Der Journalismus und seine Gegner: Mehr Optimismus wagen

Bei der Lektüre des jährlichen World Press Freedom Index der Organisation Reporter Ohne Grenzen (RSF) musste man sich schon immer auf die Portion Optimismus besinnen, die man braucht, um für eine bessere Medienzukunft zu streiten. In diesem Jahr fällt das noch schwerer als sonst. Für die Forscher von RSF entscheidet sich in diesem Jahrzehnt das Schicksal des Journalismus, und als würde das Corona-Virus nicht nur innere Organe sondern auch die der öffentlichen Meinungsbildung befallen, titeln sie: „Entering a decisive decade for Journalism, exacerbated by coronavirus“. Man kann sagen, dass die Pandemie auf einen vorgeschädigten Patienten trifft.

Große Überraschungen birgt das im April 2020 veröffentlichte Dokument der Verfolgung, Unterdrückung und Missachtung journalistischer Arbeit überall auf der Welt nicht. Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden besetzen die Spitzenplätze in Sachen Pressefreiheit, während sich die üblichen Verdächtigen auf den hinteren Rängen anstellen. Regierungswechsel nach demokratischen Wahlen sind von jeher das einzige erprobte Mittel für einen nennenswerten Aufstieg im Ranking – was in diesem Jahr zum Beispiel Malaysia, den Malediven und dem Sudan gelang.

Das Fazit der Organisation ist allerdings drastisch. Der Analyse zufolge sind eine Vielzahl der gegenwärtigen Entwicklungen dazu geeignet, den Journalismus oder wenigstens Teile davon lebendig zu begraben. So identifizieren die RSF-Experten gleich vier Krisen: eine geopolitische, eine technologische, einer demokratische, eine ökonomische und eine Vertrauenskrise.

In der Tat benutzen viele Regierungen von Ungarn bis Irak das Virus dazu, die Pressefreiheit einzuschränken und die Bedingungen zu verschärfen, unter denen Journalisten arbeiten. Und der Einbruch der Weltwirtschaft und damit des Anzeigengeschäfts führt dazu, dass sich in diesem Fall nicht einmal die Klassenbesten sicher fühlen können.

Woher also in diesem Jahr den Optimismus nehmen? Tatsächlich gibt es ein paar Lichtblicke, aus denen Perspektiven werden könnten. Zunächst einmal: Das Vertrauen in vertraute Medienmarken wächst. Öffentlich-rechtliche Sender und Qualitätsmedien verzeichnen Zugriffe wie lange nicht – wenngleich sich abzeichnet, dass das Interesse mit der Dauer des Ausnahmezustands nachlässt. Viele Leser und Leserinnen schließen Digital-Abos ab, selbst wenn die Corona-Berichterstattung frei zugänglich gemacht wurde. Die Zahlungsbereitschaft für Journalismus steigt (auf niedrigem Niveau) auch in Ländern, wo man das nicht für möglich gehalten hätte. Viele Bürger begreifen, dass ihnen Journalismus etwas wert sein muss.

Auch diejenigen mit tieferen und ganz tiefen Taschen haben das erkannt. Namhafte Stiftungen sowie die von den Verlegern überlicherweise in einer Art Hassliebe geschmähten Tech-Konzerne Google und Facebook bekennen sich mit Not- und Projekthilfe in Millionenhöhe zum Qualitätsjournalismus. Das Reuters Institute an der Universität Oxford hat als Chair der Indpendent News Emergency Relief Coordination die Aufgabe übernommen, Förderer zu beraten, wo ihre Hilfe am meisten ausrichtet. Stiftungen wie Luminate und die McArthur Foundation und Organisationen wie Wan-Ifra sind beteiligt.     

Jetzt also gilt es: Nun können Journalisten zeigen, was sie draufhaben. Eine publikumsorientierte Redaktion – Stichwort: Audience first – beschäftigt sich mit den verschiedenen Interessenlagen, die sich in dieser Krise ausgebildet haben. Eltern mit kleinen und schulpflichtigen Kindern zum Beispiel, Geschäftsleute und Kleingewerbetreibende, diejenigen, die sich zu Hause langweilen und Inspiration suchen, diejenigen, die sich einsam fühlen und vielleicht von vergangenen Zeiten träumen möchten, diejenigen, die kranke oder pflegebedürftige Angehörige haben und sich insgesamt für Gesundheitsthemen interessieren oder diejenigen, für die es eine Herausforderung ist, täglich Mahlzeiten auf den Tisch zu bringen. Jetzt gilt es, all diese Gruppen zu identifizieren und bestmöglich zu bedienen – zur Not mit Lesestoff aus dem Archiv, wenn die Redaktionskapazität wegen Kurzarbeit zusammengeschrumpft ist.  

Die nächste Lektion: Die virtuelle Redaktion ist möglich. Sie sei sogar eine Überlebensstrategie für diejenigen Medienunternehmen, die sich das traditionelle Pressehaus mit seinen Desktop-gespickten Großraumbüros nicht mehr leisten können, schreibt der Journalist und Gründer Tom Trewinnard für das Nieman Lab. Tatsächlich könnte die nun in Tausenden Home Offices geprobte Dezentralisierung Journalisten ermöglichen, wieder viel näher an ihr Publikum heranzurücken.

Neben dem Wissenschaftsjournalismus hat der Lokaljournalismus gerade in der Krise eine herausragende Bedeutung bekommen. Die Vertrauenslücke zwischen Journalisten und ihren Lesern/Hörern/Zuschauern entstand schließlich oft auch, weil die Lebenswelten der Redakteure in den Metropolen sich stark von denen weiter Teile ihres Publikums unterschieden haben, das Unverständnis dafür, was Menschen auf dem Land bewegt, hat schon zu so mancher Überraschung am Wahltag geführt. Wahr ist aber auch, dass in zentralisierten Redaktionen viel Energie in Macht- und Profilierungskämpfe statt in den Journalismus und neue strategische Ideen fließt. Wenn es Medienmarken schaffen, solche virtuellen Verbünde aufzubauen, könnten beide Seiten profitieren: der Journalismus und sein Publikum.

Und eine weitere Tatsache könnte Anstoß für einen Wandel sein: Regierungen nutzen die Krise zunehmend als Vorwand, Journalisten den Zugang zu offiziellen Informationen zu erschweren. Das muss man beklagen. Aber man kann auch darüber nachdenken, ob die Wiedergabe offizieller Verlautbarungen nicht schon längst den Dingen gehört, die man getrost den Verlautbarungsabteilungen überlassen kann. In den USA führen die Journalismus-Professoren Jay Rosen und Jeff Jarvis seit einiger Zeit eine Debatte darüber, wie viel Bühne man einem Präsidenten wie Donald Trump geben darf, dem es nie auf Argumente sondern lediglich darauf ankommt, bei seinen Unterstützern zu punkten. Weniger Nähe zu Funktionären, mehr zu den Bürgern und den Fakten – das bekommt dem Journalismus gut. Dort, wo sich Journalisten mit ihrem Publikum verbünden, haben sie die besten Chancen, die Krise zu überstehen. Den Medienhäusern in ihrer bisherigen Form wird das nicht in jedem Fall gelingen.

Dieser Text entstand für den Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School im April 2020.