Der Aufstieg der Journalismus-Influencer

Müsste man den Zustand des Journalismus auf Basis des Digital News Reports von 2024 in einen Satz fassen, könnte man sich an Rasmus Nielsen halten, den scheidende Direktor des Reuters Institutes: „Die Öffentlichkeit ist im Grunde zufrieden mit dem Journalismus“, hatte Nielsen beim Launch der weltweit größten fortlaufenden Untersuchung zum Medienkonsum gesagt. Von einer Krise könne nicht die Rede sein. Zwar hält der Report für jeden etwas bereits, der Alarmstimmung schüren möchte: Menschen vermeiden weiterhin oft oder manchmal Nachrichten (39 Prozent geben das an), fürchten Desinformation und vertrauen dem, was sie lesen, nicht unbedingt. Aber man hat es hier überwiegend mit „Glas-halb-leer“-Interpretationen zu tun. Tatsächlich finden Nutzer im Journalismus vieles, was ihren Bedürfnissen entspricht, ihr Vertrauen in Medienmarken ist recht stabil, und viele trauen sich zu, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten einordnen zu können.   

Die Prognose für diejenigen, die mit eben diesem Journalismus Geld verdienen müssen, fällt hingegen weniger günstig aus. Die Zahlungsbereitschaft für journalistische Produkte stagniert im weltweiten Durchschnitt bei etwa 17 Prozent (in Deutschland sind es 13); im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Wert kaum bewegt. Ein sinkender Anteil von Menschen steuert Medienmarken direkt über Websites oder Apps an, was mit der Aussicht auf die neue KI-Wirklichkeit besonders beunruhigend ist, wo Suchergebnisse von Sprachmodellen generierte Texte statt Links zutage fördern werden. Bei unter 35-Jährigen nehmen sogar nur noch 14 Prozent den direkten Weg, weitere vier Prozent konsumieren Nachrichten über Newsletter. Dafür konsumieren immer mehr Nutzende News-Videos über Tik Tok und YouTube, was Verlage bekanntlich nicht monetarisieren können. Der Trend, dass die ganz Großen das Geschäft für sich entscheiden, dürfte sich fortsetzen, und hinzu kommt eine weitere Entwicklung: Einzelne prominente Journalismus-Influencer ziehen zum Teil mehr Aufmerksamkeit auf sich, als dies Medienmarken schaffen.

Wer Letzteres als einen Sieg der Medien-Vielfalt feiert, freut sich womöglich zu früh. Analysiert wurden die Märkte USA, Großbritannien, und Frankreich, und bis auf eine Ausnahme haben alle diese vom Publikum genannten Einzelkämpfer eines gemeinsam: Es sind Männer. Während die Redaktionen von den Volontärs-Jahrgängen bis in die Chefetagen zunehmend weiblicher werden, zeichnet sich beim Nutzerverhalten ein Muster ab, das den Aufstieg der Populisten in der politischen Welt spiegelt: Etliche Menschen vertrauen der starken Stimme mehr als den vielen, denen vor allem die Marke ihrer Organisation Autorität verleiht.

Beobachter, zu denen auch die Experten auf dem Launch-Panel gehörten, erklären sich das damit, dass Authentizität ein zunehmend gefragter Wert ist. Dies gaben auch etliche für den Digital News Report befragte Nutzer zu Protokoll. Dass Video-Formate immer beliebter werden, erklärt sich zu einem Teil ebenfalls daraus. Die im März veröffentlichte qualitative FT Strategies Studie „Next Gen News“ hatte ergeben, dass gerade jüngere Menschen Journalismus-Influencern mehr vertrauen als traditionelle Medienmarken, die ihnen nicht mehr so viel sagen wie der Generation ihrer Eltern und Großeltern. Diese Persönlichkeits-Marken helfen ihnen beim Navigieren in einer zunehmend unübersichtlichen Informationswelt.

Wie „authentisch“ diese Meinungsmacher wirklich sind, und vor allem, wie sauber sie arbeiten, wenn sie sich keiner redaktionellen Kontrolle unterziehen müssen, erweist sich von Fall zu Fall. Medienhäuser begeben sich deshalb in einen Spagat. Sie sollen Stars rekrutieren oder aufbauen und pflegen, während sie alle anderen bei Laune halten müssen. Das ist nicht gänzlich neu, kann aber zu einer schwierigen Übung werden, wenn es um Teamgeist und die zunehmend wichtigeren Aufgaben geht, die vielen Mitarbeitenden kein Rampenlicht versprechen. 

Dass Journalismus im Leben vieler Menschen einen Platz hat, ist zunächst einmal eine beruhigende Erkenntnis aus diesem Report. Dass ihnen die Organisationen weniger bedeuten, die ihn mit viel Aufwand und unter großem Einsatz von Ressourcen produzieren, bereitet jedoch vielen in der Branche Sorgen. Und so gehen auch die Bewertungen dazu weit auseinander, was Künstliche Intelligenz für das Metier bedeuten könnte. Für den EBU News Report „Trusted Journalism in the Age of Generative AI” von 2024 haben wir mit Dutzenden Medien-Führungskräften gesprochen. Die meisten betonten die Möglichkeiten, die KI für die redaktionelle Arbeit eröffnet. Auf der Suche nach Geschäftsmodellen bleiben allerdings derzeit nur die ganz Großen einigermaßen locker. KI könnte gut für den Journalismus sein. Für die Branche ist sie es höchstwahrscheinlich nicht.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 25. Juni 2024. Um aktuelle Kolumnen zu lesen, braucht man ein Abo.