Nicht alle verwenden die Methode Holzhammer so wie die albanische Regierung. Als es ernst wurde mit Covid-19, verschickte sie an sämtliche Nutzer von Mobiltelefonen landesweit eine Sprachnachricht, die drei Botschaften enthielt: „Waschen Sie sich die Hände! Bleiben Sie zuhause! Misstrauen sie den Medien!“ Bong. So viel Dreistigkeit muss man erst einmal verdauen. Aber ähnlich plump oder subtiler nutzen diverse Regierungen rund um die Welt die Corona-Krise dazu, den Medien das Leben im Allgemeinen und die Recherche im Besonderen zu erschweren. Covid-19 wirke wie ein Brandbeschleuniger auf die verschiedenen Krisen, die dem Journalismus ohnehin schon zu schaffen machten, resümierte die Organisation Reporter ohne Grenzen in ihrem jüngst veröffentlichten World Press Freedom Index.
Man kann solche Sprachbilder leicht überstrapazieren, aber unter all den Pandemie-bedingten Einschränkungen und Verlusten kommt so manch eine Redaktion in Atemnot, wirtschaftlich und operativ. Das Virus testet das Immunsystem des unabhängigen Journalismus und all der Institutionen, die ihn unterstützen.
Es gibt in diesen Tagen vielfältige Methoden, die Arbeit von Reporterinnen und Reportern konkret zu behindern. Reporter ohne Grenzen dokumentiert entsprechende Notstandsgesetze, Verhaftungen und andere drastische Freiheitsbeschränkungen für Medien in ihrem „Tracker 19“, Mitte Mai umfasste der Newsfeed schon mehr als 80 Einträge.
Aber es gibt auch weniger absichtsvolle Zwänge. So werden zu manch einer Pressekonferenz wegen der Hygiene-Vorschriften nur handverlesene Reporter zugelassen, andere finden ausschließlich online statt. Für informelle Gespräche am Rande und Nachfragen bleibt keine Zeit, und bei unangenehmen Themen bricht womöglich die Verbindung ab – zu sehen in einem vielfach geteilten Video, in dem eine Reporterin einen WHO-Offiziellen zu Taiwan befragt, er möchte partout nicht antworten. Manche Regierungen verstecken sich hinter Experten, die sie zu Allwissenden stilisieren. Eine Diskussion verschiedener Argumente ist dann unerwünscht, die Medien werden allein als Lautsprecher gebraucht.
Außerdem bindet die Corona-Krise Aufmerksamkeit, die der Journalisten und die des Publikums. Manch anderer Skandal wird mangels Kapazitäten nicht nachrecherchiert, und wird dann doch etwas publiziert, versinkt es im Covid-19-Getöse. Wer unlautere Absichten hat, kann sich derzeit relativ unbeobachtet fühlen.
Am gefährlichsten ist allerdings die Methode Albanien: wenn Regierungen den Journalismus als Ganzes herabwürdigen und Journalisten lächerlich machen. Denn starker Journalismus baut darauf, dass Bürger die Medien als ihre Verbündeten betrachten. Dazu gehört Vertrauen. Und wenn dies bröckelt, wird dem Journalismus die Daseinsgrundlage entzogen.
Das wussten Potentaten schon immer, aber auch populistisch agierende Demokraten finden immer wieder Gefallen daran, sich der lästigen Nachfragen von Pressevertretern zu entziehen. Schließlich ist es deutlich anstrengender, sich mit einzelnen Fakten zu beschäftigen, als die Glaubwürdigkeit ihrer Verbreiter als solches in Frage zu stellen. Donald Trump hat den Begriff „Fake News Press“ nicht erfunden, ihn aber wie kein anderer zu einer Propaganda-Waffe gemacht. Und was sich der amerikanische Präsident herausnimmt, schauen sich andere ab. Mehr als 50 Regierungschefs auf fünf Kontinenten hätten den Begriff in den vergangenen Jahren entsprechend verwendet, schrieb der Herausgeber der New York Times, A.G. Sulzberger, im September 2019 in einem Editorial nach einer Rede an der Brown University zur bedrohten Pressefreiheit – das war noch vor Corona.
In diesen Tagen kann es lebensgefährlich sein, auf seinen Präsidenten zu hören statt auf Journalisten, die das beste gerade verfügbare Expertenwissen zusammentragen. Zum Glück spüren dies viele. Bürgerinnen und Bürger haben den Wert des unabhängigen Journalismus wieder neu schätzen gelernt. Zumindest in den ersten Krisenwochen ist das Vertrauen in traditionelle Medien gewachsen wie seit langem nicht, sogar junge Menschen schauen wieder vermehrt nach Nachrichten-Marken, denen schon ihre Eltern trauten.
Aber die Freude in den Redaktionen könnte kurzlebig sein. Vor lauter Ungeduld mögen manche Menschen lieber „Experten“ glauben, deren Aussagen ihre eigenen Hoffnungen spiegeln. Und es gibt Anzeichen für einen massiven Überdruss an Nachrichten, zumal allem, was mit Covid-19 zusammenhängt. Eine neue Studie des Reuters Institutes belegt das für Großbritannien.
Es geht deshalb um viel. Redaktionen müssen am Vertrauen zu ihrem Publikum arbeiten: erklären, beobachten, abbilden, versuchen, Fragen zu beantworten, transparent mit Fehlern umgehen. Leserinnen, Zuschauer und Zuhörerinnen schätzen das mehr als das übliche Rattenrennen um den besten Scoop, das interessanteste Zitat. Journalismus nahe an den Menschen zu produzieren – selten war das wichtiger und selten schwerer als dieser Tage, wenn man Nähe physisch versteht.
Regierungen müssen zur Institution der freien Presse stehen, und zwar in Worten und Tat. Nicht nur die Lufthansa, auch Medienvielfalt ist systemrelevant für die Demokratie. Plattform-Konzerne wie Google und Facebook können Qualitätsjournalismus fördern, nicht nur mit den in der Branche willkommenen Millionen, sondern auch, indem sie ihn auf ihren Seiten und in ihren Feeds sichtbar machen. Und Bürgerinnen und Bürger können zeigen, was ihnen unabhängiger Journalismus wert ist, indem sie zum Beispiel ein Abo abschließen. Sie sichern damit mehr als Arbeitsplätze. Es geht um die Qualität der Gesellschaft, in der sie leben. Und manchmal auch ums Überleben.
Diese Kolumne erschien zuerst am 27. Mai 2020 bei Zentrum Liberale Moderne