Es wird viel bemängelt am öffentlich-rechtlichen Rundfunk: zu kritisch, zu unkritisch, zu links, zu behäbig, als Konzept überholt. Aber ohne Sender, die durch öffentliche Finanzierung den unmittelbaren Zwängen des Marktes enthoben sind, wäre die Demokratie in Gefahr.
Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Streifenhemd wirft und dort heute leidenschaftlich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk plädiert, muss die Lage ernst sein. Der Auftritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Europäischen Broadcasting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber angesichts dessen, dass die großen Sender weltweit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womöglich zu einer Revival-Tour überreden. Immerhin geht es um eine Säule der Demokratie.
Dieser Tage grassiert viel Verachtung für die staatlich finanzierten Sender. Nicht unter Teenagern, die strafen sie eher mit Nichtbeachtung. Die Attacken gegen den „Staatsfunk“ kommen vielmehr aus dem politischen Raum, vor allem von rechts. Politisch zu links, zu langweilig, zu irrelevant, zu teuer und aufgebläht, zu kritisch oder zu unkritisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Überinformation sei das Konzept eines gemeinsamen öffentlichen Informationsraums überholt.
Und die Debatte wird zunehmend schriller. Zum Jahreswechsel beschäftigte ein etwas unglücklich umgetextetes Lied, vorgetragen vom Kinderchor des WDR, den politisch-medialen Komplex einschließlich Intendanten für Wochen. Sogar die stolze BBC, weltweit Inbegriff erstklassiger und unbestechlicher Information, ist Angriffsziel. Im Wahlkampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Interview in einen Kühlraum flüchtete. An einer dem Klimaschutz gewidmeten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teilnehmen, die Redaktion ersetzte ihn durch einen schmelzenden Eisklotz. Der Premier ließ durchblicken, Bürger könnten künftig straffrei ausgehen, wenn sie ihre Rundfunkgebühr nicht zahlten.
Zur Untermalung kürzen allerorten Regierungen den öffentlichen Sendern die Etats, in Dänemark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Millionen Pfund einsparen, einer der Gründe, warum BBC-Intendant Tony Hall Richtung National Gallery entschwindet, deren Chairman er wird.
Nervenkitzel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rundfunk- und Fernsehanstalt SRG SSR ihre Daseinsberechtigung per Referendum bestätigen lassen musste. Im Land der Volksbefragungen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstimmenden lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Generationswechsel wird dazu führen, dass sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung nicht mehr daran erinnern kann, wozu man die öffentlich-rechtlichen Anstalten braucht. Und die wiederum geben dem jungen Publikum nicht unbedingt einen Grund dazu. Das Reuters Institute for the Study of Journalism betitelte eine Studie zu den großen Sendern acht europäischer Länder deshalb mit „Old, educated and politically diverse“, also alt gebildet und – immerhin – politisch vielfältig.
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind aber keineswegs verzichtbare Überbleibsel aus dem prädigitalen Zeitalter, sondern zentral für die Demokratie. Dafür gibt es mindestens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Vertrauens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publikum ihnen immer noch am ehesten zu, die Faktenlage zu überblicken und eine Vielfalt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegenteiligen Anwürfen zum Trotz. Dies ergeben Umfragen wie der Digital News Report, die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz oder Veröffentlichungen der EBU.
Zweitens, die Sender gehen in die Fläche. Öffentlich-rechtliche Anbieter sind auch dort präsent, wo sich kommerzieller Journalismus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischendasein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokalzeitungen der Begriff Nachrichtenwüste geprägt. In Europa sind solche von Journalismus unversorgten Gebiete deutlich seltener. Man könnte behaupten, dies verhindert eine ähnliche politische Polarisierung. Zumindest trägt es aber zu Bildung und Aufklärung bei.
Drittens bemühen sich öffentlich-rechtliche Medien wie niemand sonst um Vielfalt und Inklusion. Dies betrifft die Zusammensetzung der Belegschaften und die Inhalte. Die öffentlichen Sender müssen die Gesellschaft abbilden. Sie sind deshalb in der Regel deutlich weiter als privat finanzierte Häuser, was die Gleichstellung von Frauen oder die Beschäftigung von Minderheiten angeht. Dies wirkt sich auf den Facettenreichtum der Programme aus, die sich an alle sozialen Schichten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine verlässliche journalistische Grundversorgung in einer Zeit, in der kommerzielle Anbieter zunehmend auf Bezahlmodelle setzen.
Natürlich müssen sich die öffentlichen Medienhäuser wandeln, und das ist inmitten gewachsener bürokratischer Apparate eine Herausforderung. Aber die entsprechende Erkenntnis ist überall da – und dazu viele Journalisten, die dies mit Verve und Überzeugung vorantreiben.
Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Eurovision Song Contest der EBU gewonnen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Menschen verbindet: „Er ist unterhaltsam, breit, inklusiv“. Wer das so politisch sieht, mag dem Spektakel künftig womöglich etwas abgewinnen. Und den dahinterstehenden Bastionen des Journalismus noch dazu.
Kolumne erschienen bei Zentrum Liberale Moderne am 3. Februar 2020