Das Angebot an Informationen und Meinungen ist zu einem Überangebot geworden. Der Preis für viele journalistische Produkte tendiert gegen Null. Deshalb müssen Zeitungshäuser und Medienkonzerne die Bedürfnisse ihres Publikums ergründen. Bezahlmodelle funktionieren im Lokaljournalismus besonders gut.
Wenn es um ihre eigenen Produkte geht, geben sich manche Journalisten erstaunlich wenig selbstbewusst. „Leider, leider steht dieser Text hinter einer Bezahlschranke“, kann man zuweilen in den sozialen Netzwerken lesen, wenn eine Autorin oder ein Autor ihr eigenes Werk anpreist. Beim Bäcker zum Beispiel käme so etwas niemandem in den Sinn. „Leider, leider muss ich für dieses Kürbiskern-Brötchen Geld verlangen“ – schon mal gehört? Okay, man kann das nicht direkt vergleichen. Denn ein Brötchen gibt es nicht so ohne weiteres geschenkt. Um hingegen Journalismus zu bekommen, der nichts kostet, reicht meist ein einziger Scroll oder Klick. In der Informations- und Aufklärungsbranche hat die Digitalisierung zu einem Marktversagen geführt.
Allerdings sind sich viele Reporter und Redakteure selbst nicht so sicher, ob sie für ihre Produkte etwas verlangen dürfen. Schließlich sei die Aufklärung der Bürger auch ein öffentliches Gut, von dem alle profitieren sollten, nicht nur diejenigen, die es sich leisten könnten, sagen sie. Journalismus, der nichts kostet, sei deshalb ein Dienst an der Demokratie. Man kann allerdings auch anders argumentieren: Die Demokratie braucht Medien, die ihre Rolle als Wächter, Welterklärer und Vermittler zwischen gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen ernst nehmen und mit Leidenschaft ausfüllen. Die Bereitschaft der Bürger, für Journalismus zu zahlen, ist ein Gradmesser dafür, ob ihnen das gut genug gelingt.
Friedrich Merz: Wir brauchen Journalisten nicht mehr
Die Situation ist verfahren, und das hat mehrere Gründe. Einerseits ist das Angebot an Informationen und Meinungen zu einem Überangebot geworden: Da Menschen mitteilungsbedürftig sind, wollen sie mit ihren Botschaften vor allem gehört werden. Dafür auch noch Geld zu verlangen, kommt nur denjenigen in den Sinn, die davon leben müssen oder eben jene Organisationen am Laufen halten, die sich der Aufklärung der Bürger verschrieben haben. Die anderen würden notfalls sogar draufzahlen, um gehört zu werden. „Wir brauchen die nicht mehr“, sagte der von Führungsambitionen getriebene CDU-Politiker Friedrich Merz kürzlich an die Adresse von Journalisten und sprach damit vor allem eine Wahrheit aus: Der immer noch beliebte Journalismus des Typs „der hat gesagt, die hat gesagt“ ist vom Aussterben bedroht. Auf dem Markt für Informationen tendiert der Preis für viele Arten von Inhalten gegen Null.
„Clickbaiting“ höhlt Vertrauen aus
Andererseits hat sich die Medienbranche die Kostenlos-Kultur auch selbst zuzuschreiben. Zu lange hatte sie in dem Irrglauben verharrt, das Erfolgsmodell „Werbung finanziert Inhalt“, oder zumindest einen großen Teil davon, ließe sich von der Welt der gedruckten Zeitung eins zu eins in die Online-Welt übertragen. Dass daraus ein Modell „Inhalte finanzieren Daten für Internet-Konzerne“ werden würde, hatten sie nicht geahnt.
Von der Strategie, Texte aus Druckerzeugnissen für jeden zugänglich online zu stellen, hat allerdings bislang niemand profitiert. Die Medienhäuser haben damit zwar ihre Reichweiten erhöht, vor allem betraf das aber verwechselbare Inhalte – das so genannte Clickbait –, die ihr Profil verwässert und Vertrauen ausgehöhlt haben. Einige Journalisten und Blogger konnten sich zwar persönlich als Marke etablieren und massenweise Follower um sich scharen, das allein sichert aber selten ihren Lebensunterhalt. Die Plattform-Konzerne haben auch wenig von der Kostenlos-Kultur der Medien, denn der Anteil journalistischer Inhalte an allem, was rund um die Uhr über das Netz verbreitet wird, liegt im unteren einstelligen Bereich. Und nicht einmal der Anspruch auf mehr Demokratie wurde eingelöst. Nach einer Studie des Reuters Institutes for the Study of Journalism am Beispiel Großbritannien ist der Nachrichtenkonsum in der digitalen Welt noch ungleicher verteilt als offline: Während gebildete Schichten sich online aus mehr Quellen informieren, bekommen sozial schlechter gestellte wegen des Überangebots an Unterhaltung und anderen Ablenkungen noch seltener mit Journalismus in Berührung als vorher.
Schreibtischjournalismus
Gewinner sind einzig die Bildungseliten, die mit der neuen Informationswelt gut umgehen können. Die könnten es sich leisten, für guten Journalismus Geld auszugeben, aber sie tun es selten, wenn sie es nicht müssen. Weltweit zahlen laut dem Digital News Report, der 38 Länder analysiert, nur etwa 14 Prozent aller online Nutzer für journalistische Angebote. In einigen skandinavischen Ländern, in denen es wenige kostenfreie Qualitätsangebote gibt, sind es immerhin bis zu 30 Prozent.
In vielen einst prosperierenden Zeitungshäusern rangieren die Strategien deshalb irgendwo zwischen Kürzen und Kahlschlag. Überall auf der Welt ächzen Medien gleichzeitig unter dem Versuch, kostenpflichtige Angebote aufzubauen. Das ist schwierig. Denn viele Redaktionen haben sich aus der Not heraus auf eine Art „Copy und Paste“-Journalismus eingeschossen, für den man den Schreibtisch nicht verlassen muss. Für solche Billig-Ware zahlen die Konsumenten nicht, doch für was dann? Vor lauter Ringen um Klicks und Reichweite haben viele Medienschaffende den Kontakt zu ihrem Publikum verloren.
Geschäftsmodell Lokaljournalismus
Klar ist: Konsumenten sind eher nicht geneigt, für einzelne Inhalte Geld auszugeben. Es gibt schlicht zu viele davon. Sie zahlen für ein Erlebnis, zum Beispiel für ein Ritual am Morgen oder ein Event am Abend. Sie zahlen für Service und Beratung. Und sie zahlen für das Qualitätsversprechen einer Marke, die es schafft, Vertrauen aufzubauen und zu pflegen. Menschen müssen sich vom Journalismus ernst genommen fühlen, wenn sie ihn unterstützen sollen. Redaktionen müssen sich deshalb auf ihren Kern zurückbesinnen: Sie müssen sich ihrem speziellen Publikum zuwenden, dessen Bedürfnisse ergründen und ihm dienen. Im Lokaljournalismus kann das besonders gut gelingen.
Nur wer sich unverzichtbar oder zum Teil einer liebgewordenen Routine macht, kann das in Rechnung stellen. Bürger brauchen Orientierung. Sie werden nicht für alles zahlen wollen, und wenige können es wirklich nicht. Auch für sie muss es Angebote geben, ob öffentlich-rechtlich oder stiftungsfinanziert. Aber noch geben viele Menschen für den Milchkaffee zum Mitnehmen mehr Geld aus als für den Journalismus, an dem sie mehr und länger Freude haben sollten. Es liegt in den Händen der Medienhäuser, das zu ändern. Journalismus, der so viel Spaß macht wie ein „Coffee to go“: Das muss zu schaffen sein.
Diese Kolumne erschien am 25. Februar 2020 bei Zentrum Liberale Moderne