Einige erinnern sich noch viel zu gut daran, andere spielen weiterhin täglich in der einen oder der anderen Mannschaft: Das ideologische Kräftemessen zwischen Print und Online hat mindestens eine Generation von Journalist*innen und Verlagsmanager*innen verschlissen, während sich das Publikum längst spannenderen Wettbewerben zugewandt hat. Man könnte jetzt darüber sinnieren, was man in der Zeit hätte gemeinsam anstellen können mit all der Energie. Aber nun, da in vielen Häusern die Zeichen auf Annäherung stehen, sollte man besser an der gemeinsamen Perspektive arbeiten, allerdings nicht, ohne noch einmal die Schiedsrichter zu befragen. Und deren Bilanz dürfte Stand jetzt einigermaßen eindeutig ausfallen: Print hat gewonnen. Bitte was?
Bevor sich langgediente Zeitungsmenschen jetzt gegenseitig auf die Schulter klopfen, wohingegen Onliner der Kolumnistin einen Vogel zeigen und das Lesen hier abbrechen, empfiehlt sich ein Blick in das, was man vor Gericht die Urteilsbegründung nennen würde. Denn natürlich geht es nicht um einen Sieg des Papiers über das Digitale. Im Gegenteil: Manager, die immer noch mit dem Verweis „hier wird das Geld verdient“ auf die Vollabonnements ihrer Zeitung verweisen und jegliche Digitalstrategie nach möglicher „Kannibalisierung“ durchleuchten, bringen ihre Verlage in Lebensgefahr. Auch wenn Anhänger des Papiers das haptische Erlebnis beschwören, sinkt deren Zahl berechenbar. Die tägliche gedruckte Zeitung dürfte im nächsten Jahrzehnt zum Nischenprodukt werden.
Gewonnen hat vielmehr das Prinzip Print. Dessen Kern war es, vertrauensvolle, loyale und direkte Beziehungen zu den Nutzern aufzubauen. Die Zeitung versprach Qualität, ein (tägliches) Erlebnis, und schlich sich als liebgewonnene Gewohnheit in den Alltag ihrer Leser*innen ein. Auch die Anzeigenkunden schätzten das. Die Kontrolle über die Plattform lag zu 100 Prozent beim Verlag – schwierige Wetterlagen mal ausgenommen. Der Konflikt Facebook gegen Australien, der die Medienbranche zu Jahresbeginn beschäftigte, hatte drastisch wie selten beleuchtet, was es bedeutet, Dritten diese Kontrolle zu überlassen.
Der naheliegende Rat an die Verlage wäre: Verkauft digitale Abos, bringt die Nutzer*innen auf eure Homepage oder in die App, dann habt ihr solche Probleme nicht. Hat ja früher mit Print auch geklappt. Tatsächlich sind diejenigen Medienhäuser in der neuen Informationswelt am erfolgreichsten, die früh auf digitale Abonnements nach dem Modell der Print-Loyalität gesetzt haben. Sie investieren mit investigativen Recherchen und starken Autor*innen in Qualitätsjournalismus (Clickbait bringt keine Nutzer-Bindung) und kümmern sich um die Bedürfnisse ihrer Leser, allerdings mit Blick auf die neue Konkurrenz-Situation. Das Spotify- oder Netflix-Abo gilt preislich als die Benchmark, bei der Nutzerfreundlichkeit ebenso.
Dennoch ist auch das wahr: Mehr als zwei Drittel derjenigen, die digitalen Journalismus konsumieren, gehen eben nicht direkt oder über eine Website zum Angebot, sondern nutzen die Plattformen Dritter, beim jungen Publikum wählten im vergangenen Jahr sogar 84 Prozent diesen Weg, wie der Digital News Report 2020 protokolliert. Und nach wie vor ist zumindest in Deutschland nur etwa jede*r zehnte Nutzer*in dazu bereit, für Online- Journalismus zu zahlen – dieser Anteil liegt deutlich unter dem, den skandinavische Medienhäuser erzielen, aber nicht sehr weit unter dem weltweiten Durchschnittswert. Man muss also sagen: „Print“ hat zwar gewonnen, kann sich dafür aber noch nicht viel kaufen – selbst wenn sich die Branche in der im Februar veröffentlichten Umfrage des Bundesverbands der Newspublisher und Zeitungsverleger sehr breitbeinig gegeben hat.
Das fremdbestimmte Leben wird also zu großen Teilen weitergehen, und das ist nicht mal schlimm. Denn über die sozialen Netzwerke können die Verlage in Bevölkerungsschichten hereinreichen, die das Papier-Produkt ohnehin niemals für sich in Erwägung gezogen hätten. Sie erfüllen also damit ihren Informationsauftrag in der Demokratie. Gleichzeitig können sie mit etwas Mühe und Nachdenken jene Kund*innen über eigene Plattformen an sich binden, die sich für journalistische Qualität und Nutzerfreundlichkeit begeistern. Nur müssen sie denen einen Mehrwert bieten. Mit dem Gießkannen-Journalismus früherer Zeiten („alles für alle“) werden sie dabei nicht weiterkommen, zumal der in der Produktion deutlich zu teuer ist. Während man in Redaktionen viel darüber nachdenkt, was man für seine Leser*innen tun könnte, wird viel zu selten analysiert, was man weglassen sollte, weil es keinen der genannten Zwecke erfüllt.
Ganz schleunig aber müssen die alten Gräben überwunden werden, die sich weiterhin durch viele Redaktionen und Verlage ziehen. Die Online-Mannschaft muss sich das „Prinzip Print“ zu eigen machen und in stabilen Kundenbeziehungen statt in Content denken. Menschen zahlen für Erlebnisse und Erfahrungen aber selten für einzelne Inhalte, es sei denn, sie kaufen ein Buch (was übrigens immer ein Versprechen auf ein Erlebnis ist). Die Print-Mannschaft muss lernen, in Plattformen zu denken, von denen die Zeitung nur eine ist. Wer die Plattform kontrolliert, gewinnt. Das war bei Print so, und das wird auch künftig so sein.
Diese Kolumne erschien zuerst bei Medieninsider am 24. Februar 2021 und wurde für den DJF-Newsletter aktualisiert.