Zum Glück ist das Publikum nicht so dumm, wie manch ein Politiker denkt. Mehr als 50 Regierungschefs und Staatspräsidenten hätten innerhalb von fünf Jahren den Begriff „Fake News“ genutzt, um Pressefreiheit einzuschränken, hatte der Herausgeber der New York Times, A.G. Sulzberger, 2019 in einer Rede vor Studierenden gewettert. Die Medien lügen, behaupten jene Regierenden, nur: Die Bürgerinnen und Bürger glauben ihnen nicht. 40 Prozent der Befragten im Digital News Report von 2020, der weltweit größten fortlaufenden Studie zum Medienkonsum, gaben stattdessen ihre Einschätzung zu Protokoll, dass Politiker den meisten Unsinn erzählen. Nur etwa jeder zehnte denkt das über Journalisten. Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie der Misinformation Review der Harvard Kennedy School. In Europa befragte Teilnehmer nennen darin Politiker und Wirtschaftsgrößen als wichtigste Urheber von falschen Behauptungen, nicht etwa Troll-Farmen, Privatleute oder eben Medien. In Deutschland bescheinigte die Universität Mainz den Medien für das erste Corona-Jahr sogar den höchsten Vertrauenswert seit langem.
All dies offenbart: Seitdem Ex-US-Präsident Donald Trump und Konsorten „Fake News“ zum Kampfbegriff gemacht haben, enthält die Debatte darüber zuweilen mehr Sprengkraft als das Phänomen an sich. Einige Forscher warnen sogar vor „moralischer Panikmache“. Die Verbreitung falscher Behauptungen sei kein Massenphänomen. Wenige Akteure streuten viel davon, die Lügen hätten begrenzte Reichweite. Misinformation sei real, aber nicht so gefährlich für Demokratien, wie dies oft suggeriert werde, so Andreas Jungherr und Ralph Schroeder in einem Artikel für die Fachzeitschrift „Social Media + Society“.
Ein Grund zur Entwarnung ist dies nicht. Immerhin bieten die sozialen Netzwerke gewaltige Möglichkeiten, Lügen, verzerrte oder aus dem Zusammenhang gerissene Inhalte, falsche Behauptungen oder gefälschte Bild- und Ton-Dokumente zu skalieren. Außerdem reicht es, wenn sich eine kleine Minderheit um falsche Behauptungen herum radikalisiert oder ihnen folgt, wie beim Sturm auf das US-Parlament im Januar 2021 oder allerlei Anweisungen zum Umgang mit Covid 19. „Fake News“ können sehr reale und gefährliche Folgen haben. Die Angriffe auf Journalisten nehmen trotz guter Vertrauenswerte auch in Deutschland zu.
Traditionelle Medien sind allerdings nicht nur Opfer dieser Entwicklung, sie beteiligen sich auch daran. Gerne greifen sie besonders skurrile Inhalte auf und geben ihnen so Auftrieb, selbst wenn sie sie kritisieren oder richtigstellen. Eine Studie des Berkman Klein Centers für Internet und Gesellschaft in Harvard hat diesen Effekt eindrucksvoll belegt. Dabei haben Qualitätsmedien besondere Macht, denn die Algorithmen der Plattform-Konzerne priorisieren ihre Beiträge. Die richtige Balance zwischen Berichten und Weglassen zu finden, verlangt Redaktionen einiges ab.
Journalistinnen und Journalisten waren schon immer Fact Checker. Zu recherchieren, ob das, was Menschen und Institutionen mit Macht und Einfluss von sich geben, auch den Realitätstest besteht, gehört zu ihrem Handwerk wie die Suche nach der zweiten Quelle oder der Anruf bei beiden Parteien in einem Konflikt. Wittern Reporter PR oder Propaganda, machten sie sich vor Ort ein Bild, oft sprichwörtlich an der Front. Die Kamera kann ein gnadenloser Fakten-Kontrolleur sein.
Dank neuer Technik und Künstlicher Intelligenz haben viele Redaktionen beim Überprüfen ordentlich zugelegt. Nicht nur die Manipulatoren rüsten auf, auch die Kontrolleure. Medien tun das nicht nur für die eigenen Kunden. Selbst Konzerne wie Facebook oder Google sind angewiesen auf ihre Arbeit. Es gilt, Lügen so schnell wie möglich zu entlarven, um sie per Algorithmus zu dimmen, zu kennzeichnen oder bei Gefahr für Leib und Leben ganz zu sperren.
Wissenschaftler debattiere allerdings darüber, ob Menschen ihre Annahmen ändern, wenn Lügen als solche ausgewiesen werden. Studien beobachten sogar einen „backfire effect“, bei dem Teilnehmer sich erst recht hinter ihren Positionen verschanzen, konfrontiert man sie mit gegenteiligen Aussagen. Forscher wie Brendan Nyhan widersprechen dem. Faktenchecks beeinflussten Menschen durchaus, aber der Effekt halte nicht lange, argumentiert er in einem Artikel für die US Akademie der Wissenschaften. Eine wirkungsvolle Strategie müsse deshalb bei den Eliten ansetzen, die Falschinformationen verbreiten.
Fakten zu checken war und ist eine zentrale Aufgabe des Journalismus, und die Vielzahl der Quellen und Verbreitungswege macht die Arbeit anspruchsvoller denn je. Aber es wäre ein Fehler, würden Redaktionen, ihre gesamte Energie in das Überprüfen von Inhalten anderer stecken. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, mit guten Recherchen zu relevanten Themen selbst die Agenda zu setzen, statt sich von Lügnern in abseitige Debatten treiben zu lassen. Sie machen diese damit nur größer, als es ihnen gebührt.
Dieser Text erschien in leicht verkürzter Form als Editorial eines Whitepapers der Deutschen Presse-Agentur dpa am 6. Juli 2021.