Es mag an Corona liegen, dass sich so manch eine*r an den Fernsehbildern in der ersten Februarhälfte kaum sattsehen konnte: Hilfsfahrzeuge, die andere Hilfsfahrzeuge aus Schneewehen schleppen, feststeckende Busse, Straßen- und Schwebebahnen, rotwangige Kinder, die verschneite Hügel herunterrodeln, all das moderiert von Korrespondent*innen, die ebenso selten zum Einsatz kommen wie deren mitgeführter, sichtbar im Schrank gealterter Ballon-Anorak. Endlich mal raus aus der Bund-Länder-Impf-und-Öffnungs-Krisen-Dauerschleife bebildert mit der obligatorischen Impf-Szene, hinein ins pralle, kalte Leben. Kanzlerinnen-Korrespondent*innen mögen darüber stöhnen, Investigativ-Reporter*innen die Nase rümpfen, aber manchmal interessiert die Leute eben nur eines: das Wetter.
Solche Publikums-Vorlieben haben für viele Journalist*innen das Zeug zu einer schweren Kränkung. Da recherchieren sie monatelang an einer Story, sichten Excel-Tabellen, schwatzen Quellen vertrauliche E-Mails ab, riskieren Nerven, Gesundheit und Sicherheit, und warum schließen Kund*innen dann ein Abo ab: Damit sie die Kreuzworträtsel-App nutzen oder sich bei den Kochrezepten bedienen können. So wachsen beim Branchen-Vorbild New York Times die Verkäufe genau jener digitalen Produkte deutlich schneller, die nichts mit dem Nachrichtengeschäft zu tun haben.
Auch wenn deutsche Verlage darüber sinnieren, wie sie ihre Abo-Angebote aufwerten könnten, denken sie eher selten an eine aufgestockte Politik- oder gar Feuilleton-Redaktion. Von den 16 Punkten, die Medien-Manager*innen dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger in seine im Februar veröffentlichten Trend-Umfrage tippten, hatten die Allerwenigsten mit klassischem Journalismus zu tun. Genannt wurden Features wie Gewinnspiele, Archiv-Zugang, Events, Rabatte im Online-Shop, Traueranzeigen, interaktive Elemente, Gamification und Plus-Newsletter – letzterer enthält zwar Journalismus, selten aber die große Reportage, deren Recherche auch Nachwuchsjournalist*innen noch erstaunlich oft ins Zentrum ihrer beruflichen Ambitionen rücken. Und dann zitiert der nahezu trommelnd optimistische, von der Agentur Schickler verfasste Bericht noch den Digitalchef der NOZ-Mediengruppe, Nicolas Fromm, mit den Worten: „Insgesamt gibt es drei wichtige Hebel für unseren Erfolg: Technologie gepaart mit Datenanalyse, Markt-Nutzer-Knowhow und Organisation.“ Hallo, war da noch was? Oder anders gefragt: Verkauft sich Journalismus etwa nicht?
Davon kann keine Rede sein. Starker Journalismus, der nahe an den Bedürfnissen des Publikums liegt, ist nach wie vor die Säule, auf der die Kundenbindung ruht. Exklusive, exzellent geschriebene Geschichten mit hohem Erklär-, Erzähl- und sonstigem Mehrwert ziehen Menschen zur Marke und stärken sie. Das bestätigt die New York Times ebenso wie die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter (DN), die das vergangene Jahr wegen des rasanten Digital-Abo-Wachstums als das wohl erfolgreichste seit den 1990ern bilanziert. Aber während viele Redaktionen noch daran rätseln, welche Geschichten genau denn die Leser*innen zur Herausgabe ihrer Zahlungsinformation motivieren, empfehlen andere längst: größer denken! Die Kund*innen entscheiden sich nämlich nach einer längeren Reise für das Abo, und da gehört ein ganzes Paket an Erfahrungen dazu. Das Lesevergnügen ist nur ein Teil davon.
Für Dagens-Nyheter-Chefredakteur Peter Wolodarski war zum Beispiel der Umstieg auf die Zahlungs-App Klarna ein Schlüssel zum Erfolg. Wolodarski liebt starken Journalismus und kauft gerne große Talente ein, aber auf dem Wachstums-Pfad trugen die dynamische Paywall, das Testen verschiedener Preismodelle und die vereinfachten Prozesse rund ums Abonnieren und Kündigen mindestens genauso zur Beschleunigung bei wie redaktionelle Projekte. Nichts war allerdings so wirkungsvoll wie der Tag, an dem Greta Thunberg die DN-Chefredaktion übernahm – journalistisch vielleicht nicht der stärkste, aber am Abend habe man mit mehr als 10 000 Abos im Plus gestanden, erzählt ein Manager. Andere skandinavische Verlage experimentieren mit Bots, die zum Beispiel über Hausverkäufe schreiben und auf diese Weise ordentlich Abos generieren. Müssen Reporter*innen da beleidigt sein? Eher nicht, denn das lässt ihnen mehr Zeit für Recherchen in der Lokalpolitik. Die sind wichtig für Vertrauen, Image und journalistische Mission, führen aber selten zum Abo-Verkauf.
Hier liegt auch einer der Gründe, warum der Einzelverkauf von Texten praktisch nirgendwo funktioniert. Menschen zahlen selten für Texte, die gibt es im Überfluss. Sie investieren in Erlebnisse, Verlässlichkeit, Zugehörigkeit, Service und ein Qualitätsversprechen. Ein einzelner Text, von dem man am Anfang nicht weiß, wo am Ende der Mehrwert liegt, ist ein zu vages Angebot. Eine starke Redaktion alleine kann ihre PS genauso wenig auf die Straße bringen wie starke Verlagsabteilungen, der Erfolg liegt in der Kooperation. Investigativ-Recherchen alleine holen das Publikum nicht ab, manchmal muss es auch das Wetter sein.
Nutzerfreundlichkeit war übrigens schon bei der gedruckten Zeitung zentral, nur hieß es damals noch nicht User Experience (UX). Schon immer wurden deutlich mehr Abos wegen unzuverlässiger Zustellung oder ruppigem Service an der Kunden-Hotline gekündigt als mit der Begründung, dass einem ein Kommentator nicht passt. Für die Redaktion kann es sogar beruhigend sein, nicht die gesamte Last der Abo-Akquise auf ihren Schultern zu spüren. Wenn’s mal wieder gar nicht läuft mit der Conversion, dann liegt’s bestimmt an der UX. Ein bisschen Trost geht immer.
Und jetzt das Wetter! – Warum Redaktionen bei der Abo-Jagd weiter denken müssen
Diese Kolumne erschien im Newsletter des Digital Journalism Fellowship an der Hamburg Media School am 11. Februar 2021.