Das Grundeinkommen ist nur ein Märchen

Ob links oder rechts, ob Top-Manager oder auf Hartz IV: Alle lieben das Grundeinkommen. Dabei wird es die Ungleichheit weiter zementieren.

Wäre die Digitalisierung ein Märchen, würde es höchstwahrscheinlich mit diesem oder einem ähnlichen Satz schließen: „Dann erhielten alle Menschen ein Grundeinkommen, und gemeinsam mit den Robotern lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.“ Dabei wäre die Autorenschaft fast egal, denn die Debatte über die staatliche Einkommens-Flatrate gehört mittlerweile zu Diskussionen über die Zukunft der Arbeit wie Butter auf den Frühstückstisch.

Ob politisch links oder rechts, ob im Silicon Valley oder in Berlin, bei Top-Managern wie Siemens-Chef Joe Kaeser, Unternehmern wie dm-Gründer Götz Werner, Professoren wie dem ehemaligen US-Arbeitsminister Robert Reich oder Hartz-IV-Aktivisten: überall und allen gilt das Konzept des bedingungslosen Geldgeschenks als denkbares, wenn nicht gar einzig denkbares Mittel, um Bismarcks Sozialstaat fit für die digitalisierte Zukunft zu machen.

Wer daran zweifelt, riskiert einen Shitstorm. Und genau das sollte stutzig machen. Denn Politik, die niemandem wehtut, gibt es – wenn überhaupt – nur im Märchen. Und noch mehr ist bedenklich: Was auf den ersten Blick nach einem Weg in eine gerechtere Gesellschaft aussieht, könnte im Gegenteil enden: in einer Gesellschaft des Oben und Unten, die geteilt ist wie in vergangenen Jahrhunderten, als es zwischen Adel und Besitzlosen nicht allzu viele Abstufungen gab und Aufstieg ein Ding der Unmöglichkeit war.

Aber warum klingt das Konzept für so unterschiedliche Gruppen so attraktiv? Ist es der Traum vom Leben ohne tägliche Fron, Angst vor sozialen Unruhen, schlechtes Gewissen? Die Befürworter verfolgen ganz verschiedene Interessen.

Ein Wust an Bürokratie würde einfach wegfallen

Leicht ersichtlich ist, warum es sich diejenigen herbeisehnen, die heute schon Hartz IV oder ähnliche Formen der Sozialhilfe beziehen oder auf andere Weise mit menschenunwürdigen Ausprägungen dieses Systems zu tun haben. Denn während man heute für den Anspruch auf staatliche Hilfe die Bedürftigkeit nachweisen muss, entfiele dieser Schritt und damit viel Bürokratie. Niemand müsste sich mehr als Bittsteller fühlen, seine Lebensumstände vor Wildfremden offenbaren. Das pauschale Einkommen gäbe es unabhängig von Leistung und Lebenssituation, bedingungslos.

Niemand müsste mehr schlecht entlohnte Drecksarbeit annehmen, um seine Familie durchzubringen. Firmen, die Arbeitskräfte brauchen, müssten sich das etwas kosten lassen. Paradiesisch mögen das diejenigen finden, die schon jetzt stumpfsinnige oder gesundheitsgefährdende Jobs haben, erfüllenden aber miserabel entlohnten Tätigkeiten nachgehen oder ohne Bezahlung arbeiten, weil sie Kinder großziehen, Angehörige pflegen oder sich ehrenamtlich engagieren.

Dieses Paradies könnte allerdings eine Falle sein. Denn ein Einkommen zementiert die soziale Schichtung. Ein Anreiz entfällt, sich aus eigener Kraft von den Fesseln der Staatsstütze zu befreien, etwas zu wagen, zu gründen, sich zu bilden, seinen Kindern eine bessere Zukunft zu erkämpfen. Warum dafür ins Zeug legen, wenn es sich doch auch so bescheiden leben lässt?

Mehr als eine Minimalversorgung ist das Grundeinkommen nicht

Im rechts-libertären politischen Spektrum spielt das Konzept vor allem denjenigen in die Hände, die den Wohlfahrtsstaat schon immer loswerden wollten. Würde man allen Bürgern einen Pauschalbetrag zahlen, ohne den Einzelfall zu prüfen, könnte man die zur Sozialhilfe gehörende Verteilungs-Bürokratie abschaffen, so die Begründung. Der Staat und dessen Gestaltungsmacht würde auf ein Minimum schrumpfen. Allerdings ist der dann auch im Notfall weg. Wird jemand zum Beispiel schwer krank, hat er Pech gehabt. Ein Grundeinkommen sichert die Minimalversorgung, bei größeren Lebenskatastrophen fehlt das schützende Netz.

Für Manager und Unternehmer wiederum wäre das Grundeinkommen eine willkommene Hilfe dabei, sich der Verantwortung für ihre Mitarbeiter zu entledigen, und das in einer Zeit, in der sie mehr Aufgaben übernehmen sollten. In der alten Welt funktionierte die Arbeitsteilung so: Der Staat finanziert Schulen und Universitäten und liefert leidlich ausgebildete Erwachsene bei den Unternehmen ab. In der neuen Arbeitswelt, in der technologischer Wandel Alltag und schnelle Anpassung nötig ist, haben die Betriebe aber eine wichtigere Rolle. Sie müssen ihre Mitarbeiter ständig weiterbilden, das lebenslange Lernen findet im Betrieb statt, nicht in Institutionen. Das ist aufwendig und teuer, und das Geld könnte man in Maschinen und künstliche Intelligenz stecken, die Menschen überflüssig machen.

Gäbe es ein Grundeinkommen, ließen sich solche Investitionen geräuschloser durchziehen. Tausende müssen entlassen werden? Kein Problem, sie fallen ja weich. Unter dem Strich könnte ein Staats-Lohn deshalb dazu führen, dass viel mehr Jobs viel schneller abgebaut werden. Aber hält man nicht ohnehin schon viel zu lange an überkommenen Wirtschaftsstrukturen fest, weil man nicht wagt, ausreichend Arbeitsplätze zu kappen? Diese Argumentation verkennt, dass Menschen, die innerhalb ihrer Betriebe gefördert werden, mehr lernen, größere Chancen haben und auf bessere Ideen kommen, als wenn man sie mit einer Lohn-Flatrate ihrer Aufgabe beraubt auf die Straße setzt.

Auch die Bosse aus dem Silicon Valley wollen das Grundeinkommen – aus Angst

Im Silicon Valley wiederum werden die Diskussionen um das Grundeinkommenaus mindestens zwei Gründen vorangetrieben. Natürlich will man dort, wo die Welt angeblich zu einem besseren Ort umgestaltet werden soll, nicht gerne für jene Massenarbeitslosigkeit verantwortlich sein, die etwa jede zweite Studie zur Digitalisierung prognostiziert. Schon jetzt erleben Milliardäre und Millionäre an der Westküste vor ihrer eigenen Haustür, wie bittere Armut aussehen kann. In Amerika gibt es schließlich noch nicht einmal so etwas wie Hartz IV, das nichts anderes ist als ein Grundeinkommen mit Bedingungen.

Die Protagonisten des Valley fürchten sich aber nicht nur vor sozialen Unruhen sondern auch davor, dass ihr Wirtschaftsmodell an der Realität zerschellt. Denn was nutzen die vielen Apps zum Shoppen, Reisen und Essengehen, deren Geschäftsmodell im Generieren von Daten für Werbekunden besteht, wenn sich die potenzielle Nutzer nichts mehr leisten können. Eine Gesellschaft, die auf dem Konsum aufbaut, braucht Konsumenten.

Ein Gewinn für alle – geht das überhaupt?

Für Politiker wiederum ist die Debatte über ein Grundeinkommen attraktiv, solange sie nicht an der konkreten Finanzierung feilen müssen. Diese Gefahr besteht noch lange nicht. Derzeit noch sieht das Konzept nach einem Gewinn für alle aus. Doch irgendwann muss jemand dafür zahlen. Der politische Schaden entsteht dann bei denjenigen, die am stärksten bluten müssen. Je komfortabler man seine Bürger ausstatten möchte, desto teurer wird’s, und die Vorstellungen darüber, was als angemessener Betrag gilt variieren deutlich. In der Schweiz hatten die Bürger im Juni über ein monatliches Entgelt von 2500 Schweizer Franken abgestimmt (und es abgelehnt), in Finnland wird in einem Experiment ein Pauschalbetrag von 560 Euro getestet.

Doch das sind Rechenspiele. Viel wichtiger ist es, grundsätzlich über Arbeit zu reden. Denn für die meisten Menschen ist der Job mehr als der Garant des monatlichen Auskommens. Arbeit bietet Struktur im Alltag, das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles zu tun. Bei der Arbeit trifft man vertraute Menschen, tauscht Ideen aus, schafft sich ein Netzwerk. Gesund zu sein und einen guten Job zu haben seien die wichtigsten Faktoren für Lebenszufriedenheit, hat die OECD für ihren Better Life Index ermittelt. So schnell wird sich das nicht ändern, auch wenn die Digitalisierung vieles auf den Kopf stellen mag.

Im Kern des Sozialstaats liegt auch der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe. Der Staat soll ein Mindestmaß an Schutz und Absicherung für Notfälle oder das Alter bieten und für Bildung und Infrastruktur sorgen. Bürgerliches Selbstbewusstsein entsteht aus der Möglichkeit, den Aufstieg aus eigener Kraft zu schaffen.

Der Mensch will gebraucht werden

Die wenigen Experimente mit dem Grundeinkommen zeigen, dass viele Empfänger nicht aufhören zu arbeiten, sich aber häufiger eine Arbeit suchen, die sie zufriedener macht. Vor allem überheblich klang jener Wissenschaftler, der auf einer Tagung sagte, er selbst liebe ja seinen Job, aber die meisten Menschen arbeiteten nun mal nicht gerne. Niemand kann bemessen, was einem anderen dessen Arbeit bedeutet. Für viele, die darüber diskutieren, ist das Grundeinkommen letztlich das Ding für die anderen, für die da unten, über die man womöglich wenig weiß.

Insofern sollten sich all jene, die das Instrument als ausreichenden Ersatz für potenziell entfallende Arbeitsplätze betrachten, nichts vormachen: Menschen möchten nicht nur konsumieren, sie wünschen sich einen guten Arbeitsplatz und wollen gebraucht werden.

Es gibt viele spannende Themen in der Debatte zur Zukunft der Arbeit, viele Aufgaben, die zu lösen sind: Wie können Menschen und Maschinen sinnvoll zusammenarbeiten, mithilfe von künstlicher Intelligenz mehr leisten, im Job zufriedener werden? Wie lassen sich Familienaufgaben und Erwerbsarbeit über die gesamte Lebensspanne hinweg klug verbinden? Wie lässt sich in einer Welt der digitalen Vernetzung die persönliche Freiheit erhalten? Welcher Ethik sollten Roboter folgen? Und ja, wie sieht ein guter Sozialstaat aus?

Diese Themen erfordern Fantasie, das Märchen der Digitalisierung muss noch geschrieben werden. In der Debatte um das Grundeinkommen wirkt es manchmal so, als hätten gerade jene vor der Zukunft kapituliert, die sie gestalten könnten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung