Vorsicht mit der „Klimakrise“: Warum Wortwahl zählt

Journalisten glauben gewöhnlich, dass sie mit Sprache die Welt verändern können. Dinge präzise zu benennen, gehört immerhin zum Handwerk, das manch einer als Kunsthandwerk versteht. Deshalb führen große Redaktionen Stil-Bücher. Diese geben nicht nur Schreibweisen vor, sondern legen auch fest, mit welchen Begriffen Reporter welche Phänomene beschreiben sollten, welche sie keinesfalls verwenden sollten, und mit welchen sie riskieren sich im Kollegenkreis lächerlich zu machen (ändert sich bei Chefredakteurswechsel). Organisationen geben Empfehlungen zu diskriminierungsfreier (-armer) Sprache ab, wie die Neuen Deutschen Medienmacher mit ihrem Glossar zur Einwanderungsgesellschaft. Und wenn es um polarisierende Themen geht wie das Gendern, werden Debatten schnell leidenschaftlich. Wo die einen die Sprachpolizei fürchten, wittern die anderen den unverbesserlichen Sexisten.

In der Klimaberichterstattung ist die Aufregung zwar nicht ganz so groß, dennoch machen sich einige Redaktionen Gedanken darüber, wie man über die Erderwärmung schreiben sollte, um dem Publikum die Dringlichkeit des Ganzen nahezubringen. Der britische Guardian hatte 2019 mit neuen Regeln zum Sprachgebrauch in Sachen Klima für Aufsehen gesorgt. Auf Weisung der Chefredaktion ersetzen Redakteure und Reporter seitdem das gebräuchliche climate change mit climate crisis oder climate emergency, statt global warming schreiben sie global heating.

Was bei den traditionell eher linksliberalen Lesern des Guardian gut ankam, könnte allerdings am breiten Publikum vorbeigezielt haben, wie eine neue Untersuchung nahelegt. Die im Fachmagazin Climatic Change veröffentlichte Studie hat für den amerikanischen Markt ergeben: Wenn Redaktionen das Publikum für Klimathemen interessieren und dazu motivieren möchten, etwas zu tun, sollten sie gebräuchliche Begriffe wie Klimawandel oder Erderwärmung nutzen. Andere Ausdrücke zeigten weniger Effekte oder könnten sogar polarisieren, so zum Beispiel das politisch links konnotierte climate justice. Das Autorenteam der University of California Los Angeles schloss daraus: “Begriffe zu verändern, ist wahrscheinlich kein Schlüssel zu vermehrter Aktivität in Sachen Klima. Wir empfehlen andere Kommunikationsstrategien.” In einem Artikel des populärwissenschaftlichen Magazins The Conversation schrieben dieselben Forscher: Es sei generell ratsam aufgeheizte, politisch aufgeladene Begriffe zu vermeiden und Sprache einfach zu halten.

Tatsächlich decken sich diese Erkenntnisse mit Erfahrungen aus Redaktionen, wie sie Medien-Führungskräfte im 2023 erschienenen EBU News Report Climate Journalism That Works – Between Knowledge and Impact schildern. Zum Beispiel berichteten Nora Zimmett und Angie Massie, Top-Managerinnen bei der amerikanischen Weather Group, sie würden bei Reportagen über Klimaphänomene zum Teil sogar den Begriff Klimawandel vermeiden, um konservative Zuschauer nicht zu vertreiben. Von sauberer Luft zu sprechen, funktioniere oft besser. Das Etikett „Klima“ sperre zudem entsprechende Berichterstattung in ein Ghetto. Sinnvoller sei es, Fakten zum Thema überall einfließen zu lassen, so wie man Kindern Gemüse in allerlei Gerichten unterschiebe, ohne daraus ein großes Ding zu machen. Andere Interviewpartner meinten, wer politisch aufgeladene Begriffe verwende, mache sich eher angreifbar. Jon Williams, früher Chefredakteur des irischen Senders RTE sagte: „Es ist wichtiger, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.“

Nach diesem Credo richten auch Unternehmen ihre Kommunikation aus, die Kunden dazu bewegen wollen, für hochwertigere Ware mehr Geld auszugeben. Aldi Süd hat sich zum Beispiel zum Ziel gesetzt, bis 2030 bei gekühlten Fleisch- und Milchprodukten nur noch solche aus den Haltungsstufen 3 und 4 im Angebot zu haben. Es empfehle sich, Menschen zu erklären, dass sie beim Kauf solcher Produkte der Gesundheit ihrer Familie etwas Gutes tun, sagt Aldi Süds Nachhaltigkeitschefin Julia Adou dazu. Mit dem Klimawandel zu argumentieren, funktioniere deutlich schlechter.

Sprachgebrauch sollte sich vor allem am Gegenüber orientieren. Dies betonen auch Liam Mannix und Mahima Jain in ihrer Empfehlung zum Klima-Vokabular; beide haben am Climate Explorer Program des Constructive Institutes in Aarhus teilgenommen. Wer sich verständlich machen möchte, sollte in der Sprache des Publikums sprechen und sich vorher darüber informieren, welche Bedeutungen bestimmte Begriffe haben könnten. In manchen Weltregionen wissen die Einwohner zum Beispiel sehr viel über die Folgen des Klimawandels, auch wenn sie den Ausdruck nie benutzen. Das Wichtigste sei, wissenschaftlich präzise zu bleiben – und das Publikum nicht zu unterschätzen: „Respektieren Sie die Intelligenz Ihrer Zielgruppen.“  

Dieser Respekt bedeutet aber nicht, Dinge komplizierter als nötig zu machen. Experimente mit verschieden komplexen Überschriften haben ergeben, dass „normale“ Leser mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die simplere Variante klicken, während Journalisten das nicht unbedingt tun. Dies geht aus einer weiteren Studie hervor, die im August in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlich wurde. Als Beispiel nannten die Autoren in einem Beitrag für The Conversation eine Überschrift aus der Washington Post: “Meghan and Harry are talking to Oprah. Here’s why they shouldn’t say too much” zog deutlich mehr Leser an als “Are Meghan and Harry spilling royal tea to Oprah? Don’t bet on it.” Man ahnt – leicht beschämt – , wie sich Kollegen bei der Referenz zum königlichen Tee an der eigenen Originalität erfreut haben könnten.

All dies bedeutet keinesfalls, dass sich Redaktionen nicht mit Sprache auseinandersetzen sollten. Zum Beispiel ist es ein Unterschied, ob Journalisten von Terror oder Überfall, von Kampf oder Krieg sprechen. Debatten über solche Definitionen sind wichtig. Sie tragen aktiv zur Veränderung von Sprache bei, wie es das Oxford English Dictionary am Beispiel Klimawandel dekliniert. Manche setzen gesellschaftliche Diskussionen und damit Veränderungen in Gang.

Wer Regeln erlässt, muss sich aber darüber klar sein, was sie bewirken sollen: Sind sie ein politisches oder moralisches Signal an Kunden? Das ist durchaus legitim; der Axel Springer Verlag praktizierte dies zum Beispiel zu Zeiten des Kalten Krieges, indem er seine Redaktionen „DDR“ stets in Anführungszeichen setzen ließ. Sollen die Regeln allerdings vor allem dem jeweiligen Publikum dabei helfen, etwas besser zu verstehen, helfen Vereinfachung, Flexibilität und Anpassung mehr als ein sprachliches Korsett. Zurecht handhaben das auch viele öffentlich-rechtlichen Sender so. In Programmen mit jungen Zielgruppen wird gegendert und geduzt, während anderswo die traditionellen Formen mehr Vertrauen vermitteln. Nur faktisch richtig sollten Begriffe immer sein. Darüber, dass Journalisten ziemlich häufig Prozent sagen, wenn sie Prozentpunkte meinen, muss es zum Beispiel keine Debatte geben. Das ist einfach falsch.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 30. August 2024. Mit einem Medieninsider-Abo kannst du dort aktuelle Kolumnen von mir lesen.