlichen Zeitunglesens neu, manch eine Redaktion berichtet sogar von neuen Abo-Bestellungen für das Papier-Produkt. Allerdings dampfen die Zeitungshäuser die Umfänge bereits ein. Das liegt nicht nur am Ausfall von Anzeigenerlösen. Außerhalb des gefragten Corona-Stoffs, der alle beschäftigt und interessiert, herrscht auch thematisch Leere. Sport-Wettkämpfe und Veranstaltungen fallen aus, Redakteure sind mit Krisenmanagement beschäftigt, manche müssen in die Kurzarbeit, und Recherchen anderer Stoffe werden erschwert, weil Reporterinnen und Reporter sich zumindest bei Ortsbesuchen zurückhalten, um sich und ihr Umfeld nicht unnötig zu gefährden.

Dass die Papier-Ausgaben irgendwann wieder dicker werden, ist kaum zu erwarten. Schon lange weiß man in der Branche, dass Zeitungsabos eher wegen zu viel des Guten als wegen eines zu geringen Umfangs gekündigt werden. Das Gefühl, der Berg an Lesestoff sei nicht mehr abzuarbeiten, gehört in einer Welt der Über-Information zu den häufigeren Klagen von Leserinnen und Lesern. Außerdem werden auch bedächtige Medienhäuser ihre Kundinnen und Kunden in der Corona-Krise zwangsweise an digitale Produkte heranführen müssen. Es ist wahrscheinlich, dass der Druckbetrieb beeinträchtigt wird oder Zusteller ausfallen, weil sie krank oder in Quarantäne sind. Sind die Leserinnen und Leser aber einmal online, kann man sie auch daran gewöhnen. „In absehbarer Zeit werden die Menschen sehr viel mehr Zeit online verbringen. Uns bislang gibt es wenige Beispiele dafür, dass sie zu Offline-Medien zurückkehren, wenn sie sich erst einmal an Online-Medien gewöhnt haben“, schreibt Rasmus Kleis Nielsen, Direktor des Reuters Instituts an der Universität Oxford in einer ungeschönten Analyse der Lage.

Die gedruckte Zeitung wird in Deutschland nicht von heute auf morgen von den Frühstückstischen verschwinden. Aber viele Verlage werden in der Krise und auch danach ihre Verluste zusammenrechnen und beschließen, das gedruckte Päckchen Papier nur noch für das Wochenende herzustellen. Schon heute verbringen die Leserinnen und Leser dann noch am meisten Zeit mit Print. Das gilt insbesondere für die jüngeren Generationen, die mit den großformatigen Blättern schon lange nichts mehr anfangen können. Der Weg von einer Ausgabe pro Woche zu null Ausgaben ist dann nur noch ein kleiner Schritt. Im generellen Taumel der Wirtschaftskrise, die unzählige Arbeitskräfte kosten wird, dürfte das so manch einem noch nicht einmal auffallen. Zumindest, solange der Journalismus überlebt. 

Copyright: Alexandra Borchardt 

Information jetzt – In der Corona-Krise rettet Qualitätsjournalismus Leben

In der Coro­na­krise sind akku­rate, ver­ständ­li­che, fak­ten­treue Medien ent­schei­dend dafür, wie Ein­zelne handeln und damit wie Gesell­schaft und Wirt­schaft funk­tio­nie­ren. Nur Qua­li­täts­me­dien mit ihrer Reich­weite quer durch alle sozia­len Schich­ten können diese Aufgabe über­neh­men.

Kri­sen­zei­ten sind keine Zeiten für Bes­ser­wis­ser. Es sind die Stunden der­je­ni­gen, die es besser wissen. Dies sollten sich alle zu Herzen nehmen in diesen Tagen, Wochen und abseh­bar Monaten, in denen das Corona-Virus die Gesund­heit von Men­schen rund um den Globus und in der Folge die Welt­wirt­schaft bedroht. Gefühls­aus­brü­che auch von Exper­ten sind in dieser ange­spann­ten Lage zwar ver­ständ­lich. Aber vor allem die­je­ni­gen, die dies als Gele­gen­heit betrach­ten, mit „den Medien“ im All­ge­mei­nen und den öffent­lich-recht­li­chen Sendern im Beson­de­ren abzu­rech­nen, sollten sich diese Emo­tio­nen ver­knei­fen. Denn im Zweifel gefähr­den sie damit Leben.

In der Krise ist eine ver­läss­li­che, akku­rate, ver­ständ­li­che, unab­hän­gige und ebenso tief­ge­hende wie reak­ti­ons­schnelle Infor­ma­tion ent­schei­dend dafür, wie Ein­zelne Handeln und damit wie Gesell­schaft und Wirt­schaft funk­tio­nie­ren. Nur Qua­li­täts­me­dien mit ihrer Reich­weite quer durch alle sozia­len Schich­ten können sie liefern.

Zum Glück ist die all­ge­meine Öffent­lich­keit in den meisten Ländern klüger als so manch eine Chat-Runde in den sozia­len Medien. Die eta­blier­ten Medi­en­häu­ser berich­ten davon, wie Ihnen das Publi­kum sämt­li­che Ange­bote zum Thema Covid-19 förm­lich aus dem Netz saugt. News­let­ter werden so stark geöff­net wie nie, Bei­träge abge­ru­fen, Links geklickt. Manch eine Publi­ka­tion öffnet ihre Bezahl­schranke für Corona-Berichte oder nutzt den Infor­ma­ti­ons­hun­ger fürs Abo-Mar­ke­ting. Die Men­schen wissen, wohin sie sich in unsi­che­ren Zeiten wenden müssen: zu den Medien ihres Ver­trau­ens. Und auch die Ent­schei­dungs­trä­ger infor­mie­ren sich dort. So manch eine kluge Info­gra­fik über ver­schie­dene Sze­na­rien zur Aus­brei­tung der Pan­de­mie hat auch Zau­de­rer in Politik und Unter­neh­men davon über­zeugt, dass jetzt dras­ti­sche Ein­schnitte nötig sind, um das Gesund­heits­sys­tem am Laufen zu halten.

Ein Problem ent­steht überall dort, wo der Medi­en­kon­sum entlang poli­ti­scher Über­zeu­gun­gen hoch pola­ri­siert ist und es die Ange­bote nicht oder nicht mehr flä­chen­de­ckend gibt, denen die Men­schen allen Studien zufolge am meisten ver­trauen: Lokal­zei­tun­gen und öffent­lich-recht­li­che Sender. Dies ist zum Bei­spiel in den USA der Fall. Lokal­zei­tun­gen gibt es an einigen Orten nicht mehr, das Natio­nal Public Radio fristet ein Nischen­da­sein. Weil viele Bürger, vor allem aus dem Lager der Trump-Wähler, den großen über­re­gio­na­len Qua­li­täts­me­dien nicht ver­trauen, sind sie beson­ders anfäl­lig für Ver­schwö­rungs­theo­rien aller Art. In Frank­reich, wo die Gelb­wes­ten-Bewe­gung ein tiefes Miss­trauen gegen „die Presse“ hegt und sie auf Seiten der Elite ver­or­tet, gab es sogar eine Protest-Demons­tra­tion gegen die Ein­schrän­kun­gen des öffent­li­chen Lebens. Beides ist brand­ge­fähr­lich.

So manch ein Experte, der in den sozia­len Medien schimpft, auf Twitter finde er oder sie viel bessere Infor­ma­tio­nen als in den Qua­li­täts­me­dien, mag damit punk­tu­ell recht haben. Aller­dings liegt ein großes Problem dieser Zeit in der Asym­me­trie der öffent­li­chen Infor­ma­tion. Während Gebil­dete keine Mühe damit haben, die sozia­len Netz­werke zu navi­gie­ren und darin schnel­ler mehr und bessere Aus­künfte zu finden, als dies bei­spiels­weise noch vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre, zir­ku­lie­ren andere in weniger auf­ge­klär­ten Kreisen. Sie sehen dann über­wie­gend Bilder von leeren Regalen und stürmen die Dro­ge­rie­märkte auf der Suche nach Klo­pa­pier, wenn sie nicht gleich selt­sa­men, gerne über geschlos­sene Whats­App-Gruppen geteil­ten Tipps und Spe­ku­la­tio­nen anheim­fal­len. Jour­na­lis­ten sind die­je­ni­gen, die all diese Infor­ma­tio­nen sichten, sor­tie­ren, über­prü­fen, die ent­spre­chen­den Exper­ten aus­fra­gen und damit ver­ständ­lich für alle machen. Ohne Qua­li­täts-Jour­na­lis­mus würde sich die Infor­ma­ti­ons-Ungleich­heit massiv ver­schär­fen. Den Schaden hätten alle.

Wer aber sind nun die­je­ni­gen, die es besser wissen, und wie iden­ti­fi­ziert man sie? Tat­säch­lich lässt sich das nur in der Koope­ra­tion und im Aus­tausch von Ideen her­aus­fin­den, denn die Lage kann sich schnell ändern. Es ist deshalb wenig hilf­reich, ein­zelne Pro­fes­so­ren (sel­te­ner: Pro­fes­so­rin­nen) zu Medi­en­hel­den zu sti­li­sie­ren, so bril­lant sie auch sein mögen. Erstens können sie nur gut bleiben, wenn sie sich ständig über neueste Ent­wick­lun­gen infor­mie­ren und mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus­tau­schen. Dazu brau­chen sie Zeit. Und zwei­tens führt solch ein Star-Dasein schnell zu einer Hybris, die der ehr­li­chen Suche nach dem neu­es­ten Stand des Wissens abträg­lich ist. Wis­sen­schaft ist ein stän­di­ger Prozess, sie liefert nur selten letzt­gül­tige Ant­wor­ten.

Recht­ha­ber sollten es sich deshalb auch ver­knei­fen, ältere Aus­sa­gen endlos her­vor­zu­kra­men und die Bot­schaf­ter vor­zu­füh­ren. Für die Medien gilt: Der Reflex des Politik-Jour­na­lis­mus, nach Schul­di­gen zu suchen, ist hier weniger gefragt als die ergeb­nis­of­fene Suche des Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus.

Noch stärker als sonst ist in Kri­sen­zei­ten Lernen bei lau­fen­dem Betrieb ein 24-Stunden-Geschäft. Und Lernen können bei so einer Groß­krise nur alle gemein­sam: Exper­ten, Poli­ti­ker und Jour­na­lis­ten ebenso wie die Bürger – und das welt­weit über Län­der­gren­zen hinweg.

Diese Kolumne erschien am 17. März 2020 bei Zentrum Liberale Moderne

Echt jetzt? In einer Welt, die aus Daten gebaut wird, ist die Realität angezählt

In der digitalen Welt sind „Fake News“ nur ein Symptom für ein Phänomen: Was Realität ist und was nicht, wird zunehmend verschwimmen. Das kann Gutes bewirken. Aber es gibt auch einige Risiken.

Erinnert sich noch jemand an „Second Life“? Als das kalifornische Linden Lab das Online-Spiel 2003 auf den Markt brachte, sah das irgendwie nach Zukunft aus. Wer seinem eigentlichen Leben nicht viel abgewinnen konnte, baute sich eben virtuell ein zweites auf, in dem er klüger, schöner und definitiv erfolgreicher war. Um Second Life ist es still geworden, denn heute braucht niemand mehr einen Avatar, um der Wirklichkeit ein wenig Glanz abzutrotzen. Für den Hausgebrauch reichen ein paar Social Media Profile. Das erste und das zweite Leben verschmelzen zu einem.

Die Realität ist angezählt, und das in vielen Lebensbereichen. Schließlich versprechen ihre virtuelle oder erweiterte Variante – oft als XR oder extended reality zusammengefasst – effektiveres Arbeiten, intensivere Erlebnisse, bessere Information und ohnehin mehr Spaß als die dröge Wirklichkeit. Virtuelle Realität macht das Lernen anschaulicher. Intelligente, mit Daten gespickte Brillen werden der Chirurgin und dem Mechaniker gleichermaßen dabei helfen, alle Handgriffe perfekt zu platzieren. Die Unternehmensberatung Accenture prognostiziert in einem zukunftsweisenden wie kritischen Report, dass in vielen Berufsfeldern bis zu einem Drittel der Arbeitszeit von XR-Anwendungen ergänzt werden wird.  

Aber damit entstehen neue Fragen. Was in dieser Welt ist echt, authentisch und real, und was ist manipuliert, inszeniert, geschönt oder schlichtweg erlogen? Die vielzitierten „Fake News“ – von Journalismus-Verächtern gerne als Kampfbegriff missbraucht –, sind nur eine Facette dieses Phänomens. Von aufwändigen XR-Anwendungen bis hin zu Filtern, Photoshop oder Apps, die einen zum Spaß wie eine Greisin oder eine Witzfigur aussehen lassen, bedient allerlei Software ein tiefes menschliches Bedürfnis: sich die Welt schöner oder zumindest anders zu machen, als sie sich darstellt. Und die Möglichkeiten, mit der Realität zu spielen, nehmen zu. Ist das verwerflich, oder kann das ein Segen sein?

Wahr ist: Die Realität steht nicht bei allen und nicht zu jeder Zeit hoch im Kurs. Schließlich hat die Erde ihren Bewohnern schon immer einiges abverlangt. Die Natur ist unberechenbar, der Mensch voller Makel, und die Wirklichkeit kann grau, düster oder sogar grausam sein. Religionen und Kulte haben es deshalb schon immer verstanden, Menschen in andere Welten zu entführen, wenn es im irdischen Leben allzu anstrengend wurde. Laut biblischer Erzählung ist das Paradies die Benchmark für eine erstrebenswerte Realität. Rauschmittel wurden von jeher dazu genutzt, dem komplizierten Hier und Jetzt zu entfliehen. Von den Römern stammt der Slogan: „Brot und Spiele“. Letztere dienten wie heute einerseits der Ablenkung, andererseits als Trainingscamp für die herrschenden Machtverhältnisse. Jedes neue Medium lieferte gleich ein ganzes Portfolio an virtuellen Fluchtwegen aus dem Alltag mit. Jeder, der seine Kindheit bevorzugt im Schein einer funzeligen Leselampe auf dem Bett verbracht hat, weiß, mit welchem Sog Literatur einen in Parallelwelten transportieren kann. Gleiches vermochten der Film, das Radio, Fernsehen sowieso.

Nicht immer diente all das dem Fortschritt. Denn der entsteht nicht aus dem Bedürfnis, der Realität zu entfliehen. Er verlangt, dass man sie verändern will. Dies beginnt zwar oft mit Träumen. Aber für das, was der überstrapazierte Begriff Innovation beschreibt, ist es zwingend, irgendwann daraus aufzuwachen und zur Tat zu schreiten. Mit der Aufklärung kam deshalb ein neues Mantra in die Welt. „Du musst den Tatsachen ins Auge sehen!“, sagt man, oder auf Englisch: „Face it“ und get real!“. Realitätssinn gilt als Qualität in einer aufgeklärten Gesellschaft.

Ganze Berufsstände wie Wissenschaftler und Journalisten tragen tagein tagaus Fakten wie kleine Puzzleteile zusammen, um ein möglichst realitätsgetreues Bild davon zu erschaffen, wie die Welt aussieht und funktioniert. Die Logik dahinter ist klar: Nur, wer die Welt versteht, kann sie verbessern oder zumindest Gefahren aus dem Weg gehen. Und auch die Psychologie folgt diesem Diktum: Allein wer sich selbst kennt, Abgründe inklusive, kann sich weiterentwickeln und fällt nicht immer wieder auf die gleichen Muster herein. Der Weg zur Zufriedenheit führt demnach durch die Mühen der Ebene.

Jegliche menschliche Kulturleistung ließe sich als einen Versuch betrachten, die Realität zu überwinden und zu gestalten, sie Hoffnungen und Wünschen anzupassen. Ob man Paläste oder Kirchen in die Landschaft setzt, Maschinenparks baut oder Landstriche mit Straßen durchpflügt, ob man sich in festliche Trachten wirft oder hinter Schichten von Makeup verbirgt: alles entspringt dem Versuch, der Realität ein anderes, gerne auch freundlicheres Gesicht zu geben.

Haben Kreationen oder Kosmetik eine andere Qualität, wenn sie aus Daten und Software bestehen anstatt aus Steinen, Metall, Stoff und Farbe? Das Ziel ist schließlich das gleiche. Es geht darum, die Welt zu gestalten, idealerweise besser zu machen. Aber ein paar Dinge funktionieren anders, wenn Veränderungen statt in der „realen“ Welt im Datenraum stattfinden.

Zunächst einmal ist da die Geschwindigkeit und Wucht, mit der virtuelle Realitäten die Konsumenten in ihren Bann ziehen. In der physischen Welt wachsen Veränderungen langsam. Menschen haben gewöhnlich Zeit, sich darauf vorzubereiten und sich daran zu gewöhnen. Haben sie das nicht, zum Beispiel bei Unglücken, Naturkatastrophen oder einer schlimmen medizinischen Diagnose, kann das traumatisieren. Mit der virtuellen Welt verhält sich das ähnlich. Wer sich per VR-Brille binnen Sekunden in eine gänzlich andere Welt transportieren lässt, dessen Gehirn kommt nur mit Mühe hinterher. Denn unsere Sinnesorgane sind nicht trainiert darauf, mit solchen rasanten Wechseln der Szenerie umzugehen. Sie sind in der physischen Welt ausgebildet worden, in jahrelanger Erfahrung haben wir gelernt, Geschwindigkeiten einzuschätzen, Gesichter zu interpretieren und uns wegzuducken, wenn Gefahr droht. Das andere Tempo virtueller Applikationen bei dem gleichzeitigen Gefühl, dies sei ja „nicht real“ stiftet Verwirrung, die bis in Alltagssituationen reichen kann.

Es gibt bislang keine Beweise dafür, dass zum Beispiel Killer-Spiele die Gewaltschwelle in der physischen Welt herabsetzen. Manch einer argumentiert sogar, virtuelle Realität könne eingesetzt werden, um Empathie zu üben. Die Fotografin und Filmemacherin Julia Leeb glaubt deshalb an die Kraft von 360 Grad Journalismus. Könnten sich Zuschauer zum Beispiel per VR-Brille in das Leben in einem Kriegsgebiet einfühlen, werde das ihre Haltung beeinflussen, sagt sie. Klar ist aber: Man kann in virtuellen Welten gezielt trainieren, Hemmschwellen herabzusetzen oder Ängste zu bewältigen. Piloten üben zum Beispiel im Flugsimulator regelmäßig, wie sie mit gefährlichen Situationen umgehen sollen, damit sie im Ernstfall weniger schockiert als besonnen reagieren. Was in diesem Fall Gutes bewirkt, nämlich eine gewisse Abstumpfung, kann in anderen Situationen das Mitgefühl herabsetzen.   

Das bedeutet nicht, dass das so bleiben muss. Schneller Wechsel ist Übungssache. Menschen haben schließlich auch gelernt, ans andere Ende der Welt zu fliegen und damit einigermaßen gelassen umzugehen. Vor 100 Jahren wäre dieses Tempo für die meisten eine verstörende Erfahrung gewesen – so wie das auch einst Telefon, Radio oder Kino waren. Aber es ist noch nicht klar, ob unser Steuerungsapparat auf die nächste Stufe aufgerüstet werden kann, ob also das entsprechende Update für unsere Gefühlswelt und Sensorik vorhanden ist.

In einer datengetriebenen Welt mit ständig wachsenden Rechnerkapazitäten und einem entsprechenden Feuerwerk an Neuem fehlt dem Gehirn die Zeit, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu entwickeln. Beides bildet sich durch gute Erfahrungen. Wenn wir etwas oft getan haben, einen Menschen besser kennen und eine Situation einschätzen können, glauben wir, die Lage im Griff zu haben. Bei Unbekanntem wittern wir Gefahr. Das hat sich seit Jahrtausenden kaum verändert.

Entscheidend ist die Balance. Allzu viel Sicherheit kann unaufmerksam und behäbig machen, zu viel Fremdes hingegen löst Angst aus. Der Reiz von Thrillern oder Horrorfilmen liegt genau darin, uns ab und an einigermaßen kontrolliert aus dieser Komfortzone zu holen und womöglich neue Energien freizusetzen. Aber wir sitzen dennoch im vertrauten Wohnzimmer oder zu Popcorn-Geruch im Kinosessel, und danach begeben wir uns wieder in die Sicherheit unseres Alltags. Der Einsatz von virtueller Realität muss also wohlüberlegt sein, die Anwendung kontrolliert. Und es muss auf jeden Fall intensiv erforscht werden, wie sich die Konfrontation mit künstlichen, digital konstruierten Erlebniswelten auf Wahrnehmung und Gesundheit auswirkt.

Vom Schulunterricht bis hin zur Psychotherapie gibt es reichlich Anwendungsfelder, in denen virtuelle Realität Nutzen stiften kann. Patienten können zum Beispiel in angstbehaftete Situationen hineinversetzt werden und dabei lernen, sie souverän zu meistern. Geschichtsunterricht wird lebendiger. Aber die Folgen sollten einigermaßen überschaubar sein, bevor man zum Beispiel Schüler per VR in den Ersten Weltkrieg transportiert.

Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit virtueller Realität betrifft die Definitionsmacht und die Besitzverhältnisse: Wer kontrolliert die Daten und Fakten und damit die Inhalte, also das, was als „Realität“ wahrgenommen wird? In der analogen Welt sind und waren das bei der Wissensvermittlung überwiegend staatliche Institutionen. Behörden definieren, was in Schulbüchern und auf dem Lehrplan steht. Realität ist auch da ein dehnbarer Begriff, denn natürlich spiegeln sich Ideologie, Stereotype und Rollenbilder ganz offensichtlich in Lehrmaterialien. Ein Deutsch-Buch desselben Jahrgangs aus der Bundesrepublik und der DDR hat zwei sehr unterschiedliche Versionen der Wirklichkeit präsentiert. Aber immerhin werden solche Inhalte idealerweise in einem demokratischen Prozess verhandelt. 

Virtuelle Welten dagegen werden von Unternehmen aus der Privatwirtschaft erstellt, die damit Profit erzielen wollen. Sie bestehen aus Daten, die vorher von Konzernen gesammelt wurden, die Öffentlichkeit hat keinen Zugang dazu und noch weniger Einfluss darauf. Kommerzielle Interessen definieren also die Realität. Sie haben weder an Mitsprache noch an Teilhabe Interesse, sofern das über das bereitwillige Liefern von Daten hinausgeht. Und diese Daten liegen in den Händen von sehr wenigen mächtigen Konzernen.             

Ein weiteres großes Risiko ist der Datenmissbrauch. Während wir uns in virtuellen Welten bewegen, in denen uns vermeintlich nichts passieren kann, ziehen die Applikationen massenhaft Daten über sehr reale Verhaltensweisen und Gefühle ab. Dadurch lassen sich Gesundheits- und Verhaltensprofile erstellen. Zum Beispiel gibt es bestimmte Bewegungsmuster, die auf eine spätere Demenz hindeuten. Für Versicherungen könnte dies eine interessante Information sein. Das World Economic Forum mahnt deshalb einen strengen Datenschutz an.

Entscheidend ist jedoch: Wie wird VR unser Verhalten prägen? Stillen virtuelle Reisen das Bedürfnis, die entlegensten Winkel der Welt zu erforschen, und dienen damit womöglich sogar dem Klimaschutz? Oder wecken sie erst recht die Sehnsucht, all das Gesehene auch zu riechen, zu fühlen, zu spüren und zu schmecken? Wird die analoge Realität ein lästiger Rest oder ein kostbares Gut? Und werden wir in all dem schönen Schein noch die Kraft finden, sie zu verändern? Fortschritt entsteht immerhin aus Unzufriedenheit. Und Träume sollten ein Anfang, kein Ende sein.      

Dieser Text erschien in gekürzter Form in ada – Heute das Morgen verstehen, Ausgabe 01/2020 vom 28. Februar 2020. 

Journalismus darf etwas kosten!

Das Angebot an Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen ist zu einem Über­an­ge­bot gewor­den. Der Preis für viele jour­na­lis­ti­sche Pro­dukte ten­diert gegen Null. Deshalb müssen Zei­tungs­häu­ser und Medi­en­kon­zerne die Bedürf­nisse ihres Publi­kums ergrün­den. Bezahl­mo­delle funk­tio­nie­ren im Lokal­jour­na­lis­mus beson­ders gut.

Wenn es um ihre eigenen Pro­dukte geht, geben sich manche Jour­na­lis­ten erstaun­lich wenig selbst­be­wusst. „Leider, leider steht dieser Text hinter einer Bezahl­schranke“, kann man zuwei­len in den sozia­len Netz­wer­ken lesen, wenn eine Autorin oder ein Autor ihr eigenes Werk anpreist. Beim Bäcker zum Bei­spiel käme so etwas nie­man­dem in den Sinn. „Leider, leider muss ich für dieses Kür­bis­kern-Bröt­chen Geld ver­lan­gen“ – schon mal gehört? Okay, man kann das nicht direkt ver­glei­chen. Denn ein Bröt­chen gibt es nicht so ohne wei­te­res geschenkt. Um hin­ge­gen Jour­na­lis­mus zu bekom­men, der nichts kostet, reicht meist ein ein­zi­ger Scroll oder Klick. In der Infor­ma­ti­ons- und Auf­klä­rungs­bran­che hat die Digi­ta­li­sie­rung zu einem Markt­ver­sa­gen geführt.

Aller­dings sind sich viele Repor­ter und Redak­teure selbst nicht so sicher, ob sie für ihre Pro­dukte etwas ver­lan­gen dürfen. Schließ­lich sei die Auf­klä­rung der Bürger auch ein öffent­li­ches Gut, von dem alle pro­fi­tie­ren sollten, nicht nur die­je­ni­gen, die es sich leisten könnten, sagen sie. Jour­na­lis­mus, der nichts kostet, sei deshalb ein Dienst an der Demo­kra­tie. Man kann aller­dings auch anders argu­men­tie­ren: Die Demo­kra­tie braucht Medien, die ihre Rolle als Wächter, Welt­erklä­rer und Ver­mitt­ler zwi­schen gesell­schaft­li­chen Gruppen und ein­zel­nen Men­schen ernst nehmen und mit Lei­den­schaft aus­fül­len. Die Bereit­schaft der Bürger, für Jour­na­lis­mus zu zahlen, ist ein Grad­mes­ser dafür, ob ihnen das gut genug gelingt.

Fried­rich Merz: Wir brau­chen Jour­na­lis­ten nicht mehr

Die Situa­tion ist ver­fah­ren, und das hat mehrere Gründe. Einer­seits ist das Angebot an Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen zu einem Über­an­ge­bot gewor­den: Da Men­schen mit­tei­lungs­be­dürf­tig sind, wollen sie mit ihren Bot­schaf­ten vor allem gehört werden. Dafür auch noch Geld zu ver­lan­gen, kommt nur den­je­ni­gen in den Sinn, die davon leben müssen oder eben jene Orga­ni­sa­tio­nen am Laufen halten, die sich der Auf­klä­rung der Bürger ver­schrie­ben haben. Die anderen würden not­falls sogar drauf­zah­len, um gehört zu werden. „Wir brau­chen die nicht mehr“, sagte der von Füh­rungs­am­bi­tio­nen getrie­bene CDU-Poli­ti­ker Fried­rich Merz kürz­lich an die Adresse von Jour­na­lis­ten und sprach damit vor allem eine Wahr­heit aus: Der  immer noch beliebte Jour­na­lis­mus des Typs „der hat gesagt, die hat gesagt“ ist vom Aus­ster­ben bedroht. Auf dem Markt für Infor­ma­tio­nen ten­diert der Preis für viele Arten von Inhal­ten gegen Null.

„Click­bai­ting“ höhlt Ver­trauen aus

Ande­rer­seits hat sich die Medi­en­bran­che die Kos­ten­los-Kultur auch selbst zuzu­schrei­ben. Zu lange hatte sie in dem Irr­glau­ben ver­harrt, das Erfolgs­mo­dell „Werbung finan­ziert Inhalt“, oder zumin­dest einen großen Teil davon, ließe sich von der Welt der gedruck­ten Zeitung eins zu eins in die Online-Welt über­tra­gen. Dass daraus ein Modell „Inhalte finan­zie­ren Daten für Inter­net-Kon­zerne“ werden würde, hatten sie nicht geahnt.

Von der Stra­te­gie, Texte aus Druckerzeug­nis­sen für jeden zugäng­lich online zu stellen, hat aller­dings bislang niemand pro­fi­tiert. Die Medi­en­häu­ser haben damit zwar ihre Reich­wei­ten erhöht, vor allem betraf das aber ver­wech­sel­bare Inhalte – das so genannte Click­bait –, die ihr Profil ver­wäs­sert und Ver­trauen aus­ge­höhlt haben. Einige Jour­na­lis­ten und Blogger konnten sich zwar per­sön­lich als Marke eta­blie­ren und mas­sen­weise Fol­lo­wer um sich scharen, das allein sichert aber selten ihren Lebens­un­ter­halt. Die Platt­form-Kon­zerne haben auch wenig von der Kos­ten­los-Kultur der Medien, denn der Anteil jour­na­lis­ti­scher Inhalte an allem, was rund um die Uhr über das Netz ver­brei­tet wird, liegt im unteren ein­stel­li­gen Bereich. Und nicht einmal der Anspruch auf mehr Demo­kra­tie wurde ein­ge­löst. Nach einer Studie des Reuters Insti­tu­tes for the Study of Jour­na­lism am Bei­spiel Groß­bri­tan­nien ist der Nach­rich­ten­kon­sum in der digi­ta­len Welt noch unglei­cher ver­teilt als offline: Während gebil­dete Schich­ten sich online aus mehr Quellen infor­mie­ren, bekom­men sozial schlech­ter gestellte wegen des Über­an­ge­bots an Unter­hal­tung und anderen Ablen­kun­gen noch sel­te­ner mit Jour­na­lis­mus in Berüh­rung als vorher.

Schreib­tisch­jour­na­lis­mus

Gewin­ner sind einzig die Bil­dungs­eli­ten, die mit der neuen Infor­ma­ti­ons­welt gut umgehen können. Die könnten es sich leisten, für guten Jour­na­lis­mus Geld aus­zu­ge­ben, aber sie tun es selten, wenn sie es nicht müssen. Welt­weit zahlen laut dem Digital News Report, der 38 Länder ana­ly­siert, nur etwa 14 Prozent aller online Nutzer für jour­na­lis­ti­sche Ange­bote. In einigen skan­di­na­vi­schen Ländern, in denen es wenige kos­ten­freie Qua­li­täts­an­ge­bote gibt, sind es immer­hin bis zu 30 Prozent.

In vielen einst pro­spe­rie­ren­den Zei­tungs­häu­sern ran­gie­ren die Stra­te­gien deshalb irgendwo zwi­schen Kürzen und Kahl­schlag. Überall auf der Welt ächzen Medien gleich­zei­tig unter dem Versuch, kos­ten­pflich­tige Ange­bote auf­zu­bauen. Das ist schwie­rig. Denn viele Redak­tio­nen haben sich aus der Not heraus auf eine Art „Copy und Paste“-Journalismus ein­ge­schos­sen, für den man den Schreib­tisch nicht ver­las­sen muss. Für solche Billig-Ware zahlen die Kon­su­men­ten nicht, doch für was dann? Vor lauter Ringen um Klicks und Reich­weite haben viele Medi­en­schaf­fende den Kontakt zu ihrem Publi­kum ver­lo­ren.

Geschäfts­mo­dell Lokal­jour­na­lis­mus

Klar ist: Kon­su­men­ten sind eher nicht geneigt, für ein­zelne Inhalte Geld aus­zu­ge­ben. Es gibt schlicht zu viele davon. Sie zahlen für ein Erleb­nis, zum Bei­spiel für ein Ritual am Morgen oder ein Event am Abend. Sie zahlen für Service und Bera­tung. Und sie zahlen für das Qua­li­täts­ver­spre­chen einer Marke, die es schafft, Ver­trauen auf­zu­bauen und zu pflegen. Men­schen müssen sich vom Jour­na­lis­mus ernst genom­men fühlen, wenn sie ihn unter­stüt­zen sollen. Redak­tio­nen müssen sich deshalb auf ihren Kern zurück­be­sin­nen: Sie müssen sich ihrem spe­zi­el­len Publi­kum zuwen­den, dessen Bedürf­nisse ergrün­den und ihm dienen. Im Lokal­jour­na­lis­mus kann das beson­ders gut gelin­gen.

Nur wer sich unver­zicht­bar oder zum Teil einer lieb­ge­wor­de­nen Routine macht, kann das in Rech­nung stellen. Bürger brau­chen Ori­en­tie­rung. Sie werden nicht für alles zahlen wollen, und wenige können es wirk­lich nicht. Auch für sie muss es Ange­bote geben, ob öffent­lich-recht­lich oder stif­tungs­fi­nan­ziert. Aber noch geben viele Men­schen für den Milch­kaf­fee zum Mit­neh­men mehr Geld aus als für den Jour­na­lis­mus, an dem sie mehr und länger Freude haben sollten. Es liegt in den Händen der Medi­en­häu­ser, das zu ändern. Jour­na­lis­mus, der so viel Spaß macht wie ein „Coffee to go“: Das muss zu schaf­fen sein.

Diese Kolumne erschien am 25. Februar 2020 bei Zentrum Liberale Moderne

Rettet den Journalismus für alle! Warum es öffentlich-rechtliche Medien geben muss

Es wird viel bemän­gelt am öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk: zu kri­tisch, zu unkri­tisch, zu links, zu behäbig, als Konzept überholt. Aber ohne Sender, die durch öffent­li­che Finan­zie­rung den unmittelbaren Zwängen des Marktes enthoben sind, wäre die Demo­kra­tie in Gefahr.

Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Strei­fen­hemd wirft und dort heute lei­den­schaft­lich für den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk plä­diert, muss die Lage ernst sein. Der Auf­tritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Euro­päi­schen Broad­cas­ting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber ange­sichts dessen, dass die großen Sender welt­weit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womög­lich zu einer Revival-Tour über­re­den. Immer­hin geht es um eine Säule der Demo­kra­tie.

Ulvaeus erzählte sehr per­sön­lich, wie er Schwe­dens öffent­li­ches Radio als Teen­ager zunächst ver­ach­tet hatte, weil dort zu wenig Pop-Musik gespielt wurde, wie er sich später jedoch zuneh­mend gebor­gen fühlte in den Werten, die es ver­mit­telte. Er hatte Fotos von Ausch­witz gesehen und den Schat­ten der Sowjet­union gespürt. Ihm war bewusst gewor­den, dass Frei­heit und Teil­habe nicht selbst­ver­ständ­lich sind. „Der Bil­dungs­auf­trag durch die öffent­lich-recht­li­chen Sender war immer Kern des euro­päi­schen demo­kra­ti­schen Pro­jekts“, sagte Ulvaeus.

Dieser Tage gras­siert viel Ver­ach­tung für die staat­lich finan­zier­ten Sender. Nicht unter Teen­agern, die strafen sie eher mit Nicht­be­ach­tung. Die Atta­cken gegen den „Staats­funk“ kommen viel­mehr aus dem poli­ti­schen Raum, vor allem von rechts. Poli­tisch zu links, zu lang­wei­lig, zu irrele­vant, zu teuer und auf­ge­bläht, zu kri­tisch oder zu unkri­tisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Über­in­for­ma­tion sei das Konzept eines gemein­sa­men öffent­li­chen Infor­ma­ti­ons­raums über­holt.

Und die Debatte wird zuneh­mend schril­ler. Zum Jah­res­wech­sel beschäf­tigte ein etwas unglück­lich umge­tex­te­tes Lied, vor­ge­tra­gen vom Kin­der­chor des WDR, den poli­tisch-media­len Komplex ein­schließ­lich Inten­dan­ten für Wochen. Sogar die stolze BBC, welt­weit Inbe­griff erst­klas­si­ger und unbe­stech­li­cher Infor­ma­tion, ist Angriffs­ziel. Im Wahl­kampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Inter­view in einen Kühl­raum flüch­tete. An einer dem Kli­ma­schutz gewid­me­ten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teil­neh­men, die Redak­tion ersetzte ihn durch einen schmel­zen­den Eis­klotz. Der Premier ließ durch­bli­cken, Bürger könnten künftig straf­frei aus­ge­hen, wenn sie ihre Rund­funk­ge­bühr nicht zahlten.

Zur Unter­ma­lung kürzen aller­or­ten Regie­run­gen den öffent­li­chen Sendern die Etats, in Däne­mark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Mil­lio­nen Pfund ein­spa­ren, einer der Gründe, warum BBC-Inten­dant Tony Hall Rich­tung Natio­nal Gallery ent­schwin­det, deren Chair­man er wird.

Ner­ven­kit­zel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rund­funk- und Fern­seh­an­stalt SRG SSR ihre Daseins­be­rech­ti­gung per Refe­ren­dum bestä­ti­gen lassen musste. Im Land der Volks­be­fra­gun­gen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstim­men­den lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Genera­ti­ons­wech­sel wird dazu führen, dass sich ein immer grö­ße­rer Teil der Bevöl­ke­rung nicht mehr daran erin­nern kann, wozu man die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten braucht. Und die wie­derum geben dem jungen Publi­kum nicht unbe­dingt einen Grund dazu. Das Reuters Insti­tute for the Study of Jour­na­lism beti­telte eine Studie zu den großen Sendern acht euro­päi­scher Länder deshalb mit „Old, edu­ca­ted and poli­ti­cally diverse“, also alt gebil­det und – immer­hin – poli­tisch viel­fäl­tig.

Die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten sind aber kei­nes­wegs ver­zicht­bare Über­bleib­sel aus dem prä­di­gi­ta­len Zeit­al­ter, sondern zentral für die Demo­kra­tie. Dafür gibt es min­des­tens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Ver­trau­ens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publi­kum ihnen immer noch am ehesten zu, die Fak­ten­lage zu über­bli­cken und eine Viel­falt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegen­tei­li­gen Anwür­fen zum Trotz. Dies ergeben Umfra­gen wie der Digital News Report, die Lang­zeit­stu­die Medi­en­ver­trauen der Uni­ver­si­tät Mainz oder Ver­öf­fent­li­chun­gen der EBU.

Zwei­tens, die Sender gehen in die Fläche. Öffent­lich-recht­li­che Anbie­ter sind auch dort präsent, wo sich kom­mer­zi­el­ler Jour­na­lis­mus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischen­da­sein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokal­zei­tun­gen der Begriff Nach­rich­ten­wüste geprägt. In Europa sind solche von Jour­na­lis­mus unver­sorg­ten Gebiete deut­lich sel­te­ner. Man könnte behaup­ten, dies ver­hin­dert eine ähn­li­che poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung. Zumin­dest trägt es aber zu Bildung und Auf­klä­rung bei.

Drit­tens bemühen sich öffent­lich-recht­li­che Medien wie niemand sonst um Viel­falt und Inklu­sion. Dies betrifft die Zusam­men­set­zung der Beleg­schaf­ten und die Inhalte. Die öffent­li­chen Sender müssen die Gesell­schaft abbil­den. Sie sind deshalb in der Regel deut­lich weiter als privat finan­zierte Häuser, was die Gleich­stel­lung von Frauen oder die Beschäf­ti­gung von Min­der­hei­ten angeht. Dies wirkt sich auf den Facet­ten­reich­tum der Pro­gramme aus, die sich an alle sozia­len Schich­ten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine ver­läss­li­che jour­na­lis­ti­sche Grund­ver­sor­gung in einer Zeit, in der kom­mer­zi­elle Anbie­ter zuneh­mend auf Bezahl­mo­delle setzen.

Natür­lich müssen sich die öffent­li­chen Medi­en­häu­ser wandeln, und das ist inmit­ten gewach­se­ner büro­kra­ti­scher Appa­rate eine Her­aus­for­de­rung. Aber die ent­spre­chende Erkennt­nis ist überall da – und dazu viele Jour­na­lis­ten, die dies mit Verve und Über­zeu­gung vor­an­trei­ben.

Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Euro­vi­sion Song Contest der EBU gewon­nen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Men­schen ver­bin­det: „Er ist unter­halt­sam, breit, inklu­siv“. Wer das so poli­tisch sieht, mag dem Spek­ta­kel künftig womög­lich etwas abge­win­nen. Und den dahin­ter­ste­hen­den Bas­tio­nen des Jour­na­lis­mus noch dazu.

Kolumne erschienen bei Zentrum Liberale Moderne am 3. Februar 2020

Wir brauchen digital mündige Bürger!

Das Phä­no­men der Fake News wird sich in Zukunft noch ver­stär­ken. Ändern lässt sich das kaum. Deshalb sind Kam­pa­gnen zur digi­ta­len Mün­dig­keit min­des­tens so not­wen­dig wie einst jene zur Alpha­be­ti­sie­rung.

Für die­je­ni­gen, die mit der rasan­ten Ver­brei­tung von „Fake News“ das Ende der Demo­kra­tie her­an­na­hen sehen, dürfte 2020 ein beun­ru­hi­gen­des Jahr werden. Die Wahlen in den USA und ein Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren gegen den amtie­ren­den Prä­si­den­ten Donald Trump stehen an, beides wird das Land weiter pola­ri­sie­ren und die Bürger eher emp­fäng­li­cher für Lügen und aller­lei Ver­schwö­rungs­theo­rien machen. Erfah­rungs­ge­mäß schwap­pen die Debat­ten darüber unge­bremst über den Atlan­tik. In Groß­bri­tan­nien wurde schon gewählt, und wenn­gleich selbst hart­ge­sot­tene Digital-Pes­si­mis­ten sich schwer damit tun sollten, das klare Votum für Premier Boris Johnson und gegen Labour-Her­aus­for­de­rer Jeremy Corbyn der Akti­vi­tät von Troll­fa­bri­ken oder ähn­li­chem zuzu­schrei­ben, gehör­ten Falsch­in­for­ma­tio­nen und die Debatte darum im Wahl­kampf zum per­ma­nen­ten Grund­rau­schen. Wie sehr müssen wir uns also fürch­ten?

Man könnte sagen: sehr. Und genau darin liegt eine Chance. Die Ver­brei­tung von „Fake News“ und die Debatte darüber müssen ein Anlass dafür sein, Bürger im großen Stil fit für die neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Welt zu machen. Kam­pa­gnen zur digi­ta­len Mün­dig­keit sind min­des­tens so not­wen­dig wie einst jene zur Alpha­be­ti­sie­rung, die die Men­schen fit für die Welt des gedruck­ten Wortes und die Demo­kra­ti­sie­rung möglich gemacht haben.

Gleich vorweg: Das Phä­no­men der Falsch­in­for­ma­tion als solches wird nicht nur bleiben, es wird sich ver­stär­ken. Künst­li­che Intel­li­genz ermög­licht es schon jetzt selbst Laien, für wenig Geld soge­nannte deep fakes zu kre­ieren, also zum Bei­spiel täu­schend echt wir­kende Videos von Poli­ti­kern mit ent­spre­chen­den Ton­spu­ren zu basteln. Und die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten dafür ver­bes­sern sich schnel­ler als die Werk­zeuge, um den Ver­ur­sa­chern das Hand­werk zu legen. Hacker und Geheim­dienste in aller Welt werden dies aus ver­schie­dens­ten Motiven heraus zu nutzen wissen. Die Pro­duk­ti­ons­seite lässt sich also kaum in den Griff bekom­men.

Algo­rith­men anpas­sen

Etwas besser stehen die Chancen dafür, das Übel auf Seiten der Ver­tei­ler zu bekämp­fen. Die Platt­form-Kon­zerne haben die Infor­ma­tio­nen bislang weit­ge­hend unge­prüft und nur nach kom­mer­zi­el­len Kri­te­rien gewich­tet in die Welt gebla­sen. Sie könnten eben diese Gewich­tung ändern, sprich, ihre Algo­rith­men anpas­sen und Nach­rich­ten von ver­trau­ens­wür­di­gen Quellen höher bewer­ten als jene von unbe­kann­ten oder gar erwie­se­ner­ma­ßen zwei­fel­haf­ten. Der Müll würde so zwar nicht aus dem Netz ver­schwin­den aber weniger sicht­bar und damit auch sel­te­ner geteilt werden.

Die Jour­na­lism Trust Initia­tive, initi­iert und getra­gen von der Orga­ni­sa­tion Repor­ter ohne Grenzen, der European Broad­cas­ting Union und anderen nam­haf­ten Medien-Insti­tu­tio­nen, hat hier wich­tige Vor­ar­beit geleis­tet. Nun müssen die Kon­zerne das Übel auch anpa­cken wollen, not­falls unter mehr oder weniger sanftem Druck von Regu­lie­rung­be­hör­den. Hier liegt zuge­ge­ben ein Risiko, denn Regu­lie­rer könnten sich auf diese Weise auch dem Ein­fluss kri­ti­scher Stimmen ent­le­di­gen. Man möchte weder einem Donald Trump noch einem Viktor Orban das Pri­vi­leg zubil­li­gen, über die Qua­li­tät von Jour­na­lis­mus zu urtei­len. Dies sollte Gremien über­las­sen bleiben, die sich der Neu­tra­li­tät und Fak­ten­treue ver­schrie­ben haben.

Am wich­tigs­ten ist es aller­dings, bei den Emp­fän­gern anzu­set­zen. Bislang wissen nur die wenigs­ten Bürger, nach welchen Kri­te­rien Inhalte im Netz ver­teilt werden und an ihre Adres­sa­ten gelan­gen, wer Zugang zu diesen Kanälen hat und wie leicht sich erlo­gene aber täu­schend echt wir­kende Infor­ma­tio­nen erstel­len lassen. Auch über die Besitz­ver­hält­nisse der digi­ta­len Infra­struk­tur sind eher nur die Fach­leute infor­miert. Zumin­dest kann nicht vor­aus­ge­setzt werden, dass jedem Nutzer klar ist, dass hinter der Kurz­vi­deo-Platt­form TikTok ein chi­ne­si­scher Konzern steckt. Davon abge­se­hen, dass auch die­je­ni­gen, die es wissen, mit TikTok arbei­ten oder es nutzen – aus Spaß, oder weil man damit eben viele Kunden erreicht.

„Finn­land ist winning the war“

Noch am ehesten kann vor­aus­ge­setzt werden, dass das Publi­kum zumin­dest Grund­kennt­nisse darüber hat, wie Jour­na­lis­mus funk­tio­niert. Dass sich Repor­ter und Redak­teure im Nor­mal­fall an ethi­sche und hand­werk­li­che Regeln gebun­den fühlen – Bei­spiele sind das Vier-Augen-Prinzip und das Ein­ho­len meh­re­rer Quellen – haben viele Bürger schon gehört, auch wenn sie es nicht immer glauben. Und ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung ver­lässt sich eher auf eta­blierte Marken wie die „Tages­schau“, Sender wie die BBC oder auf ihre Lokal­zei­tung als auf zwei­fel­hafte „Exper­ten“, die manch ein Face­book-Beitrag nach oben schwemmt. Das lässt sich aus Medi­en­kon­sum-Studien wie dem Digital News Report ablesen.

Aber all das ist keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Auf­klä­rung tut also Not. Bislang funk­tio­niert das am besten in der jungen Genera­tion. Junge Leute betrach­ten „Fake News“ eher als Beläs­ti­gung denn als echte Gefahr. Viele von ihnen haben gelernt, sich durch die Abgründe des Inter­nets zu navi­gie­ren – um den Preis, dass sie allen Infor­ma­tio­nen mit grö­ße­rer Skepsis begeg­nen als die älteren Genera­tio­nen, inklu­sive dem Qua­li­täts­jour­na­lis­mus. Sie bringen sich das gegen­sei­tig bei oder lernen es in der Schule, wo es natür­lich die beste Infra­struk­tur für digi­tale Bildung gibt.

Anders geht es den Älteren. Sie sind einer­seits anfäl­li­ger für Falsch­mel­dun­gen, weil sie weniger über die Online-Welt wissen, ande­rer­seits aber auch ver­letz­li­cher, weil sie gezielt von Algo­rith­men als mut­maß­lich leichte Beute ange­steu­ert werden. Es ist erwie­sen, dass Senio­ren sehr viel häu­fi­ger Falsch­mel­dun­gen bekom­men und teilen als ihre Enkel. Bil­dungs­pro­gramme für die­je­ni­gen, die Schule und Uni­ver­si­tät bereits ver­las­sen haben, sind also exis­ten­ti­ell, wenn einem der auf­ge­klärte Umgang der Bevöl­ke­rung mit der Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­in­fra­struk­tur am Herzen liegt. Dies sollte und muss in allen Demo­kra­tien der Fall sein. Am Bei­spiel Finn­land lässt sich ablesen, dass das recht ordent­lich funk­tio­nie­ren kann. Eine 2014 begon­nene Auf­klä­rungs­kam­pa­gne über „Fake News“ war so erfolg­reich, dass CNN in einem Feature bereits tri­um­phierte: „Finn­land is winning the war on fake news“. Selbst aus Sin­ga­pur seien Regie­rungs­ver­tre­ter ange­reist, um das Erfolgs­re­zept zu kopie­ren. Aber auch anderswo gibt es gute Initia­ti­ven für genera­tio­nen­über­grei­fende digi­tale Bildung, zum Bei­spiel in Tsche­chien.

Dort, wo diese Auf­klä­rung nicht exis­tiert, ist die Wahr­schein­lich­keit groß, dass Regie­run­gen gar kein Inter­esse an der digi­ta­len Mün­dig­keit ihrer Bürger haben. Eine ver­wirrte Öffent­lich­keit ist anfäl­li­ger für ein­fa­che, popu­lis­ti­sche Inter­pre­ta­tio­nen der Lage, eine kri­ti­sche Presse und unan­ge­nehme Fakten stören so manch einen Amts­trä­ger nur. Digi­tale Bildung darf deshalb nicht nur in der öffent­li­chen Hand liegen. Wer dazu bei­trägt, dient der Demo­kra­tie. Unab­hän­gige Medien zum Bei­spiel können gar nicht genug dafür tun.

Diese Kolumne erschien am 20. Dezember 2020 bei Zentrum Liberale Moderne

Mehr Debatte war nie!

Angeblich schirmen uns die Algorithmen von allen Einflüssen ab, die unser Weltbild stören könnten. Doch so griffig die Metapher der Filterblase auch ist: Sie stimmt nicht.

Wenn es theoretische Konzepte in die Alltagssprache schaffen, freuen sich Akademiker*innen üblicherweise. Hat die Wissenschaft der Welt also doch etwas zu sagen, das jenseits des Hörsaals relevant ist.

In diese Kategorie gehören auch die Wörter Filterblase und Echokammer. Microsoft-Gründer Bill Gates hat davor ebenso gewarnt wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, und zuweilen wirft sie jemand auf einem Elternabend in die Diskussion: „Die Kids leben in ihrer Filterblase.“ Was frei übersetzt in etwa heißen soll: Die lesen nicht mal Zeitung.

Die Theorie klingt zumindest griffig: Angeblich schirmen uns Algorithmen im Internet von jeglichen Einflüssen ab, die unser Weltbild stören könnten. Die sozialen Netzwerke sind demnach schuld daran, dass wir diskurstechnisch in sauber getrennten Teichen nach den immer gleichen Argumenten fischen. Mit Inhalten, die uns überraschen oder Standpunkten, die unseren widersprechen könnten, kommen wir nicht mehr in Kontakt.

Das Konzept hat nur einen Schönheitsfehler: Es stimmt nicht. In Wahrheit weisen mehr Indizien auf das Gegenteil hin. Das Publikum informiert sich heute aus einer größeren Anzahl von Quellen als zu Zeiten, in denen die „Tagesschau“ oder die abonnierte Zeitung die einzige nachrichtliche Grundversorgung lieferten.

Zu diesem Ergebnis kommt etwa der „Digital News Report“. Dessen Autoren Richard Fletcher und Rasmus Kleis Nielsen untersuchen seit Jahren den weltweiten Informationskonsum. Ihr Fazit: „Jene, die Nachrichten über Suchmaschinen konsumieren, nutzen durchschnittlich mehr Quellen. Und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie politisch rechts- und linkslastige Quellen finden.“

Echokammern? Filterblasen? Fletcher und Nielsen widersprechen: „Suchmaschinen bringen Menschen mit Quellen in Kontakt, die sie sonst nicht genutzt hätten“, schrieben sie im vergangenen Jahr im Fachjournal „Digital Journalism“.

Zu schön, um falsch zu sein

Die Politikwissenschaftler Jan Philipp Rau und Sebastian Stier haben jüngst ebenfalls die Literatur gesichtet und herausgefunden, dass „die Furcht vor einer gesamtgesellschaftlichen Fragmentierung durch digitale Medien und einer damit verbundenen politischen Polarisierung empirisch nicht unterstützt wird“.

Man könnte also sogar sagen: So viel Debattenstoff war nie! Warum aber schwebt die Filterblase durch jede Diskussion zur digitalen Kommunikation, wenn man sie so leicht zum Platzen bringen kann?

Geprägt hat den Begriff der Internetaktivist Eli Pariser, der 2011 mit einem gleichnamigen Buch Furore machte. Darin wollte er darüber aufklären, „wie wir im Internet entmündigt werden“. Das klang offenbar zu schön, um nicht wahr zu sein.

Angesehene Theoretiker griffen das Konzept auf und entwickelten es weiter, zum Beispiel der Harvard-Jurist Cass Sunstein in „#Republic – Divided Democracy in the Age of Social Media“. In gewisser Weise teilt Pariser das Schicksal des Historikers Francis Fukuyama, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das Ende der Geschichte prognostizierte: Ständig wird er mit etwas zitiert, was so nie eingetroffen ist. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, warum die Filterblasen-Metapher so erfolgreich ist.

„Sie ist intuitiv, eingängig und spricht eine große Angst hinsichtlich des Einflusses von Algorithmen an“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Natali Helberger von der Universität Amsterdam, „die Menschen fürchten sich davor, dass sie das Publikum segmentieren und polarisieren.“

Sie will sich über diese Sorge keineswegs lustig machen, im Gegenteil: „Aber angesichts einer vielfältigen Medienlandschaft und eines heterogenen Publikums ist das nicht die drängendste Sorge Europas.“

Richtig ist, dass die Algorithmen der sozialen Netzwerke oder Suchmaschinen bestimmte Inhalte mit höherer Wahrscheinlichkeit anzeigen: was Nutzer*innen vorher schon mal interessiert hat, was Freunde mögen, was besonders aufsehenerregend ist oder viele andere Menschen ebenfalls angeklickt haben. Falsch ist allerdings, dass die Technologie gar nichts anderes serviert und uns deshalb in der Sicherheit wiegt, alle anderen dächten so wie wir.

Verrohung der Gesellschaft

Trotzdem werden die sozialen Netzwerke und ihre vermeintlichen Filterblasen und Echokammern für die Verrohung der Gesellschaft, die Verdummung der Bürger*innen oder die Expansion des Populismus verantwortlich gemacht. Dahinter steckt die ebenso überhebliche wie realitätsferne Annahme, dass Menschen, die krudes Gedankengut verbreiten, zur Besinnung kommen, wenn sie die richtigen Argumente kennen.
Tatsache ist aber: Fakten beeinflussen uns weniger, als wir hoffen. Menschen, die sich mit ‧populistischem Gedankengut identifizieren, glauben ohnehin selten an Objektivität. Sie malen die Gesellschaft bewusst als ein „Wir gegen die“-Gemälde. Dazu suchen sie sich allerlei „Beweise“ zusammen, gerne aus verschiedenen Quellen.

Zum Beispiel hören sie „Staatsfunk“, wie sie öffentlich-rechtliche Sender gerne nennen – um ihn sodann zu verdammen. Menschen, nicht Suchmaschinen, treiben die Polarisierung voran. Es ist sogar erwiesen, dass sich Mediennutzer*innen noch weiter in extremen Positionen vergraben, wenn sie gegensätzlichen Meinungen ausgesetzt sind. Versucht man, die vermeintliche Filterblase aufzubrechen, reagieren sie darauf mit Abwehr.

Im Twitter-Zeitalter werden Fakten zur digitalen Kommunikation gerne ignoriert. Zunächst einmal hat es die vermeintlichen Filterblasen schon immer gegeben. Die abonnierte Tageszeitung oder der voreingestellte Radiosender sind und waren diesbezüglich effektiv. Man las die Beiträge seiner Lieblingsautoren und fühlte sich rundum gut informiert. Wozu woanders suchen?

Auch politische Polarisierung, Rassismus und Sexismus existierten, lange bevor sich die Bürger*innen über soziale Netzwerke gegenseitig darin bestärken konnten – zumal ältere Generationen gespaltener sind als jüngere. Das Brexit-Referendum in Großbritannien wurde in erster Linie von der Boulevardpresse angeheizt.

Wie eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung von neun überregionalen britischen Tageszeitungen vor der Abstimmung ergab, sprachen sich von fast 2400 Artikeln 41 Prozent für einen Brexit aus. Demgegenüber waren 27 Prozent dafür, in der EU zu bleiben. Über Facebook schoben sich die Brexiteers allenfalls entsprechende Meldungen traditioneller Medien zu.

Bloß keine Panik

Der australische Kommunikationswissenschaftler Axel Bruns warnt deshalb vor „moralischer Panik“. Die permanente Diskussion um Filterblasen und Echokammern lenke von den wahren Ursachen politischer Polarisierung ab, sagte er vor einigen Monaten auf einer Konferenz: „Der Aufstieg von hyperparteiischen, populistischen und illiberalen ideologischen Agitatoren und Propagandisten an den Rändern des politischen Spektrums und die Ablehnung von demokratischen Prinzipien und Prozessen sind nicht in erster Linie ein Phänomen der Kommunikationstechnologien – sondern ein gesellschaftliches Problem.“

Zudem wird der Einfluss sozialer Netzwerke massiv überschätzt. Das liegt auch daran, dass die Journalist*innen selbst dort kräftig unterwegs sind – und sie geben nach wie vor den Ton an. Selbst wenn der amerikanische Präsident häufig über Twitter krakeelt, erreicht er dort bei Weitem nicht alle seine Anhänger*innen.

Tatsächlich ist die Reichweite gerade von Twitter vergleichsweise gering. Populist*innen beziehen ihre Neuigkeiten zudem überproportional aus dem Fernsehen, in den USA zum Beispiel über den Sender Fox News, in Deutschland über Privatsender wie RTL.

Auf Twitter hingegen tummeln sich vor allem Politiker*innen und Medienschaffende. Der unbeabsichtigte Effekt: Journalist*innen verschaffen so manchem Tweet erst Reichweite, weil sie ihn zur Story hochjazzen. Die Forschung hat ein ums andere Mal ergeben: In den sozialen Netzwerken beherrschen die traditionellen Medien die Debatte.

Was lässt sich nun gegen die Polarisierung tun? Zunächst einmal müssen alle Institutionen die Sorgen und Gefühle der Bürger*innen ernst nehmen: Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der digitale Umbruch, der Klimawandel, Einwanderung – in all diesen Feldern warten Aufgaben. Es wird aber mehr daran gearbeitet, als es das große Blabla in den sozialen Netzwerken zuweilen vermuten lässt.

Im Koalitionstracker der „Süddeutschen Zeitung“ kann man zum Beispiel verfolgen, wie viele von 140 Versprechen aus dem Koalitionsvertrag schon umgesetzt wurden oder zumindest in Arbeit sind – tatsächlich eine ganze Menge. Auch ein Blick auf die Website ourworldindata.org lohnt sich für die Erkenntnis: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lösen tatsächlich echte Probleme der Menschheit, sie schaffen sie nicht nur.

Tatsächlich tragen die Medien viel zur gesellschaftlichen Grundstimmung bei. Der diesjährige „Digital News Report“ stellte dem Journalismus in dieser Hinsicht ein schlechtes Zeugnis aus. Nur 16 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Medien „den richtigen Ton“ treffen, weniger als ein Drittel fand die Themen relevant, über die berichtet wurde. Gerade mal jeder Zweite bescheinigte der Presse, die Nachrichten des Tages ausreichend zu erklären.

Allein bei der Vermittlung purer Informationen schnitten die Medien gut ab. Da geht also noch was. Vor allem gilt es, Formate zu entwickeln, die mehr Bürger*innen erreichen. Daran appelliert auch Natali Helberger. Sie sorge sich „um die digital Verletzlichen“ – jene Nutzer*innen, die wegen ihres Medienkonsums, ihrer Bildung, ihres sozialen Status und des Mangels an politischem Interesse von vielfältiger Information ausgeschlossen werden.

Die Medien haben schon immer Filterblasen produziert, und sie werden es auch weiter tun. In Wahrheit ist es heute bloß viel leichter, ihnen zu entkommen.

Dieser Text erschien in ada und Handelsblatt.com am 23. November 2019

Warum Journalismus mehr Haltung und weniger Meinung braucht

„Haltung“ – im Zusam­men­hang mit Jour­na­lis­mus ist dieses Wort in Miss­kre­dit geraten. Heute wird es häufig mit „Mei­nungs­ma­che“ gleich­ge­setzt. Eine Verteidigung dieses zwi­schen „Meinung“ und „Neu­tra­li­tät“ ein­ge­zwäng­ten Begriffs.

Zunächst klang es nach einer Geschichte, die Hoff­nung machte: Die bis dahin weit­ge­hend unbe­kann­ten Soft­ware-Mil­lio­näre Silke und Holger Fried­rich kauften der Kölner Dumont Medi­en­gruppe den tra­di­ti­ons­rei­chen Ber­li­ner Verlag ab, der die Ber­li­ner Zeitung und den Ber­li­ner Kurier her­aus­gibt. Und anders als Finanz­in­ves­to­ren, die so etwas vor allem tun, um die Objekte ihrer Begierde finan­zi­ell aus­zu­pres­sen und dann ihrem Schick­sal zu über­las­sen, schien bei dem Unter­neh­mer­paar gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment dahin­ter zu stecken. Schlum­merte hier womög­lich eine Art Washing­ton Post-Story? Die ame­ri­ka­ni­sche Zeitung war 2013 von Amazon-Gründer Jeff Bezos über­nom­men worden, und hat sich seitdem zu einem Vor­zei­ge­be­trieb ent­wi­ckelt. Ein tech­no­lo­gi­sches Power-Haus, das dennoch keinen Zweifel an seiner jour­na­lis­ti­schen Kraft und Unab­hän­gig­keit lässt.

Pres­se­ko­dex als Grund­ge­rüst

Im Fall Berlin frei­lich währte die Begeis­te­rung kurz. Mitte Novem­ber kam heraus, dass Holger Fried­rich in den Acht­zi­ger­jah­ren als IM für die Staats­si­cher­heit der DDR tätig war. Für die Redak­tion der Ber­li­ner Zeitung mit ihrem großen Stamm­pu­bli­kum im Osten der Stadt heißt es seitdem: Haltung zeigen. Die Chef­re­dak­teure Jochen Arntz, Elmar Jehn und Margit J. Mayer ver­spra­chen ihren Lese­rin­nen und Lesern, man werde sich „sach­lich und ange­mes­sen“ mit der Situa­tion aus­ein­an­der­set­zen: „Wir stehen für unab­hän­gi­gen Jour­na­lis­mus und werden wie bereits in der Ver­gan­gen­heit unseren Beitrag zur Auf­ar­bei­tung der DDR-Geschichte leisten.”

Haltung – im Zusam­men­hang mit Jour­na­lis­mus ist dieses Wort in jüngs­ter Zeit in Miss­kre­dit geraten. Der schöne deut­sche Begriff, für den es übri­gens im Eng­li­schen keine Ent­spre­chung gibt, stand mal für Rück­grat. Heute wird er häufig mit „Mei­nungs­ma­che“ gleich­ge­setzt. Er beschreibt eine Bericht­erstat­tung, die in ähn­li­cher Atem­lo­sig­keit den Daumen über die Welt­lage hebt oder senkt, wie es die Nutzer beim Sichten der nim­mer­mü­den Nach­rich­ten-Fließ­bän­der in den sozia­len Netz­wer­ken tun. Dabei ist Jour­na­lis­mus ohne Haltung nicht denkbar. Viel mehr: Jour­na­lis­mus braucht Haltung. Er muss Unab­hän­gig­keit vom Staat und anderen mäch­ti­gen Inter­es­sen bewei­sen. Nur so kann er den Bürgern, der Demo­kra­tie und den Grund­wer­ten dienen, die ihr Fun­da­ment sind. Tut er das nicht, hat er das Prä­di­kat „Jour­na­lis­mus“ nicht ver­dient. Er ist dann Pro­pa­ganda oder PR.

Nun ist das ein hehres Ideal. Im Tages­ge­schäft stehen die Grund­werte oft in Kon­kur­renz mit jour­na­lis­ti­schen Begehr­lich­kei­ten und tat­säch­lich auch dem Arbeits­auf­trag von Repor­te­rin­nen und Repor­tern. Die Würde von Men­schen zum Bei­spiel wird schon mal ange­tas­tet, selbst wenn es nicht um ein grö­ße­res gesell­schaft­li­ches Inter­esse, sondern nur um eine gute Story geht. Ständig gilt es abzu­wä­gen, was wich­ti­ger ist: der Per­sön­lich­keits­schutz oder das Inter­esse der All­ge­mein­heit. Aber wie überall, wo die Frei­heit des einen gegen die des anderen ver­han­delt wird, gibt es für diese Fälle Regeln, nach denen sich Jour­na­lis­ten zu ver­hal­ten haben. In Deutsch­land schreibt sie der Pres­se­ko­dex in seinen 16 Grund­sät­zen fest. Wer sich seiner Haltung nicht sicher ist: Diese Liste taugt schon mal recht gut als Gerüst.

Ver­pflich­tung zur Neu­tra­li­tät

Weniger komplex ist der berühmte, erschöp­fend zitierte Satz des ehe­ma­li­gen Tages­the­men-Mode­ra­tors Hanns Joachim Fried­richs, ein Jour­na­list solle sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Der 1995 ver­stor­bene Jour­na­list hatte diese Aussage nicht so all­ge­mein gemeint, wie sie später ver­kauft wurde. Denn natür­lich müssen Jour­na­lis­ten immer wieder Partei ergrei­fen: min­des­tens für die Wahr­heit, oder zumin­dest für deren beste ver­füg­bare Version, wie es der Water­gate-Repor­ter Carl Bern­stein einmal for­mu­lierte. Außer­dem sollen sie Anwälte der Bürger sein, die legi­time Anlie­gen und Bedürf­nisse haben, sich damit aber nicht aus­rei­chend bemerk­bar machen können. Aber es gehört auch zur jour­na­lis­ti­schen Haltung, sich in der Politik nicht auf eine Seite zu werfen, bevor man die Fakten aus­rei­chend geprüft und dar­ge­stellt hat. Jour­na­lis­mus als öffent­li­ches Gut ist auch eine Dienst­leis­tung, damit sich mündige Bürger ihre Meinung selbst bilden können.

Beson­ders die öffent­lich-recht­li­chen Sender ver­pflich­ten sich in unter­schied­li­chem Grad zur Neu­tra­li­tät – immer­hin haben sie den Auftrag, für alle da zu sein. Schwe­dens Radio­sen­der Sve­ri­ges Radio ist beson­ders strikt. Chef­re­dak­teur Olle Zach­ri­son schil­dert in einer Studie, die sich unter anderem mit der Moti­va­tion von Berufs­an­fän­gern beschäf­tigt: „Wie erleben es oft, dass junge Leute Jour­na­lis­ten werden, weil sie die Welt ver­än­dern wollen. (…) Wir sagen ihnen dann, das ist viel­leicht eine gute Moti­va­tion. Aber nun musst du deine vor­ge­fer­tig­ten Mei­nun­gen zur Seite legen, denn nun bist du ein unvor­ein­ge­nom­me­ner Jour­na­list.“ Auch die bri­ti­sche BBC achtet streng auf das Gebot der Neu­tra­li­tät, dessen Inter­pre­ta­tion manch einer nicht mehr zeit­ge­mäß findet. Als die schwarze Star-Mode­ra­to­rin Naga Mun­chetty kürz­lich abge­mahnt wurde, weil sie eine ras­sis­ti­sche Äuße­rung von Donald Trump ent­spre­chend kom­men­tiert hatte, spran­gen ihr so viele Kol­le­gen zur Seite, dass Inten­dant Tony Hall den Verweis zurück­nahm.

Haltung kann nicht starr sein, denn Werte ändern sich, wenn sich neue Fakten offen­ba­ren. Die Bewah­rung der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen ist ein solcher Wert, der sich in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten von einem Mei­nungs­thema, bei dem man Exper­ten gegen­ein­an­der antre­ten lies, zu einem Hal­tungs­thema ent­wi­ckelt hat. Je besser sich der Kli­ma­wan­del belegen ließ, umso legi­ti­mer wurde es, Anders­den­ken­den keinen Platz mehr ein­zu­räu­men. Der bri­ti­sche Guar­dian hat sich sogar ver­pflich­tet, der „Kli­ma­krise“ sowohl in der Bericht­erstat­tung als auch in der Orga­ni­sa­tion „die Auf­merk­sam­keit zu widmen, der sie bedarf“.

Haltung muss übri­gens jede Jour­na­lis­tin, jeder Jour­na­list per­sön­lich ent­wi­ckeln. Wer sich hinter seiner Redak­tion ver­steckt mit dem Argu­ment, dieses und jenes sei nun einmal Praxis des Hauses, handelt viel­leicht nach­voll­zieh­bar. Haltung zeigen aber heißt, für Werte gera­de­zu­ste­hen – im Zweifel auch gegen den Chef­re­dak­teur.

Diese Kolumne erschien am 26. November 2019 bei Zentrum Liberale Moderne

Keine Angst vor Trollen: Fünf Gründe, warum das Internet noch zu retten ist

Manchmal sieht es so aus, als sei das Internet vom Werkzeug der Unterdrückten zum Instrument der Unterdrücker geworden. Aber es gibt Fakten, die Hoffnung machen. Trotz Trump, Fake-News und Troll-Fabriken bleibt das Internet ein Zukunftsversprechen. 

Für Inter­net-Opti­mis­ten hält ein neuer Report aus Oxford ver­stö­ren­den Lese­stoff parat: Schon mehr als ein Drittel aller Staats­re­gie­run­gen nutzt das Netz dazu, die eigene Bevöl­ke­rung mit Hilfe sozia­ler Netz­werke zu mani­pu­lie­ren, wie Saman­tha Brad­shaw und Philip Howard vom Oxford Inter­net Insti­tute in ihrer Studie „The Global Dis­in­for­ma­tion Order“ her­aus­ge­fun­den haben. Eine wach­sende Anzahl ver­breite online zudem nicht nur Pro­pa­ganda, sondern schüch­tere Kri­ti­ker ein, bringe Oppo­si­tio­nelle zum Schwei­gen und ver­letze gar Men­schen­rechte. Und die Freude an der digi­ta­len Kon­trolle nehme zu: Iden­ti­fi­zierte die Studie 2017 noch 28 solche Länder, waren es ein Jahr später schon 48, in diesem Jahr nun 70. Einige Staaten misch­ten sich zudem mit geziel­ten Kam­pa­gnen in Ange­le­gen­hei­ten anderer Länder ein, nament­lich China, Russ­land, Iran, Saudi Arabien, Vene­zuela, Paki­stan und Indien – immer­hin die größte Demo­kra­tie der Welt. Bevor­zugt griffen die Täter über Face­book an, so die For­scher. Man kann diese Infor­ma­tion Ope­ra­ti­ons – so das Fach­wort – auch Kriegs­füh­rung mit vir­tu­el­len Waffen nennen.

Lassen sich die Errun­gen­schaf­ten des demo­kra­ti­schen Zeit­al­ters bewah­ren?

Nun gibt es ja schon im Kleinen aus­rei­chend Pöbe­leien, Hass­rede und Lügen im Netz – neu­er­dings sogar mit rich­ter­li­cher Bil­li­gung. Die Grünen-Poli­ti­ke­rin Renate Künast musste sich im Sep­tem­ber vom Ber­li­ner Land­ge­richt erklä­ren lassen, dass sie es hin­zu­neh­men habe, „Schlampe“, „Drecks Fotze“ oder „Geis­tes­kranke“ genannt zu werden. Hinzu kommt gezielte Falsch­in­for­ma­tion, gemein­hin unter dem Begriff Fake News zusam­men­ge­fasst. Wenn all das auch noch staat­lich gelenkt und geför­dert mit immer bes­se­ren tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten geschieht, fällt Zuver­sicht schwer. Ist das Netz vom Werk­zeug der Unter­drück­ten zum Instru­ment der Unter­drü­cker gewor­den? Gepflegte Debatte, zuver­läs­sige Infor­ma­tion, Wahl­ent­schei­dun­gen ohne Mei­nungs­ma­ni­pu­la­tion – es scheint gar nicht so sicher zu sein, dass sich die Errun­gen­schaf­ten des demo­kra­ti­schen Zeit­al­ters bewah­ren lassen.

 

Und doch muss nun nicht jeder den Habeck machen und sich bei Face­book und Twitter abmel­den wie der Grünen-Chef, oder gar ein Ere­mi­ten-Leben planen wie der Inter­net-Aus­stei­ger in Dave Eggers‘ Inter­net-Dys­to­pie „The Circle“. Es gibt durch­aus einige Fakten, die Hoff­nung machen können:

Fake-News sel­te­ner als man denkt

Erstens, die Angst vor fal­scher Infor­ma­tion ist weitaus größer als die tat­säch­li­che Ver­brei­tung von Lügen und ver­dreh­ten Fakten. Das gilt zumin­dest für die hiesige poli­ti­sche Welt. Dies belegen Studien, unter anderem der Digital News Report des Reuters Insti­tute for the Study of Jour­na­lism. Zwar macht sich ein großer Teil des Publi­kums wegen des Themas Sorgen. Iro­ni­scher­weise tragen die Medien-Berichte über Troll-Fabri­ken und Infor­ma­ti­ons­ma­ni­pu­la­tion nicht unwe­sent­lich dazu bei. Aber nur ein kleiner Teil der Online-Nutzer bekommt tat­säch­lich erfun­dene Inhalte zu Gesicht, und ein noch klei­ne­rer ver­brei­tet sie weiter.

Junge Nutzer denken kri­tisch

Zwei­tens, die junge Genera­tion geht ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter mit dem Netz um als die ältere. Auch das belegen Studien. Während viele in der ana­lo­gen Welt sozia­li­sierte Online-Nutzer krude Dinge nicht hin­ter­fra­gen, weil diese schwarz auf weiß daher­kom­men, navi­gie­ren die Jungen mit gesun­der Skepsis durchs Netz. Die Pro­gramme zur Medi­en­bil­dung an den Schulen schei­nen zu wirken – dumm nur, dass es zu wenig sys­te­ma­ti­sche Auf­klä­rung für ältere Genera­tio­nen gibt.

Bürger sind lernfähig

Drit­tens, es emp­fiehlt sich, die Bürger nicht zu unter­schät­zen. Das Publi­kum ist lern­fä­hig. Viele online Nutzer haben sich bereits von Face­book abge­wandt, weil ihnen Kako­pho­nie, Unglaub­wür­dig­keit und Ver­wick­lung in Skan­dale wie Cam­bridge Ana­ly­tica zu viel gewor­den sind. Das gilt sowohl für Jugend­li­che im glo­ba­len Norden als auch für viele Nutzer in Ländern Afrikas und Süd­ost­asi­ens, bei denen Face­book als „Fake News Kanal“ gilt. Das heißt natür­lich nicht, dass der Face­book-Konzern an Macht ver­liert. Immer­hin gehören auch Insta­gram und Whats­app zum Impe­rium von Mark Zucker­berg.

Print-Zei­tun­gen machen Twitter groß

Vier­tens, Donald Trump regiert nicht über Twitter. Ent­ge­gen all­ge­mei­ner Annah­men infor­mie­ren sich die Anhän­ger von Popu­lis­ten deut­lich stärker über das Fern­se­hen als über soziale Medien, auch das belegt der Digital News Report. Im Netz hin­ge­gen suchen eher die­je­ni­gen nach Aus­kunft, die sich dif­fe­ren­zier­ter mit der Welt aus­ein­an­der­set­zen. Dennoch besitzt Twitter Durch­schlags­kraft. Vor allem, weil tra­di­tio­nelle Medien oder Sender wie Fox News die Reich­weite dras­ti­scher Tweets und Posts massiv erhöhen. Jour­na­lis­ten können also sehr viel für eine kon­struk­tive Debatte tun, wenn sie die Empö­rungs-Maschi­ne­rie nicht anhei­zen.

Ein bes­se­res Inter­net ist möglich

Fünf­tens, die digi­tale Welt ist nicht wie das Wetter, das man hin­neh­men muss. Sie lässt sich gestal­ten. Zum Glück wird dieser Tage in vielen natio­na­len und inter­na­tio­na­len Gremien bis hin zur UNESCO darüber debat­tiert, wie man mit den Ver­stär­ker-Effek­ten des Inter­nets umgehen soll. Dass die Algo­rith­men der Platt­for­men von mäch­ti­gen kom­mer­zi­el­len und staat­li­chen Inter­es­sen getrie­ben werden, macht es nicht leich­ter. Aber die Zusam­men­hänge sind vielen Akteu­ren klarer als vor zehn Jahren, und unter Demo­kra­ten ist der Wunsch groß, das Netz zu nutzen, um Mit­spra­che und Teil­habe zu ver­bes­sern. Die EU ist eine Bastion gewor­den, wenn es darum geht, die Bürger der Mit­glied­staa­ten gegen den Miss­brauch ihrer digi­ta­len Spuren zu ver­tei­di­gen. Und selbst Face­book inves­tiert in die unab­hän­gige Erfor­schung ethi­scher Fragen von künst­li­cher Intel­li­genz, auch wenn manch einer das kri­tisch sehen mag. Der Konzern aus dem Silicon Valley steckt 6,5 Mil­lio­nen Euro in ein ent­spre­chen­des Insti­tut an der TU München.

Natür­lich bleibt die Lage ernst. Vor allem dort, wo Popu­lis­ten sich des Netzes bedie­nen, brau­chen Kon­troll­in­stan­zen wie Gerichte und unab­hän­gige Medien Stär­kung, die Opfer von Atta­cken Schutz. Das ist dort ungleich schwie­ri­ger, wo Popu­lis­ten regie­ren. Aber eine starke Demo­kra­tie ist immer noch die beste Ver­si­che­rung gegen Miss­brauch im Netz. Und man sollte sich nicht beirren lassen: Die Anstän­di­gen, die fried­lich mit ihren Nach­barn zusam­men­le­ben wollen, sind bei genaue­rem Hin­se­hen meist in der Mehr­heit. Auch wenn sie von den Krach­ma­chern über­tönt werden.

Diese Kolumne erschien bei Zentrum Liberale Moderne am 29. Oktober 2019