Man kann diese Bilder schwer ertragen, vor allem, wenn man die USA kennt und den großartigen Journalismus amerikanischer Medienhäuser schätzt: Polizisten, die Reporter*innen und Fernsehteams gezielt mit Tränengas und Gummigeschossen attackieren, sogar festnehmen, weil sie von den landesweiten Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus berichten. Etwa 120 solcher Angriffe hatte es allein in der ersten Woche nach dem Tod von George Floyd gegeben, der unter dem Knie eines Polizisten erstickte. Der Journalistenberuf ist selbst im Kernland der Meinungs- und Pressefreiheit gefährlich geworden. Das wird Folgen haben. Noch schweißen die Attacken von außen die Redaktionen zusammen, verleihen ihrer Arbeit Sinn und eine extra Portion Legitimation. Aber irgendwann wird die große Erschöpfung eintreten. Im Journalismus ist Burnout ein erhebliches Berufsrisiko.
Doch während Journalisten gerne emphatisch über psychische Belastungen, Verletzungen und Traumata anderer berichten, werden sie beim Blick in die eigene Branche schmallippig. Natürlich kennt man den einen oder die andere Kollegin, die es „nicht mehr gepackt“ hat, längere Auszeiten nehmen musste oder plötzlich vom riskanten Auslandsposten in die Zentrale zurückversetzt wurde. Aber die längste Zeit über wurden solche Fälle eher unter der Decke chefredaktioneller Fürsorge gehalten. Und das hatte nicht nur mit dem Schutz der Privatsphäre zu tun. Es war – und ist – ein Tabu-Thema in einer Branche, in der Stressresistenz und Zähigkeit zum Berufsbild gehören.
Der Psychiater Anthony Feinstein von der Universität Toronto beschäftigt sich seit 20 Jahren mit psychisch belasteten und traumatisierten Journalist*innen. Begonnen hatte er damit 1999, als sich eine Reporterin an ihn wandte. Zur Vorbereitung des Gesprächs hatte er eine Literatur-Recherche gestartet – und zu seiner Überraschung keine einzige Studie zu dem Thema gefunden. Die Journalistin klärte ihn auf: „Sie verstehen meinen Beruf nicht.“ So erzählte es Feinstein kürzlich in einem Webinar. In einer ersten Untersuchung zum Thema schrieb er 180 Journalist*innen großer Medienhäuser an, 80 Prozent antworteten. Das ist für eine sozialwissenschaftliche Studie eine überwältigende Resonanz. Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen. Post-traumatische Belastungsstörungen seien gut behandelbar, sagt er, wenn man sie denn identifiziere. Aber viele Journalist*innen fühlten sich damit allein gelassen.
Kein Wunder, denn gerade in kleineren Redaktionen gilt noch immer, was ein gestandener Ressortleiter in einem Seminar am Reuters Institute in Oxford einmal etwas verlegen mit einer englischen Redensart beschrieb: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“ Anders gesagt: Wenn du Journalist wirst, musst du das abkönnen. In der Session ging es um Burnout. Das Thema war ins Programm genommen worden, weil es leitende und Chef-Redakteur*innen in den vertraulichen Runden immer wieder als eine der größten Herausforderungen für ihre Redaktionen genannt hatten – und zwar nicht in erster Linie mit Blick auf riskante Einsätze im In- und Ausland.
Die Belastungen durch die digitale Transformation seien extrem hoch, argumentierten sie. „Wie können wir 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche digitalen Journalismus und Veränderungsprozesse managen, ohne das Team dem Burnout auszuliefern?“ So hatte es die Geschäftsführende Redakteurin einer renommierten britischen Tageszeitung einmal formuliert. In einer 2019 veröffentlichten Umfrage des Reuters-Institutes gaben 62 Prozent der Medien-Führungskräfte an, dass Burnout in ihren Teams für sie ein wichtiges Thema sei.
Einerseits ist das eine gute Nachricht, denn sie zeigt, dass Chefinnen und Chefs das Problem zunehmend sehen und ernst nehmen. Andererseits ist es das: ein ernstes Problem. Im Journalismus musste man schon immer schnell und gleichzeitig akkurat sein, war dem Wettbewerb ausgesetzt, brachte sich zuweilen in Gefahr, musste schlimme Bilder verarbeiten und konnte sich die Arbeit nicht besonders frei einteilen. Wenn es brannte, brannte es halt. Aber heute ist das, was einst guten Journalismus ausmachte, oft nicht mehr gut genug. Gute Schreiber*innen müssen nun auch Videos oder Tonspuren liefern, sich ständig neuen Workflows anpassen und für verschiedene Plattformen produzieren. Außerdem sind etliche dem Dauerfeuer von Hasskommentaren ausgesetzt. Neuerdings erschwert die Bedrohung durch das Corona-Virus die Arbeit und erhöht das Risiko.
Gleichzeitig überfordert das Veränderungsmanagement Führungskräfte, die nie fürs Führen ausgebildet wurden. Lucy Küng, Journalismusforscherin und Beraterin, erlebt bei ihren Recherchen vor allem im mittleren Management eine große Verunsicherung. Führungskräfte, die im Tagesgeschäft agieren, müssen den Wandel vorantreiben, ihre Teams motivieren und gleichzeitig vor Überlastung schützen. Gerade die Leistungsträger, die alles besonders gut machen wollten, seien vom Burnout bedroht, sagt Küng. Viele Talente verließen deshalb die Branche.
Es ist deshalb wichtig, auch in der Medienbranche Führungskräfte entsprechend auszubilden. Sie müssen lernen, die Zeichen von Überlastung zu lesen – bei ihren Mitarbeiter*innen und sich selbst. Professionelle Hilfe muss systematischer angeboten werden. Dazu verdient das Thema mehr Öffentlichkeit. Im Zuge der Me-Too-Debatte hatten sich viele Journalistinnen gewagt, erstmals über sexuelle Belästigung und Gewalt zu sprechen, die sie im Job erlebt hatten. Das war ein wichtiger Schritt. Auch für Kolleg*innen, denen andere Aspekte ihrer Arbeit Albträume machen, muss es akzeptabel werden, dies zu offenbaren. Journalist*innen ziehen viel Energie aus ihrer Mission, sie halten sich für etwas Besonderes. Aber im Angesicht des Hasses sind sie auch nur Menschen.
#Dieser Text erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 5. Juni 2020.