Journalismus ist kein Geschäftsmodell

Eine der großen Schwierigkeiten der Medienbranche gründet darauf, dass sich Journalist:innen viel zu häufig in ihre Inhalte verlieben – und Liebe macht bekanntlich blind. Warum nur, fragen sie sich dann, erwidern die Leser, Hörerinnen oder Zuschauer diese Liebe nicht und verweigern die Zahlung für etwas, in das so viel Mühe geflossen ist? Immerhin geben selbst Menschen mit wenig Einkommen Geld für allerlei Dinge aus, die bei flüchtiger Betrachtung einen deutlich geringeren Wert versprechen als ein Digital-Abo. Während letzteres stundenlangen Lesegenuss verspricht, ist zum Beispiel der Kaffee zum Mitnehmen in fünf Minuten getrunken. 

Andere wiederum, darunter viele mit Gründungsambitionen, hängen ihr Herz so sehr an ihre Produkte, dass sie sich gar nicht erst trauen, dafür Geld zu nehmen. Sei es nicht nahezu unverschämt, der Welt etwas so Wichtiges vorzuenthalten wie Aufklärung, argumentieren sie dann? Auch Anzeigenerlöse sind ihnen oft nicht geheuer. Diese Kunden könnten schließlich – um Himmels Willen – kommerzielle Interessen verfolgen. Nach potenziellen Geldgebern gefragt, fallen solchen Entrepreneuren in spe allein Stiftungen ein. Willkommen im Spiel „Eine Branche sucht ein Geschäftsmodell“.

Verlagsleute, die den Zeiten der nahezu von selbst sprudelnden Einnahmen nachtrauern, spielen es seit Jahren einigermaßen lust- und fantasielos, während es die vom Selbstverständnis her Kreativen aus den Redaktionen immer noch als ein wenig unter ihrer Würde betrachten, Kunst und Kommerz zusammenzudenken. Ausnahmen gibt es natürlich. In der Branche arbeiten mittlerweile einige, die sich ernsthaft mit Produktentwicklung beschäftigen. Sie spüren potenziellen Bedürfnissen von Nutzern und Geldgebern nach – und haben sogar Spaß daran.

Schnell gelangen die meisten von ihnen zu der unbequemen Erkenntnis: Ein für (fast) alle gültiges Geschäftsmodell wie jenes, von dem weite Teile der Medienbranche lange profitiert haben, wird es so nicht mehr geben. Jedes journalistische Unternehmen muss sich Gedanken über seinen Platz im Medien-Universum machen und daraus ein Modell oder idealerweise eine ganze Reihe von ihnen ableiten. Bei großen Unternehmen können das schon mal zwischen fünf und zehn unterschiedliche Einnahmequellen sein, die sich an verschiedene Zielgruppen richten und unterschiedliche Zwecke erfüllen. Finanzierung durch Abos, Anzeigen, Veranstaltungen, Mitgliedschaften, Spenden, Patenschaften, Merchandise, B2B-Services, Beratungsdienste – es gibt einen Strauß an Möglichkeiten, aber nicht jede passt für jeden zu jeder Zeit.

Um herauszufinden, welche Modelle für das eigene Unternehmen in Frage kommen, hilft eine Analyse, wie sie Profigründer Sebastian Esser vorschlägt. Er hat unter anderem die Medienmarke Krautreporter und die bei kleinen und Kleinst-Redaktionen beliebte Membership-Plattform Steady entwickelt. Er nutzt eine Nähe/Nutzen-Matrix, um die Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden auszuloten. Auf der einen Achse geht es darum, wie hoch die Kunden den Nutzen von Produkten einschätzen, auf der anderen Achse wird die potenzielle emotionale Nähe zur Marke bewertet. Für Produkte oder Dienstleistungen, die sehr nützlich sind, aber wenig Verbundenheit mit dem Anbieter auslösen, bieten sich Modelle an, die auf purer Transaktion basieren. Also zum Beispiel Abo oder Einzelverkauf. Spüren die Kunden hingegen viel Nähe, aber sehen für sich einen geringen Nutzen, können Spenden oder Solidaritätsbeiträge das Richtige sein. Punktet das Produkt in keiner der beiden Kategorien, wird ein Drittanbieter für die Finanzierung nötig sein – beispielsweise der Anzeigenkunde. Ideal ist natürlich eine Kombination aus hohem Nutzen und großer Nähe – dann könnten Mitgliedschaften die beste Wahl sein.  

Gewohnheit und Verbundenheit verkaufen Abos

Journalist:innen gehen oft davon aus, dass Menschen für gute Geschichten zahlen, aber so klar ist der Zusammenhang nicht. Wer zum Beispiel ein Abo abschließt, tut dies aus unterschiedlichen Motiven, die oft mehr mit Gewohnheit, dem Gefühl von Zugehörigkeit oder guten Vorsätzen zu tun haben als mit der journalistischen Qualität einzelner Stücke. Man abonniert die Zeitung, weil man sie morgens beim Frühstück durchblättern oder durch die App scrollen möchte. Mit dem Economist-Abo fühlt man sich klüger, auch wenn man vielleicht nur eine Geschichte pro Monat zu Ende liest (so wie man sich mit der Fitnessclub-Mitgliedschaft irgendwie aktiver fühlt). Man zahlt für die Lokalzeitung, weil man ein ortsverbundener Mensch ist oder die Fachzeitschrift, weil man einer bestimmten Berufsgruppe angehört. Man möchte mitreden können, wenn sich die Freunde, Kumpels, Kollegen oder Chefs unterhalten. Einzelverkäufe von Texten funktionieren deshalb schlecht bis gar nicht – auch, weil die Konkurrenz an kostenloser Information und guten Inhalten so groß ist, dass das nächste spannende Stück meist nur ein, zwei Klicks entfernt liegt. 

Kundenbindung erreicht man also, indem man Menschen in Gewohnheiten treibt oder sich einen Platz darin erobert (siehe Frühstück). Es gilt, in seine Marke zu investieren und deren Versprechen einzulösen, also Vertrauen aufzubauen. Manchmal muss man einfach nur nerven. Nach der 50. Aufforderung, man könne das New York Times Abo für zwei Euro pro Woche haben und sofort wieder kündigen, wird dann doch noch die eine oder der andere schwach. Guter Journalismus gehört zum Kern dieses Gesamtpakets, aber ohne das Drumherum reicht er üblicherweise nicht aus. Auch Zeitungsabos werden häufiger wegen unpünktlicher Zustellung gekündigt als wegen der Schwächen im redaktionellen Angebot.  

Weshalb spenden- oder stiftungsfinanzierter Journalismus nicht immer zielführend ist 

Manchmal muss man auf der Suche nach einem Geschäftsmodell auch um die Ecke denken. Anna Bateson, CEO des britischen Guardian, erzählte zum Beispiel kürzlich, dass viele Leser:innen wegen der exzellenten Klimaberichterstattung für das Angebot zahlen – der Guardian baut auf freiwillige Zahlungen. Als Grund gäben sie allerdings nicht an, dass sie die entsprechenden Texte selbst lesen. Nein, sie möchten, dass sich andere Menschen kostenfrei über die Klimakatastrophe informieren können. Es verschafft Menschen offensichtlich ein gutes Gefühl, anderen etwas – aus ihrer Sicht – Gutes zu tun. 

Solche Großzügigkeit kann durchaus rationale Gründe haben. Wenn Firmen zum Beispiel in Kinderbetreuung investieren, tun sie das nicht nur aus Familienfreundlichkeit, sondern weil sie damit Mitarbeitende binden und deren Verfügbarkeit erhöhen möchten. Wer ein journalistisches Produkt entwickelt, das Menschen konkret bei der Bewältigung ihres Alltags hilft oder sie weiterbildet, findet womöglich Resonanz bei Unternehmen, die ihren Angestellten diesen Service bieten möchten. Wirtschaftsmedien profitierten lange davon, dass Unternehmen Zeitungen für ihre Mitarbeitenden abonnierten – auch wenn die dann in Stapeln ungelesen im Foyer herumlagen. 

Wer Geldgeber von dritter Seite sucht, muss deshalb nicht nur nach Stiftungen schauen. Die können interessant sein, wenn sich ein Medium einem bestimmten Thema verschrieben hat. Man sollte sich aber nicht täuschen: Stiftungen haben einen bestimmten Zweck. Gründer:innen müssen deshalb regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, was sie tun. Wer mehr journalistische Freiheit braucht, tut sich mit anzeigenfinanzierten Modellen womöglich leichter. 

Ritu Kapur, CEO der indischen Medienmarke The Quint, beklagt dies zum Beispiel beim Thema Klimajournalismus. Internationale Geldgeber böten viel Geld für das Aufdecken von Klima-Desinformation, erzählte sie in einem Interview für den Report Climate Journalism that Works (Disclaimer: Ich bin Lead-Autorin). Aber in Indien gäbe es nicht viel Klima-Desinformation, weil das Thema noch nicht einmal die politische Debatte erreicht habe. Es sei schwer, Investoren für Klimajournalismus zu finden, der zunächst vor allem informiere.

Bei allen potenziellen Modellen gilt: Ohne ausprobieren geht nichts. Zahlungsbereitschaft kann und sollte man austesten – und entsprechende Angebote immer wieder weiterentwickeln. Dass Kund:innen oft strapazierfähiger sind als man denkt, zeigen Modelle dynamischer Bezahlschranken oder Preise. Wie gut das funktioniert, wenn der Nutzen groß ist, machen die Airline- und Touristik-Branchen seit langem vor. Das bedeutet aber auch: Die Suche nach dem Geschäftsmodell fängt mit den Bedürfnissen potenzieller Kunden an. Die Lust auf starken Journalismus kann eines davon sein. Es ist aber höchstwahrscheinlich nicht das einzige.   

Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 4. April 2023. Aktuelle Kolumnen kannst du mit einem Abo lesen.

Gründen statt grummeln: Die Zeit für journalistische Wagnisse ist gekommen

Als die beiden preisgekrönten Investigativ-Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier die Süddeutsche Zeitung im April 2022 Richtung Spiegel verließen, klang das zunächst wie die alte Geschichte vom Edelfedern-Karussell. Da hatte man sich mal wieder ein paar Top-Talente weggekauft – was zwischen den großen deutschen Medienmarken eine gewisse Tradition hat. In diesem Fall lief es jedoch anders. 

Der Spiegel holte nicht Obermayer und Obermaier an Bord, sondern anders herum. Das Nachrichtenmagazin wurde Partner eigenen, journalistischen Start-ups. Papertrail Media heißt die neue Firma, mit der sich Obermayer und Obermaier darauf spezialisieren, was sie am besten können: investigativen Journalismus von Weltklasse.

Die Nachricht hatte einen gewissen Wow-Effekt, nicht nur wegen der prominenten Namen. Denn hier zeichnet sich ein Zukunftsmodell für engagierte Journalistinnen und Journalisten ab, die noch einmal etwas wagen wollen – und zwar nicht als Einzelkämpfer auf Plattformen wie Substack, sondern im Team mit starken Medienpartnern. 

In der Fernseh-Branche ist schon lange gang und gäbe, dass Moderatoren und Talkshow-Hosts ihre eigenen Firmen gründen, nicht zuletzt wegen der eingeschränkten Gehaltsmöglichkeiten in den öffentlich-rechtlichen Strukturen. Im digitalen Journalismus dagegen ist noch kein wirkliches Gründungsfieber ausgebrochen. Abgesehen von Gabor Steingarts Media Pioneer, das mit Axel Springer einen finanzstarken Anteilseigner hat, und dem gemeinnützigen Newsroom Correctiv machen junge journalistische Portale made in Germany eher selten größere Schlagzeilen. Viele bedienen Nischen oder ein Fachpublikum. Etliche stehen finanziell auf allzu weichem Grund. 

Das liegt nicht allein am fehlenden Entrepreneur-Geist der Journalisten, die sich häufig lieber allein als Autoren profilieren, anstatt sich mit kompetenten Business-Partnern zu verbünden. Auch die Rahmenbedingungen sind schlechter als anderswo. Es gibt keine systematische Förderung von Mediengründern wie zum Beispiel in Österreich. Der gemeinnützige Journalismus wurde bislang nur punktuell unterstützt. Und, auch das spielt eine Rolle, der Leidensdruck ist geringer als an manch anderem Ort. Deutschland verfügt über eine noch recht gesunde Branche mit vielfältigen, unabhängigen Medien. In repressiv regierten Ländern, in denen die meisten traditionellen Marken mindestens staatsnah sind, finden Neugründungen dagegen eher Unterstützer mit Informationshunger als in gesättigten Märkten mit guten öffentlich-rechtlichen Angeboten. Die Medienwissenschaftler Christopher Buschow und Christian-Mathias Wellbrock hatten 2020 in einem Gutachten für die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen ausführlich und klug dargelegt, woran es der Innovationslandschaft in Deutschland besonders mangelt. 

Deshalb ist die Zeit für Gründerfieber gekommen

Dennoch gibt es Gründe dafür, warum sich einige gerade jetzt an das eigene Start-up heranwagen – und warum das ein guter Zeitpunkt ist.

► Zunächst einmal hat sich gesellschaftlich etwas bewegt. Die Ansprüche an Freiheit und Gestaltungsmacht sind in dem Maße größer geworden, wie die Spielräume der Verlage schrumpfen. Nicht zuletzt die Pandemie hat viele darüber nachdenken lassen, wie viel Energie sie noch bereit sind, in traditionelle Arbeitsstrukturen zu investieren – Präsenz-Vorgaben, Status-Gerangel, Dienstplan-Korsett und zeitfressende Pendelei inbegriffen. 

► Vielen in etablierten Organisationen geht der digitale Wandel zudem nicht schnell genug. Sie sehen, wo sich die Branche hin bewegt, und sie wollen dabei sein. Andere pflegen ein gefragtes Fachgebiet, bekommen dafür aber nicht ausreichend Wertschätzung oder Unterstützung in ihren Redaktionen. Und wieder andere sind in ihren Mittvierzigern oder älter und wollen noch einmal etwas Neues wagen, bevor sie auf die Liste derer geraten, denen man mit Abfindungsangeboten nahelegt, doch nun endlich Platz für die „jungen Digitalen“ zu machen. Was die Verlage aufrütteln sollte: Die meisten derjenigen, die aus all diesen Gründen vor dem Absprung aus der sicheren Festanstellung stehen, sind überdurchschnittlich motiviert, talentiert und vernetzt.

► Diese Talente treffen auf eine sich ständig erweiternde Förderlandschaft. Staatliche oder auch aus der freien Wirtschaft (oft von den Tech-Plattformen) organisierte Initiativen und Fonds unterstützen Start-ups oder Gründungswillige auf dem Weg dorthin. Wer sich bislang wegen Berührungsängsten mit Business-Plänen, Nutzerforschung und Marketing-Strategien nicht gewagt hat, das Gründen anzugehen, kann seine Idee in solchen Programmen testen und verfeinern, sich schnell nötige Kenntnisse aneignen und sich mit hochkarätigen Experten vernetzen. Laut erklärter Absicht der Regierungskoalition soll zudem das Gründen im gemeinnützigen Journalismus einfacher werden.  

► Zugute kommt der jüngeren Generation, dass in vielen Häusern notgedrungen die einst eherne Grenze zwischen Redaktion und Verlag gefallen ist. Waren Journalisten früher fast stolz darauf, keine Ahnung davon zu haben, wie das Geld verdient wurde, kommen heute nur noch wenige mit dieser Mentalität durch. Man arbeitet nicht nur notgedrungen mit den Leuten aus Marketing und IT zusammen,, sondern hat sogar Spaß daran, gemeinsam attraktive Produkte zu entwickeln. Das macht so manch einem Mut, gemeinsam mit kompetenten Gleichgesinnten den Sprung zu wagen. 

Die Gründerinnen und Gründer bewegen sich also. Aber was ist mit den Verlagen?

Da werden Gründer bislang selten als potenzielle Partner wahrgenommen, Intrapreneurship – also das Gründen innerhalb der eigenen Reihen – wird kaum gefördert. Dabei ließe sich so leicht testen, wie effektiv kleine cross-funktionale Teams – mancherorts heißen sie Squads, anderswo Mini-Publisher – eine Art verlegerische Verantwortung für Nutzergruppen oder Produkte übernehmen. Engagierte Kolleginnen und Kollegen können hier unter dem schützenden Dach der großen Marke agil ausprobieren, was am Markt funktioniert und möglich ist. So manch eine Neugründung mag daraus entstehen.

Schwindende Ressourcen zwingen vermutlich auch die großen Häuser irgendwann zum Umdenken. Kann man sich wirklich noch eine Vollredaktion leisten, die jegliches Publikumsinteresse bedient? Oder ist es bei bestimmten Themen, die viel Expertise verlangen, nicht sinnvoller, kleine, schnelle und engagierte Einheiten partnerschaftlich zu fördern? Der Investigativ-Journalismus könnte ein solches Gebiet sein, aber auch für den Klimajournalismus oder eine publikumsnahe Lokalkompetenz wären solche Modelle denkbar. Die Zukunft des Journalismus wird kollaborativ sein. 

So manch ein Gründer, der mit dem Schritt in die Freiheit auch redaktionellen Zwängen und Hierarchien entkommen wollte, wird feststellen, dass er oder sie unter dem Strich noch mehr arbeitet als zuvor. Kunden und Geldgeber haben Ansprüche und das rund um die Uhr. Erstaunlicherweise hört man kaum jemanden darüber klagen. Auf ein selbstgewähltes Ziel hinarbeiten zu dürfen, fühlt sich für viele nach mehr Freiheit an, als sechs Wochen bezahlter Urlaub im Jahr.  

Diese Kolumne erschien zuerst am 20. April 2022 bei Medieninsider. Alexandra schreibt dort jeden Monat zu aktuellen Themen der Branche.  

Die Individualisierung des Journalismus und ihre Folgen

Die „Creator Economy“ lockt auch Journalisten an. Alte Arbeitsbedingungen und neue Tools bringen sie auf die Idee, auf eigene Faust loszuziehen. Kann das funktionieren? Über Chancen und Risiken sowie mit einer Forderung: Creators aller Länder – vereinigt euch!

Journalist – das klang mal nach Egon Erwin Kisch, Woodward und Bernstein, Hajo Friedrichs oder Antonia Rados. Unbestechlichkeit, Courage, literarische Rafinesse, alles schwang mit. Kurz: Es klang nach Traumberuf. Heute sind sich da viele nicht mehr so sicher. „Altbacken“, so hört man es von Hochschulen, die den Begriff weiten wollen, um mehr zahlende Studierende anzulocken. „Bastion alter weißer Männer“, klagen die Jüngeren, die sich in hierarchischen Redaktionen nicht repräsentiert und schon gar nicht angehört fühlen. „Zu eng gedacht“, befindet man im Silicon Valley, wo man zwar immer noch ein Taschengeld für den Journalismus übrig hat, aber zunehmend an Einheiten Gefallen findet, die kleiner und weniger anstrengend als Redaktionen sind. Wir treffen: den oder die „Creator“.  

„Creator“, das klingt unternehmungslustig und auf jeden Fall ehrbarer als Influencer. In dessen Rücken vermutet man ausgebuffte Konsumgüterkonzerne, denen es nur um drei Dinge geht: verkaufen, verkaufen, verkaufen. Ein Creator hingegen ist schon per Zuschreibung schöpferisch, bringt also gute Voraussetzungen mit, das alte Schlachtschiff Journalismus als wendiges Schnellboot neu zu erfinden. Und jeder, der schon mal in entsprechenden Schlachtschiff-Organisationen gearbeitet hat, bekommt dieses Leuchten in den Augen, wenn er oder sie sich selbst als Kapitän eines solchen Schnellboots visualisiert. Wäre das nicht großartig, modernen, ganz anderen Journalismus zu machen mit Leuten, die dafür brennen, statt den nächsten Outlook-Termin mit irgendeiner C-Person zu akzeptieren, nur um mal wieder eine tolle Idee zu Schnipseln filetiert zu bekommen?

Auf die Romantik folgt der Realismus

Nun sieht die Realität vieler Gründer im Journalismus weniger romantisch aus als die Vorstellung. Man kann zwar selbst entscheiden, welche Geschichten man bringt, dafür muss man sich mit einem Haufen Dingen beschäftigen, die früher andere für einen übernommen haben: Marketing, Technik, Bilanzen, solche Sachen – und das ohne Feierabend, Ausgleichstage und Wochenendzuschlag. Trotzdem: Der Kapitäns-Karriere wohnt ein Zauber inne, den der klassische Journalismus so nicht mehr zu entfachen scheint. „Are Journalists Today’s Coal Miners?“ betitelte unser Forschungsteam aus Oxford und Mainz 2019 eine Studie. Aus der Branche kommt mehr und mehr Bestätigung für diese damals als Frage formulierte These.

Nehmen wir also an, der Journalismus der Zukunft entstünde in zigtausenden Schnellbooten statt in Schlachtschiffen mit angeschlossenen Druckereien; wäre das schlimm? Ja, wäre es nicht sogar – großartig? So viel Innovation wie heute war tatsächlich selten im Journalismus. Vom Ein-Personen-Newsletter-Creator, der über Portale wie Substack zahlende Kunden gewinnt bis hin zum auf bestimmte Fachgebiete, Gruppen, Genres oder Geographien spezialisierten Team etablieren sich derzeit weltweit deutlich mehr Neugründungen als in die Jahre gekommene Medienbetriebe sterben. Zugriffe auf Technik, Daten, Netzwerke aber auch auf nicht unerhebliche persönliche Reserven (sprich: Selbstausbeutung) machen es möglich. Und eine frische Injektion an Kampfgeist und Ethik tut dem Journalismus ausgesprochen gut.  

Gründer sind die bequemeren Partner für GAFA-Konzerne

Auch Google und Facebook finden das prima. Sie richten ihre Journalismus-Förderung langsam aber spürbar in Richtung Creator Economy. Das ist gut für die Gründer und für die Plattform-Konzerne nur rational. Immerhin stabilisiert das Geld, das in Richtung Schlachtschiffe fließt, immer noch so manch – wenngleich arg geschrumpfte – Rendite von Verlagshäusern, die ihre Mitarbeiter lieber auspressen, statt ihnen Weiterbildung auf Kosten des Hauses zu finanzieren. Sollen das doch Google und Facebook übernehmen, denkt so manch ein CEO. Gleichzeitig wird in Brüssel kräftig Stimmung gemacht gegen die Geldgeber aus Kalifornien – mit für diese unangenehmen Folgen. Diese Art Doppelzüngigkeit haben die Tech-Monopolisten von den Schnellboot-Schöpfern nicht zu erwarten. Die haben weder Zeit für noch Interesse an politischem Lobbying, noch können sie es sich leisten, Hilfe abzulehnen. Gründer sind also die viel bequemeren Partner.

Und bei allem Hype und Bravo für die jungen Medien-Unternehmer liegt hier das Problem: Die Individualisierung macht den Journalismus nicht nur bunt, sondern auch schwach. Dabei geht es nicht nur um den Verlust an politischer Schlagkraft. Vieles, was moderner Journalismus leisten muss und soll, verlangt nach gebündelten Kräften und Ressourcen. Aufwändige Investigativ-Projekte brauchen nicht nur ausdauernde Teams, sondern auch eine starke Rechtsabteilung im Rücken. Große Daten-Recherchen sind nichts für Einzelkämpfer, professionelle Faktenchecks kosten Zeit und Ressourcen, ohne dass dafür jemand zahlt. Und Politiker und Institutionen gewähren Zugang zu Informationen oft nur denen, die sich mit einer starken Marke gerüstet haben, andere kann man schon mal gefahrlos ignorieren. 

Die Schwächen des Creator-Journalismus – und eine Lösung

Zwar mag der eine oder die andere, die nur in ihre persönliche „Brand“ investiert, auch mal einen Treffer a la Rezo landen und damit etwas bewegen. Aber den meisten wird das nicht gelingen. Sicher werden in der Creator-Economy ein paar inhaltliche Diamanten entstehen, die den Ton vieler Gruppen viel besser treffen, als dies der traditionelle Journalismus je geschafft hat und schaffen könnte. Aber Hammer-Recherchen wie die Panama Papers oder der Fall Weinstein, bei denen mächtige Individuen und Institutionen viel zu fürchten und zu verlieren haben, sind eher nicht zu erwarten. Anders gesagt: Es könnte also ziemlich vielen Leuten ziemlich recht sein, wenn Journalisten bei den Nachrichten-Maschinen von Bord gehen und ihr eigenes Dinglein drehen. Für die Demokratie wäre das gefährlich. 


Ideal wäre es natürlich, der Journalismus könnte vom Besten beider Welten profitieren, wie dies in einem Stück der Missouri School of Journalism kürzlich beschrieben wurde. Aber dazu bräuchte es neue Strukturen. Die Creator müssten sich Netzwerken anschließen können, um von technischer Infrastruktur, Beratung, Rechtsschutz und Fakten-Checks zu profitieren und dabei trotzdem unternehmerisch handeln können. Das klingt nach dem alten Journalistenbüro, könnte aber deutlich schlagkräftiger aufgestellt werden. Hier wären Fördermittel gut eingesetzt, die nicht immer nur von Google oder Facebook kommen müssen. Traditionelle Redaktionen könnten sich starke Einzelmarken zunutze machen und die Verantwortung für bestimmte Produkte an die Creator abtreten – vorausgesetzt, es passt für beide Seiten zum Markenkern. Und die Gewerkschaften sollten sich schleunigst auf die neuen Realitäten in der Branche einstellen. Sie müssen Entrepreneur-Organisationen werden. Noch arbeiten die meisten Einzelkämpfer im Journalismus unter prekären Bedingungen. Ein Qualitätsversprechen sieht anders aus. Mächtige Institutionen brauchen starke Gegenüber, die Druck aushalten und auch mal dagegenhalten können. Bleiben die neuen Schöpfer auf sich gestellt, dürften viele von ihnen nur allzu schnell erschöpft sein. 

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 19. April 2021. Aktuelle Kolumnen kann man dort für ein Abo lesen. 


Medienoasen in der Nachrichtenwüste – Worauf Entrepreneure im Journalismus achten sollten

Von Deutschland aus auf die USA schauen, das ist häufig, als benutze man ein Vergrößerungsglas. Nicht nur Getränkebecher, Jeans und Überland-Trucks gibt es dort im XXL-Format. Auch gesellschaftliche Entwicklungen kommen meist krasser daher als hierzulande, Achterbahn-artige Bewegungen eingeschlossen. Bei Häme ist deshalb Vorsicht geboten, siehe Pandemie: Lästerte man gerade noch über amerikanisches Staatsversagen, sind drüben plötzlich alle durchgeimpft, während hier weiter über Reihenfolgen und Vakzine gestritten wird. Ähnlich drastisch geht es in der Medienbranche zu. So zählte man drüben schon Nachrichtenwüsten (news deserts) ohne lokaljournalistische Grundversorgung, als Regionalverlage hier noch ihre Print-Auflage feierten. Umgekehrt blicken amerikanische Medienschaffende nun auf ein ganzes Ökosystem digitaler Neugründungen, während Redaktionen diesseits des Atlantiks noch lernen, „digital first“ zu buchstabieren. Man kann das misslich finden, oder schleunigst das – in diesem Fall – Fernglas zur Hand nehmen. Ein Blick nach drüben lohnt sich, wenn man nicht nur aus eigenen Fehlern lernen, sondern ein paar lieber von vornherein vermeiden möchte.

Die amerikanische Lesart ist unmissverständlich: Wo es Nachrichtenwüsten gibt, müssen dringend Oasen her. Oasis heißt deshalb ein Gemeinschafts-Projekt, das sich an Gründer*innen von Medienmarken in den USA und Kanada richtet und ihnen mit Statistiken, Fallstudien, Rat und Benchmarks zur Seite stehen möchte. In dieser Woche nun hat Oasis den ersten Reportveröffentlicht, angeblich die größte Studie über „digital native“ Medienhäuser und -häuschen in dieser Dekade. 255 von mehr als 700 rein digitalen Medien-Unternehmen haben sich dafür an einer Umfrage beteiligt. Sie hat ein paar spannende Fakten zutage gefördert.

Die erfreulichen zuerst: Das Wachstum ist rasant, in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Medien-Gründungen mehr als versechsfacht. Immerhin gibt bereits jede fünfte Firma an, finanziell über den Berg zu sein, eine ganze Reihe weiterer sieht sich auf dem Weg dorthin. Zwei Drittel haben die wilde Startup-Phase hinter sich gelassen und bewegen sich in ruhigerem Fahrwasser, 22 Prozent (über)leben schon länger als zehn Jahre.

Eine ganze Menge Fakten stimmen allerdings nachdenklich, vor allem diese: Viele Organisationen leben von der Selbstausbeutung ihrer Gründer*innen (Frauen sind, was die Jobs angeht, in der Überzahl). Sie verlassen sich stark auf ehrenamtliches Engagement und können wenige Vollzeit-Arbeitsplätze sichern. Nur zehn Prozent fahren Jahresumsätze von über einer Million Dollar ein. Die Abhängigkeit vom lokalen Anzeigenmarkt ist groß und für die meisten die wichtigste Einnahmequelle, andere hängen gänzlich am Tropf von wohltätigen Geldgeber*innen. Abo- oder Mitgliedermodelle trauen sich die wenigsten zu.

Eine der Hauptursachen für diese zum Teil prekären Zustände ist, dass Medien-Startups überwiegend von Journalist*innen gegründet werden. Hier rächt sich die einst so wichtige strikte Trennung von Redaktion und Verlag. Sie hat Redakteur*innen und Reporter*innen jahrzehntelang davor „bewahrt“, sich damit auseinandersetzen zu müssen, wie ihr Medienhaus eigentlich Geld verdient. Bei der Entwicklung ihrer jungen Unternehmen beginnen die Gründer*innen deshalb in der Regel mit einer Mission, nicht mit einem Geschäftsmodell. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden, wenn sie denn ihre Teams um entsprechendes Knowhow bereichern würden. Dies aber ist zu selten der Fall.

Gründer*innen in anderen Branchen arbeiten sehr häufig andersherum. Viele berichten, dass nicht die berühmte Idee oder das coole Produkt an erster Stelle standen, sondern man zunächst mit einem engagierten Team und eher vagen Vorstellungen vom Inhalt an den Start gegangen sei. Sobald man Geldgeber*innen und erste Kund*innen gefunden hatte, entwickelte sich die Idee von dort aus weiter. Auch bei Journalismus-Start-ups ist Offenheit und Anpassungsfähigkeit wichtig, wollen sie nicht nur irgendwie überleben, sondern mittelfristig gut davon leben und eine stabile Größe für ihr Publikum werden. Was ist das Geschäftsmodell, welche Zielgruppen (Audiences) kann man wie gut bedienen und wie bindet man sie, wie diversifiziert man Einnahmequellen, welche Partner*innen könnte man begeistern – und, ganz wichtig, was sollte man auf jeden Fall sein lassen? All diese Fragen müssen sich Gründer*innen immer wieder stellen und entsprechend nachjustieren.

All das würde deutlich besser funktionieren, gäbe es eine gute Infrastruktur, bei der sich Medien-Start-ups Rat und Unterstützung holen können. Das finden auch die Oasis-Autor*innen. Ob es um Training, Ausbildung und Personalführung geht, Beratung zu Geschäftsmodellen oder technische Infrastruktur gefragt ist: Junge Unternehmen sind mit vielem überfordert. Dazu ist es weder sinnvoll noch effizient, wenn jede Neugründung auf diesen skalierbaren Gebieten bei null anfängt. Für die USA können sich ambitionierte Medien-Unternehmer*innen künftig an das Oasis-Projekt wenden. In Deutschland warten potenzielle Geldgeber*innen hoffentlich nicht darauf, dass es erst einmal Nachrichtenwüsten gibt.

Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 19. März 2021. 

Die Ich AG als Redaktion – kann das klappen?

Nicht jeder kann eine Art Gabor Steingart werden. Als der ehemalige Handelsblatt-Herausgeber den Holtzbrinck-Konzern im Februar 2018 im Streit verlassen hatte, gehörte die Abonnenten-Datei seines „Morning Briefing“ Newsletters mit zum Abfindungspaket. Zwei Jahre später führt Steingart mit Media Pioneer ein kleines aber deutschlandweit bekanntes Medien-Unternehmen mit um die 50 Mitarbeitern, Redaktionsschiff und 36-Prozent-Beteiligung der Axel Springer AG inklusive. Für so eine Wachstumskurve braucht man mehr als nur gute Kontakte und einen Namen, und schon daran dürfte es den meisten mangeln. Dennoch steigt mit den zunehmenden Möglichkeiten der Digitalisierung bei vielen Journalist_innen und Medien-Fachleuten die Lust, es mit dem Gründen wenigstens einmal zu versuchen.

Gerade unter den Leistungsträgern haben etliche genug von Hierarchien und Kommando-Strukturen, routiniertem Reaktions- und Rattenrennen-Journalismus. Sie mögen sich nicht mehr für einen Arbeitgeber aufarbeiten, von dem sie zum Dank für ihren Einsatz neuerdings auch noch auf Kurzarbeit geschickt werden – immerhin die verträgliche Variante einer Krisenstrategie. Aber als Bittsteller mit einem Bauchladen durch die Gegend zu tingeln ist auch kein Spaß in diesen Zeiten, in denen freie Etats gekappt werden, wo es eben nur geht. Ist es eine Lösung, selbst zu publizieren?

Für manche schon. Vor allem in den USA gibt es einen Trend zum journalistischen Freischwimmer. Dort ist das Klima etwas rauer als hierzulande, weil man Journalist_innen eher in die Arbeitslosigkeit schickt, als ihre Jobs mit staatlichen Programmen abzufedern. Aber womöglich entstehen genau deshalb dort auch mehr Möglichkeiten, seinen eigenen Mini-Verlag aufzubauen – ganz ohne Overhead und großen Kapitaleinsatz. Ein Beispiel ist die Plattform Substack. Autor_innen können dort eigene Newsletter aufsetzen und dafür Bezahlmodelle erproben, sofern sie sich mit Premium-Inhalten eine gewisse Reichweite erschrieben haben. Die Washington Post berichtete kürzlich von einer ganzen Reihe namhafter Schreiber_innen, die etablierte Redaktionen verlassen und ein eigenes „mini media empire“ gegründet haben. Zuvor arbeiteten sie für Magazine wie New Republic, Rolling Stone, Sports Illustrated oder New York Magazine, nun werkeln sie auf eigene Rechnung und genießen ihre Autonomie.

Eine von ihnen ist Emily Atkin. Ihr viermal wöchentlich erscheinender Newsletter über die Klimakrise mit dem Titel „Heated“ ist einer der bestbezahlten bei Substack. Atkin, die sich als Wissenschaftsjournalistin Profil und Publikum erworben hatte, war die Auseinandersetzungen mit Redaktionen leid gewesen. „Im Lauf deiner journalistischen Laufbahn kommst du irgendwann an eine Grenze, an der du merkst, dass du nicht mehr von deinem Verlag profitierst sondern dein Verlag von dir“, wird sie von der Post zitiert.  Die Frage sei dann: Gebe die Marke einem so viel wie man selbst der Marke gebe.

Substack wurde 2017 in San Francisco gegründet mit der Idee, Autor_innen die Kontrolle über ihr Werk zurückzugeben. Die Newsletter funktionieren ohne Werbung, es gibt keine Algorithmen, die Journalist_innen behalten die Hoheit über ihre Inhalte und Mailing-Listen.  Einige von ihnen verdienen angeblich über die Abo-Modelle sogar mehr Geld als zu Zeiten ihrer Festanstellung, wobei man davon ausgehen kann, dass nur sehr wenige tatsächlich sechsstellige Beträge einnehmen. Aber sie bedienen einen Trend. Laut dem Digital News Report sind Newsletter ein zunehmend beliebter Zugang zur Welt der Informationen. Sie übernehmen die Rolle der Zeitung, sortieren und bündeln das Nachrichtengeschehen und heben sich damit für manch einen wohltuend vom endlosen, unsortierten Strom an Neuigkeiten in den sozialen Netzwerken ab.

Eine Newsletter-getriebene Ich AG eignet sich vor allem für Spezialisten oder Autoren, die eine ganz bestimmte Stärke kultivieren. Aber auch für andere, die lieber im Team arbeiten, gibt es Möglichkeiten. Ein aktuelles Beispiel – auch aus den USA – ist Defector, eine neu gegründete Kooperative von 18 Journalist_innen, die im vergangenen Jahr aus Protest gegen das Management die auf Sport-Berichterstattung ausgerichtete Plattform Deadspin verlassen hatten. Sie waren offenbar ihr Einzelkämpfer-Dasein satt und wollten gemeinsam etwas Neues wagen. Alle erhalten nun einen Anteil an dem Startup, das sich über Digital-Abos finanzieren will. Unter Kennern sei die Begeisterung groß gewesen, schon am ersten Tag hätten sich 10 000 Leser_innen registriert, berichtete das Team auf Twitter. Hauptsache man habe ausreichend Talente, zitiert die New York Times Defector-Geschäftsführer Jasper Wang, einen ehemaligen Unternehmensberater. Das strukturelle Gerüst darum herum zu bauen, sei nie einfacher gewesen als heute.

Was sich nach einem Traum anhört – der beruflichen Leidenschaft nachgehen und dabei Autonomie genießen – ist allerdings harte Arbeit, nicht immer macht sie Spaß. Konnten sich Journalisten früher ganz auf die Trennung zwischen Redaktion und Verlag verlassen und sich allein der Recherche, dem Schreiben und Redigieren widmen, erfordert der Beruf heute in jedem Fall ein Mindestmaß an wirtschaftlichem Sachverstand, vor allem in Sachen Marketing und Kundenbindung. Dies gilt umso mehr, wenn man selbst gründet. Natürlich geht es um Inhalte, aber man sollte auch Lust haben, sich intensiv mit potenziellen Einnahmequellen, Geldgebern und Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen.

Deutschland mit seiner noch recht traditionell geprägten und einigermaßen gut bestückten Medienlandschaft ist nicht das leichteste Spielfeld für neue Medienmacher_innen. Das liegt einerseits am Publikum und an den Geldgebern. Hierzulande zahlt man ungerne für Dienstleistungen, gespendet wird eher wenig, großzügige Mäzene unterstützen lieber Fußballvereine, und auch Stiftungen rücken nur vergleichsweise kleine Beträge heraus. Andererseits liegt es an denen, die etwas wagen müssen: Die Angst davor, einen festen Job in einer Redaktion aufzugeben, ist größer als in Märkten, in denen es solche sicheren Posten ohnehin kaum noch gibt. Aber die technischen Hürden sinken. Und die Experimentierfreude junger (und älterer) Journalist_innen nimmt zu.           

Dieser Text erschien am 31. Juli 2020 im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School.