Trends 2025: Journalismus braucht chemische Verbindungen

Es ist nicht leichter geworden für den Journalismus im Jahr 2025. Politiker und Tech-Oligarchen diskreditieren Medien, das Publikum ist nachrichtenmüde oder folgt Influencern, die (nach)lässig mit Fakten umgehen, und der digitale Wandel klappt zwar leidlich, kann aber weder die Verluste aus dem Niedergang von Print kompensieren noch jene wettmachen, die ihnen die Herren Musk und Zuckerberg einbrocken, weil sie nichts von Journalismus halten und ihre Social Media Plattformen entsprechend gestalten. Wenn man den neuen Report „Journalism and Technology Trends and Predictions 2025“ des Reuters Institutes studiert, schaut man selbst als Optimistin eher in ein halbleeres Glas.

Vielen in der Branche gilt der stets im Januar erscheinende Trend-Report aus Oxford als Pflichtlektüre. Er basiert auf einer Befragung von handverlesenen Medien-Führungskräften aus aller Welt. Dieses Mal haben 326 geantwortet, und nur 41 Prozent von diesen zeigten sich optimistisch für die Zukunft des Journalismus – vor zwei Jahren waren es bei sehr ähnlicher Zusammensetzung noch 60 Prozent. Die Realität dürfte eher noch trüber aussehen, denn wer sich weder international vernetzt noch für die Zukunft des Journalismus oder wenigstens seines Hauses einsetzt, wird gar nicht erst erfasst. Zusätzlich startet das Reuters Institute das Jahr traditionell mit seinem „News Innovation Forum“, bei dem ein kleiner Kreis von überwiegend europäischen Medienmachern Erfahrungen austauscht und Stimmungen abgleicht. Die folgenden Erkenntnisse beruhen sowohl auf dem Report als auch auf den Diskussionen in Oxford und sind so subjektiv, wie sich das für eine Kolumne gehört.   

Die erste Einsicht ist keine Überraschung: Für Medienhäuser sind direkte Verbindungen zu ihren Nutzern der Schlüssel zum Erfolg. Was haben Redaktionen in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht alles dafür getan, um über soziale Netzwerke in die Feeds ihrer Nutzer zu gelangen. Nun stellen sie fest, dass X unbrauchbar und Facebook zum weitgehend nachrichtenfreien Raum geworden ist. Die Reichweite, die Medienmarken über die beiden Plattformen erzielen, ist in den vergangenen beiden Jahren massiv eingebrochen. Die meisten setzen deshalb auf Einnahmen über Digital-Abos oder Mitgliedschaften sowie die üblichen Geschäftsmodelle inklusive neuer Produkte, aber auch da geht es sehr häufig um direkten Kundenkontakt, der gepflegt werden will. Um es mit einer nunmehr vier Jahre alten Medieninsider-Kolumne zu sagen: „Print hat gewonnen“ – zumindest dessen Prinzip der festen, auf Gewohnheit und Zuneigung beruhenden Beziehung.

Das Vordringen von generativer KI als Such-Werkzeug macht den Ausbau dieser Verbindungen noch dringlicher. Denn abgesehen von den großen Verlagen erwartet kaum ein Medienhaus, von Deals mit den großen KI-Konzernen zu profitieren. Zwar wünschen sich viele Manager – in der Umfrage fast drei Viertel –, dass die Branche solche Verträge im Schulterschluss aushandelt, in der Realität kämpft aber jeder für sich allein, was ein klassisches Collective Action Dilemma abbildet.

Auf der Suche nach Rezepten für die beschriebene Beziehungspflege drängt sich eine weitere Erkenntnis auf: Journalismus ist eine Frage der Chemie. Erfolgreiche Medienhäuser und Einzelkämpfer begreifen, dass es in einer Welt der Über-Information zunehmend auf die emotionalen Verbindungen ankommt, die zwischen Sendern und Empfängern entstehen. Da geht es stärker um Nähe, Authentizität und Identifikation als um Faktenfülle, Geschwindigkeit und Chronistenpflicht, wie sie etablierte Medienhäuser in den Mittelpunkt stellen. Tony Pastor, Mitgründer der größten unabhängigen britischen Podcast-Firma Goalhanger, beschreibt das Casting der jeweils zwei Hosts als wichtigsten Erfolgsfaktor seiner Produkte: „Die Chemie zwischen den beiden muss stimmen.“ Ähnliches gilt für slow journalism Marken wie das dänische Zetland, das in dieser Woche eine neue Marke in Finnland launcht, oder eben jene polarisierenden Politik-Kommentatoren der so genannten alternativen Medien: Allen geht es in erster Linie um einen bestimmten Ton der Ansprache, der beim jeweiligen Publikum verfängt. Wer den trifft, der kann auch mit überlangen Stücken und auch bei jungen Nutzern punkten. Der traditionelle Journalismus muss sich diesem Trend stellen.

Die neuen Vorlieben dürften auch etwas mit dem Zeitgeist zu tun haben, zum Beispiel in Deutschland. War der Hunger nach Nüchternheit, Fakten und Neutralität nach dem Propaganda-Gebrüll der Nazi-Zeit groß, erleben Generationen, die nicht mehr mit den Kriegsgeschichten ihrer Großeltern aufgewachsen sind, die gleiche Art der Ansprache als bürokratisch, kalt und lebensfern. Wer Vereinzelung und Flüchtigkeit von Beziehungen als bedrückendste Probleme der Zeit wahrnimmt, sucht eher nach Identifikation, Emotionalität und Menschlichkeit. Journalismus muss also etwas wie ein guter Freund werden, ohne seine Grundwerte zu verraten. Das gilt auch für faktenreiche, nüchtern erklärende Stücke, die oft dann gut funktionieren, wenn sie das Informationsbedürfnis der Nutzer ernst nehmen, sie also weder über- noch unterschätzen, mit passenden, attraktiven Formaten arbeiten und auch mal klarstellen, etwas (noch) nicht zu wissen.

Noch keine befriedigenden Antworten gibt es auf die Frage, ob KI mehr Nähe zum Publikum schaffen kann – oder gar das Gegenteil bewirkt. Viele Häuser arbeiten derzeit daran, ihre Angebote mit Hilfe von KI zu personalisieren und erhoffen sich davon mehr Nähe. Aber im direkten Kundenkontakt könnte dann doch der Mensch wörtlich genommen die Nase vorn haben. Roboterstimmen zum Beispiel klängen zu perfekt, hatte Zetland-CEO Tav Klitgaard kürzlich in einem Interview mit Medieninsider gesagt, die Nutzer wollten aber Menschlichkeit: „Wir mögen keine Perfektion, weil Perfektion nicht vertrauenswürdig ist.“

Auch das ist eine Erkenntnis aus Report und Innovation Forum: KI sucht in vielen Redaktionen noch ihren Platz. Zwar gibt es kaum ein Haus, das noch nicht an und mit entsprechenden Werkzeugen arbeitet, mehr als 80 Prozent der Befragten berichten von laufenden KI-Projekten. Man habe es aber noch zu häufig mit „Lösungen zu tun, die nach Problemen suchen“, wie es ein Teilnehmer der Diskussionsrunde formulierte. Sprich, es wird viel experimentiert, aber es ist unklar, was man mit Hilfe Künstlicher Intelligenz wirklich erreichen will und kann. Noch ist KI in Redaktionen mehr Handwerkszeug als Heilsbringer, sie transkribiert, übersetzt, fasst zusammen und schlägt Text-Bausteine vor. Auch Effizienz-Versprechen werden noch nicht eingelöst – jedenfalls dort, wo man Journalismus ernst nimmt und das Vertrauen seines Publikums nicht durch übermäßige Fehler riskieren will. Stattdessen sind Investitionen nötig, auch in neue Talente. Fazit: Für Medienhäuser wird das KI-Rennen zum Marathon, auf der Strecke steht manch quälender Abschnitt noch bevor.

Diese Kolumne erschien bei Medieninsider am 14. Januar 2025. Aktuelle Kolumnen von Alexandra lesen Sie dort mit einem Abo.